Punkt Mittag am 1. August stand im Hotel Carlton-Europe in Interlaken alles still. Das Team fuhr den Betrieb gänzlich herunter und stiess gemeinsam auf den Nationalfeiertag an.

«Warum sollte es sich die Hotellerie nicht auch einmal erlauben, eine spontane Pause einzulegen oder geregelte Öffnungszeiten zu haben wie andere KMU?», sagt Carlton-Europe-Hoteldirektor Stephan J. J. Maeder. Und: «Etwas vom Allerwichtigsten ist es jetzt, den Angestellten die nötige Wertschätzung für ihre Arbeit entgegenzubringen.»

Noch laufe sein Team zur geschäftigen Sommerhalbzeit zwar nicht am Anschlag, sei aber doch an allen Fronten gefordert, so Maeder. Gerade deshalb dürfe, ja müsse die Branche auch einmal Mut zur Lücke beweisen, auch wenn dies bedeute, nicht 24/7 für den Gast verfügbar zu sein.

Warum sollte es sich die Hotellerie nicht auch einmal erlauben, eine spontane Pause einzulegen oder geregelte Öffnungszeiten zu haben wie andere KMU?

J. J. Maeder, Direktor Hotel Carlton-Europe Interlaken

In Destinationen mit starken saisonalen Schwankungen wie Interlaken war es immer schwierig, Fachkräfte für die Küche oder das Frontoffice zu finden. Eine Situation, wie sie sich gegenwärtig bietet, hat Maeder während seiner 22-jährigen beruflichen Laufbahn noch nie erlebt. «Dass wir sogar Schwierigkeiten haben, Hilfskräfte zu akquirieren, ist neu.»

Der Fachkräftemangel in der Gastro- und Beherbergungsbranche hat sich während der Pandemie akut verschärft. In einer losen Artikelserie beleuchtet die htr hotelrevue das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven und zeigt verschiedene Ansätze auf, wie die Branche das Problem angeht. Ganz nach dem Motto: Fit für Fachkräfte.

Aktuell ist Maeders Team fast komplett. Der Hoteldirektor setzt alles daran, dass dies auch in der kommenden Wintersaison so bleibt. Die Zwischensaison will er für Renovationen in seinem Hotel nutzen. Hierfür setzt er, wann und wo möglich, seine Angestellten ein. «Es gibt jeweils Umbauarbeiten, die man mit dem vorhandenen Team durchaus selbst stemmen kann. Das ist Teambildung pur, bringt eine Identifikation mit dem Betrieb und hält die Arbeitnehmenden an Bord bis zur nächsten Saison.»

Weg vom Zweisaisonbetrieb, hin zur Vertragsverlängerung
Auch im Kanton Graubünden sehen sich Hotels mit einer starken saisonalen Fluktuation konfrontiert. Um die Mitarbeitenden rechtzeitig für die nächste Hochsaison an den Betrieb zu binden, bieten immer mehr Betriebe Jahres- oder Zehnmonatsverträge an.

Für Florian Walther, General Manager im Hard Rock Hotel Davos, bewährt sich diese Lösung bereits seit 2019. «Ich sah einfach keinen Sinn mehr, das Hotel im November zu schliessen. Ein Break-even ist immerhin besser als ein Verlust.»

Dass seine Mitarbeitenden im Winter Richtung besser bezahlte städtische Betriebe abspringen, befürchtet er nicht. «Muss ich mich bis zu einem gewissen Punkt anpassen? Ja! Muss ich der Höchstbietende sein? Nein!», sagt Walther. Das Hard Rock Hotel Davos hat die Mitarbeiterorganisation überdacht. Walther hat wo möglich das interdisziplinäre Jobsharing eingeführt und gibt dem bestehenden Team bereits bei der Rekrutierung neuer Teamkolleginnen und -kollegen ein Mitspracherecht.

Durch längere Arbeitsverträge zeigen wir unseren Mitarbeitenden unsere Wertschätzung.

Marc Eichenberger, Direktor Grand Hotel Kronenhof, Pontresina

Auch das Grand Hotel Kronenhof in Pontresina, bisher ein klassischer Zweisaisonbetrieb, öffnet seine Pforten seit diesem Jahr durchgehend zehn Monate, vom 23. Juni bis zum 10. April. Das Feedback der Angestellten wie der Gäste auf die Änderung falle durchwegs positiv aus, sagt Hoteldirektor Marc Eichenberger.

