Konstantin Filippou ist einer von Wiens 2-Sterne-Köchen. Seite an Seite mit seinem Fine-Dining-Restaurant im 1. Bezirk liegt das «O boufés», wo es etwas weniger ausführlich zu und her geht. Und: Hier serviert Filippou ausschliesslich Naturweine.

Wer eine Fahrt auf einer önologischen Geisterbahn erleben will, liegt im «O boufés» goldrichtig, und am besten überlässt man die Weinbegleitung zu den Häppchengerichten den Sommeliers, denn für klassisch geschulte Weintrinker ist das Angebot so undurchschaubar wie Bitcoins für Geldstrumpfsparer.

Die Sommeliers sind sich durchaus bewusst, dass sie sich auf dünnem Eis bewegen, und so bieten sie den Gästen immer erst ein Kostschluckerl an, bevor sie das Glas vollmachen. Fürs Auffüllen stehen die Chancen beim Weisswein in der Regel besser als beim Rotwein, weil sich durch die unterschiedliche Kelterungsart Unbekanntes offenbart, was auch neue Kombinationen mit Gerichten ermöglicht.

Was als weisser Naturwein angeboten wird, ist oft maischevergoren, also mit Schalen, Trub und manchmal gar mit Rappen gekeltert wie Rotwein. Dies ändert den bekannten Geschmack ganz und gar: Tannine machen sich bemerkbar, auch Aromen aus der Traubenhaut, und da kein oder nur sehr wenig Schwefel eingesetzt wird, wirken die Weine auch im jugendlichen Stadium gereifter, mitunter oxidativer als die geschwefelten. Goldgelbe bis orange Farbtöne sind die Regel, daher auch der Name Orange Wine, ein weiterer Begriff, der für diesen Weintyp im Umlauf ist. Und dass viele im Glas nicht funkeln, sondern verschleiert oder gar trüb sind, hat damit zu tun, dass sie nicht filtriert werden.[DOSSIER]

Bei den Rotweinen unterscheidet sich die Praxis weniger von einer konventionellen Kelterung. Typisch bei sogenannten Naturweinen ist, dass die Trauben aus biologischem Anbau stammen, der Most mit safteigenen Hefen vergoren wird und dass Schwefel – wenn überhaupt – nur in geringsten Mengen eingesetzt wird. Im Keller wird also nicht oder nur minimal interveniert, und das ist beileibe nicht immer zum Guten des Weins.


Kostproben

Naturweine werden vor allem im Fachhandel angeboten. Noch gibt es für diesen Weintyp keine Reglementierungen und offi ziellen Kennzeichnungen. Fündig wird man bei Produzenten der Vereinigungen «La Renaissance des Appellations», «Respekt» und bei französischen Weinen mit dem «Biodyvin»-Label. Zu den Produzenten der ersten Stunde zählt Josko Gravner im Friaul, in Österreichs Kamptal brilliert Fred Loimer, in der Schweiz die Domaine Cruchon in der Waadt.


[IMG 2]

  • Amphorenwein Anfora Ribolla Gialla 2013 Gravner, Oslavia, Italien 75 cl – Fr. 78.–, erhältlich bei: Caratello, St. Gallen

  • Schwefelloser Nihilo Nature 2020 Domaine Henri Cruchon, Echichens, Schweiz 75 cl – Fr. 28.50, erhältlich bei: Cultivino, Liebefeld/Bern

  • Maischevergorener Traminer mit Achtung 2016 Weingut Loimer, Langenlois, Österreich 75 cl – Fr. 34.–, erhältlich bei: Vinothek Brancaia, Zürich


Stefan Keller ist regelmässiger Autor bei der «Schweizerischen Weinzeitung» und ist in der Valtellina als Weinproduzent tätig. Er zählt zu den Gründern der Vereinigung Mémoire des Vins Suisses und ist Ehrenmitglied des SommelierVerbands Schweiz. Stefan Keller lebt und arbeitet in der Schweiz und in Wien.
stefankellerpartner.com