Schritt für Schritt lässt die Schweiz den Lockdown hinter sich. Wie fühlen Sie sich in diesen ersten Junitagen?

Die Öffnung der Grenzen und der ganzen touristischen Wertschöpfungskette mit der Beherbergung, der Gastronomie, den Seilbahnen, der Schifffahrt und vielen weiteren Leistungserbringern war eine wichtige politische Forderung von HotellerieSuisse in den vergangenen Wochen. Somit sind diese ersten Junitage für mich erfreuliche Signale in die richtige Richtung.

Sie haben während des Lockdown in verschiedenen Hotels haltgemacht. Welche Eindrücke wirken nach?

Es ist mir ein grosses Anliegen, als Organisation wie persönlich stets nahe am Mitglied zu sein und den Puls rasch und direkt aufzunehmen. In den letzten drei Monaten führte ich wöchentlich einen Videocall mit sämtlichen Präsidenten und Geschäftsführenden der 13 HotellerieSuisse-Regionalverbände durch. Zudem besuchte ich in dieser Zeit auf einer Tour durch die ganze Schweiz rund 60 Hoteliers vor Ort. Dabei erlebte ich ein grosses Spannungsfeld. In der Saisonhotellerie kennt man das Gefühl, wenn man einen Betrieb für einige Wochen herunterfährt. In der Stadthotellerie aber praktisch von einem Tag auf den anderen keinen einzigen Gast mehr im Haus zu haben, ist emotional wie betriebswirtschaftlich für manchen Hotelier nicht einfach auszuhalten. Was mich besonders beeindruckt hat, sind die vielen Unternehmerinnen und Gastgeber, welche mit Mut, Kreativität und unternehmerischem Geist nach neuen, pragmatischen Wegen suchten, um der Krise auch ihre Chancen abzuringen.

In den vergangenen Monaten war der Verband gefordert wie wohl noch nie in seiner Geschichte. Welche Massnahmen haben Sie priorisiert?

Politisch waren es äusserst hektische Zeiten. Zudem haben wir eine sehr aktive Medienarbeit und eine offensive Kommunikation verfolgt. Innerhalb weniger Wochen haben wir für unsere Mitglieder neue Serviceleistungen wie Webinare oder digitale Weiterbildungsformate mit Tipsy aus dem Boden gestampft. Zudem bauten wir die Rechtsberatungsdienstleistungen mit einer zusätzlichen Helpline aus, um für unsere Mitglieder so gut als möglich da zu sein.

Wichtig war die politische Arbeit. Welche Stossrichtung schlug HotellerieSuisse ein?

Wir setzten uns für eine Vereinfachung der Kurzarbeit als wichtiges Kriseninstrument ein und forderten gleich zu Beginn rasch Liquiditätshilfen für unsere Betriebe. Erfolge konnten wir weiter mit zusätzlichen finanziellen Mitteln für die Nachfrageförderung verbuchen. Wir bleiben in engem Austausch mit Politik und Verwaltung. Dies, um eine Weiterentwicklung touristischer Förderinstrumente oder ein Instrument zum Erlass von Kreditrückzahlungen in Härtefällen zu erreichen. Auch bei der schrittweisen Lockerung der bürokratischen Schutzkonzepte sind wir noch nicht am Ende der Fahnenstange. Wir bleiben aber hartnäckig an allen Fronten.

Wie schwierig war es, alle Teilverbände im Schweizer Tourismus auf Linie zu bringen?

Unter dem Dach des Schweizerischen Tourismus-Verbandes (STV) hat HotellerieSuisse eine ganz entscheidende Rolle bei der ganzen Orchestrierung der 11 nationalen Tourismusverbände eingenommen. HotellerieSuisse verfolgt eine klare Haltung: Nur die Kooperation und enge Zusammenarbeit unter den Verbänden wie Gastrosuisse, den Seilbahnen, der Schifffahrt, der IG Parahotellerie und weiteren wichtigen Organisationen stärkt den Tourismussektor nachhaltig. In der Krise ist uns Tourismusverbänden die Bündelung der Kräfte gelungen. Dies stimmt mich zuversichtlich für die Zukunft.

Zuversichtlich insbesondere auch in Bezug auf die Zusammenarbeit mit Gastrosuisse?

Ja. Ich schätze die Zusammenarbeit mit Gastrosuisse sehr. Im Gegensatz zu früheren Jahren pflegen wir einen ganz anderen Umgang miteinander. In einer Partnerschaft sind gegenseitiges Vertrauen, Wertschätzung, Respekt und Transparenz zentral. Ich hoffe, dass wir den eingeschlagenen gemeinsamen Weg der vergangenen vier Jahre erfolgreich weitergehen. Nicht nur unsere Doppelmitglieder haben dies verdient.

Erst liess der Bundesrat in der Corona-Krise den Tourismus links liegen, dann lud er nicht zuletzt auf Druck der Branche zum Tourismusgipfel, dem mittlerweile ein zweiter gefolgt ist. Nimmt die Politik den Tourismus heute anders wahr?

Kein anderer Sektor hat in dieser Krise gleich zwei Gipfeltreffen mit jeweils drei Bundesräten abgehalten. Der Tourismus ist ein bedeutungsvoller Wirtschaftszweig. Viele Arbeitsplätze hängen davon ab. Zudem leben zahlreiche nachgelagerte Zulieferanten vom Tourismus. Ich habe den Eindruck, dass es uns gelungen ist, dies der Politik wie der Öffentlichkeit verständlicher zu machen.

