Michael Hartmann, seit drei Jahren sind Sie Direktor der EHL Hotelfachschule Passugg SSTH. Auf welche Erfolge sind Sie besonders stolz?

Als ich die Schule übernahm, war nicht klar, wohin die Zukunft führt. Sie gehörte zwar zur EHL-Gruppe, zur Ecole hôtelière de Lausanne, war aber nur teilweise integriert und auch wirtschaftlich recht angeschlagen. Die Integration ist jetzt auf allen Ebenen vollzogen, was sich auch im Erscheinungsbild zeigt. Zuvor waren wir eine höhere Fachschule, jetzt haben wir auch eine Fachhochschule mit Bachelor-Abschluss und konnten die Schule auch wirtschaftlich stabilisieren.

Seit einem Jahr bieten Sie das EHL-Bachelor-Studium an. Wie kommt es an?

Von unseren Studenten erhalten wir sehr positive Rückmeldungen. Im September 2018 begannen wir den ersten Durchgang mit 15 Teilnehmern. Diesen Februar waren es 19 und im Herbst werden es rund 15 sein. Klassen zwischen 15 und 20 Studenten sind ideal.

Ihre Studenten kommen aus 20 Ländern …

Die Internationalität unserer Schule ist uns wichtig und bringt auch den Studenten sehr viel. Rund 60 Prozent kommen aus der Schweiz, von den Restlichen kommt der Hauptteil aus Asien – China, Korea, Nepal, Indien –, gefolgt von Europa und den USA.

Michael Hartmann (56) leitet seit Juni 2016 die SSTH. Zuvor war er drei Jahre Berater bei der Ecole hôtelière de Lausanne (EHL) und wirkte aktiv am Lausanne Report 2030 mit (enthält die Beurteilung zukünftiger Trends und Treiber für sämtliche Akteure der globalen Hospitality-Industrie). Hartmann leitete für alle Siemens-Divisionen das Siemens One Hospitality Market Development Board und war für ICT-Lösungen internationaler Hotelketten verantwortlich. Seine Karriere startete der gebürtige Oberbayer als Restaurantfachmann bei Kempinski, absolvierte die Hotelmanagement-Schule in Heidelberg, die Cornell University (USA) und hat einen MBA-Abschluss (UK). Der leidenschaftliche Segler lebt in Bonaduz sowie mit Frau und Sohn am Ammersee (D).

Welche Nationen sind von Natur aus mit dem Gastgeber-Gen ausgestattet?

Weil Asiaten sehr demütig sind, denken viele Menschen, sie seien die geborenen Dienstleister. Doch weder sie noch der extrovertierte Österreicher, der gleich alle umarmt, sind bessere Gastgeber. Kulturell bringt jeder Student einen Status mit. Manche kommunizieren gerne, manche haben die Zahlen besser im Griff. Der Markt kann alle brauchen. An uns ist es, die angehenden Fachkräfte zu formen und ihnen das Rüstzeug mitzugeben. Der demütige Kellner ist ohnehin passé. Die Gäste suchen Begegnungen auf Augenhöhe, wie es der Ritz-Carlton-Slogan treffend sagt: «Ladies and Gentlemen serve Ladies and Gentlemen.»

Ihre Studenten wohnen in einem ehemaligen Kurhaus aus dem 19. Jahrhundert. Ist das die richtige Unterkunft für die nächste Generation Hoteliers?

Es ist die beste Unterkunft überhaupt! Wir bieten ein einzigartiges Kur- oder sogar Schlosshotel-Ambiente und Natur pur. Die EHL ist Hightech, wir sind Hightouch. Zwischen der vermeintlich modernen Welt und den ursprünglichen Wurzeln spannen wir den Bogen bewusst. Wir sind aber in keinster Weise hinterm Berg, sondern digitalisieren derzeit nahezu jeden Bereich.

Wie lernen Ihre Schüler unternehmerisches Denken und Handeln?

Sie realisieren innerhalb unserer Projektwochen ihre eigenen Pop-up-Restaurants. Von der Idee bis zum ­Konzept und zum Finden der geeigneten Lokalität und Umsetzung sind sie verantwortlich. Sie erhalten ein Budget, das sie einhalten müssen. Weiter beteiligen sich unsere Studenten beim Genussmarkt von Andreas Caminada in Fürstenau, und ab nächstem Jahr gibt es ein spannendes Projekt mit dem Hotel Alpina in Tschiertschen, das aber noch nicht spruchreif ist.

Welche Werte sind Ihnen wichtig?

Respekt gegenüber Mitmenschen und Offenheit für Innovationen und Neues.

Welche Fähigkeiten und Kompetenzen sind für Hoteliers in zehn Jahren ein Muss?

Affective Hospitality. Sie müssen die emotionale Kommunikation auf einem neuen Niveau beherrschen und das Spiel der Inszenierung verstehen. Hierfür haben wir die Uni Genf mit ihrem Affective Science Institute an Bord geholt, die dieses Gebiet wissenschaftlich erforscht. In diesem Kontext sind auch Kenntnisse über kulturelle Unterschiede und wie man damit umgeht signifikant wichtig.

Was noch?

Sie müssen die Digitalisierung per se als Instrument verstehen, Prozesse effizienter und effektiver zu machen. Aktuell führen wir das grösste Reservierungssystem für Hotels und Restaurants ein. Wir wollen herausfinden, wie man den Kundenkontakt zu jedem Zeitpunkt beeinflussen kann, damit der Gast ein durchwegs positives Dienstleistungserlebnis hat.

