Wer kommenden Montag oder Dienstag mit einem Gelato in der Hand am Seeufer von Lugano entlangspazieren möchte, der hat ein Problem: Wegen der von Bundespräsident Ignazio Cassis einberufenen Ukraine Recovery Conference werden Teile von Luganos Innenstadt zu «roten Zonen» erklärt. «Wir werden Lugano aber nicht militarisieren», sagt Matteo Cocchi, Kommandant der Kantonspolizei. «Als Tourist wird man etwas mehr Polizei im Zentrum wahrnehmen. Zudem kann es passieren, dass man von der Polizei während einer Escorte angehalten wird und eine kleine Kontrolle stattfindet.»
Wer kurzfristig wissen wolle, wo er sich wann und wie bewegen dürfe, könne sich auf der extra vom Kanton neu eingerichteten Internetseite ti.ch/urc2022lugano in vier Sprachen informieren. Bei den festgelegten roten Zonen in Lugano handelt es sich um einen Teil des Seeufers im Stadtzentrum mit dem beliebten Parco Ciani und den angrenzenden Strassen inklusive des sich im Park befindenden Palazzo dei Congressi. In diesem Kongresshaus wird sich am 4. und 5. Juli die internationale Elite aus Politik und Wirtschaft treffen, um den Wiederaufbau und den Entwicklungsplan der kriegsgeschädigten Ukraine zu diskutieren und mit einer «Lugano-Deklaration» zu beenden.
Wo steigt wer ab?
Die grosse Frage bleibt offen: Werden der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski und sein Premierminister Denis Schmihal persönlich nach Lugano kommen oder sich nur per Video dazuschalten? «Derzeit gehen wir davon aus, dass Präsident Selenski virtuell teilnehmen wird, und erwarten Premier Denis Schmihal vor Ort in Lugano», sagt Pierre-Alain Eltschinger vom EDA.
Wir erwarten Premier Denis Schmihal vor Ort in Lugano.
Pierre-Alain Eltschinger, Mediensprecher EDA
In diversen Medien wird gemunkelt, dass dafür schon länger extra Hunderte Betten in den örtlichen Luxushotels Grand Hotel Villa Castagnola, Villa Principe Leopoldo oder dem Splendide Royale direkt am Seeufer reserviert wurden. In Letzterem soll laut den Gerüchten auch der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski übernachten. «Das ist nicht korrekt», sagt Giuseppe Rossi, Direktor des Hotel Splendide Royal. «Es ist sogar so, dass während der zwei Tage der Konferenz keine offiziellen Delegierten in unserem Hotel nächtigen werden.»
Der lokale Flughafen ist vorbereitet
Vom 4. bis 5. Juli ist der Luftraum über Lugano eingeschränkt. «Alles über 300 Meter über dem Boden fällt in die Hände der Schweizer Armee», erklärt der Tessiner Polizeikommandant Matteo Cocchi. Zudem wird die Schweizer Luftwaffe Unterstützung vom italienischen Militär erhalten. «Alles, was unter den 300 Metern ist, also der Boden, ist Zuständigkeit der Kantonspolizei mit Unterstützung aller kantonalen, interkantonalen oder eidgenössischen Partner.» Kommen also in diesen Tagen die internationalen Präsidenten und Vertreter per Privatjet am Lugano Airport bei Agno an, gelten klare Sicherheitsvorschriften. «Ob sie per Helikopter oder per Autoescorte ins Stadtzentrum gebracht werden, bleibt geheim und wird in letzter Sekunde entschieden.» Auch Davide Pedrioli, Direktor des Flughafens Lugano-Agno, ist in die strikten Abläufe der internationalen Gäste involviert: «Gleich nach ihrer Ankunft werden die Staatsgäste in die Stadt gebracht.» Auch bei einer kurzfristigen Ankunft des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski wäre der Ablauf nicht viel anders. «Wir als Flughafen empfangen öfters wichtige oder berühmte Menschen. So zum Beispiel während des Musikfestivals Moon & Stars in Locarno. Klar ist es für uns ein spezieller Moment, wenn so viele Staatsgäste auf einmal landen. Aber wir können auch auf unsere Erfahrung und Routine bauen.» Schon in der Vorbereitungsphase habe sich die Armeepräsenz auf dem Flughafenareal erhöht, sagt Pedrioli. «Alles läuft nach Plan.»
Gerne hätte Rossi internationale Vertreter bei sich übernachten lassen, aber er sei schon seit Monaten ausgebucht, da in Lugano Hochsaison sei. «Ich hatte vor einiger Zeit Kontakt mit Bern, sie hatten mich angefragt, ob wir Zimmer reservieren könnten, aber ich hatte keine mehr zur Verfügung.» Ivan Zorloni, General Manager des Grand Hotel Villa Castagnola hat einzelne Zimmer reserviert. «Ich stehe in Kontakt mit Bern, und sie werden mir kurzfristig mitteilen, welche Persönlichkeit ich bei uns begrüssen darf.»
