Was sich Tim Oberli von der Teilnahme an den World Skills erhofft, kann er in zwei Worten sagen: die Goldmedaille. «Es wäre eine Bestätigung für die harte Arbeit. Ich weiss, dass ich das Zeug dazu habe», sagt der 19-Jährige.

Das Selbstvertrauen kommt nicht von ungefähr. Vor zwei Jahren hat er – eher zufällig – an den Swiss Skills teilgenommen und die Goldmedaille gewonnen. Eine Arbeitskollegin im Hotel Mövenpick in Regensdorf ZH, wo er damals seine Lehre absolvierte, hatte ihn darauf aufmerksam gemacht und ihn zur Teilnahme ermuntert.

Rund 1150 Talente im Wettbewerb
Auf dem Gelände der Bernexpo finden vom 7. bis 11. September die Swiss Skills 2022 statt. Rund 1150 Lernende und Lehrabsolventinnen und -absolventen messen sich in den Wettbewerben. Zudem finden einige Berufsmeisterschaften der World Skills in der Schweiz statt: in Montreux der Wettbewerb Hotelréception (6.–9.10.), in Luzern die Wettbewerbe für Koch und Restaurant-Service (23.–26.10.).

«Ich war extrem nervös. Der Wettbewerb war ein Wechselbad der Gefühle», erinnert er sich. Mal habe er gedacht, alles vermasselt zu haben. Dann aber sei er sich gewiss gewesen, dass er es aufs Podest schaffen würde. Tatsächlich schaute für Oberli in dem Wettbewerb, der für den Beruf Hotelréception 2020 zum ersten Mal überhaupt stattfand, der erste Rang heraus.

Ganze Abteilung kümmert sich um Reklamationen
In Rollenspielen wurden die Teilnehmenden auf Herz und Nieren getestet. Wie reagieren, wenn der Gast aus dem Mittleren Osten sich an der Réception beklagt, der Kollege vom Housekeeping sei ohne zu klopfen ins Zimmer getreten und habe seine Frau beim Umziehen gesehen? Oberli löste diese und weitere Aufgaben mit Bravour. In der Tat sei der Umgang mit Gästebeschwerden im Alltag eines Réceptionisten ein grosses Thema. Im Bürgenstock Resort Lake Lucerne, wo Oberli heute als Front Office Supervisor arbeitet, sei der Umgang mit Gästereklamationen tatsächlich ein grosses Thema. Eine ganze Abteilung kümmere sich darum, schreibe jede einzelne Beschwerde nieder. Oberstes Ziel: aus unzufriedenen Gästen glückliche Gäste machen. Das Team stellt zudem sicher, dass die übrigen Mitarbeitenden auf dem Laufenden sind. «Wenn ein Gast im Restaurant reklamierte, wäre es nicht die beste Idee, wenn sich der Réceptionist am anderen Tag erkundigen würde, wie das Abendessen gewesen sei», sagt Oberli. Bei Zimmerpreisen im vierstelligen Bereich sei klar, dass Gäste hohe Erwartungen hätten.[RELATED]

Swiss-Skills-Auszeichnung als Booster für die Karriere
Manchmal stünden diese Erwartungen mit den Hotelstandards in den Herkunftsländern der Gäste in Zusammenhang. «Bei einem Zimmer mit getrennten Betten erwarten manche Gäste aus den USA zwei King-­Size-Doppelbetten, auch wenn man das in ganz Zentraleuropa so nirgends findet.»
Er glaube zwar nicht, dass er seine aktuelle Stelle allein wegen seines Sieges an den Swiss Skills erhalten habe – «aber es half». Oberli ist sich bewusst, dass er sich beruflich in einem raschen und steilen Aufstieg befindet. In seiner heutigen Position als Schichtleiter hat er die Verantwortung für zehn Personen. «Ich bin 19», sagt Oberli.

Unmittelbar nach Bekanntwerden seines Sieges an den Swiss Skills sei er von mehreren Hotels eingeladen und diversen Hoteldirektoren vorgestellt worden. Dass er keine konkreten Jobangebote erhalten habe, sei kein Wunder. «Ich war 17, und es lagen noch eineinhalb Jahre vor mir bis zum Abschluss der Lehre.»
Heute, nach einigen Monaten in seinem Job, sind für Oberli eine Reihe von Punkten wichtig, um ein hervorragender Gastgeber zu sein. «Es ist wichtig, hinter dem Produkt stehen zu können.» Weiter sei es zentral, sich genau in die Gäste hineinzuversetzen. «Wer 16 Stunden unterwegs war, hat andere Bedürfnisse als jemand, der von Zürich anreiste und topfit ist.» Und, wie ihm in den vergangenen Monaten bewusst geworden sei, brauche es eine gewisse Ehrlichkeit. «Ich sage den Gästen manchmal ganz offen: ‹Da ging leider etwas schief. Das entspricht nicht unseren Standards. Ich verstehe, dass die Situation für Sie unbefriedigend ist, und wir möchten dies gerne ändern. Lassen Sie uns gemeinsam die beste Lösung finden.›»

Um hervorragend zu sein, brauche es weiter Präsenz. «Als Schichtleiter im Frontoffice bin ich permanent am Koordinieren. Wenn ich einen Gast vor mir habe, muss ich das einen Moment lang wegschieben, um zu hundert Prozent auf mein Gegenüber und dessen Bedürfnisse eingehen zu können.» Diese Präsenz habe er auf der Bühne gelernt. Oberli spielte während Jahren intensiv Jugendtheater. «Wenn ich auf der Bühne stand, musste ich ganz bei meiner Rolle sein.»

Und dies wird ihm auch an den World Skills im Oktober in Montreux helfen. Seit zwei Jahren sei sein gesamtes Leben auf diesen Wettbewerb fokussiert. «Für mich ist es ein omnipräsentes Thema, ich kann nicht abschalten.» Die Voraussetzungen für den Wettbewerb scheinen für ihn ideal zu sein: Im 5-Stern-Hotel lernt er sämtliche Situationen kennen, die im Wettbewerb der World Skills vorkommen können. Und dank der Begleitung durch einen Swiss-Skills-Coach wird er zusätzlich gedrillt – was ihn wiederum im Beruf weiter voranbringt. «In vier bis fünf Jahren sehe ich mich im mittleren Kader eines 4- oder 5-Stern-Hotels, in zehn Jahren im Kader», sagt Oberli. Man glaubt ihm auf Anhieb, dass er das schafft – Berufsweltmeistertitel hin oder her.