Am 21. September 2019 findet an der SSTH das dritte Rhythm & Food Grillfestival statt. Nebst Grill- und Cocktailworkshop bietet sich den Gästen Gelegenheit für einen Blick in die Schule. Erwartet werden rund 500 Besucher.

Wie schnell sind Sie in der Anpassung des Lehrplans?

Zurzeit arbeiten wir an sieben Projekten und erfinden die Schule schon fast neu (lacht). Ich behaupte, wir sind dem Bildungsmarkt immer ein Stück voraus. Nehmen wir das digitale Erlebnis. Hierfür haben wir ein neues Restaurantkonzept realisiert. In unserem Elysium entwickeln die Studenten von der Storyline bis zur technischen Umsetzung, vom kulinarischen Angebot bis zur gesamten Inszenierung alles selbst. Vorbilder sind die Restaurants UltraViolet in Shanghai und Sublimotion in Ibiza.

Um was geht es beim Elysium?

Um das Kreieren unvergesslicher, multisensorischer Erlebnisse, die Emotionen auslösen. Wir haben hierfür den Schweizer «Tatort»-Drehbuchautor aus Leipzig geholt und mit ihm die Storyline entwickelt. Aber das ist nur eines von vielen Beispielen.

Gibt es Entwicklungen und Trends, die Sie ablehnen?

Die zunehmende Akademisierung ist der Branche nicht dienlich. Zuletzt haben wir einen Concierge mit einem MBA, der aber nicht weiss, wie das Frühstücksbuffet aufdecken. Hochschulen sind gut, aber der Markt braucht auch Leute, die das Handwerk verstehen. Siehe auch das Thema Fachkräftemangel.

Ein Votum für das duale Bildungssystem?

Absolut. Eine Branche braucht operative Fachkräfte, die auch analytisch-akademische Fähigkeiten haben. Und die findet man nicht in irgendwelchen Titeln. Nichts gegen den Bachelor, denn ohne diesen Abschluss hat man international überhaupt keinen Zugriff auf Kaderfunktionen. Aber den professionellen Ansatz will ich unbedingt weiter ausbauen und integrieren, was übrigens die EHL genauso macht.

Der Bildungsmarkt ist hart. Allein in Luzern gibt es fünf neue Hotelfachschulen. Wie positionieren Sie sich erfolgreich?

International wächst die Tourismusbranche wie keine zweite. Besonders in China ist die Nachfrage nach dem dualen System enorm gross. Aufgrund der Integration mit der EHL hat unsere Schule eine sehr gute Position. Mein Ziel ist es, unser Portfolio auf ein internationales Level umzubauen und dies verstärkt mit dem dualen Ansatz. Aufgrund von Marktbeobachtungen gehen wir davon aus, dass wir in zehn Jahren doppelt so viele Studenten haben werden.

Das wären dann 700 Studenten. Welche Konsequenzen hat das für Ihren Campus?

Bei den Betten und Klassenzimmern platzen wir jetzt schon aus allen Nähten und helfen uns mit mobilen Modulen und dem Hotel Alpina aus. Bis 2023 ergänzen wir das Schulhotel mit einem modernen vierstöckigen Gebäude, realisieren eine Aula, neu konzipierte Klassenzimmer, um nur einiges zu nennen. Alles was die Studentenunterkünfte betrifft, geht zum Riedwisli, zum Haus Fontana, denn wir müssen die Bettenzahl verdreifachen. Aber das ist noch nicht alles.

Was kommt noch?

Das ganze Tal wird von uns wachgeküsst (lacht). Zusammen mit der Gemeinde Churwalden und der Stadt Chur wollen wir ein innovatives touristisches Konzept zum Thema Wasserwelten mit Hausbrauerei, Almhütte, Meditationszentrum und einem offenen Campus entwickeln. Letzterer soll von den Studenten bewirtschaftet werden. Toll wäre, alles mit einer spektakulären Hängebrücke zu verbinden – so viel zu den ersten Ideen. Den Architekturwettbewerb schreiben wir in den nächsten Wochen aus.

Was kostet das, und wer bezahlt das?

Die EHL Group und der Kanton Graubünden haben in den letzten Jahren bereits knapp 15 Millionen Franken in die SSTH investiert. Nun benötigen wir einen ähnlichen Betrag für die nächsten sechs bis acht Jahre. Glücklicherweise sind unsere Gebäude alle schuldenfrei, was einen finanziellen Spielraum ermöglicht. Zudem haben wir mit Lausanne eine starke Mutter, die ihren Campus zurzeit für 300 Millionen erweitert.

Die SSTH hat über 5400 Alumni. Wie viele davon arbeiten noch in der Branche?

Mindestens 70 Prozent, der Rest ist in der Peripherie. Keiner hat die Branche wirklich verlassen. Viele brachten es zum General Manager, bekleiden internationale Kaderpositionen oder führen ihr eigenes Hotel.

Die EHL Hotelfachschule Passugg (SSTH) ist seit 1966 eine der führenden Hotelmanagement-Schulen. Sie ermöglicht den Absolventinnen und Absolventen eine Vielzahl an Karrieremöglichkeiten in der Hotellerie. Aktuell bildet sie 350 Studierende aus dem In- und Ausland aus.