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Dossier: Weinlese
Dossier sur le thème :

Weinlese

publié le 06. juin 2022

Kolumne Weinlese von Stefan Keller

Weinpublizist Stefan Keller schreibt in jeder zweiten Ausgabe der…
publié le 26. septembre 2023

Österreichs Edelrotwein mit Vielfalt und Finesse

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publié le 28. avril 2022

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publié le 27. janvier 2022

Ein Gespenst geht um – Naturwein

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image : Corinne Glanzmann

Dossier: Weinlese

Kolumne Weinlese von Stefan Keller

Weinpublizist Stefan Keller schreibt in jeder zweiten Ausgabe der htr hotel revue die Kolumne Weinlese. Hier finden Sie laufend ergänzt die neuesten Publikationen.

Stefan Keller ist in der lombardischen Valtellina als Weinproduzent tätig und produziert mit Schnaps.ch auch Schweizer Destillate. Er zählt zu den Gründern der Vereinigung Mémoire des Vins Suisses, ist Ehrenmitglied des Sommelier-Verbands Schweiz und in der Berufsbildung von Winzerinnen und Winzern tätig. Er ist regelmässiger Autor bei der «Schweizerischen Weinzeitung» und schreibt einmal im Monat die Weinkolumne in der htr hotel revue. Stefan Keller lebt und arbeitet in der Schweiz und in Wien.

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Weinlese

Österreichs Edelrotwein mit Vielfalt und Finesse

Blaufränkisch ist – nach Zweigelt – Österreichs bedeutendste rote Rebsorte. Stefan Keller erklärt: Der Blaufränkisch zeichnet sich durch Aromen dunkler Beeren, rauchige Würze und getrocknete Kräuter aus.
Stefan Keller
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Stefan Keller
Stefan Keller stellt den Blaufränkisch vor und geht näher auf Österreichs Weinecke ein.
Stefan Keller stellt den Blaufränkisch vor und geht näher auf Österreichs Weinecke ein. image : Corinne Glanzmann
image : Corinne Glanzmann

Blaufränkisch war im vergangenen Dezember grosses Thema an der Veranstaltung «Arlberg-Weinberg» in Lech. Nach einer Verkostung von mehr als 50 herausragenden Blaufränkisch-Weinen aus 35 Jahren einigte sich die internationale Fachjury auf folgende Charakterbeschreibung:

«Frische und Säure mit einer präzisen Fruchtigkeit und engmaschigem Körper. Die Aromen entsprechen jenen von dunklen Beeren, gemeinsam mit einer rauchigen Würzigkeit, und zeigen Noten von getrockneten Kräutern.» Und ja, für die Juroren gilt der Blaufränkisch als eine der grössten Rotweinsorten überhaupt, sie begründen dies mit Eigenschaften wie Reifepotenzial, Reflexionsvermögen eines Terroirs, Komplexität, Finesse und Unverwechselbarkeit.

Blaufränkisch ist – nach Zweigelt – Österreichs bedeutendste rote Rebsorte, vielen gilt sie als wertvollste. Im Burgenland, wo Blaufränkisch am verbreitetsten ist, herrscht unter den Anbaugebieten ein grosser Wettstreit, wers am besten kann. Unterschiedlich ist der Blaufränkisch auf jeden Fall, je nachdem, aus welcher Ecke er stammt. Im Südburgenland, von Rechnitz im Norden bis Güssing im Süden, wird auf rund 500 Hektaren Rebbau betrieben.

Blaufränkisch ist – nach Zweigelt – Österreichs bedeutendste rote Rebsorte, vielen gilt sie als wertvollste.

Leitsorte ist der Blaufränkisch, die daraus gekelterten Roten kommen seit 2009 mit der geschützten Ursprungsbezeichnung «Eisenberg DAC» in den Verkauf, als Reserve – wie im Fall von Wachter Wieslers 2019er – muss der Wein minimal 13 Volumenprozent Alkohol aufweisen. Die Böden sind geprägt von Schiefer, am Fusse der Rebberge von stark eisenhaltigem Lehm. Beides wirkt sich auf den Wein aus, Ersteres akzentuiert die Minera­lität, Letzteres einen erdigen Geschmack und eine tanninreiche Struktur.

Vermehrt wird auch Blaufränkisch nach Lagen abgefüllt, in Österreich spricht man von Rieden. Thom Wachters Ried Königsberg ist dafür leuchtendes Beispiel. Halb so viel Welschriesling wie Blaufränkisch, also 100 Hektaren, stehen im Südburgenland in Ertrag. Meist werden daraus Weisse gekeltert, die man trinkt wie Chasselas. Krutzlers Ried Ratschen hingegen verblüfft mit einem burgundischen Touch.


Kostproben

Ganz und gar ausser­gewöhnlich: Reinhold Krutzlers barriquegereifter Welschriesling aus alten Reben der Ried Ratschen erinnert an prächtigen weissen Burgunder. Wachter Wieslers Eisenberg Reserve braucht Luft, dann erst entfaltet er seine Vorzüge. Im Glas zeigt sich ein fleischiger Blaufränkisch, kraftvoll und lang. Subtil, mineralisch, austariert, so präsentiert sich Thom Wachters Blaufränkisch aus der Ried Königsberg. Der 2018er ist ein vibrierender Rotwein und jetzt in Hochform.


Viel Schmelz [IMG 2]

Welschriesling Ried Ratschen 2021

Weingut Krutzler, Deutsch-Schützen

75 cl – 31.50 Franken, Gerstl Weinselektion, Spreitenbach


Viel Biss  [IMG 4]

Blaufränkisch Eisenberg Reserve 2019

Weingut Wachter Wiesler, Deutsch-Schützen

75 cl – 28 Franken, Smith & Smith, Zürich


Viel Substanz [IMG 3]

Blaufränkisch Ried Königsberg Reserve 2018

Thom Wachter, Eisenberg an der Prinka

75 cl – 38.50 Franken, Divo, Givisiez

Weinlese

Süffiges Südtirol

Der Niedergang des Vernatschs als populärer Wein ist besiegelt. Der Anteil Anbaufläche der Weinsorte beträgt im Südtirol nur noch rund 10 Prozent. Der Traubenpreis ist ein Grund für diesen Rückgang, wie Stefan Keller erklärt.
Stefan Keller
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Der Weinkenner Stefan Keller
Der Vernatsch ist laut Weinkenner Stefan Keller Alternative zu Weisswein.
Der Vernatsch ist laut Weinkenner Stefan Keller Alternative zu Weisswein. image : Corinne Glanzmann
image : Corinne Glanzmann

Anfang Sommer dreht sich im Vigilius Mountain Resort alles um Vernatsch. Dann lädt Hausherr Ulrich Ladurner eine internationale Fachjury in sein Hotel oberhalb von Lana bei Meran ein, einen markanten Bau, entworfen vom Südtiroler Architekten Matteo Thun. Zwanzig Mal fand der Vernatsch-Cup nun bereits statt.

Mit seiner Initiative will der Gründer und Präsident der Firma Dr. Schär, eines europaweit führenden Unternehmens für glutenfreie Produkte, der bedrängten Sorte unter die Arme greifen. «Wir brauchen Eigenständiges. Es muss den Charakter der Leute widerspiegeln, und ich finde, dieser Wein tut dies perfekt. Vernatsch ist nicht aufregend, er will sich nicht breitmachen. Einfachheit und Geselligkeit stehen im Vordergrund.»

Ladurners Initiative, mitorchestriert von Weinjournalist Othmar Kiem und Weinhändler Günther Hölzl, konnte den Niedergang des Vernatschs als populären Wein nicht verhindern. Es tönt paradox: Während die Weine fortlaufend besser wurden und heute Südtiroler Produzenten und Kellermeister in den meisten Fällen wieder stolz auf ihren Vernatsch sind, verkleinerte sich allein in den vergangenen zwanzig Jahren die Anbaufläche von 1880 auf 570 Hektaren, was bedeutet, dass der Anteil des Vernatschs an der gesamten Weinbau­fläche Südtirols von einem Drittel auf zehn Prozent eingebrochen ist.

Erzeuger von weissen Sorten in Spitzenlagen erhalten pro Kilo Weissburgunder oder Sauvignon blanc oft doppelt so viel wie für Vernatsch.

Die Gründe für diesen Rückgang sind vielfältig, ein wesentlicher Faktor sind die Traubenpreise. Erzeuger von weissen Sorten in Spitzenlagen erhalten pro Kilo Weissburgunder oder Sauvignon blanc oft doppelt so viel wie für Vernatsch. Infolge der massiven Verkleinerung der Anbaufläche wird die Sorte heute fast ausschliesslich in den für sie am besten geeigneten Lagen kultiviert. Damit die grossen Trauben frei hängen können, wird beim Vernatsch an der traditionellen Erziehung auf dem Pergelgerüst festgehalten. Das Laubdach bietet Schutz vor Sonnenbrand und leichtem Hagel.

Während bei vielen Weintypen Ansehen und Preis steigen, je mehr in sie hinein-gepackt wird, ist es beim Vernatsch anders: Je puristischer er gekeltert ist, umso leichter lässt er sich trinken und findet so Anklang. Bei Tisch ist er auch eine valable Alternative zu Weisswein.


Kostproben

Je nachdem, aus welcher Anbauzone ein Vernatsch stammt, zeigt er einen leicht anderen Charakter. Meraner gilt als zartfruchtig und von guter Säure getragen, Vernatsch vom Kalterersee schmeckt mild, ist gerbstoffarm und zeigt oft einen feinen Mandelton. Weine aus Bozen, St. Magdalener etwa, sind kräftig und füllig, was sie auch einem Anteil Lagrein verdanken. In der Regel schmeckt Vernatsch in den ersten paar Jahren nach der Ernte am besten. Kühl und im mittelgrossen Glas serviert ist ideal.

