Das «Observatorium zum Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU» kommt in einem Bericht zum Schluss, dass die Schweizer Wirtschaft trotz Personenfreizügigkeit mit Fachkräftemangel zu kämpfen hat. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) stellte den Bericht am Donnerstag den Medien in Bern vor.

Demnach erreichte die Arbeitslosigkeit im Frühjahr 2022 sowohl für die einheimischen als auch die ausländischen Erwerbspersonen das Vorkrisenniveau erstmals wieder und unterschritt dieses in der Folge. Wie das Seco ebenfalls am Donnerstag mitteilte, lag die Arbeitslosigkeit im Juni 2022 so tief wie seit zwanzig Jahren nicht mehr.

Fachkräftemangel spitzt sich zu
Damit hat sich das Problem des Fachkräftemangels laut Bericht in verschiedenen Wirtschaftszweigen wieder akzentuiert. Betroffen seien diverse Branchen, von der Gastronomie über das Baugewerbe bis hin zum Gesundheitswesen, wie es an der Medienkonferenz hiess.

Eine vertiefte Analyse widmete das Observatorium dem Fachkräftemangel in der IT-Branche, bei der sich der Fachkräftemangel besonders stark bemerkbar macht. Aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung habe die Anzahl Erwerbstätiger in diesem Bereich seit 2010 um sechzig Prozent zugenommen, führte Boris Zürcher, Leiter der Direktion für Arbeit beim Seco, vor den Medien aus.

Frauen, Alte, Ausländer oder Drittstaatler?
Wie Seco-Direktorin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch ausführte, ist es deshalb bedeutsam, ältere Arbeitskräfte länger im Arbeitsmarkt zu halten. Aber auch eine «noch bessere» Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt sei ein wichtiges Ziel, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.[RELATED]

Auch Daniel Lampart, der als Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB) an der Medienkonferenz teilnahm, sah die Lösung in der besseren Mobilisierung von inländischen Arbeitskräften. Namentlich ansässige Migranten hätten entweder eine gute Ausbildung, die jedoch nicht anerkannt sei, oder aber aufgrund fehlender Zeit oder Geld nicht die Möglichkeit, sich besser zu qualifizieren.

Roland Müller, Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbands (SAV), forderte im Gegensatz dazu administrative Erleichterungen für die Rekrutierung von Fachkräften aus Drittstaaten. Zudem unterstützte er aktuelle Bestrebungen, wonach Uni-Abgänger aus Drittstaaten leichter eine Arbeitsbewilligung erhalten sollen.

Ausländische Arbeitskräfte als «Flexibilitätsreserve»
Wie Zürcher vom Seco betonte, macht der Bericht jedenfalls die grosse Bedeutung der Personenfreizügigkeit für die Rekrutierung von Fachkräften und damit für den Wohlstand in der Schweiz deutlich. Gerade die Covid-Krise habe gezeigt, dass die Zuwanderung nicht zulasten der einheimischen Arbeitskräfte geht. So sei die Arbeitslosigkeit zu Beginn der Krise bei ausländischen Arbeitskräften viel stärker gewachsen als bei Schweizerinnen und Schweizern.

Zudem habe die Zuwanderung vor allem von Kurzaufenthaltern stark abgenommen, als die Arbeitslosigkeit zu Beginn der Krise anstieg. Laut Bericht betrug 2020 das Einwanderungssaldo betreffend EU-/Efta-Raum tiefe 29'500 Personen. 2021, als die Arbeitslosenquote wieder sank, stieg das Einwanderungssaldo für den EU-/Efta-Raum auf 35'900 Personen an.

Diese Zahlen zeigen laut Zürcher, dass die Zuwanderung die einheimischen Arbeitskräfte kaum konkurriert. Ausländische Arbeitskräfte seien viel mehr eine Art «Flexibilitätsreserve» des Schweizer Arbeitsmarkts. (sda/bb)