Iris Flückiger ist sich sicher: Wäre ein junger Mann damals General Manager im «Schweizerhof» Bern geworden, wäre nicht halb so viel Aufsehen darum gemacht worden. Doch fiel die Wahl 2014 auf sie: 36-jährige Bernerin, Absolventin der Hotelfachschule Thun und bis dato Front Office und Resident Manager. Fortan stand Iris Flückiger als General Manager des legendären Schweizerhof Hotel & Spa am Bahnhofplatz, dem Treffpunkt der Parlamentarier, Diplomaten und Gutbetuchten, im allgemeinen Rampenlicht.

Dass eine junge Frau die Geschicke des Berner 5-Sterne-Luxushotels mit 99 Gästezimmern und Suiten sowie rund 145 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern lenken sollte, sorgte branchenintern wie medial für Furore, zumal das Hotel nach längerer Schliessung erst drei Jahre zuvor, dank Geldern aus dem katarischen Staatsfonds, wiedereröffnet hatte. In einer Medienmitteilung stellten die für den «Schweizerhof» Bern verantwortliche Bürgenstock Selection und ihre Betreibergesellschaft, die Katara Hospitality Switzerland AG, Flückigers «fundierte Berufskenntnisse» sowie ihre «ausgesprochene Loyalität und Einsatzbereitschaft» in den Vordergrund. Für die designierte Hoteldirektorin selbst war die Beförderung eine Chance, der sie mit grossem Respekt begegnete. Ihr Mut und ihr Engagement zahlten sich aus. Während fünf Jahren bewährte sich Iris Flückiger als Luxushoteldirektorin und vermochte mit ihrem Führungsstil neue, moderne Akzente zu setzen, ohne dabei die Geschichte des Berner Traditionshauses zu übergehen.

Frauen im Fokus
In der Hospitality- und Touristikbranche sind Frauen in Führungspositionen noch immer untervertreten. Dennoch haben sich viele von ihnen erfolgreich durchgesetzt. Mit einer Porträtserie (nachzulesen auf htr.ch) rückt die htr hotelrevue diese Frauen ins Rampenlicht und gibt so Einblicke in vielfältige Frauenkarrieren.

Wie bereits ihre Einstellung im «Schweizerhof» sorgte auch ihr Abschied für Aufsehen und Überraschung. Die Hotelière gab 2019 bekannt, zum Schweizer Hilfswerk Smiling Gecko zu wechseln. Der Entscheid geschehe im Sinne ihrer persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung, erklärte Flückiger. In Kambodscha würde sie künftig ein Resort mit 17 Gästebungalows und 34 Zimmern leiten und sich dabei auch für die Aus- und Weiterbildung der lokalen Bevölkerung einsetzen. Ihr Partner, der Berner Gastronom Jürg Wirz, würde sich ihr anschliessen und sich als Projektentwickler bei Smiling Gecko engagieren. Was damals noch niemand vorhersehen konnte: Die Pandemie sollte Flückigers Einsatz in Kambodscha massgeblich verkürzen und eine frühzeitige Rückkehr in die Schweizer Heimat zur Folge haben.

Seit knapp einem Jahr nun ist Iris Flückiger Direktorin im Hotel Bad Murtensee in Muntelier FR. Das 3-Sterne-Haus mit 22 Zimmern ist seit 2018 im Besitz der Schweizer Unternehmerfamilie Jörg. Der Verwaltungsrat der Bad Murtensee AG will das Hotel mit weiteren Investitionen fit für die Zukunft machen. Für die dafür nötige Positionierung zeichnet die neue Direktorin mitverantwortlich.

Der Blick auf Flückigers bisherige Berufsstationen widerspiegelt ihren Ehrgeiz, ihren Sinn für Individualität und ihren Erlebnishunger. Nicht nur ihr Verantwortungsbewusstsein und die Leidenschaft für die Hotellerie, sondern auch die Neugierde und Offenheit für gegensätzliche Erfahrungen, sei dies professioneller, sozialer oder kultureller Art, zeichnen ihren bisherigen Werdegang aus. Trotz zahlreicher wagemutiger Entscheidungen macht sich bei ihr auch eine gesunde Berner Bodenständigkeit bemerkbar.

