Musik beeinflusst unser Gehirn auf verschiedenen Ebenen. Bewusst wahrgenommene Musik kann etwa das Bild mitprägen, das Konsumenten von einem Produkt haben. Ein bekanntes Beispiel dafür ist das Lied «Sail Away», das seit Jahrzehnten die Werbespots der Biermarke Beck’s untermalt. Der Song verstärkt Kernaussagen der Marke wie Freiheit und Abenteuer.

Mindestens ebenso wichtig – wenn nicht noch wichtiger – sind Effekte der Musik, die unbewusst wirken. Untersuchungen zeigen, dass Gäste länger im Restaurant sitzen bleiben, wenn dort langsame Musik läuft. Je schneller die Musik, desto eher stehen die Gäste auf und gehen. Eine Studie hat zudem ergeben, dass die Kundinnen und Kunden im Restaurant mit gemütlicher Musik im Schnitt 29 Prozent mehr ausgeben.

Herr Stoiber, welche Rolle spielt Musik im Hotel?

Eine unglaublich facettenreiche und je nach Raum eine andere. Eines ist aber an allen Orten gleich: Ob Fitnessraum, Bar oder Lobby, Musik soll Atmosphäre kreieren, Teil des Interieurs sein. Sie unterstützt die Sinne, beispielsweise beim Essen. Einfachstes Beispiel: italienisches Restaurant, französische Chansons – ich weiss nicht, ob das gut geht. In den öffentlichen Bereichen soll sie zudem Privatsphäre schaffen. Wenn man sich beispielsweise im Restaurant mit dem Gegenüber unterhält, will man nicht, dass die anderen Gäste alles mitkriegen. Am Ende des Tages geht es ums Geldverdienen: Dank der Musik ist es den Gästen wohl, und sie bleiben länger. So konsumieren sie auch mehr.

DJ, Musikproduzent und Sound-Designer

Daniel Stoiber ist seit den 90er-Jahren im Musikgeschäft. Zuerst als DJ, später, nach der Ausbildung zum Tonmeister und Musikproduzenten, gründete er mit Florian Lüttich das Label Karmaloft Music, unter dem die beiden ab März 2000 auch eigene Musik veröffentlichten. Zeitgleich begann der Münchner mit dem Start-up Ketchup Music Playlists und Sender zu kuratieren. Seine Kunden stammten vorwiegend aus der Luxushotellerie und Spitzengastronomie. Heute arbeitet er für den Anbieter Radiopark aus Hamburg, genauer für dessen Label Tonique, das sich auf Musik für Nobelmarken aus Tourismus, Gastro und Retail spezialisiert hat. Unter den Kunden finden sich illustre Namen wie das «Victoria-Jungfrau» Interlaken, das Grand Hotel National Luzern und das Grand Resort Bad Ragaz mit seinem 3-Sterne-Restaurant.

Kann Musik auch als Neuromarketing-Mittel eingesetzt werden, dass ein Hotel zum Beispiel mit Musik in der Lobby oder im Restaurant die Gäste in die Bar lockt?

Ja. Der Weg von der Bar ins Bett ist im Hotel viel kürzer als zu Hause. Entsprechend ist auch die Hemmschwelle tiefer, noch für einen Absacker an die Bar zu gehen. Man kennt das: Man ist auf einem Städtetrip und kommt nach dem Essen ins Hotel – klassischerweise so gegen 23 Uhr. Was macht es aus, dass man dann noch an die Hotelbar geht? Das sind verschiedene Faktoren – auch bauliche. Aber wenn die Musik gut ist, zieht es die Gäste eher an die Bar.

Sie sagen, Musik soll helfen, dass sich die Gäste wohlfühlen. Der ungemütlichste Bereich im Hotel ist – spätestens seit dem Film «The Shining» – in aller Regel der Gang. Trotzdem höre ich dort kaum je Musik. Warum nicht?

Das hat verschiedene Gründe: Wenn ich mich beispielsweise morgens zum Frühstück begebe und dabei durch drei Zonen mit drei verschiedenen Musikstilen gehe, ist das für mich Stress. Zudem kann je nach Akustik und Isolation der Zimmer Musik vom Gang ins Zimmer dringen. Ich gebe Ihnen aber recht, dass die Hotelgänge vernachlässigt werden.

Ich finde: lieber keine Musik als technisch schlecht präsentierte Musik.

Heisst das, Sie sähen Potenzial, die Gänge mit Musik aufzuwerten?

