Erlebnisbericht von Verena Sulser, Lehrperson an der  Academia Engiadina in Samedan.

Draussen ist die Flanke des Piz Lagrev in weissen Tüll gehüllt. Das satte Grün der Silser Ebene jedoch lässt sich von den ersten Winterallüren nichts anhaben. In der Lounge des Hotels Edelweiss angekommen, lockt Tee in japanischen Teekannen, was die kühle Witterung sofort vergessen macht. Entspannt wirkt die Atmosphäre und doch sind die Vorbereitungen für den unmittelbar bevorstehenden Abendservice in vollem Gange. Eine Schülerin in schwarzer Servierschürze tritt aus dem Jugendstilsaal, während ihre Kollegin mit Häubchen den Salattellern den letzten Schliff gibt. Der an der Wand befestigte Einsatzplan für die Schnupperwoche ist an diesem ersten Tag eine wichtige Orientierungshilfe.

Schnuppern im Hotel ist beliebt, sei es als Ferienjob, sei es als Test, ob die Neigung für einen Beruf in der Branche tragfähig ist. Geht es um Letzteres, hält Frau Campell vom Hotel Waldhaus fest, kommen die Schnuppernden wie unsere 14-Jährigen nicht um das Führen einer Art Arbeitsjournal herum. Für die meisten Jugendlichen der Academia Engiadina ist die berufliche Orientierung aber im Moment zweitrangig. Ein Ziel der Woche ist bereits erreicht, wenn die Untergymnasiasten später einmal in der Gästerolle vor dem Verlassen des Hotelzimmers an die Reinigungscrew denken werden, merkt Frau Tillmann vom Hotel Waldhaus am See bescheiden an.

Ohne Arbeitskräfte aus dem Ausland geht es nicht
Geschäftige Kinderstimmen und das aus der Ferne hörbare Krähen eines Hahns schaffen sofort Klarheit darüber, dass hier das Territorium eines familienfreundlichen Hotels beginnt. Nach einem turbulenten Tag an der Rezeption des Hotels Kurhaus Bergün hat eine Untergymnasiastin am zweiten Tag Dienst in der Hauswirtschaft. Betreut von einer älteren Portugiesin, die weder des Deutschen noch des Italienischen mächtig ist, muss die Verständigung unter Einsatz des ganzen Körpers bewerkstelligt werden.

Ohne Arbeitskräfte aus dem Ausland, insbesondere aus Portugal, könnte dem Gast vieles von dem, was ihm heute zu Gebote steht, nicht gewährleistet werden. Dies gilt, so Andrea Cologna vom Hotel Laudinella, auch für die asiatische Küche. Diese sei nur authentisch, wenn Handwerk und Gaumen in Asien geschult würden. Das Verfahren, um aus Drittländern (weder EU noch EFTA) spezialisierte Fachkräfte zu gewinnen, ist aber, wie sie aus Erfahrung kennt, langwierig und hürdenreich.

Personalmangel auch in der Küche
Die Küche ist generell ein schwieriges Terrain, für das sich geeignetes Personal nur schwer finden lässt. Selbst die angebotenen Lehrstellen für angehende Köchinnen und Köche bleiben teilweise unbesetzt. Mehr Erfolg unter den Berufslehren der Hotellerie hat hingegen das neue, 2017 erstmals in der Schweiz angebotene Ausbildungsprofil mit dem Namen HOKO (Hotelkommunikationsfachleute).

Die Forellen-Mousse ist von einem Schüler, der sich in der Küche mit sichtlichem Interesse und Geschick zu schaffen macht, zu ansprechenden Häppchen verarbeitet worden. Zusammen mit dem Koch werden diese und weitere Leckerbissen für den Apéro begutachtet. In einem anderen Hotel fachsimpelt ein Untergymnasiast mit dem Pâtissier. Ob es um den zu verarbeitenden Teig oder das eben aus dem Ofen entlassene Gebäck geht, lässt sich nicht eruieren. Eine Rezeptionistin im Hotel Waldhaus am See bespricht mit einer Schnuppernden einen Brief. Eine Schülerin im Hotel Castell fühlt sich, als ob sie schon lange auf vertrautem Fuss stände mit ihrem Hotel, in dem sie auch schon ihr Lieblingskunstwerk gefunden hat. Im Grand Hotel Kronenhof erscheinen zwei verwandelte junge Herren, makellos von Kopf bis Fuss. Der Glanz der eleganten Herrenschuhe stelle selbst die im Hotel gängige Schuhpflege in den Schatten, sagt die rundum zufriedene Vorgesetzte.

Leidenschaft soll mitgegeben werden
Wenige Tage haben viel verändert: Es wird kräftig gearbeitet, man tauscht sich aus und freut sich zusammen über das, was zum Wohle der Gäste ins Werk gesetzt worden ist. Mancherorts sind die Betreuenden des Lobes voll für die Lernenden der Academia Engiadina. Es liegt aber in der Natur der Sache, dass die meisten Schülerinnen und Schüler am Schluss einer anstrengenden Woche das Housekeeping, welches sich nun wieder auf einen simplen Familienhaushalt reduziert, gerne von sich weisen und so weit wie möglich auf einen Elternteil abschieben wollen.

Drei Academia-Absolventen sind heute in führender Position in verschiedenen Hotels für unsere Schnuppernden zuständig. Es besteht damit die berechtigte Hoffnung, dass etwas von der im Hotelfach unabdingbaren Leidenschaft auf die Jugendlichen überspringt. So könnte das Problem des Fachkräftemangels, von dem viele Hotelbetriebe ein Lied singen können, entschärft werden. Die Gastronomie und Hotellerie fordern den Arbeitnehmenden grosse Belastbarkeit und Flexibilität ab, das ist bekannt. Gross aber sei auch die Befriedigung, mit der die Branche aufwartet, sagt eine Gastgeberin, die ihre Augen überall und gleichzeitig ein offenes Ohr für alle hat. Die Unmittelbarkeit der Gästereaktion und die Freude an einem intensiven Tag möchte sie nicht missen.  

Die Schnupperwoche der Academia Engiadina wird von den folgenden Hotels getragen:
Hotel Edelweiss (Sils), Hotel Waldhaus (Sils), Parkhotel Margna (Sils), Hotel Waldhaus am See (St. Moritz), Hotel Hauser (St. Moritz), Hotel Laudinella (St. Moritz), Grand Hotel Kronenhof (Pontresina), Hotel Saratz (Pontresina), Romantik Hotel Muottas Muragl (Samedan), Historic Hotel Chesa Salis (Bever), Hotel Castell (Zuoz), Hotel Piz Linard (Lavin), Hotel Kurhaus Bergün (Bergün).