2022 war das mit Abstand wärmste Jahr seit Messbeginn 1864 – aber kein Ausreisser: «Das Jahr 2022 setzt den kräftigen Erwärmungstrend der letzten Jahre fort», resümiert Meteo Schweiz auf seiner Website. Die Folgen davon sahen wir unter anderem im Dezember, als Skifahren selbst in höheren Lagen nur auf weissen Kunstschneebändern in ansonsten grün-brauner Landschaft möglich war. Die Bilder, die etwa von den Skirennen in Adelboden um die Welt gingen – ein Albtraum für jeden Tourismusvermarkter. Viel lieber präsentiert man die Schweiz als gepudertes «Winter Wonderland». Doch der menschgemachte Klimawandel ist Realität, und er trifft auch den Tourismus – und zwar nicht nur im Winter.

Kompensation ist nur eine Ergänzung zu wirklichen CO2-Sparmassnahmen.

Es erstaunt nicht, dass Klimaschutz in der Branche gerade hoch im Kurs steht: klimaneutrales Skifahren, klimaneutrale Kongresse, klimaneutrales Fliegen, klimaneutrale Karibikkreuzfahrten. Aber weil Tourismus nun halt einmal CO₂ verursacht – beim Flug, beim Bau eines Hotels, bei der Fahrt des Pistenbullys, beim Beheizen der Wellnessoase usw. –, wird Klimaneutralität in der Regel nur dank Kompensationen erreicht. Fachleute bemängeln dieses Vorgehen je länger, je lauter; wobei die Liste der Kritikpunkte besorgniserregend vielfältig ist. Oft lässt sich beispielsweise nur schon schwer feststellen, ob ein Projekt tatsächlich dank der Kompensationsgelder durchgeführt wurde oder ob es nicht so oder so umgesetzt worden wäre. Anlass für Diskussionen gibt auch der Zeithorizont, über den das ausgestossene Treibhausgas kompensiert wird. Welchen Einfluss die Zeit hat, zeigen eindrücklich die Berechnungen, die einige Airlines anstellen: Will eine vierköpfige Familie ihren Swiss-Flug von Zürich nach Los Angeles sofort kompensieren, kostet das rund 2200 Franken. Verglichen dazu ist die Kompensation über einen Zeitraum von 10 Jahren mit nur 56 Franken ein wahres Schnäppchen. Beides gilt als klimaneutral, obwohl Fachleute betonen, wie wichtig es ist, dass wir jetzt CO₂ reduzieren und nicht erst in 10 Jahren.

Der Vorwurf, ein Unternehmen betreibe mit der CO₂-Kompensation Greenwashing, ist angesichts dieser Kritikpunkte rasch zur Hand – und mitunter nicht ganz aus der Luft gegriffen. Sollten Touristiker also lieber darauf verzichten, die Treibhausgase zu kompensieren? Nein, denn das ist immerhin besser, als nichts zu tun. Trotzdem dürfen wir uns nicht der bequemen Illusion hingeben, der Klimawandel lasse sich einfach wegkompensieren. Wie utopisch das ist, zeigt eine Berechnung der deutschen Satireshow «Extra 3». Sie hat hochgerechnet, wie teuer es Deutschland käme, würde das Land einfach den gesamten CO₂-Ausstoss kompensieren. Für schlappe 16 Milliarden Euro pro Jahr liesse sich das komplette Land CO₂-neutral machen – und das sogar ohne auf einen Schnäppchen-Kompensationsanbieter zurückgreifen zu müssen.

Glücklicherweise betrachten viele touristische Anbieter schon heute Kompensationen nur als Ergänzung zu wirklichen CO₂-Sparmassnahmen. Diesen Weg müssen wir konsequent und viel rascher als in den letzten Jahren weitergehen – auch wenn er streckenweise mühselig und kostspielig ist. Denn nur mit Kompensieren statt Verzichten, Investieren und Umdenken beenden wir die Klimakrise nicht.