Pürierte Kost bringen wohl viele eher mit belanglosen Genusserlebnissen in Verbindung. Doch dies muss ganz und gar nicht so sein. Wenn diätetisches Wissen und hochstehende Kulinarik Hand in Hand gehen, ist das Genusserlebnis für den Patienten garantiert. Dies ist etwa der Fall, wenn Bernd Ackermann seine Finger im Spiel hat. Der Spitzenkoch mit langjähriger Erfahrung in der gehobenen Gastronomie und nunmehr seit 2015 Küchenchef der Schweizerischen Epilepsie-Stiftung in Zürich, befasst sich seit einigen Jahren intensiv mit dem Thema Dysphagie.

Er fand es deprimierend, wie Patienten, denen das Schlucken und Kauen schwerfiel, im wahrsten Sinne abgespeist wurden. Und während seiner Weiterbildung zum Diätkoch vor rund sechs Jahren stellte er fest, dass nur wenige Bücher zum Thema auf dem Markt waren. So machte er sich mit einem Team von Co-Autoren an die Recherche, tauschte sich mit Ärztinnen, Pflegenden, Ernährungsberatern, Diätköchinnen und Patienten aus.

Die Gerichte sehen täuschend echt und gluschtig aus
Aus dieser zweijährigen intensiven Forschungsarbeit ist ein Fachbuch entstanden, das mit viel wissenschaftlichem Hintergrundwissen untermauert ist, die Kochtechniken Schritt für Schritt aufzeigt und Hilfsmittel vorstellt. «Es war mir ein Anliegen, ein fundiertes Fachbuch zu realisieren, das all das bereits vorhandene Wissen bündelt und sich so zum Standardwerk etablieren kann», sagt Ackermann über das Kochbuch, für das er lange nach einem Verlag suchte. Mittlerweile sind bereits 75 Prozent der 3000 Exemplare verkauft und in der Schweiz, in Deutschland, Österreich und Südtirol im Einsatz. Und eine Übersetzung ins Französische ist in Bearbeitung.

«Unsere Patienten essen gemeinsam. Da ist es wichtig, dass sich alle wohlfühlen.»
Bernd Ackermann, Leiter Küche Schweizerische Epilepsie-Stiftung, Zürich

Das Spezielle an Ackermanns Gerichten ist die Optik. So sehen Spaghetti Carbonara, eine Himbeerschnitte oder ein gebratener Lachs mit Kartoffeln täuschend echt aus. Die Komponenten eines Gerichtes werden zubereitet, püriert, angereichert, rekonstruiert und für den Service regeneriert. Der Aufwand ist entsprechend gross. «Mit den richtigen Techniken und einem guten Mengenmanagement lässt sich dieser Mehraufwand jedoch gut planen», erklärt Ackermann.

«Es ist wichtig, dass auch Menschen mit Kau- und Schluckstörungen ein authentisches Geschmackserlebnis haben. Das gehört für mich zur Lebensqualität», so der Dysphagie-Experte. Dabei kommen ihm sicherlich seine langjährige Erfahrung in der Spitzengastronomie mit ausgeklügelten Zubereitungstechniken und seine Erfahrung mit Kochwettbewerben entgegen, wo stets modernste Kochmethoden gefragt sind.

Glossar
Dysphagie

Ein Schlaganfall, Krebs im Mund- und Rachenraum, Demenz und Alzheimer oder andere neurologische Störungen können dazu führen, dass das Kauen und Schlucken zur Qual wird. Die Nahrungsaufnahme wird dadurch erheblich erschwert. Mögliche Folgen können Dehydrierung, Mangel- oder Unterernährung sein.
IDDSI-Konsistenzen
Die International Dysphagia Diet Standardisation Initiative (IDDSI) hat 2013 eine globale, einheitliche Terminologie sowie Definitionen etabliert, um Lebensmittel und verschiedene Flüssigkeitsstufen in der Therapie von Dysphagie-Patienten zu beschreiben. Diese internationalen Standards können für Personen mit Schluckstörungen aller Altersstufen in allen Pflegestufen und -situationen eingesetzt werden.
Smoothfood
Der Begriff Smoothfood entstand um 2010. Diese Technik, die darauf abzielt, Menschen mit Schluck- und Kaubeschwerden genussvolles Essen zu bieten, verbindet klassische Zubereitungsarten mit den Techniken der Molekularküche. Nährstoffe, Konsistenz, Geschmacks- und Aromastoffe erreichen so eine hohe Qualität.