HotellerieSuisse hat für sein Krisenmanagement sehr viel Lob erhalten. Worauf sind Sie selbst besonders stolz?

Stolz bin ich auf meine eigene Crew und auf die 13 regionalen HotellerieSuisse-Geschäftsstellen, wenn die Mitglieder uns mitteilen, dass sie sich in der schwierigen Situation gut begleitet fühlen.

Nun ist die Krise wohl noch lange nicht vorbei. Worauf wird sich der Verband in den nächsten Wochen und Monaten konzentrieren?

Solange es keinen Impfstoff gegen das Virus gibt, werden uns die Schutzkonzepte und der Umgang damit begleiten. Hier kämpfen wir für weitere Lockerungen. In den kommenden Monaten geht es auch stark um die wirtschaftliche Schadensminimierung. Einerseits suchen wir mit Partnern wie der Schweizerischen Gesellschaft für Hotelkredite und Banken nach weiteren Lösungsansätzen, welche gerade auch in der Stadthotellerie dringend nötig sind. Trotz Kurzarbeit wird sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt verschärfen. Hier wollen wir mit den Sozialpartnern in den kommenden Wochen nach gemeinsamen Ansätzen suchen.

Die Ferienhotellerie dürfte den Sommer meistern, für die Stadtbetriebe wird es schwieriger. Wie kann der Verband hier unterstützend wirken?

In Zusammenarbeit mit Schweiz Tourismus ist bei der Vermarktung ein starkes Augenmerk auf die Schweizer Städte zu richten. Bei unserem nächsten Treffen mit Bundesrat und Tourismusminister Parmelin am 11. Juni werden wir einen Fokus auf die nötige politische Unterstützung gerade für die Stadthotellerie legen. Im Übrigen koordiniert HotellerieSuisse im Hinblick auf den Abstimmungssonntag vom 27. September eine touristische Allianz, welche in den nächsten Wochen mit einer eigenen Abstimmungskampagne gegen die «Kündigungsinitiative» antritt. Ein Ende der bilateralen Verträge wäre gerade für die Stadthotellerie verheerend.

Etliche Mitgliederbetriebe werden die Krise nicht überleben, Beiträge fallen weg. Mit welchen Einbussen rechnen Sie für den Verband?

Meine erste Sorge gilt unseren Mitgliedern. Betriebe, welche vor Corona auf dem Markt gut positioniert und wirtschaftlich kerngesund waren, dürfen nicht ins Trudeln kommen. Trotzdem hat eine Umfrage unter unseren Mitgliedern Ende April ergeben, dass bis zu 25 Prozent um das mittelfristige Überleben kämpfen. All unsere Bemühungen zielen darauf ab, dass es nicht zu einem solch harten Strukturbruch kommt. Heute eine Prognose zu machen, ist jedoch ein Blick in die Glaskugel.

HotellerieSuisse steckt mitten in einer umfassenden Organisationsentwicklung. Hat Corona die Prozesse oder gar die Ziele beeinflusst?

Die Delegierten von HotellerieSuisse haben sich genau vor vier Jahren eine neue Vision als Verband der innovativen und nachhaltigen Beherbergungsbetriebe der Schweiz gegeben. Im Zentrum steht die Kunden- respektive Mitgliederorientierung. Seither haben wir die Geschäftsstelle massiv umgebaut und den Verband modernisiert. Wir fördern auf allen Ebenen mit HotellerieSuisse-Regionalverbänden, Bildungsinstitutionen, Hotela, strategischen Partnern wie Schweiz Tourismus, der Schweizerischen Gesellschaft für Hotelkredite oder unseren Netzwerkpartnern das Zusammenrücken und die Stärkung hin zu einer Netzwerkorganisation. Mehrwert für das Mitglied kann man nur durch Kooperationen erzielen. Die Krise bestärkt uns, diesen Weg noch fokussierter weiterzugehen.

Homeoffice war das Gebot der Stunde. Wird am Hauptsitz von HotellerieSuisse künftig anders gearbeitet?

Auf der nationalen Geschäftsstelle war Homeoffice bereits vor den bundesrätlichen Empfehlungen im Zusammenhang mit Corona gefördert worden. Die gemeinsamen Erfahrungen der vergangenen Wochen werden sicher dazu führen, dass in Zukunft der Mix aus verschiedenen Optionen von Arbeitsörtlichkeiten und Arbeitsformen vielfältiger von unseren eigenen Mitarbeitenden wie aber auch generell im Wirtschaftsleben genutzt wird.

Wo steht die Branche in drei Jahren?

Die Beherbergungsbranche wird in drei Jahren die aktuelle Krise durchschritten und sich wieder erholt respektive adaptiert haben. Der Tourismus wird sich viel stärker der ökonomischen, gesellschaftlichen und ökologischen Nachhaltigkeit verpflichtet fühlen. Die aktuelle Digitalisierung wird dem Sektor einen Schub verliehen haben. Die Kooperation unter den touristischen nationalen Verbänden wird weitere erkennbare Erfolge verzeichnen und damit die Beherbergung als Ganzes stärken.

Gery Nievergelt