 

[IMG 2] Chic

Meraner Graf Schickenburg 2022, Südtirol DOC

75 cl – 17.50 Franken, PUR Alps, St. Moritz


[IMG 3] Prachtskerl

Der Keil 2021, Manincor, Kaltern

75 cl – 22 Franken, Hofer Wine & Spirits, Zürich


[IMG 4] Reife Klasse

St. Magdalener Classico 2020, Ansitz Waldgries, Bozen

75 cl – 18.50 Franken, Dani Matter Weine, Samedan

Weinlese

Im toten Winkel

Stefan Keller bezeichnet den gelben Wein aus dem französischen Jura als Ikone. Der Wein reift jahrelang in Holzfässern und benötigt bei der Abfüllung in Flaschen eine Ausnahmeregelung durch die EU.
Stefan Keller
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Stefan Keller
Der Weinkeller Stefan Keller stellt den gelben Wein der Savagnin-Reben vor.
Der Weinkeller Stefan Keller stellt den gelben Wein der Savagnin-Reben vor. image : Corinne Glanzmann
image : Corinne Glanzmann

Den französischen Jura kann man sich auch als gallisches Dorf innerhalb des römischen Reiches vorstellen: kleinräumig, unmodisch, zentrumsfern. Vieles ist hier ein bisschen anders, und diese Andersartigkeit wird gepflegt, mitunter zelebriert. Da gibts etwa den Käse Morbier, durchzogen von einem Aschestreifen, den Comté, auf Augenhöhe mit dem Waadtländer Etivaz, da wachsen in den Wäldern Morcheln in Vielzahl, sie werden serviert mit Poularden und begossen mit einer Sauce eingeköchelt aus reichlich Butter, Rahm und Vin Jaune. Ja, der gelbe Wein, er ist eine Ikone, gekeltert aus den Trauben der alteingesessenen Savagnin-Rebe, jahrelang holzfassgereift, abgefüllt in 62-cl-Flaschen, in Clavelins, für welche die EU eine Ausnahmeregelung gestattet – bref, ein Wein, der alle Konventionen sprengt.

Er muss mindestens sechs Jahre lang in Fässern reifen, die nicht nachgefüllt werden, sodass der Schwund zwischen 20 und 40 Prozent beträgt. Auf der Oberfläche bildet sich in dieser Zeit ein Hefeflor, dessen Einfluss – ähnlich wie beim Sherry – einem Vin Jaune, aber auch den weniger lang ausgebauten Non-ouillé-Weissweinen einen besonderen, nussigen Geschmack verleiht. Wird ein Wein mit «ouillé» bezeichnet, bedeutet dies, dass er nicht oxidativ ausgebaut wurde, also so, wie Weisswein in aller Regel gekeltert wird; im französischen Jura indes ist dies die Ausnahme. Dies gilt für Savagnin wie auch für Chardonnay, die meistangebaute Sorte. Vier Fünftel aller französischen Juraweine sind denn auch weiss.

Der gelbe Wein ist eine Ikone, gekeltert aus Trauben der alteingesessenen Savagnin-Rebe.

Noch ein Wort zum Savagnin: Im deutschsprachigen Raum nennt man ihn Traminer, im Oberwallis Heida und im Unterwallis Païen. Rotweine also machen nur einen kleinen Teil der Produktion aus. Sie werden aus Pinot noir und aus autochthonen Sorten wie der hellfarbigen Poulsard und der dunkelfarbigen Trousseau gekeltert, sortenrein oder auch als Cuvées. Und wer noch weiter in die Geheimnisse des gallischen Dorfes eintaucht, der wird auch den Schaumwein Crémant entdecken, den Süsswein Vin de Paille und den Macvin du Jura, bei dem die Gärung durch die Zugabe von Marc gestoppt wird.


Kostproben

Seit dem Mittelalter ist Château d’Arlay im Besitz der Familie de Laguiche. Zeitlosigkeit zeichnet ihre Gewächse aus, akzentuiert in den beiden Savagnins. Die Abfüllung Naturé – ein Synonym für Savagnin – wird im Gegensatz zum Vin Jaune nicht unter dem Hefeflor ausgebaut. Den 2020er zeichnen Mineralität und saftige Säure aus und das Parfüm des Vin Jaune, eines Elixiers geprägt von Nussigkeit und Salzigkeit. Bauds Roter aus Trauben der autochthonen Poulsard-Rebe setzt einen federleichten Farbtupfer.


[IMG 2]Saftiger Savagnin

Le Naturé de Château d’Arlay 2020. Château d’Arlay, Arlay.

75 cl – 24.90 Franken, Favre-Tempia, Satigny


[IMG 3] Nussiger Vin Jaune

Vin Jaune 2015. Château d’Arlay, Arlay

62 cl – 58.50 Franken, Favre-Tempia, Satigny


[IMG 4] Beeriger Poulsard

Poulsard En Rougemont 2019. Domaine Baud, Le Vernois.

75 cl – 18.50 Franken, Terravigna, Utzenstorf

Weinlese

Champagner auf den Tisch

Der Champagner wird oft nur beim Öffnen oder Feiern eines Anlasses getrunken. Doch Stefan Keller erklärt, dass kaum ein anderer Wein so vielseitig kombinierbar sei wie der Sprudler.
Stefan Keller
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Der Weinkenner Stefan Keller macht sich für den Wein mit Kohlensäure stark.
Der Weinkenner Stefan Keller macht sich für den Wein mit Kohlensäure stark.
Der Weinkenner Stefan Keller macht sich für den Wein mit Kohlensäure stark. image : Corinne Glanzmann
image : Corinne Glanzmann

An Bonmots zu Champagner mangelt es wahrlich nicht. Mein liebstes stammt von Lily Bollinger, geborene Elisabeth Law de Lauriston-Boubers. Lily war während dreissig Jahren Geschäftsführerin des gleichnamigen Champagnerhauses. «Ich trinke Champagner, wenn ich glücklich bin und wenn ich traurig bin. Manchmal trinke ich davon, wenn ich allein bin. Wenn ich Gesellschaft habe, dann darf er nicht fehlen. Wenn ich keinen Hunger habe, mache ich mir mit ihm Appetit, und wenn ich hungrig bin, lasse ich ihn mir schmecken. Sonst rühre ich ihn nicht an – ausser wenn ich Durst habe.» Kurz und gut: Champagner kann vieles.

Schade nur, dass dies noch zu wenig ausgespielt wird. Oft muss er sich damit begnügen, einen Anlass zu eröffnen, und wird dann achtlos zur Seite gestellt. Dabei ist er durchaus in der Lage, ein ganzes Essen lang zu brillieren: Kaum ein anderer Wein ist so vielseitig kombinierbar. Ja, Wein. Guter Champagner ist wertvoller Wein mit Kohlensäure, nicht simpler Sprudler. Und so behandelt, wird er auch mit passendem Glas serviert, das Universal-Glas von Zalto oder Gabriel etwa eignet sich ganz gut. Dass der Champagner nicht in den Kelch geschüttet wird, versteht sich von selbst.

Stefan Keller schreibt regelmässig für die «Schweizerische Weinzeitung» und ist in der Valtellina als Weinproduzent tätig. Er zählt zu den Gründern der Vereinigung Mémoire des Vins Suisses und ist Ehrenmitglied des Sommelier- Verbands Schweiz. Stefan Keller lebt und arbeitet in der Schweiz und in Wien.

Die Champagnerproduzenten sind wieder mit Rückenwind unterwegs: Nachdem die Verkäufe 2020 auf 244 Millionen Flaschen eingebrochen waren, stiegen sie im vergangenen Jahr auf 325 Millionen Flaschen, und der Verkaufswert lag erstmals über 6 Milliarden Euro. Rund drei Viertel aller Abfüllungen werden im Ausland abgesetzt.

In die Schweiz kamen 6,3 Millionen Flaschen – ein Rekordwert. Und auch der Wert nahm deutlich zu, dies unter anderem deshalb, weil weniger Brut ohne Jahrgang, die mit Abstand bedeutendste Kategorie, aber vermehrt – teurere – Spezialabfüllungen mit ausgesprochen wenig Dosage eingeführt wurden. Jahrgangschampagner, Extra Brut oder Brut Nature, diese Typen eignen sich dank ihrer Komplexität beziehungsweise ihres geringen Restzuckergehalts ganz besonders gut als Essensbegleiter. Aber selbst Brut-Abfüllungen mit tiefen Dosage-Werten, wie sie die drei Kostproben auszeichnen, harmonieren bestens, gerade auch zu sommerlichen Gerichten.


Kostproben

Pierre Gimonnet kreierte seine Chardonnay Cuvée für die Gastronomie bereits 1947, sie ist auch heute noch ausgesprochen «gourmand». Aus hälftig Pinot noir und Chardonnay setzt sich Janisson Baradons Grande Réserve zusammen, ein Teil der Grundweine wurde im Holz ausgebaut. Komplexität und Harmonie zeichnen sie aus. Vve Fourny verwendet für den Rosé Chardonnay und Pinot noir. Ein Teil des Pinot noir wird sofort abgepresst, ein Teil als fassgereifter Rotwein zugegeben. Letzteres gibt Farbe und Struktur.