Der kulinarische Ansatz ist bei Dysphagie noch nicht so sehr verbreitet
Dysphagie betrifft eine grosse Zahl der Bevölkerung. Fast 14 Prozent aller älteren Menschen, mehr als 50 Prozent der Pflegeheimbewohnenden und fast 70 Prozent aller Hirnschlagpatienten sind irgendwann über einen längeren Zeitraum davon betroffen. Menschen, denen das Kauen und Schlucken schwerfällt, verlieren die Freude am Essen und sind oft mangel- oder unterernährt oder auch dehydriert.

So ist die Dysphagie fixer Bestandteil der diätetischen Kostformen, und in Spitälern sind die IDDSI-Standards – diese definieren Viskosität- und Flüssigkeitsstufen der Kost – dementsprechend verankert, wie Marcel Merlo, ausgebildeter Diätkoch, Prüfungsexperte Diätkoch und ÜK-Instruktor, festhält. Noch nicht allzu verbreitet ist hingegen der kulinarische Ansatz. Diese Bewegung ist für den Diätetikexperten und Mitglied der Projektgruppe «Neue Ausbildung Diätkoch» umso begrüssenswerter.

Neben Bernd Ackermann treiben diverse Diätfachleute die Thematik schon seit Jahren unermüdlich voran. Markus Biedermann und Rolf Caviezel nehmen hier laut Merlo eine Vorreiterrolle ein. Caviezel etwa, Chefkoch HF, Buchautor und Diätetikexperte, setzt sich seit rund zwei Jahrzehnten intensiv mit der molekularen Küche auseinander und hat dieses Wissen in die Diätetik einfliessen lassen und so wichtige Impulse gegeben – unter anderem auch in Buchform.

Wenn Gerichte positive Erinnerungen wecken
Eine Institution, die der Ernährung von Dysphagie-Betroffenen seit diesem Herbst ebenfalls viel Aufmerksamkeit schenkt, ist die Senevita-Gruppe mit Sitz in Muri bei Bern. Das Unternehmen betreibt schweizweit Pflegeeinrichtungen, Residenzen, Alterszentren und Spitex. Sandro Kalkhi, Souschef bei der Senevita Pilatusblick, hat für die Gruppe das entsprechende Konzept entwickelt und war für dessen Einführung zuständig.

Der 38-Jährige wurde durch die Dysphagie seiner Grossmutter erstmals mit dem Thema konfrontiert. So fing er an zu tüfteln und zu pröbeln, schuf Silikonformen und erarbeitete Rezepte. Sehr beliebt bei den Dysphagie-Patienten der Gruppe ist sein Café complet – ein Konfibrot. «Dieses ‹Gericht› weckt positive Erinnerungen bei den Patientinnen und Patienten», so Kalkhi.

Dysphagie beschäftigt auch Christian Nickel, ausgewiesener Spitzenkoch und Executive Chef bei der Hospitality Visions Lake Lucerne AG, gehören doch zwei Kliniken zur Gruppe. Gerade in der Reha von Neurologie-Patientinnen und bei Parkinson-Patienten treten oft Schluckbeschwerden auf.

Um eine möglichst individuelle, vielfältige und aktivierende Kostform für die Patienten zu realisieren, steht Nickel in engem Austausch mit der Forschungsabteilung der Kliniken. Sein langfristiges Ziel ist es, allen Gästen – ob Kassen-Patientinnen oder Selbstzahlern – die bestmögliche Ernährung zu bieten und so zu deren Genesung beizutragen.


Buchtipp
Freude am Essen – trotz Dysphagie

[IMG 2] Das Kochbuch «Make food soft» bietet 80 Rezepte für Menschen mit Kau- und Schluckbeschwerden. Herausgegeben hat es der Küchenchef und Diätkoch Bernd Ackermann mit der Schweizerischen Epilepsie-Stiftung. Das Buch, auch über Swissepi-shop.ch zu beziehen, bietet neben den Rezepten viel Hintergrundwissen und ist als Standardwerk angelegt.

Make food soft, Matthaes-Verlag, ISBN 978-3-98541-048-4, 240 Seiten, fester Einband, CHF 39.90.