«Für unsere langjährigen Mitarbeitenden ist die Umstellung von je zwei viermonatigen Arbeitsverträgen auf einen mindestens zehnmonatigen Vertrag zwar erst mal ungewohnt gewesen, bietet so aber den Vorteil, ein gesichertes Arbeitsverhältnis zu haben.» Während der ruhigeren Phasen werden im Kronenhof künftig vermehrt interne Schulungen durchgeführt, längere Ferien werden den Mitarbeitenden jeweils im Frühling ermöglicht.

Für Marc Eichenberger stellt die Neuerung einen doppelten Mehrwert dar. «Zum einen erleben unsere Gäste das Engadin in der zusätzlichen Zeit von einer neuen Seite. Zum anderen zeigen wir unseren Mitarbeitenden durch längere Arbeitsverträge noch stärker unsere Wertschätzung.»

Nicht nur Mitarbeitenden-, sondern auch Gästebindung
Im Hotel Castell in Zuoz macht sich Hoteldirektorin Christine Abel ebenfalls Gedanken zur Saison- und Vertragsverlängerung. «Wir beginnen bereits jetzt aktiv, bestehende Mitarbeiter durch Anbieten von Zehnmonatsverträgen ab Sommer 2023 zu behalten und guten Mitarbeitern den Saisonvertrag in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis umzuwandeln.» Während der Zwischensaison können nach wie vor Überzeit kompensiert oder Ferien bezogen werden. Das Risiko, dass Teammitglieder zwischenzeitlich in ein Arbeitszeitminus fallen, nimmt Christine Abel in Kauf.

Um das Team während der laufenden Sommersaison zu entlasten, bietet das Hotel Castell den Gästen aktiv an, freiwillig auf eine Zimmerreinigung zu verzichten. Auch im Restaurant wurden Massnahmen erfolgreich umgesetzt. «Wir kontaktieren die Gäste im Vorfeld telefonisch, erkundigen uns nach speziellen Wünschen, um diese zeitnah und vor der Anreise noch zu takten und um die Tischreservierung für den Abend und die Wunschuhrzeit vereinbaren zu können.»

Dies erleichtere die Dienstplangestaltung in erster Linie für den Mitarbeitenden und für die Wirtschaftlichkeit des Betriebes. Aber auch die Gäste schätzten die Massnahme, so Abel: «Unsere Gäste finden es sogar sehr charmant, vor den Ferien kontaktiert zu werden, um den einen oder anderen Wunsch noch bekannt zu geben. Die persönliche Beziehung zum Gast wird dadurch gefördert.»

Bergbahnen müssen bei Saisonverlängerung mitspielen
Im Oberengadin spielen die Bergbahnen mit der verlängerten Saison in der Hotellerie mit. Sie sind teilweise ganzjährig geöffnet und die Skipisten bereits Mitte oder Ende Oktober präpariert. Die Walliser Hotellerie sieht sich gemäss Markus Schmid, Präsident des Walliser Hoteliervereins, diesbezüglich noch an einem anderen Punkt. «Die Bahnen sind der Ansicht, dass sich eine verlängerte Saison umsatzmässig nicht lohnt.»

Auch Schmid zweifelt an der Nachfrage, im April noch Ski zu fahren. Für den Gastgeber im Wellnesshotel Salina Maris in Breiten ist angesichts des Fachkräftemangels eine Optimierung des Hotelangebots sinnvoller: «Es geht nicht darum, was der Gast bereit ist zu akzeptieren, sondern darum, was er bereit ist zu zahlen.»


Diese Tipps gilt es für Arbeitgeber zu beachten

Mitarbeitendenbetreuung von A bis Z
Der Employee Journey hört nie auf. Das Mitarbeitendenverhältnis muss vom Eintritt bis nach dem Austritt aus dem Betrieb gepflegt werden. Der regelmässige Kontakt, auch mit ehemaligen Mitarbeitenden, führt zu relevanten Feedbacks und zur künftigen erfolgreichen Teamakquise.

Motivation am Arbeitsplatz
Lohn und Arbeitszeiten können nicht laufend angepasst werden. Die Atmosphäre am Arbeitsplatz, der Umgang mit- und untereinander, die Kultur und Wertschätzung im Unternehmen hingegen schon. Dazu gehören auch Tätigkeitsmitgestaltung durch die Mitarbeitenden, ihre Weiterbildung und Selbstverwirklichung.

Tue Gutes und sprich darüber
Kaum eine Branche hat so viel zu bieten wie der Tourismus. Die Vorzüge müssen ins rechte Licht gerückt werden. Die Flexibilität und die Dynamik der Branche müssen nach aussen kommuniziert werden.  kohl-partner.ch

Nora Devenish