[IMG 2] Leichtflüssig

Champagne Blanc de Blancs Gastronome. Champagne Pierre Gimonnet & Fils, Cuis. 75 cl – 49 Franken, The Champagne, Walchwil


[IMG 3] Strahlkraft

Champagne Grande Réserve Brut. Champagne Janisson Baradon, Epernay

75 cl – 45 Franken, Dani Matter Weine, Samedan


[IMG 4] Weinig

Champagne Rosé Brut Premier Cru. Vve Fourny & Fils, Blancs-Coteaux

75 cl – 46.50 Franken, Secli, Buchs

Weinlese

Auf die Pirsch!

Keine Weinregion erzielt höhere Preise als das Burgund. Das Burgund ist einfach und kompliziert zugleich. Einfach, weil hier vor allem zwei Typen gekeltert werden, ein Weisser aus Chardonnay und ein Roter aus Pinot noir.
Stefan Keller
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Bild Côte-d’Or
Die Côte-d’Or ist für ihre Weinkultur bekannt und ein beliebtes Reiseziele im Burgund.
Die Côte-d’Or ist für ihre Weinkultur bekannt und ein beliebtes Reiseziele im Burgund. image : www.burgund-urlaub.com/
image : www.burgund-urlaub.com/

Ein Pulsmesser der Weinbranche ist Liv-ex. Auf dieser digitalen Plattform verschieben mehrere Hundert Händler weltweit Exklusives. Die Auswertung 2022 zeigt: Keine Weinregion erzielt höhere Preise als das Burgund. Innerhalb der Top 100, was den Markenwert betrifft, wuchs die Anzahl Domaines aus diesem Gebiet auf 39, dies sind sechs mehr als im Vorjahr, und innerhalb der Top Ten belegen sie gar sieben Plätze: Leroy, Arnoux-Lachaux, Leflaive, Armand Rousseau, Prieuré Roche, Romanée-Conti, Jacques-Frédéric Mugnier.

Die höchsten durchschnittlichen Flaschenpreise erzielten 2022 die Domaine de la Romanée Conti für 7186 Franken und die Domaine d’Auvernay für einen Preis von 6978 Franken, gefolgt von Château Pétrus 3387 Franken die Flasche und Screaming Eagle für 2271 Franken pro Flasche. Angebot und Nachfrage bestimmen das Spiel.Das Angebot an Burgundern ist natürlicherweise knapp.

Burgund und die Côte d’Or
Im Herzstück der Weinproduktion, der Côte d’Or, reiht sich von Norden nach Süden Dorf an Dorf, mittendrin liegt die Stadt Beaune, die den nördlichen vom südlichen Teil trennt. Das nördlichere Gebiet heisst Côte de Nuits, wo auf 1800 Hektaren Anbaufläche der Schwerpunkt auf Pinot noir liegt, das südlichere Gebiet nennt sich Côte de Beaune. Hier wendet man sich auf den 3900 Hektaren stärker dem Chardonnay zu. Diese Flächen nehmen sich gemessen am Bordelais, an Kalifornien oder an der Rioja vergleichsweise bescheiden aus, begehrter gehts aber nicht.

Das Burgund ist einfach und kompliziert zugleich. Einfach, weil hier vor allem zwei Typen gekeltert werden, ein Weisser aus Chardonnay und ein Roter aus Pinot noir. Kompliziert, weil die Weine nicht nach den Sorten bezeichnet werden, sondern nach der Lage, aus der die Trauben stammen. Und dabei kommt ein verästeltes System ins Spiel, es basiert auf dem 1936 eingeführten AOC-System.

Die Qualitätsstufen
Grob wird in der Côte d’Or zwischen vier Qualitätsstufen unterschieden: regional, kommunal, Premier Cru, Grand Cru. Auf der Hälfte der 30'000 Hektaren, die das Weinburgund ausmachen, kommt die regionale Bezeichnung Bourgogne AOP zum Tragen. Abseits der eingangs erwähnten ikonografischen Gewächse bietet das Burgund trotzt der Hausse nach wie vor Preiswertes, fündig wird man am ehesten an den Rändern. Abseits ikonografischer Gewächse bietet das Burgund trotz der Hausse nach wie vor Preiswertes.


Kostprobe
Marsannay liegt ganz im Norden der Côte d’Or und ist mehrheitlich bekannt für Rotwein. Sylvain Pataille kann auch Weiss: Ob Chardonnay oder Aligoté, glockenklar sind beide. Rot brilliert die vollmundige Cuvée Saint-Urbain von Jean Fournier. Weiter südlich, in der Côte Chalonnaise, liegt Mercurey. David Duband, bekannt für seine Gewächse aus der Côte de Nuits, betreibt hier die Domaine Mia. Seine Village-Abfüllung Les Caudroyes 2019 ist purer Pinot-Spass.

[IMG 2] Chardonnay mit Schmelz

Marsannay 2020Sylvain Pataille, Marsannay75 cl – Fr. 48.–, Gerstl, Spreitenbach

 

 

 

 

[IMG 3] Pinot noir mit Stoff

Marsannay Cuvée Saint-Urbain 2019. Jean Fournier, Marsannay. 75 cl – Fr. 30.50, CAVE SA, Gland

 

 

 

 

[IMG 4] Fleischig und fruchtig

Mercurey Les Caudroyes 2019. Domaine Mia, Nuits-Saint-Georges. 75 cl –Fr. 40.50 Siebe Dupf, Liestal

Weinlese

Prickelnde Perlen

Was sprudelt wird immer beliebter, auch bei Weinproduzenten. Doch neben Prosecco, Champagner und Cava gibt es noch viel zu entdecken.
Stefan Keller
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Glas mit Schaumwein
Hochwertige Schaumweine serviert man vorzugsweise nicht in Flûtes oder Sektschalen, sondern in Kelchen.
Hochwertige Schaumweine serviert man vorzugsweise nicht in Flûtes oder Sektschalen, sondern in Kelchen. image : Louise Lyshøj / Unsplash
image : Louise Lyshøj / Unsplash

Spumante, Sekt, Champagner, weltweit wird immer mehr Schäumendes getrunken. Mengenmässiger Überflieger ist Prosecco, über 700 Millionen Flaschen werden davon mittlerweile verkauft, mehr als doppelt so viel als Champagner. Zwar hat das Jahr 2020 die Festlaune getrübt, und die Verkäufe waren erstmals rückläufig, doch heute schon werden wieder neue Verkaufsrekorde verzeichnet. Immer mehr Konsumentinnen und Konsumenten entdecken, dass sich Schaumwein nicht bloss zum Anstossen eignet, sondern ebenso als Essensbegleiter, gerade eine vegetarische, leichte Küche bietet viele exzellente Kombinationsmöglichkeiten. Und auch Weinproduzenten kommen zunehmend auf den Geschmack, denn alles, was sprudelt, verspricht Mehrwert.

Stefan Keller ist regelmässiger Autor bei der «Schweizerischen Weinzeitung» und ist in der Valtellina als Weinproduzent tätig. Er zählt zu den Gründern der Vereinigung Mémoire des Vins Suisses und ist Ehrenmitglied des Sommelier-Verbands Schweiz. Stefan Keller lebt und arbeitet in der Schweiz und in Wien.

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Im Windschatten der drei Grossen Prosecco, Champagner und Cava entwickeln sich andere Regionen prächtig, so etwa Franciacorta, Clàssic Penedès, Trento DOC, Alta Langa. In Österreich, lange dominiert von Sekthäusern wie Schlumberger, Kattus und Szigeti, mischen Winzersekte den Markt auf und haben nicht nur qualitativ schon viel erreicht. Die Bezeichnung Sekt Austria wurde eingeführt, sie ist Produkten vorbehalten, die aus einheimischen Trauben gekeltert sind; man spricht davon, dass bereits zehn Prozent der gesamten Ernte versektet wird. Sekt Austria gibts in den Kategorien Klassik, Reserve und Grosse Reserve, und sie werden etwa am Tag des Sektes im Oktober zelebriert. Auch in der Schweiz blubberts. Klassiker stammen von den Neuenburger Weinhäusern Mauler und Bouvier und vom Walliser Cave du Tunnel. Schweizer Winzerinnen und Winzer wollen vom Boom profitieren, und viele bieten mittlerweile ebenfalls Schäumer an. Noch sind es allerdings wenige, die ihn von A bis Z auch selber herstellen, die meisten lassen ihre Grundweine durch spezialisierte Firmen versekten.

Hochwertige Schaumweine serviert man vorzugsweise nicht in Flûtes oder Sektschalen, sondern in Kelchen, so wie die besten Weine serviert werden, und so sorgfältig, wie man den Korken entfernt, so sacht lässt man das Prickelnde auch ins Glas rieseln.


Kostproben

Aus dem Hügelgebiet bei Alba stammt zunehmend auch Leichtfüssiges wie Mirafiores flaschenvergorener Spumante aus Pinot noir. Eine Hochburg für hochwertigen österreichischen Schaumwein ist Langenlois im Kamptal, zu den besten Herstellern zählen Bründlmayer, Schloss Gobelsburg und Loimer. Fred Loimer keltert seinen Extra Brut aus mehreren Sorten. Der Bündner Patrick Adank hat in der Champagne gelernt, was guten Schaumwein ausmacht, und setzt dies nun im elterlichen Betrieb in Fläsch um.

