Der Mensch prägt schon sehr lange die sichtbare Umwelt massiv. Wann ist überhaupt eine Landschaft intakt, und wann sehen Sie eine Bedrohung?
Das Ziel des Landschaftsschutzes ist eine nachhaltige Entwicklung. Die Landschaft hat verschiedenste Funktionen und Nutzungen: sozial, kulturell, wirtschaftlich. Die Landschaft soll Erholung ermöglichen, die Biodiversität erhalten bleiben. In den wenigsten Fällen geht es in der Schweiz um völlig unberührte Landschaften, sondern zu 90 Prozent um Kulturlandschaften. Wenn die menschliche Nutzung ein gewisses Mass überschreitet, fehlt das Gleichgewicht und somit die Nachhaltigkeit. Die Regenerationsfähigkeit der Landschaft geht verloren. [RELATED]

Wo sehen Sie landschaftsschützerisch im Zusammenhang mit der Energiewende/dem Ausbau für nachhaltige Stromproduktion aktuell die grössten Probleme?
Es werden Kraftwerke in Räumen projektiert, die noch vor wenigen Jahren tabu waren. Die Alpenkonvention legte in den 90er-Jahren fest, dass im hochalpinen Raum, also dem Gebiet oberhalb der Baumgrenze ab circa 2000 Metern, keine Bautätigkeit stattfinden soll. Die Alpsömmerung hat dort eine artenreiche Kulturlandschaft geschaffen. Diese Landschaft bildet einen offenen freien Raum von Nizza bis Wien, die nicht zerschnitten werden soll und zu welcher alle Zutritt haben. Keine Gruppe darf ihn für sich beanspruchen. Das gilt auch für touristische Anlagen. Das Solarprojekt Grengiols liegt in einem solchen unverbauten Gebiet. Das Projekt ist für mich ein absolutes No-Go, auch wenn die Projektverantwortlichen es mittlerweile redimensioniert haben.

Sehen Sie einen Konflikt zwischen touristischem Bedarf an intakten Landschaften und nachhaltiger Stromproduktion?
Mit unserem demnächst erscheinenden Katalog an Empfehlungen nach dem Vorbild von England und Österreich werden wir die noch unbelasteten alpinen Gebiete als tabu erklären. Gebiete, die nicht vorbelastet sind, werden somit als Standort für ein Kraftwerk ausgeschlossen. Wir wehren uns nicht grundsätzlich gegen neue Kraftwerke. Sie sind eine Notwendigkeit. Sie sollen aber an Standorten entstehen, wo bereits Infrastrukturen bestehen, andere Kraftwerke, Strassen, Bergbahnen, Stromleitungen, und wo man es damit bündeln kann. Das ist beim Projekt Gondosolar ein Problem. Dort wäre gar eine neue Freileitung nötig. Man müsste auch für den Bau eine Transportseilbahn in einem steilen Schutzwald errichten. Das Gebiet ist völlig unerschlossen. Wie das Kraftwerk unterhalten werden soll, ist mir ein Rätsel.

Auch der Tourismus hat die Berge bestens erschlossen …
Neue Kraftwerke können auch in der Nähe einer touristischen Infrastruktur entstehen. Ein gutes Beispiel ist der Windpark Gütsch in Andermatt UR. Diesen haben wir auch befürwortet. Es ist gut, wenn es in der Nähe des Skigebiets ein sichtbares Zeichen gibt, dass der benötigte Strom für den Skitourismus produziert werden muss. Ein Konflikt mit dem Tourismus entsteht eher dann, wenn eine Destination stark auf Sommertourismus setzt. Wo das Naturerlebnis und Exkursionen im Zentrum stehen, stören Kraftwerke. Aus diesem Grund halte ich die beiden Walliser Projekte Grengiols und Gondosolar für nicht durchdacht. Statt im Naturpark sollte eine solche Grossanlage besser im Gebiet Portes du Soleil entstehen. Wie der Name schon sagt, ist das Gebiet sehr sonnig. Die Hänge sind bereits mit Bergbahnen verbaut, es gibt keinen grossen Sommertourismus.

Welche Windparks sind aus Ihrer Sicht eine Bedrohung fürs Landschaftsbild?
Für die Windenergie eignet sich der Alpenraum nicht besonders gut, oberhalb von 2000 Metern sind Windparks unsinnig. Die Windrichtungen ändern zu oft, es gibt Föhnstürme. Es stellt sich die Frage nach der Bodenverankerung und dem Transport der riesigen Bauteile. Die Ausbeute sinkt bei zunehmend dünnerer Luft. Im Vergleich zur Leistung einer Anlage im Mittelland braucht es für die gleiche Leistung mehr Anlagen. Besser geeignet sind das Rhone- und das Rheintal, das westliche Mittelland und die Jurahöhen.

Allerdings war die Stiftung Landschaftsschutz gegen das Projekt Mollendruz.
Man kann nicht pauschal sagen, dass jedes Projekt im Jura okay ist. Der Landschaftsschutz ist gegen Bauten auf der ersten Krete. Im Mittelland und auf dem Waadtländer Plateau gäbe es hervorragende Standorte für Windkraftwerke. Diese Standorte werden nicht genutzt, weil man sich nicht mit der Bevölkerung auseinandersetzen will.

Frei im Schnee stehende Solaranlagen wären sehr effizient. Wäre das aus Ihrer Sicht eine Bedrohung für die Landschaft?
Wenn man Solarkraftwerke baut, muss man die besten Standorte dafür nutzen. Dazu gehören auch freie Anlagen in Gebieten, die bereits erschlossen und vorbelastet sind und keine grossen Biodiversitätswerte aufweisen.

Auch die Wasserkraft soll mit 15 Projekten ausgebaut werden. Wie beurteilen Sie diese?
Gegenüber dem Gornerli-Projekt bin ich sehr kritisch. Es besteht bislang noch keine Machbarkeitsstudie. Die anderen Wasserkraftprojekte sehe ich weniger problematisch. Bei einigen, beispielsweise Marmorera, handelt es sich um den Ausbau von bestehenden Stauseen, oder sie entsprechen dem Bündelungsgedanken. Die Staumauer an der Trift wiegt allerdings auch sehr schwer. Meine Forderung als Ausgleich zur einseitigen Nutzungsdebatte: Es braucht auch ein grosses Werk für den Natur- und Landschaftsschutz, nämlich zwei neue Nationalparks. 2016 beziehungsweise 2018 hat die lokale Bevölkerung die Pärke Adula und Locarnese/Tre Valli hauchdünn abgelehnt. Ich denke, die Haltung hat sich nun geändert. Wenn im alpinen Raum nämlich nun viele zusätzliche Kraftwerke entstehen, wächst hoffentlich die Akzeptanz für Gebiete, die als Ausgleich vor der Nutzung geschützt bleiben.