Definitiv. Hotels nutzen Musik auch, um ihre Marke zu stärken. Boutiquehotels setzen beispielsweise auf Musik jenseits des Mainstreams, um sich auch akustisch abzuheben – vielleicht sogar auf Musik, die leicht provoziert. Da macht es absolut Sinn, möglichst viele Berührungspunkte zu schaffen, wo dieses zur Marke gehörende Musikerlebnis läuft. Speziell im Gang muss man aber die technischen Gegebenheiten prüfen. Oft gibt es dort Anlagen, die dafür ausgelegt sind, Alarmsignale und Durchsagen, aber nicht Musik optimal wiederzugeben. Ich finde: lieber keine Musik als technisch schlecht präsentierte Musik.

Und wenn ein Betrieb nicht das Budget hat für eine professionelle Musikberatung, empfehlen Sie dem auch, lieber ganz auf Musik zu verzichten?

Vorausgesetzt, es gibt keine Lizenzverletzungen, rate ich, mindestens ein, zwei Bereiche im Haus mit Musik zu bespielen – beispielsweise über ein Internetradio. Denn Räume ohne Musik haben teils eine sehr unangenehme Atmosphäre. Ich habe dazu mal ein paar Zahlen rausgesucht: In einer Umfrage zu Musik im Gastgewerbe gaben 78 Prozent der Befragten an, ihnen helfe die Musik beim Entspannen. 80 Prozent sagten, die Musik sei ein Grund, weshalb sie eine Location weiterempfehlen. Und für 90 Prozent sorgt die richtige Musik dafür, dass sie wiederkommen. Interessant ist übrigens der Generationenunterschied: Von allen Befragten sagten 58 Prozent, sie hörten gerne Musik zum Essen. Bei der Generation Z sagten das 82 Prozent.

Wir können nicht einfach von Klassik auf Deep House umstellen und schon wirkt das Hotel jung und frisch.

Wie gehen Sie vor, wenn Sie für ein Hotel die Musik zusammenstellen?

Ein grosser Schritt ist schon gemacht, wenn jemand weiss, welche Musik er oder sie nicht möchte. Letztlich muss man sich zwei Fragen stellen: Wie sieht mein Publikum im Moment aus? Und wie soll mein Publikum in drei Jahren aussehen? Gerade die Spitzengastronomie hat in den letzten Jahren erkannt, dass Musik helfen kann, die Gästestruktur zu verändern. Auch viele Hotels wollen sich neu positionieren, frischer auftreten. Aber wir können nicht einfach die Musik von Klassik auf Deep House umstellen und schon wirkt das Hotel jung und frisch. Das ist ein Weg, der neben der Musik auch bauliche Massnahmen und einen neuen Auftritt umfasst. Unsere Aufgabe ist es, die Vorstellungen und Ziele der Gastgeber in Musik zu übersetzen.

Musik ist auch Geschmackssache. Was, wenn sich der Geschmack des Gastgebers nicht mit dem der Gäste deckt?

Im familiengeführten Individualhotel spielt der Geschmack der Gastgeber tatsächlich eine wesentliche Rolle. Gerade weil persönliche Vorlieben einen grossen Einfluss haben, hilft es, wenn mehrere Personen zusammen an der Musikauswahl arbeiten.

Wie sieht es mit lokalen Geschmäckern aus? Ist in einem Schweizer Hotel Volksmusik angebracht? Oder raten Sie eher zu internationaler Musik?

Der Standort des Hotels gibt auch die Musik vor. Ein Berghotel in der Schweiz wird mit Sicherheit anders klingen als ein Stadthotel in Berlin. Musik ist wie gesagt Teil des Interieurs. Und die beiden sehen ja auch nicht gleich aus. Wir versuchen, lokale Einflüsse abzubilden.

[IMG 2]

Wie geht man mit internationalen Gästen um?

Das ist eine Herausforderung. Gerade bei Gästen aus dem arabischen Raum sind zum Beispiel Explicit Lyrics, also anzügliche Texte, ein No-Go. Die achten da extrem drauf. Ein Hotel, das viele arabische Gäste empfängt, kann gerne auch ein paar arabische Stücke abspielen. Aber grundsätzlich kommen internationale Gäste zu uns, weil sie etwas anderes erleben möchten als zu Hause – anderes Wetter, andere Natur, anderes Essen, andere Musik.

Texte können so oder so heikel sein. Ist es nicht einfacher, auf instrumentale Musik zu setzen?

Doch, das macht das Leben einfacher. Aber: Wenn wir auf rein instrumentale Musik setzen, landen wir sehr schnell bei Jazz, Klassik oder elektronischer Musik. Das schränkt uns schon sehr stark ein. Kommt hinzu: Damit Musik nicht langweilig wird, muss ein Instrument den Lead haben. Das dient auch der Wiedererkennung. Stücke mit Gesang werden viel leichter wiedererkannt als instrumentale Stücke. Wenn ich im Hotel nur Fahrstuhlmusik laufen lasse, werde ich damit keine Marke aufbauen.