[IMG 2]Knochentrocken
Loimer Extra Brut, Weingut Loimer, Langenlois. 75 cl – Fr. 29.80, Vinothek Brancaia, Zürich

 

 

 

 

[IMG 3]Subtile Stoffigkeit
Adanks Brut, Weingut Familie Hansruedi Adank, Fläsch, 75 cl – Fr. 36.–, Gerstl Weinselektion, Spreitenbach

 

 

 

 

[IMG 4]Druckvoller Schmelz
Alta Langa Blanc de noirs 2017, Casa E. di Mirafiore, Serralunga d’Alba, 75 cl – Fr. 36.–, Schuler, Seewen 

Weinlese

Vinotiv: Neu auch in Weiss

Die Visitenkarte von Vinotiv ist eine käufliche Kiste mit je einem ambitionierten Pinot noir aus jedem Betrieb. Nun steht erstmals auch eine weisse Version zum Kauf.
Stefan Keller
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Aus einem Fass zum Keltern ragen weisse Weintrauben und Rebenblätter heraus.
image : Blickpixel / Pixabay
image : Blickpixel / Pixabay

Vor bald 20 Jahren gruppierte sich Vinotiv – sie besteht aus je drei Weinbaubetrieben der vier Dörfer in der Bündner Herrschaft. Nichts hat sich seither an dieser Aufteilung geändert, zu Rochaden hingegen kam es unter den Vertretern. «Faszination Pinot noir» war und ist ihr gemeinsamer Nenner, ein Wein nicht in der Ausformung des süffigen Herrschäftlers, sondern eines Burgunders, stoffig und doch subtil und von einer gewissen Langlebigkeit.

Nun steht erstmals auch eine weisse Version zum Kauf. Aus gutem Grund: Mittlerweile ein knappes Viertel der 420 Hektaren ist mit weissen Sorten bestockt, allen voran mit Riesling-Silvaner (32 Hektaren), Chardonnay (25 Hektaren), Weissburgunder (15 Hektaren), Sauvignon blanc (13 Hektaren) und Pinot gris (11 Hektaren). 30 Prozent trugen die weissen Varietäten letztes Jahr zur Nordbündner Ernte bei. Diese Entwicklung geht Hand in Hand mit einer weltweit wachsenden Nachfrage nach Weissweinen.

Die Winzerinnen und Winzer setzten vor allem auf die sogenannten Burgundersorten Pinot gris, Pinot blanc und Chardonnay.

Nun muss man wissen, dass in Graubünden bis im 17. Jahrhundert fast ausschliesslich die weissen Sorten Elbling und Weisser Veltliner angebaut wurden. Dann tauchte der Blauburgunder auf, und bald verdrängte er die Weissen fast vollständig, er ist auch heute noch dominant. Erst in den 1970er-Jahren setzte zaghaft die Renaissance der Weissen ein. Dabei setzten die Winzerinnen und Winzer vor allem auf die sogenannten Burgundersorten Pinot gris, Pinot blanc und Chardonnay, und Letzterem kommt nun auch die Ehre zu, die Weissweine der Vinotivler zu repräsentieren – sie sind im Dutzend in der weissen Kiste zum Preis von 480 Franken zu haben.

Alle 12 Weine stammen aus dem Jahrgang 2020, sind in kleinen Holzfässern ausgebaut und hätten eigentlich ein langes Leben vor sich. Bei den Winzerinnen und Winzern ist der Jahrgang – bis auf die Sammelkiste – ausverkauft, weniges findet man mit etwas Glück noch bei Wiederverkäufern, und vieles wird bereits getrunken sein, und dies durchaus mit grossem Vergnügen.


Kostproben

Die Chardonnays von Vinotiv sind so verschieden wie die Winzerinnen und Winzer. Und das ist gut so. Wohl ist ihr Jahrgang derselbe, und die Rebberge, aus denen die Trauben stammen, liegen in überschaubarer Distanz voneinander entfernt. Ein Barriqueausbau und der biologische Säureabbau sind Regel. Und doch gibt es von schlank bis üppig, von zugänglich bis streng, von offenherzig bis verschlossen deutlich Unterschiedliches. Irene Grünenfelders Chardonnay strahlt – gerne hätten wir ihn empfohlen, doch scheint er bereits Geschichte zu sein.

Es burgundert. Malanser Chardonnay 2020[IMG 2]
Weingut Fromm, Malans
75 cl – Fr. 45.–, Real Wines, Vico Morcote


[IMG 3]Animierend. Chardonnay 2020
Möhr-Niggli, Maienfeld
150 cl – Fr. 106.–, von Salis, Landquart


Viel von allem. Chardonnay Grand Maître 2020[IMG 4]
Weingut Hermann, Fläsch
75 cl – Fr. 49.50, Selection Widmer, Eschenbach


Stefan Keller ist regelmässiger Autor bei der «Schweizerischen Weinzeitung» und ist in der Valtellina als Weinproduzent tätig. Er zählt zu den Gründern der Vereinigung Mémoire des Vins Suisses und ist Ehrenmitglied des Sommelier-Verbands Schweiz. Stefan Keller lebt und arbeitet in der Schweiz und in Wien.[DOSSIER]

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Weinlese

Schöner Chasselas

Beim Chasselas sind die Schweizer Weltmeister: In keinem anderen Land wird diese Sorte häufiger angebaut, allerdings ist nicht einmal ein Prozent der globalen Weinbaufläche damit bestockt, und davon liegt die Hälfte in der Romandie.
Stefan Keller
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Chasselas Trauben
Chasselas Trauben image : Octuor Films
image : Octuor Films

Chasselas ist mit Abstand die wichtigste Weissweinsorte der Schweiz, und doch hat sie seit Jahren einen schweren Stand – um ein Drittel ging die Fläche in den letzten 25 Jahren zurück, weniger markant in der Waadt als im Wallis, wo die Sorte auch den Namen Fendant trägt. Mit diesem tun sich manche Winzer, Weinhändler und Gastronominnen schwer, weil ihre Kundschaft bei Fendant gerne die Nase rümpft, und sie kennzeichnen den Wein lieber mit Chasselas.

Da habens die Waadtländer einfacher: Sie verkaufen Féchy, Saint Saphorin und Dézaley, also analog den Burgundern, die nicht Chardonnay, sondern Chablis, Puligny-Montrachet und Meursault anbieten. So steht also nicht die Traubensorte, sondern vielmehr die Herkunft im Vordergrund – die ist einzigartig und nicht kopierbar. Es gibt keinen Schweizer Wein, der in der Summe den Ursprungsort stärker spiegelt als Chasselas, das Terroir also, wie es auch heisst; dies gelingt, weil die Sorte nicht zu den aromatischen zählt und weil somit die subtilen Einflüsse des Bodens stärker herausgeschmeckt werden können. So vermag ein Wein aus kalkhaltiger Lage am Neuenburgersee so kühl und klar zu munden wie ein Champagner Extra Brut. Ein Luins aus La Côte von einem Moränenboden hingegen kommt gerne tänzerisch und spritzig daher, und ein gut gelungener Fendant aus einer Lösslage in Fully hinterlässt auf der Zunge eine lange mineralische Spur.

Es gibt keinen Schweizer Wein, der in der Summe den Ursprungsort stärker spiegelt als Chasselas.

Am Wettbewerb «Le Verre d’Or» messen sich die besten Chasselas-Kenner, und das seit 1963. An unterschiedlichen Veranstaltungen sammeln sie Punkte, der Gesamtsieger wird mit dem «Chapeau Noir» ausgezeichnet. Unter den Trägern sind auch viele Winzer: Marco Grognuz aus Villeneuve etwa, oder Raoul Cruchon aus Echichens und Luc Massy aus Epesses. Es ist bemerkenswert, mit welcher Sicherheit diese Kenner von einem Chasselas nicht nur den Herkunftsort, sondern auch Lagen, Winzer und Jahrgang herauszufinden vermögen. Das spricht nicht nur für die degustatorischen Fähigkeiten der Hutträger, sondern auch für eine Sorte, die dezidiert ihre Herkunft preisgibt, wenn man nur auf sie hört.


Kostproben

Vom Bielersee stammt Christian Dexls subtile Chasselas-Interpretation, vom Lac Léman Raoul und Catherine Cruchons Lagenwein Champanel, und aus Martigny Gérald und Sarah Besses Les Bans, ebenfalls ein Lagenwein. Alle drei werden nach bioorganischen oder biodynamischen Prinzipien produziert. Alle drei weisen rund 12 Volumenprozent Alkohol aus, heute zählen sie damit zu den Federgewichten. Und doch fehlt es ihnen nicht an Körper. Sie wirken schlank, sind voller Spannkraft. ça en redemande, davon trinkt man gerne nicht nur ein Glas.


