Wenn es gut laufe, seien in wenigen Wochen weitere Lockerungen wie zum Beispiel eine Einschränkung der Maskenpflicht möglich, sagte der Bundesrat in einem vorab am Samstag online veröffentlichten Interview mit «SonntagsZeitung» und «Le Matin Dimanche». Die Situation sei in diesen Tagen jedoch noch unübersichtlich. Damit war der Übergang in die Normalisierungsphase vorerst noch nicht absehbar.

«Wir haben die ansteckendere Delta-Variante. Und viele kommen aus den Ferien zurück, was das Risiko von Ansteckungen in der Schweiz erhöht», erklärte Berset. Die Kinder und Jugendlichen würden sich bald wieder in der Schule treffen und könnten die Verbreitung beschleunigen. «Wir müssen jetzt schauen, wie sich das auf die Fallzahlen auswirkt.»

Massnahmen verteidigt
Berset verteidigte die «die nur noch sehr wenigen Beschränkungen wie die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln oder Geschäften und die Zertifikatspflicht an Grossveranstaltungen oder in Clubs». Es sei noch zu früh, Covid wie eine Grippe laufen zu lassen. Dies könne erst geschehen, wenn die Gefahr einer Überlastung der Krankenhäuser ausgeschlossen werden könne. «Und das ist im Moment leider noch nicht der Fall.»

Bei einer erneuten Verschärfung der Lage will der Bundesrat auf Schliessungen verzichten. Berset konnte sich vorstellen, dass die Zertifikatspflicht angepasst würde. So könnten an den Orten, an denen ein Zertifikat obligatorisch ist, zusätzlich neu auch Personendaten für die Kontaktverfolgung erhoben werden.

Economiesuisse-Präsident Christoph Mäder hält es für nötig, über Zugangsbeschränkungen mit dem Covid-Zertifikat zu reden, «besonders für Veranstaltungen, Restaurants und Fitnesscenter», wie er im Interview mit dem «SonntagsBlick» sagte. Nicht in Frage komme «eine Art indirekter Impfzwang beim Zugang zu staatlichen Grundleistungen».

Impfpflicht kein Thema
Zur Erhöhung der Impfquote kommen für Berset Zwangsmassnahmen wie etwa eine Impflicht für das Pflegepersonal analog zu Frankreich nicht in Frage. Stattdessen stehen laut dem Gesundheitsminister mehr gezielte Informationen und niederschwellige Angebote im Vordergrund.

Laut Berset könnten die Kantone zum Beispiel bei Warenhäusern oder Läden mobile Impfstationen einrichten. «Leute, die nur ein paar Brötchen kaufen wollen, lassen sich dann vielleicht auch impfen.»
In der Schweiz waren laut Angaben des Bundesamts für Gesundheit (BAG) vom Freitag zuletzt 48,9 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft.

Die Quote war im Vergleich zu umliegenden Ländern unterdurchschnittlich. Mäder sagte zur Frage, ob Firmen die Impfung vorschreiben sollten, dass es Arbeitsverhältnisse gebe, «bei denen man das sehr genau anschauen sollte und wohl auch bejahen kann». Er nannte dabei Spitäler und Heime.

Beim Motivieren fürs Impfen hätten Firmenchefs grossen Einfluss, sagte Mäder zudem. «Und sie nehmen diese Möglichkeit auch wahr.» Mäder kritisierte, dass der Bund beim Überzeugen für die Impfung noch zu stark Rücksicht nehme auf Bedenken wegen der individuellen Freiheit und der Menschenrechte. In der Krise müsse klar sein, dass Impfen die einzig richtige Reaktion sei.

Berset will sich nicht drängen lassen
Zu der vom US-Impfstoffhersteller Moderna propagierten dritten Impfung noch vor dem Winter äusserte sich Berset zurückhaltend. «Das entscheiden nicht die Firmen, sondern unsere Spezialisten.» Es gebe zurzeit noch keine ausreichenden Daten zur Frage, wann und für wen Auffrischungsimpfungen notwendig seien. Die Kantone seien aber vorbereitet, und der Bund sei für genügend Impfstoff besorgt.

«Wir wissen, dass der Schutz vor Krankheiten ab sechs Monaten nach der zweiten Dosis abnimmt, die Wirksamkeit jedoch sehr gut bleibt, insbesondere bei schweren Infektionen», sagte Berset. Eine Impfung werde nur dann empfohlen, wenn nachgewiesen sei, dass sie notwendig, nützlich und sicher sei. «Gegenwärtig gibt es keine Evidenz dafür, dass der Schutz nach der Impfung abnimmt, insbesondere gegen schwere Krankheitsverläufe.» (sda/bbe)