Auch für Touristen werde es keine Engpässe geben, sagt Lorenzo Pianezzi, Präsident von HotellerieSuisse Tessin: «In der Hotellerie arbeiten wir nicht anders als sonst. Wir müssen zum Beispiel den Personalbestand nicht erhöhen. Im Tessin haben wir Hochsaison, wir sind es uns gewohnt, das vorhandene Personal so einzuteilen, dass auch bei vielen Besucherinnen und Besuchern normal weitergearbeitet wird.»
Keine Personalaufstockung
Im Restaurant Bottegone del Vino, einer der besten Adressen der Stadt, ist man ebenfalls gelassen: «Wir werden während der Konferenz mit der normalen Anzahl Personal weiterarbeiten», sagt Inhaber Rodolfo Introzzi. «Ich kenne es aus eigener Erfahrung, wenn ich an Konferenzen gehe, habe ich kaum Zeit zu essen. Ich glaube eher, dass
die zwei Tage ruhig werden, da viele Luganesi wegen den gesperrten Zonen in der Innenstadt lieber zu Hause bleiben.»
Michele Unternährer, Präsident von Gastro Lugano, bestätigt, dass eine Aufstockung des Personals falsch wäre. «Wir haben eher Angst, dass wenige Leute auswärts essen gehen.» Es sei den Restaurants in den abgesperrten Zonen selbst überlassen, ob sie geöffnet oder zu haben wollten. «Das Casino Lugano zum Beispiel, das sich am Seeufer befindet, hat sich entschieden, zu schliessen.» Hingegen wird in den Restaurants, die sich in den roten Zonen befinden, der Betrieb laut Unternährer hochgefahren. «Das macht auch logistisch Sinn, so können die Politiker direkt beim Kongresszentrum essen.»
«Es darf jetzt nicht regnen!»
Aus touristischer Sicht sei eine solche internationale Konferenz positiv. «Jetzt darf es in diesen Tagen auf keinen Fall regnen», sagt Michele Foletti, Stadtpräsident von Lugano, und lacht herzhaft. «Unsere Stadt hat die einmalige Chance, sich einem Millionenpublikum auf der ganzen Welt zu präsentieren.» Und klar, da wolle sich das Tessin von seiner besten Seite zeigen.
Foletti blickt bereits jetzt in die Zukunft und hofft, dass die «Lugano-Deklaration» Auswirkungen haben wird: «Schön wäre es, wenn man sich in ein paar Jahren wieder in unserer Stadt trifft und die vereinbarten Ziele neu analysiert. Oder dass die «Lugano-Deklaration» wandert und auf der ganzen Welt als Grundlage eines Wiederaufbaus besprochen wird.»
Für den Stadtpräsidenten hat Lugano ganz klar das Potenzial, sich als Konferenzstadt mit internationaler Ausstrahlung
zu entwickeln: «40 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner Luganos sind Ausländer. Ukrainer und Russen feiern hier zusammen orthodoxe Weihnachten, wir sind international und freuen uns, die ganze Welt bei uns begrüssen zu dürfen.»
Nachgefragt bei Lorenzo Pianezzi, Präsident HotellerieSuisse Tessin.
Wie erleben Sie die Tage kurz vor der Ukraine-Konferenz?[IMG 2]
Unglaublich spannend, ein Hotelier kommt vielleicht einmal im Leben in einen solchen Ausnahmezustand – ausser man arbeitet in Brüssel, dann ist das Alltag. Aber für uns in Lugano ist es eine Riesensache, ich freue mich. Mein Hotel Zurigo ist in diesen Tagen praktisch ausgebucht. Vom EDA habe ich eine Liste mit Namen von Leuten erhalten, die bei mir übernachten werden. Es sind Funktionäre und Sekretäre, welche die Staatschefs während der Wiederaufbaukonferenz begleiten werden.
Ist der Anlass für Touristen nicht einschränkend?
Nein, auch für Touristen kann dieser Event interessant sein. In der Stadt wird zum Beispiel erzählt, dass man Kanonen am Fluss Cassarate bestaunen kann, die dazu dienen sollen, im Ernstfall Flieger abzuschiessen. Die Stadt wird voll sein von internationalen Vertretern. Ausserdem ist das Zentrum mit ein paar Ausnahmen frei zugänglich.
Mein Hotel Zurigo ist in diesen Tagen praktisch ausgebucht.
Könnte der Anlass russische Touristen abschrecken?
Ich hatte in den vergangenen Monaten sowohl russische als auch ukrainische Touristen im Hotel. Ich habe gesehen, wie sie sich beim Frühstücksbuffet herzlich begrüssten und begannen, miteinander zu diskutieren. Klar sind das Menschen, die es sich leisten können, zu reisen, und darum auch ein anderes Weltbild haben. Es ist ein politischer Kampf, kein Kampf zwischen zwei Völkern.
Wie wird sich die Konferenz längerfristig auswirken?
Es ist eine einmalige Chance für Lugano, sich der Weltöffentlichkeit zu präsentieren. Auch wenn der Parco Ciani und das Kongresszentrum für Touristen gesperrt sein werden, sind sie dafür für Menschen auf der ganzen Welt im Fernsehen sichtbar. Eine Visitenkarte für uns, die längerfristig für den Tourismus in dieser Stadt eine positive Auswirkung haben wird.