Das optimale Verhältnis zwischen bekannt und unbekannt ist 60/40 – 60 Prozent Wiedererkennung, 40 Prozent Unbekanntes.

Braucht es dafür nicht unbekannte Songs, die nicht überall laufen?

Das ist der springende Punkt. Wenn ich nur Hitparade abspiele, habe ich zwar einen hohen Wiedererkennungseffekt. Aber die Musik wird nicht als wertig wahrgenommen. Je mehr Songs ich dagegen spiele, die der Gast als positiv wahrnimmt, aber nicht kennt, desto eher nimmt er mich als interessant wahr. Das optimale Verhältnis zwischen bekannt und unbekannt ist 60/40 – 60 Prozent Wiedererkennung, 40 Prozent Unbekanntes. Wobei, wenn wir von Wiedererkennung reden, geht es nicht nur um aktuelle Hitparadenstücke. Es gibt Remixes, Coverversionen, Instrumentalversionen. Oder man kann auch mal eine Originalversion bringen, wenn ein Cover gerade in den Charts ist.

Für unterschiedliche Räume braucht es unterschiedliche Musik. Aber wie viel Kleinräumigkeit ist ratsam?

Oberste Regel: Es gilt zu vermeiden, dass sich Musikzonen überlappen. Das würde die Gäste wahnsinnig machen. Wenn die Bar direkt an die Lobby grenzt, kann ich nicht für Lobby und Bar zwei separate Musikkonzepte machen. Oft priorisieren wir stattdessen tagsüber die Lobby und fokussieren erst am Abend auf die Bar. Zudem können wir häufig Räume unter einem Konzept zusammenfassen – zum Beispiel im Spa-Bereich den Empfang, die Garderoben und die Behandlungsräume. Im Ruheraum wiederum kann ich ganz auf Musik verzichten – Stille ist auch Teil des Musikkonzepts. Damit es nicht ein musikalisches Durcheinander gibt, achten wir zudem darauf, dass die einzelnen Playlists zueinander passen. Metal im Fitnessraum, Techno an der Bar, Jazz in der Lobby: Das ist gewagt.

Es ist sehr hilfreich, wenn man im Betrieb Angestellte hat, die sich für Musik interessieren.

Dürfen die Angestellten beim Musikkonzept mitreden?

Mir ist die Meinung der Angestellten sehr wichtig. Sie sind an der Front und wissen, was bei den Gästen gut ankommt, was weniger und warum. Das sind wertvolle Informationen. Es ist übrigens sehr hilfreich, wenn man im Betrieb Leute hat, die sich für Musik interessieren. Die entwickeln oft ein Gespür dafür, was zu welchem Zeitpunkt und bei welcher Stimmung gerade angebracht ist. Sie können am späten Abend beispielsweise spontan entscheiden: Jetzt wechsle ich in der Bar auf einen poppigen Kanal und drehe das Volumen etwas hoch, um die Stimmung anzufeuern und so mehr Umsatz zu machen.

Die Lautstärke ist ein zentraler Aspekt. Wie findet ein Hotel den Sweet Spot zwischen zu laut und zu leise?

Wenn Musik läuft, muss ich sie bewusst wahrnehmen können. Wer hinhören möchte, soll das Lied erkennen. Es gibt auch Gäste, die bestimmte Lieder shazamen, also von einer App erkennen lassen wollen. Läuft die Musik zu leise, ist nur noch der Rhythmus zu hören. Das nervt. Gleichzeitig darf sie nicht so laut sein, dass ein normales Gespräch oder Telefonat nicht mehr möglich ist.

Sollen die Gäste beeinflussen, welche Musik gerade läuft?

Ja, das wird immer wichtiger. Heute kann ich mit Streams jederzeit wählen, was ich hören will. Damit haben sich auch meine Ansprüche und Erwartungen verändert. Im Spa-Bereich sollte zum Beispiel ein Gast Südseemusik wählen können, wenn er eine hawaiianische Lomi-Lomi-Massage bekommt. Was kaum umzusetzen ist, sind Wünsche nach spezifischen Liedern. Allein wegen der Tarife: Es gilt eine andere Gebührenordnung, wenn ein DJ auflegt, als wenn die gleichen Lieder auf einer Playlist im Hintergrund laufen. In der Praxis gibt es natürlich Wege, einen bestimmten Song zu spielen. Legal ist das aber nicht.

[RELATED]