[IMG 2]Berner Gelassenheit

Chasselas 2020

Keller am See, Ligerz

75 cl – Fr. 19.50, erhältlich bei Selection Widmer, Eschenbach


[IMG 3]Dynamik aus der Waadt

Champanel Grand Cru 2021

Domaine Henri Cruchon, Echichens,

75 cl – Fr. 16 .–, erhältlich bei Cultivino, Bern


[IMG 4]Walliser Urgestein

Les Bans 2020 Domaine Gérald Besse. 75 cl – Fr. 16.80, erhältlich bei der Vinothek Brancaia, Zürich


Stefan Keller ist regelmässiger Autor bei der «Schweizerischen Weinzeitung» und ist in der Valtellina als Weinproduzent tätig. Er zählt zu den Gründern der Vereinigung Mémoire des Vins Suisses und ist Ehrenmitglied des Sommelier-Verbands Schweiz. Stefan Keller lebt und arbeitet in der Schweiz und in Wien.[DOSSIER]

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Weinlese

Hoffnungsträger neue Sorten

Neuzüchtungen wie Sauvignac und Cabernet blanc, sogenannte Piwi-Sorten, sind weit weniger anfällig für den Mehltaubefall als etwa Riesling-Silvaner oder Pinot noir, und im Idealfall sind keine Pflanzenspritzungen nötig.
Stefan Keller
Piwis sind weit weniger anfällig für den Mehltaubefall als etwa Riesling-Silvaner oder Pinot noir.
Piwis sind weit weniger anfällig für den Mehltaubefall als etwa Riesling-Silvaner oder Pinot noir. image : Pixabay
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Weisser aus Sauvignac, Lenz Sauvignac 2021, Weingut Roland und Karin Lenz, Uesslingen, Thurgau, 75 cl – Fr. 18.50, erhältlich beim Produzenten.
Weisser aus Sauvignac, Lenz Sauvignac 2021, Weingut Roland und Karin Lenz, Uesslingen, Thurgau, 75 cl – Fr. 18.50, erhältlich beim Produzenten. image : zvg
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Rosé aus Cabernet Jura, Cabernet Rosé 2021, Weingut Wullschleger, Zofingen, Aargau, 75 cl – Fr. 19.–, erhältlich beim Produzenten
Rosé aus Cabernet Jura, Cabernet Rosé 2021, Weingut Wullschleger, Zofingen, Aargau, 75 cl – Fr. 19.–, erhältlich beim Produzenten image : zvg
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Roter aus Divico, L’Audacieux 2020, Caves du Chambleau, Colombier, Neuenburg, 75 cl – Fr. 35.–, erhältlich beim Produzenten
Roter aus Divico, L’Audacieux 2020, Caves du Chambleau, Colombier, Neuenburg, 75 cl – Fr. 35.–, erhältlich beim Produzenten image : zvg
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Roland und Karin Lenz erfinden den Thurgauer Wein neu. Die grössten Biowinzer der Deutschschweiz setzen künftig ausschliesslich auf pilzwiderstandsfähigere Sorten, sogenannte Piwis. Das himmeltraurige Wetter im vergangenen Jahr gab den letzten Zwick. Lenz sieht in Neuzüchtungen wie Sauvignac und Cabernet blanc den Königsweg, um den Weinbau ökologischer zu gestalten. 35 Sorten stehen mittlerweile auf seinen 21 Hektaren im Ertrag, sie sind den meisten Konsumenten so unbekannt wie die Strassennamen in Uesslingen.

Als Präsident des im Dezember 2019 gegründeten Vereins Piwi Schweiz ist der Thurgauer auch Sprachrohr einer noch jungen Bewegung. Sie stand Ende März anlässlich des Besuchs des Weinguts Lenz durch Landwirtschaftsminister Guy Parmelin, selber aus einer Weinbauernfamilie stammend, kurz im Rampenlicht.

Auch Kleinstwinzer wie Martin Wullschleger und Cornelia Jacquemai setzen gerne auf Piwis. Die beiden pflegen in Zofingen insgesamt 6274 Rebstöcke der Sorten Johanniter, Cabernet Jura und Cal 1-28. Die Ernte lassen sie durch Kellermeister Daniel Fürst im Fricktal keltern.

Im Idealfall sind keine Pflanzenspritzungen nötig
Piwis sind weit weniger anfällig für den Mehltaubefall als etwa Riesling-Silvaner oder Pinot noir, und im Idealfall sind keine Pflanzenspritzungen nötig. Das macht pilzwiderstandsfähige Sorten seit eh und je bei Freizeitwinzern beliebt, die alten französischen Sorten Maréchal Foch und Léon Millot etwa, beide wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts gezüchtet. Seither entstanden unzählige neue Züchtungen.

Einer der Stars heisst Divico, federführend durch Jean-Laurent Spring von Agroscope in Changins entwickelt. Spring griff auf die rote Sorte Gamaret zu – 1970 ebenfalls an der Westschweizer Forschungsanstalt Changins aus einer Verbindung von Gamay und Reichensteiner geboren – und auf die weisse Sorte Bronner, eine pilzwiderstandsfähige Kreuzung des Staatlichen Weinbauinstituts in Freiburg im Breisgau. Heute, neun Jahre nach der Einführung, stehen bereits 54 Hektaren mit Divico im Ertrag, vor allem in der Westschweiz, etwa bei Lous-Philippe Burgat und seiner Cave du Chambleau, einer der ersten Neuenburger Adressen.[RELATED]


Kostproben

Der Sortenname Sauvignac erinnert nicht zufällig an Sauvignon. Roland Lenz’ Abfüllung ist ein süss-saures aromatisches Feuerwerk. Aus der Sorte Cabernet Jura keltert Daniel Fürst in Hornussen für das Winzerpaar Wullschleger/Jacquemai einen strukturierten, angenehm trockenen Rosé. Und Louis-Philippe Burgat aus Colombier setzt mit seinem L’Audacieux den Massstab, wenn es um die Sorte Divico geht. Der 2020er wurde gar ohne Schwefelbeigabe abgefüllt. Drei sortenreine Weine aus besonders pilzwiderstandsfähigen Sorten mit hohem Spassfaktor.

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Stefan Keller ist regelmässiger Autor bei der «Schweizerischen Weinzeitung» und ist in der Valtellina als Weinproduzent tätig. Er zählt zu den Gründern der Vereinigung Mémoire des Vins Suisses und ist Ehrenmitglied des Sommelier-Verbands Schweiz. Stefan Keller lebt und arbeitet in der Schweiz und in Wien.

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[DOSSIER]

Kolumne Weinlese

Italiens Weine: Die Schweizer sind ganz närrisch

Auch wenn Italiens europameisterlicher Glanz beim Fussball am Verblassen ist, bezüglich Wein sind unsere Nachbarn Weltmeister. Jedenfalls für uns Schweizer.
Stefan Keller
image : Pixabay
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Knackiges aus Durella: Fongaro Brut 2013, Fongaro, Roncà, Venetien, 75 cl, Fr. 35.50, erhältlich bei: Vogelsanger Weine, St. Gallen-Winkeln
Knackiges aus Durella: Fongaro Brut 2013, Fongaro, Roncà, Venetien, 75 cl, Fr. 35.50, erhältlich bei: Vogelsanger Weine, St. Gallen-Winkeln image : zvg
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Markantes aus Verdicchio Sora Elvira 2020, Alberto Serenelli, Ancona, Marken 75 cl, Fr. 24.50, erhältlich bei: Dani Matter Weine, Samedan
Markantes aus Verdicchio Sora Elvira 2020, Alberto Serenelli, Ancona, Marken 75 cl, Fr. 24.50, erhältlich bei: Dani Matter Weine, Samedan image : zvg
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Subtiles aus Grignolino: Grignolino Bricco del Bosco Vigne Vecchie 2016, Accornero, Vignale Monferrato, Piemont. 75 cl, Fr. 46.-, erhältlich bei: Carl Studer Vinothek, Luzern
Subtiles aus Grignolino: Grignolino Bricco del Bosco Vigne Vecchie 2016, Accornero, Vignale Monferrato, Piemont. 75 cl, Fr. 46.-, erhältlich bei: Carl Studer Vinothek, Luzern image : zvg
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Aus keinem anderen Land führen wir mehr ein, 2021 waren 43 Prozent der insgesamt rund 176 Millionen Liter italienischer Herkunft. Frankreich folgt mit 23 Prozent, Spanien mit 15 Prozent. Alles in allem kamen 4 Prozent mehr ausländischer Wein über die Grenze als im Vorjahr, und dies, obwohl der Pro-Kopf-Konsum erodiert. Auch 2021? Das werden wir wissen, wenn Ende Monat das Bundesamt für Landwirtschaft die Verbrauchszahlen des vergangenen Jahres veröffentlichen wird.

605 Rebsorten sind offiziell registriert, von der weissen Sorte Albarenzueli bianco bis zur roten Sorte Vien de Nus.

Der Hauptgrund für die verstärkten Einfuhren ist die ausgesprochen kleine letztjährige Schweizer Ernte. Über 2000 Importeure sorgen dafür, dass wir auch künftig nicht auf dem Trockenen sitzen werden. Dafür müssen wir aber tiefer in die Tasche greifen, denn nicht nur in der Schweiz, auch in vielen anderen Ländern fiel die Ernte klein aus: Dies treibt die Preise hoch, wie auch die Verteuerung von Verpackungsmaterial und Transportkosten, diese findet schon seit Monaten statt.

[DOSSIER]Aus Italien kam 2021 2,4 Prozent mehr Wein in die Schweiz als 2020. Den stärksten Zuwachs gabs mit 14 Prozent beim Schaumwein. Prosecco wird auch hierzulande am liebsten getrunken, und das in rauen Mengen. Doch die Schweiz ist ebenso wichtigster Importmarkt für Franciacorta, den flaschenvergorenen Spumante aus dem Gebiet des Lago d’Iseo, gekeltert aus Chardonnay und – mit deutlich geringerem Anteil – Pinot noir und Pinot blanc. Beim Rotwein in Flaschen stammen 44 Prozent der Importe aus Italien, beim Weisswein sind es 36 Prozent. Und noch eine letzte Zahl: 605 Rebsorten sind offiziell registriert, von der weissen Sorte Albarenzueli bianco bis zur roten Sorte Vien de Nus, angebaut von den Dolomiten bis nach Pantelleria. Aus deren Trauben werden lokale und regionale Spezialitäten gekeltert, und auf internationaler Ebene misst man sich mit den Besten.