Ich wünsche mir, dass ich eines Tages nicht nur auf meine Arbeit als ehemalige General Manager im ‹Schweizerhof› Bern reduziert werde.

Iris Flückiger, Hoteldirektorin

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Weibliche Intuition, Authentizität und eine lebensbejahende Offenheit
Bereits im Kindergartenalter soll Iris Flückiger Einladungen für einen Aufenthalt in ihrem künftigen Hotel ausgesprochen haben. «Ich gehöre zu den Glücklichen, die sich ihren Berufswunsch verwirklichen konnten und mit ihrer Berufswahl nach vielen Jahren noch immer erfüllt sind.» Ihr Ziel war es immer, eines Tages ein Hotel zu führen. Die Grösse und das Renommee eines Hauses hätten für sie dabei nie eine Rolle gespielt, sagt sie. Eine Aussage, die man in Anbetracht ihrer frühen Karriereentscheidungen hinterfragen muss. Flückiger kontert: «Was ist Luxus? Darüber liesse sich lange diskutieren.»

Viel mehr als um Status und Karriere gehe es ihr als Gastgeberin darum, die Gäste glücklich zu machen. Diese Gastgeberphilosophie, aber auch ihr Führungsstil seien stark von ihrem zeitweiligen Chef Hans Leu geprägt worden, so Flückiger. «Hans Leu war eine faszinierende Persönlichkeit. Er zelebrierte das Gastgebersein, war nahezu perfekt in dieser Rolle. Aber auch als Vorgesetzter beeindruckte er mich damals als Front-Office-Mitarbeiterin im ‹Giardino› Ascona. Jeden Morgen machte er seine Tour durch den Betrieb, begrüsste alle Mitarbeitenden persönlich mit ihrem Namen und nahm Anteil an ihrem Leben, privat wie geschäftlich. Er war mir ein grosses Vorbild.»

Durchsetzungsvermögen, Frauenbilder und eine Portion Risikofreude
Heute sieht sich die erfahrene Hotelière selbst in der Pflicht, Vorbild und Mentorin zu sein – für den ganzen Branchennachwuchs, insbesondere aber für Frauen. «Junge Frauen in unserer Branche brauchen vermehrt weibliche Vorbilder. Ich versuche, ihnen Selbstbewusstsein vorzuleben. Ganz nach dem Motto: ‹Go for it!›»

Während ihrer Zeit im «Schweizerhof» Bern habe es tatsächlich Momente gegeben, in denen ihr bewusst geworden sei, wie wenige Frauen es in Führungspositionen gebe. An Branchenevents, gerade unter Führungspersönlichkeiten aus dem High-End-Segment, war die General Manager mehrheitlich von Männern umgeben. Gäste zeigten sich bisweilen gar unverhohlen erstaunt, als sie sich ihnen als Direktorin des Berner Luxushotels vorstellte. An den Businessmeetings mit Geschäftspartnern in Doha hingegen habe sie sich, obwohl die einzige Frau im Gremium, akzeptiert und ernst genommen gefühlt, so Flückiger und fügt gleich an: «Was vielleicht auch auf die international zusammengesetzte Tischrunde zurückgeführt werden könnte.»

Steckbrief
Name: Iris Flückiger
Alter: 45
Beruf: Hotelière
Was ich mag: Schokolade
Was ich nicht mag: Nörgler
Was ich werden wollte: Hotelbesitzerin
Was ich verpasst habe: Bisher die Weltreise
Darüber muss ich lachen: Menschen mit Humor
Auf diese Eigenschaft könnte ich verzichten: Perfektionismus
Im nächsten Leben werde ich: Profiseglerin! ... oder eine Katze