Kostproben

Wer mag sie nicht, Italiens Klassiker Chianti, Brunello und Vino Nobile di Montepulciano! Bei allen drei gibt Italiens meistangebaute Sorte Sangiovese den Ton an. Doch wer kennt Duralla aus den lessinischen Bergen, Verdicchio bianco aus den Marken und Grignolino aus alten Reben, wie ihn Ermanno Accornero keltert, der so einer alteingesessenen piemontesischen Sorte zu neuem Glanz verhilft? Drei Kostproben abseits der Trampelpfade.

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Stefan Keller ist regelmässiger Autor bei der «Schweizerischen Weinzeitung» und ist in der Valtellina als Weinproduzent tätig. Er zählt zu den Gründern der Vereinigung Mémoire des Vins Suisses und ist Ehrenmitglied des Sommelier-Verbands Schweiz. Stefan Keller lebt und arbeitet in der Schweiz und in Wien.

Das Gespräch mit Stefan Keller

«Es gibt kein Zurück zur Chemie»

Bio muss Standard werden, davon ist der Weinpublizist Stefan Keller überzeugt. Die Weinproduktion hat für ihn mit Demut, aber auch mit Leiden zu tun, der Weingenuss mit unvergesslichen Erlebnissen.
Stefan Keller hat nebst Wein noch andere Leidenschaften: Er ist ein erfolgreicher Degenfechter, ausdauernder Radler und grosser Kulturfan.
Stefan Keller hat nebst Wein noch andere Leidenschaften: Er ist ein erfolgreicher Degenfechter, ausdauernder Radler und grosser Kulturfan. image : Susanne Keller
image : Susanne Keller
Bio muss Standard werden, davon ist der Wein­publizist Stefan Keller überzeugt.
Bio muss Standard werden, davon ist der Wein­publizist Stefan Keller überzeugt. image : Susanne Keller
image : Susanne Keller

Seit diesem Jahr schreibt Weinpublizist Stefan Keller in jeder zweiten Ausgabe der htr hotel revue die Weinkolumne «Weinlese». Wer aber ist Stefan Keller, der in der Valtellina als Weinproduzent tätig ist? Wir haben ihn auf ein Glas getroffen.

Stefan Keller, welche Ansprüche stellen Sie an Ihre Kolumnen?
Sie sollten einen Erkenntnisgewinn bieten, ohne belehrend zu sein. Sie sollten unterhaltsamer Lesegenuss sein, der Geschichten vermittelt und eine Note Persönliches reinbringt. Der Inhalt sollte ein Amuse-Bouche sein, das Lust macht auf mehr.

Sie empfehlen in jeder Kolumne Weine und wählen Produzentinnen aus, über die Sie schreiben. Sind Sie bestechlich?
Wäre ich bestechlich oder in irgendeiner Form abhängig von jemandem, wäre das mein Untergang als Weinkritiker. Die Glaubwürdigkeit ist mein Kapital. Dennoch ist jede Kolumne natürlich auch subjektiv, und Wein ist keine exakte Wissenschaft.

Sie sind auch als Weinproduzent tätig. Ist der eigene Wein immer der beste?
Wer sich ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzt, wird dies kaum von seinem eigenen Wein sagen. Er wird ihn in einer Blindverkostung wohl nicht mal erkennen. Er wird eher ein ewiger Zweifler sein in dem, was er tut. Wein ist eine Schule der Demut – sei es in der Produktion, sei es beim Verkosten.

Auch ein Leidensweg?
Ja, für gewisse Leute schon, denn man kommt kaum je dorthin, wo man hinkommen möchte. Man hat nur einmal pro Jahr die Gelegenheit, ein Produkt so zu machen, wie man es sich erhofft hat. Damit muss man dann leben, und auch leben können. Das ist das Schreckliche bei der Weinproduktion. Die Seele, der Inhaltsstoff der Trauben, ist jedes Jahr ein Geheimnis, das es neu zu entdecken gilt. Die Zutaten, ein Fass, ein Tank, die Luft, die Hefe, die Abfüllung – es geschieht, ich kann nicht alles steuern. Es braucht viel Erfahrung und Intuition.

Welches war Ihr emotional schönstes Erlebnis mit Ihren unberechenbaren Trauben?
Es ist ein bisschen ein kitschiges Erlebnis: Wir hatten in der Valtellina 1999 einen Wein aus Syrah gemacht und hatten einen Glücksfall gelandet; das war einfach ein toller Wein. Er hat uns begeistert. Wir hatten keine Referenzen, es war eine Entdeckung. Das in einer Flasche zu haben, in einer Holzkiste mit einer schönen Etikette, ist etwas, das mir grosse Freude bereitet hat.

Wein ist eine Schule der Demut – sei es in der Produktion, sei es beim Verkosten.

Stimmt die Gleichung: je älter und je teurer, desto besser?
Das ist abhängig vom Weintypus. Bei gewissen Prestigeprodukten wie Ornellaia oder Château Mouton-Rothschild kann das Alter, zum Beispiel der Jahrgang 1945, zu einem Sammlerobjekt werden. Je älter ein Wein, desto weniger Flaschen gibt es davon. Diese Verknappung kann den Preis in die Höhe treiben. Aber Wein ist ein heikles Sammler- und Spekulationsgut.

Wenn einem ein Hotelier eine alte Flasche schmackhaft machen will, ist also Vorsicht geboten?
Ein alter Wein sollte aus einem gepflegten Keller stammen und nicht aus einem vernachlässigten. Einen gepflegten Keller zu haben, bedeutet viel Arbeit und Aufmerksamkeit. Es ist mehr eine Prestige- oder USP-Angelegenheit, wenn ein Haus alte Weine pflegt, als eine wirtschaftlich interessante Geschichte.

Wertschätzen Schweizer Gastronomen die Schweizer Weine ausreichend?
Ja. Punktuell mag es so sein, dass ausländische bevorzugt werden. In Südtirol zum Beispiel stammen 90 Prozent der Weine auf einer Karte aus Südtirol, auch im Wallis werden die Weine der Region bevorzugt.

Ein Freund der Trauben, Schnäpse und der schönen Geschichten
Stefan Keller ist Publizist. Als regelmässiger Autor der «Schweizerischen Weinzeitung» schreibt er unter anderem über Wirtschaftsthemen. Zu seinen Spezialitäten zählen Porträts und Reportagen, die im Auftrag für Medien und Firmen entstehen. Er organisiert und moderiert Veranstaltungen ganz unterschiedlicher Couleur. Keller ist in der lombardischen Valtellina als Weinproduzent tätig und produziert mit Schnaps.ch auch Schweizer Destillate. Er zählt zu den Gründern der Vereinigung Mémoire des Vins Suisses, ist Ehrenmitglied des Sommelier-Verbands Schweiz und in der Berufsbildung von Winzerinnen und Winzern tätig. Stefan Keller lebt und arbeitet in der Schweiz und in Wien.

Wie steht es um den Ruf des Schweizer Weins im Ausland?
Das Renommee verbessert sich. Wir müssen uns bewusst sein, dass die Schweiz an wenigen Orten auf dieser Welt als Weinland bekannt ist. Bei der Toskana zum Beispiel ist das anders, da bin ich mitten im Thema drin. Gemessen an der weltweiten Produktion sind die Schweizer Quantitäten vernachlässigbar. Ein Prosecco-Winzer in der Toskana hat mich mal gefragt: Und ihr Schweizer, macht ihr eigentlich auch Wein? Seine Frage hat mich weder überrascht noch beleidigt. Wir sind ein Käse-, Uhren-, Banken- und Schokoladeland, kein Weinland.

Hat der Schweizer Wein auch wegen der Marge ein schwieriges Dasein im Gastgewerbe?
Über die Weine will sehr viel mitfinanziert werden, sie sind im Vergleich zum Rest auf der Karte teuer. Das ist für den Schweizer Wein Gift. Er ist in der Summe deutlich teurer als ausländischer Wein. Will ein Gastronom mit seiner Weinauswahl Geld verdienen, dann greift er nicht bei den Schweizer Weinen zu. Geld wird mit Prosecco, Verdejo, Grünem Veltliner oder mit einem Sauvignon von irgendwo verdient. Mit Schweizer Wein kommt man nie in diese Gewinnmargen rein.

Ist heute gut, was natürlich hergestellt wird?
Bio ist eine Haltung, die ich begrüssenswert finde und die für unsere Umwelt positiv ist. Auf das Produkt kann bio Rückwirkungen haben.

Welche?
Es kann sein, dass Winzerinnen und Winzer, die biologisch, biodynamisch oder bioorganisch produzieren, auch in anderen Bereichen reflektierter mit Fragestellungen umgehen. Sie denken oder handeln weniger in altbekannten Schemata. Sie nehmen mehr Risiken auf sich und verlassen die Komfortzone. Oft entstehen dann gute Produkte, wenn sie etwas dem rauen Wind ausgesetzt sind. Das kann neue Wege eröffnen, bringt aber auch vieles ins Wanken.

Da schwingen Ängste mit.
Ja, die Angst, dass am Schluss keine Trauben mehr da sind, dass man die Rechnungen nicht bezahlen kann. Die Umstellung kann jedoch die Präsenz bei der Arbeit schärfen, ich bin ganz anders dabei, ich bin aufmerksamer und schaue genauer hin. Keiner oder keine, der oder die umgestellt hat, ist je zurückgegangen – trotz aller Schwierigkeiten. Roland und Karin Lenz haben zwar eine solche Kehrtwende gemacht, aber heute produzieren sie nur noch Piwis. Es gibt kein Zurück zur Chemie.