Iris Flückiger interessieren Projekte, die sie weiterentwickeln, verändern und an denen sie gleichzeitig selbst wachsen kann. Dafür ist sie bereit, die bestehende Komfortzone zu verlassen. Auch nimmt sie es in Kauf, Fehler zu machen. «Deswegen fällt mir kein Zacken aus der Krone. Solange man die entsprechenden Lehren zieht, geht es immer irgendwie weiter.» Die Karriereleiter spielt in ihrem Leben eine untergeordnete Rolle. «Ich folge keinem Karriereplan. Deswegen handle ich aber keineswegs willkürlich.» Auch ging ihrem Entscheid, die Welt der Luxushotellerie für die Arbeit in einem Hilfswerk zu verlassen, keineswegs eine tiefere Sinnkrise voraus. Vielmehr waren es Abenteuerlust, der Wunsch und die Neugier, im Ausland zu arbeiten, etwas Neues zu erleben und wertvolle Erfahrungen zu sammeln.

Einmal mehr zahlte sich Flückigers Courage aus: «Alltägliche Dinge, die bislang selbstverständlich waren, hinterfrage ich heute öfter. Die Zeit in Kambodscha war in jeder Hinsicht, persönlich wie beruflich, sehr bereichernd und hat meine Wahrnehmung sicher nachhaltig geprägt.»

Dasselbe liesse sich über ihre Zeit als General Manager im «Schweizerhof» sagen. Es seien intensive und wichtige Jahre in ihrem Leben gewesen. Dass ihre Person künftig immer mit dem Berner Luxushotel in Verbindung gebracht werden wird, stört die Hotelière nicht. «Ich denke gerne an diese Zeit zurück und bin stolz, was wir gemeinsam als Team erreicht haben. Gleichzeitig wünsche ich mir aber, dass ich eines Tages nicht nur auf meine Arbeit als ehemalige General Manager im ‹Schweizerhof› Bern reduziert werde.»

Junge Frauen in unserer Branche brauchen vermehrt weibliche Vorbilder. Ich versuche, ihnen Selbstbewusstsein vorzuleben. Ganz nach dem Motto: ‹Go for it!

Iris Flückiger, Hoteldirektorin

Wiederbeginn, Wertebewusstsein und innere Gelassenheit
Die von ihr geliebten Gegensätze findet Iris Flückiger auch im Hotel Bad Murtensee wieder. Da ist zum einen das geschichtsträchtige Haus mit Seeanstoss und idyllischem Innenhof, 1750 erbaut, zu einer Zeit, als in der Badeanstalt nebenan die Männer jeweils morgens und die Frauen nachmittags badeten. Zum anderen ist da die neue Besitzerschaft um das Freiburger Ehepaar Franziska und Marcel Jörg, die das Hotel nach vier Generationen von der Familie Fasnacht erstanden hat und erfolgreich in die Gegenwart und Zukunft führen will.

Künftig soll das Hotel Bad Murtensee insbesondere unter der Schweizer Klientel bekannt und beliebt sein, aber auch als guter und fairer Arbeitgeber in der Region wahrgenommen werden. «Das Potenzial ist riesig», findet Flückiger. Die Möglichkeit, auf strategischer Ebene zu wirken und gleichzeitig als Vorgesetzte und Gastgeberin nahe bei den Mitarbeitenden und Gästen zu sein, war ihr schon immer wichtig – «wenn auch nicht immer einfach umzusetzen». Aber auch die Identifikation mit der Besitzerschaft und deren Betriebsphilosophie hat für sie einen hohen Stellenwert. «Gemeinsame Werte sind bei der Zusammenarbeit, ob mit dem Vorgesetzten oder dem Mitarbeitenden, essenziell», sagt die 45-Jährige und fügt an: «Etwas, das bei meinen bisherigen Tätigkeiten teilweise doch eine Challenge war.»

Die Neupositionierung des Hotel Bad Murtensee ist für Iris Flückiger ein Glücksfall. Kontraste sowie Um- und Aufbrüche beflügeln die Hotelière und bestärken sie in ihrem Tun. Ihr stoisches Urvertrauen und ihre Intuition liessen sie bislang nicht im Stich. «Alle meine Stationen und Erfahrungen fügten sich jeweils nahtlos an- oder ineinander.» So will sie auch die Zukunft angehen. Ganz nach ihrem Lebensmotto: «Ausser man tut es.»

Text: Nora Devenish Bild: Susanne Keller