Wie haben Sie bei sich die Umstellung auf biozertifiziert erlebt?
Mit deutlichen Ertragseinbussen, einer Veränderung der Trauben und der Blätter. Die analytischen Werte veränderten sich zum Guten, denn wir hatten mehr Säure im Wein. Es war jedoch erschreckend, zu sehen, wie lange es gedauert hat, bis der Boden wieder revitalisiert war, nachdem er über Jahrzehnte totgespritzt worden war.

Wie reagierte das Umfeld?
Es wirkte rundherum ansteckend. Und Generationenwechsel beschleunigen den Wandel auch. Das Ausland hat die Schweiz jedoch überflügelt: In Österreich sind schon über 15 Prozent der Rebflächen biozertifiziert; in der Schweiz sind es 8 bis 9 Prozent. Der prozentual höchste Anteil mit über 50 Prozent befindet sich in Neuenburg.

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Welche Fehler sollte ein Gastgeber beim Zusammenstellen seiner Weinkarte vermeiden?
Es kommt vor, dass die Aussage der Küche nicht mit der Aussage der Weinkarte übereinstimmt. Überspitzt gesagt: Eine leichte, saisonale Küche harmoniert nicht mit Weinen wie Primitivo oder Ripasso, Bordeaux oder alten Riojas. Es ist ein grosser Fehler, wenn der Koch und der Sommelier nicht miteinander sprechen.

Und innerhalb der Weinkarte, gibt es da No-Gos?
Oft gilt: Weniger ist mehr. Es ist fein, 20 Weine zu haben, die eine Ansprache haben und von denen die Servicemitarbeitenden wissen, warum sie welchen Wein ausschenken. Manche wollen sich auch über die Auswahl der Weine in einem Betrieb verwirklichen. Das Problem daran: die vielen Wechsel in der Branche. Kaum hat einer eine Weinkarte zusammengestellt, ist er auch schon wieder weg. Der nächste bastelt daran weiter, und am Schluss weiss niemand mehr, welcher inneren Logik die Auswahl der Weine folgt. Die Identität fehlt.

Gibt es Gerichte, die nach einer bestimmten Rebsorte verlangen?
Es gibt aus meiner Sicht und pauschal gesagt zu viele Rotweine und zu wenige Weissweine auf den Karten. Denn es gibt immer mehr Gerichte – auch in Bezug auf eine vegane, leichtere Küche –, die andere Weine brauchen. Weine mit wenig Tannin, wenig Holznoten, wenig Alkoholsüsse, Wein mit wenig Säure und mit Leichtigkeit.

Ist die Produktion an Weissweinen denn generell zu klein?
Die Produktion von Rot- und Weissweinen hält sich die Waage, auch in der Schweiz. Die Welt der Weissweine ist unglaublich facettenreich und vielfältig und gut zu kombinieren. Kürzlich ass ich Pom, ein surinamisches Gericht. Alle Rotweine überzeugten in der Kombination nicht. Ein Marsala 1995 aber, trocken und mürb, war umwerfend dazu. Ein solches Erlebnis bleibt unvergessen. Da stimmte einfach alles.

Geld wird mit Prosecco, Verdejo, Grünem Veltliner oder mit einem Sauvignon von irgendwo verdient.

Warum also nicht zur Gerstensuppe Champagner trinken?
Ja, genau, liegt nicht auf der Hand, schmeckt aber wunderbar. Grossartig. Und es erstaunt mich immer wieder, wie viele noch immer nicht wissen, dass Rotwein und Käse nur selten zusammenpassen. Dabei ist es so offensichtlich.

Gibt es einen schwierigen Wein?
Ja, ein Primitivo oder ein Amarone. Nur wenige Gerichte lassen sich mit ihnen kombinieren. Als ich noch ein kleines Hotel im Engadin führte, servierte ich einmal ein Gericht aus Nudeln, Gorgonzola, in Amarone eingelegten Rosinen und grünen, angerösteten Pistazien. Das war zum Niederknien. Dieses Salzig-Fettige des Gorgonzola und das Süsse des Amarone – beides Extreme. Das waren zwei Bomben, die mit dem Amarone ein Feuerwerk ergaben.

Haben Sie einen Lieblingswein?
Ich bin begeistert vom Vin jaune aus dem französischen Jura. Der ist überirdisch, ein totaler Querschläger. Glücklich macht mich auch ein 1999 Colheita-Portwein von Dirk Niepoort, der hat eine Feinheit ... (schmatzt), der ist wie Seide auf der Zunge. Zum Glück erlebe ich immer wieder solche Entdeckungen, das hält mich bei Laune. [DOSSIER]

Wenn Sie eine Rebsorte wären, welche wäre das?
Ich wäre eigentlich lieber eine Katze als eine Rebsorte. (lacht) Aber wenn es doch eine Rebsorte sein muss, dann möchte ich eine wilde Liane in der Toskana sein, eine Rebsorte, die nicht kultiviert ist, die einen Baum hochklettert, ein paar Trauben macht, welche die Vögel dann fressen.

Stefan Keller hat nebst Wein noch andere Leidenschaften: Er ist ein erfolgreicher Degenfechter, ausdauernder Radler und grosser Kulturfan.

Kolumne Weinlese

Der Gemeinsinn der Winzer

Winzerinnen und Winzer sind nicht nur Einzelkämpfer. Am gleichen Strick zu ziehen, ist wichtig für die Marktpräsenz.
Stefan Keller
Alter Torkel in Jenins.
Alter Torkel in Jenins. image : Elektrobruegger/Panoramio
image : Elektrobruegger/Panoramio
Aus der Schatzkammer: Heida Les Trésors de Famille 2020, Maison Gilliard, Sion, 75 cl, Fr. 21.50, erhältlich bei: Maison Gilliard, Sion.
Aus der Schatzkammer: Heida Les Trésors de Famille 2020, Maison Gilliard, Sion, 75 cl, Fr. 21.50, erhältlich bei: Maison Gilliard, Sion. image : zvg
image : zvg
Einheimisches Trio: La Cuvée 1858 Blanc 2019, Charles Bonvin, Sion, 75 cl, Fr. 47.–, erhältlich bei: Les Celliers de Sion, Sion.
Einheimisches Trio: La Cuvée 1858 Blanc 2019, Charles Bonvin, Sion, 75 cl, Fr. 47.–, erhältlich bei: Les Celliers de Sion, Sion. image : zvg
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Internationales Duo:La Réserve 2020, Chai du Baron, Bramois/Sion, 75 cl, Fr. 39.–, erhältlich bei: Chai du Baron, Bramois/Sion.
Internationales Duo:La Réserve 2020, Chai du Baron, Bramois/Sion, 75 cl, Fr. 39.–, erhältlich bei: Chai du Baron, Bramois/Sion. image : zvg
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«Le Verre à Pied» ist in Sion zur festen Institution geworden. Seit 1999 ist die Weinbar in der Altstadt Schaufenster von Winzern und Weinhäusern, die auf dem Boden des Walliser Hauptorts produzieren. Rund 150 verschiedene Weine aus dem Sortiment der 16 Mitglieder der Association des Encaveurs de Sion sind käuflich, ein Teil davon wird – wöchentlich wechselnd – im Offenausschank auch glasweise angeboten. «Le Verre à Pied» zeigt die Vielfalt und macht sie erlebbar. Dies gilt auch für die Œnothèque von Château de Villa in Sierre. Schon seit 22 Jahren werden hier Walliser Weine von Bouveret bis Visperterminen präsentiert, zum Mitnehmen oder Trinken vor Ort, aktuell sind rund 100 Walliser Produzenten mit über 600 Abfüllungen präsent.

Doch ins Château de Villa geht man nicht bloss, um zu degustieren und einzukaufen, Herzstück der Anlage ist das Restaurant, wo der Walliser Raclettekäse zelebriert wird. Gleich einer Weinverkostung serviert man Alpkäse vom Val de Bagnes bis zum Simplonpass, und die Portionen unterscheiden sich geschmacklich so stark wie Fendant von Fully vom Plantscher aus Varen.

Auch Graubünden hat seinen Treffpunkt, den Alten Torkel in Jenins. Trägerschaft ist der Bündner Weinbauverein beziehungsweise Graubünden Wein, die Leitung des Gastronomiebetriebs mit einer umfassenden Auswahl an Bündner Weinen liegt in den Händen von Julia und Oliver Friedrich. Dem Lokal ist das «Huus vom Bündner Wii» angegliedert, hier finden auch Veranstaltungen zum lokalen Wein statt.[RELATED]

Dies sind nur ein paar Beispiele, die zeigen, dass Winzerinnen und Winzer nicht nur Einzelkämpfer sind. Am gleichen Strick ziehen ist wichtig für die Marktpräsenz, und gewachsene Solidarität wird auch helfen, schwierige Situationen zu meistern. Im Wallis, wo in der Regel rund ein Drittel aller Schweizer Weine gekeltert wird, war die letztjährige Ernte 40 Prozent kleiner als im Vorjahr, es ist die kleinste seit Jahrzehnten. Frost, Hagel, Mehltau, Kirschessigfliege, es gab von allem.

Es war ein Annus horribilis, das alle fordert.


Kostproben

Sion ist – zusammen mit Chamoson – die grösste Walliser Weinbaugemeinde. Je rund 400 Hektaren stehen im Ertrag, das sind zusammen 16 Prozent der Anbaufläche. Maison Gilliard keltert hier einen exzellenten Heida aus der weissen Sorte Savagnin. Aus dem Hause Charles Bonvin stammt die Cuvée 1858 aus den alteingesessenen Varietäten Petite Arvine, Heida und Amigne. Mit Merlot und Cabernet präsentiert die Cuvée La Réserve 2020 Internationales aus Patrice Walpens Chai du Baron.

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Stefan Keller ist regelmässiger Autor bei der «Schweizerischen Weinzeitung» und ist in der Valtellina als Weinproduzent tätig. Er zählt zu den Gründern der Vereinigung Mémoire des Vins Suisses und ist Ehrenmitglied des Sommelier-Verbands Schweiz. Stefan Keller lebt und arbeitet in der Schweiz und in Wien.

[DOSSIER]

Kolumne Weinlese

Neue Winzerinnen hat das Land

Immer mehr Frauen sind «Donne del Vino», studierte Önologinnen, keltern Weine und führen einen eigenen Betrieb.
image : istockphoto/Wavebreakmedia
image : istockphoto/Wavebreakmedia
Grain Pinot Charrat 2019, Chianti classico 2018, Pinot blanc 2020 (v.l.)
Grain Pinot Charrat 2019, Chianti classico 2018, Pinot blanc 2020 (v.l.)

Im vergangenen Jahr suchte der Deutschschweizer Sommelierverband nach den beliebtesten Schweizer Winzerinnen und Winzern. Eine Fachjury krönte die Walliserin Marie-Thérèse Chappaz.

Bewertungskriterien waren unter anderem das Schaffen von Weinen mit eigener, sauberer Handschrift, das Berücksichtigen ökologischer Kriterien bei der Produktion und eine hohe Präsenz in der Gastronomie. 1988 kamen ihre ersten Flaschen in den Verkauf – aus einem Rebberg, den sie von ihrem Vater zehn Jahre zuvor zu ihrem 18. Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Dieses Erbe war zündender Funken, um sich zur Winzerin und Önologin ausbilden zu lassen.

Heute ist Marie-Thérèse Chappaz vielen ein Vorbild, als Frau, die als alleinerziehende Mutter einen eigenen Betrieb aufgebaut hat, als Vorreiterin der biodynamischen Produktionsweise, als engagierte Vertreterin ihrer Branche. Die nachfolgende Generation jedenfalls packt an: Sarah Besse in Martigny, Mathilde Roux in Fully, Valentina Andrei in Saillon, Madeleine Mercier in Sierre ... Und deren Weine zählen zum Feinsten, was entlang der Rhone gekeltert wird.

Vielerorts übernehmen Töchter von ihren Eltern: Catherine bei Cruchon in der Waadt, Myra bei Zündel im Tessin, Laura bei Annatina Pelizzatti in Graubünden. Doch nicht nur in der Schweiz werden immer mehr Weine von Frauen gekeltert.

1988 wurde in Italien die Vereinigung Donne del Vino gegründet. Sie zählt heute 900 Frauen, nicht wenige führen einen eigenen Betrieb. Gioia Cresti etwa in Castelnuovo Berardenga ganz im Süden des Chianti Classico. Die studierte Önologin keltert nicht nur ihre Weine, sondern berät auch andere italienische Weingüter.[DOSSIER]

Donne del Vino sind auch die Österreicherinnen, die unter dem Namen «11 Frauen und ihre Weine» auftreten, Birgit Braunstein in Purbach am Neusiedler See ist eine davon. Sie übernahm vor 20 Jahren mit dreijährigen Zwillingen den elterlichen Betrieb. Heute arbeiten Maximilian und Felix als ausgebildete Winzer an der Seite ihrer Mutter mit. So geht das heute.


Kostproben

Die Walliserin MarieThérèse Chappaz keltert ihren Pinot noir nach Lagen. Vom linken Rhoneufer stammt die Abfüllung Charrat. Der 2019er beginnt nun zu vibrieren. Sangiovese in Reinkultur: Gioia Crestis Chianti classico 2018, ein Essensbegleiter par excellence. Und aus dem Burgenland Birgit Braunsteins Weissburgunder, 2020 gereift an den Ausläufern des Leithagebirges mit Blick auf den Neusiedler See. Her mit Forellen und Saibling!

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  • Walliser Lagenwein Grain Pinot Charrat 2019 Domaine Chappaz, Fully, Schweiz, 75 cl – Fr. 51.–, erhältlich bei: Martel, St. Gallen

  • Toskanisches Blut Chianti classico 2018 Fattoria Carpineta Fontalpino, Castelnuovo Berardenga, 75 cl – Fr. 20.–, erhältlich bei: Divo, Givisiez

  • Wein mit Seesicht Pinot blanc 2020 Weingut Birgit Braunstein, Purbach, 75 cl – Fr. 17.50, erhältlich bei: Fischer Wein, Sursee


Stefan Keller ist regelmässiger Autor bei der «Schweizerischen Weinzeitung» und ist in der Valtellina als Weinproduzent tätig. Er zählt zu den Gründern der Vereinigung Mémoire des Vins Suisses und ist Ehrenmitglied des SommelierVerbands Schweiz. Stefan Keller lebt und arbeitet in der Schweiz und in Wien.
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Kolumne Weinlese

Ein Gespenst geht um – Naturwein

Im Weinbistro O boufés von Konstantin Filippou in Wien werden ausschliesslich Naturweine ausgeschenkt.
Das Weinbistro O Boufés des renommierten Küchenchefs Konstantin Filippous in der Wiener Innenstadt.
Das Weinbistro O Boufés des renommierten Küchenchefs Konstantin Filippous in der Wiener Innenstadt. image : konstantinfilippou.com/oboufes
image : konstantinfilippou.com/oboufes
Anfora Ribolla Gialla 2013, Nihilo Nature 2020, Traminer mit Achtung 2016 (v.l.).
Anfora Ribolla Gialla 2013, Nihilo Nature 2020, Traminer mit Achtung 2016 (v.l.).

Konstantin Filippou ist einer von Wiens 2-Sterne-Köchen. Seite an Seite mit seinem Fine-Dining-Restaurant im 1. Bezirk liegt das «O boufés», wo es etwas weniger ausführlich zu und her geht. Und: Hier serviert Filippou ausschliesslich Naturweine.

Wer eine Fahrt auf einer önologischen Geisterbahn erleben will, liegt im «O boufés» goldrichtig, und am besten überlässt man die Weinbegleitung zu den Häppchengerichten den Sommeliers, denn für klassisch geschulte Weintrinker ist das Angebot so undurchschaubar wie Bitcoins für Geldstrumpfsparer.

Die Sommeliers sind sich durchaus bewusst, dass sie sich auf dünnem Eis bewegen, und so bieten sie den Gästen immer erst ein Kostschluckerl an, bevor sie das Glas vollmachen. Fürs Auffüllen stehen die Chancen beim Weisswein in der Regel besser als beim Rotwein, weil sich durch die unterschiedliche Kelterungsart Unbekanntes offenbart, was auch neue Kombinationen mit Gerichten ermöglicht.

Was als weisser Naturwein angeboten wird, ist oft maischevergoren, also mit Schalen, Trub und manchmal gar mit Rappen gekeltert wie Rotwein. Dies ändert den bekannten Geschmack ganz und gar: Tannine machen sich bemerkbar, auch Aromen aus der Traubenhaut, und da kein oder nur sehr wenig Schwefel eingesetzt wird, wirken die Weine auch im jugendlichen Stadium gereifter, mitunter oxidativer als die geschwefelten. Goldgelbe bis orange Farbtöne sind die Regel, daher auch der Name Orange Wine, ein weiterer Begriff, der für diesen Weintyp im Umlauf ist. Und dass viele im Glas nicht funkeln, sondern verschleiert oder gar trüb sind, hat damit zu tun, dass sie nicht filtriert werden.[DOSSIER]

Bei den Rotweinen unterscheidet sich die Praxis weniger von einer konventionellen Kelterung. Typisch bei sogenannten Naturweinen ist, dass die Trauben aus biologischem Anbau stammen, der Most mit safteigenen Hefen vergoren wird und dass Schwefel – wenn überhaupt – nur in geringsten Mengen eingesetzt wird. Im Keller wird also nicht oder nur minimal interveniert, und das ist beileibe nicht immer zum Guten des Weins.


Kostproben

Naturweine werden vor allem im Fachhandel angeboten. Noch gibt es für diesen Weintyp keine Reglementierungen und offi ziellen Kennzeichnungen. Fündig wird man bei Produzenten der Vereinigungen «La Renaissance des Appellations», «Respekt» und bei französischen Weinen mit dem «Biodyvin»-Label. Zu den Produzenten der ersten Stunde zählt Josko Gravner im Friaul, in Österreichs Kamptal brilliert Fred Loimer, in der Schweiz die Domaine Cruchon in der Waadt.


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  • Amphorenwein Anfora Ribolla Gialla 2013 Gravner, Oslavia, Italien 75 cl – Fr. 78.–, erhältlich bei: Caratello, St. Gallen

  • Schwefelloser Nihilo Nature 2020 Domaine Henri Cruchon, Echichens, Schweiz 75 cl – Fr. 28.50, erhältlich bei: Cultivino, Liebefeld/Bern

  • Maischevergorener Traminer mit Achtung 2016 Weingut Loimer, Langenlois, Österreich 75 cl – Fr. 34.–, erhältlich bei: Vinothek Brancaia, Zürich


Stefan Keller ist regelmässiger Autor bei der «Schweizerischen Weinzeitung» und ist in der Valtellina als Weinproduzent tätig. Er zählt zu den Gründern der Vereinigung Mémoire des Vins Suisses und ist Ehrenmitglied des SommelierVerbands Schweiz. Stefan Keller lebt und arbeitet in der Schweiz und in Wien.
stefankellerpartner.com