Realistische Einschätzungen zur touristischen Erholung der Fernmärkte können in Pandemiezeiten nur zum Scheitern verurteilt sein. Mit dem Aufkommen der neuen Virusmutation Omikron Ende November sind jegliche Hoffnungen auf eine baldige Markterholung wieder Makulatur geworden. Dabei beeinflussen sich ständig ändernde Reiserestriktionen und das individuelle Sicherheitsgefühl die touristischen Reisepläne.

Der Schweizer Binnenmarkt und das europäische Gästesegment zogen 2021 trotz der launischen Sommermonate stark an und bescherten einigen ländlichen Destinationen traumhafte Logiernächtezahlen. Die Sommersaison fand einen erfreulichen Abschluss, und die Aussicht auf die Herbst- und Wintersaison war nicht so schlecht.

Nur das Ausbleiben der aussereuropäischen Gäste verdarb einigen Destinationen die Stimmung. St. Moritz beispielsweise hat sich in den letzten Jahrzehnten verstärkt auf den internationalen Tourismus ausgerichtet und leidet – wie auch städtische Destinationen – an den Folgen der Pandemie. Nach wie vor sind die Logiernächte im Sinkflug, und gegenüber dem Boomjahr 2019 haben sie sich in St. Moritz fast halbiert. Conrad Meier, Präsident von HotellerieSuisse Region Zentralschweiz, fasst das Fernbleiben der asiatischen Gäste drastisch und prägnant zusammen: «Leere Städte, leere Schiffe, leere Betten.»

Erschwerend zur volatilen Lage der Corona-Entwicklung kommen die uneinheitlichen Reiseregeln hinzu, die sich je nach Stand der Belegungsquote auf den Intensivstationen schnell wieder ändern können und für Verunsicherung, Zeitverzögerungen und zusätzliche Kosten sorgen. Internationale Gäste müssen geimpft sein und in den meisten Fällen bei der Einreise noch zusätzlich einen negativen Test vorweisen. Auch die (einfache) Verfügbarkeit solcher Tests und die Frage, wer für die Kosten aufkommt, spielen heute bei Reiseentscheidungen eine grosse Rolle. Darüber hinaus müssen die Reisenden nicht nur die Einreisebedingungen ihres Ziellandes im Auge haben, sondern auch die Rückreisebestimmungen im Heimatland. Für viele Gäste sind dies Hürden, die sie partout nicht nehmen wollen oder können. Stand Herbst 2021 müssen Reisende nach China beispielsweise für 14 Tage in Quarantäne – das mag für Heimatrückkehrer (wie Studierende oder Mitarbeitende im Auslandseinsatz) noch akzeptabel sein, für chinesische Urlauber mit ihren wenigen Ferientagen ist dies schlichtweg nicht möglich.

Von der Pandemie und ihren Folgen sind alle Zielgruppensegmente gleichermassen betroffen. Egal ob Reisende im Grossgruppengeschäft der Veranstalter, organisierte Kleingruppen, Personen im Familienverband oder individuell reisende Feriengäste – das Virus macht keinen Unterschied. Im Hinblick auf eine mögliche Erholung des Fernmärktegeschäfts gibt es aber einen Unterschied: Es kann davon ausgegangen werden, dass sich der Free-Independent-Traveller-Markt (FIT-Markt) aufgrund seiner grösseren Flexibilität noch vor dem Segment der Gruppenreisenden erholen wird. Auch die MICE-Reisenden werden sich eher später als früher auf den Weg machen.

Erschwerend zur volatilen Lage der Corona-Entwicklung kommen die uneinheitlichen Reiseregeln hinzu.

Dr. Thuc Lan Tran, Dozentin und Programmleiterin am Institut für Tourismus und Freizeit (ITF) der FH Graubünden

Noch im frühen Herbst waren die Experten vorsichtig optimistisch: Die Einschätzung auf die Frage, wann mit einer vollkommenen Markterholung gerechnet werden kann, reichte dabei von einem Jahr bis zu vier Jahren.

Europas wichtigste Verkehrsdrehscheibe, der Londoner Flughafen Heathrow, geht davon aus, dass der Reiseverkehr erst 2026 wieder das Niveau vor Covid erreichen wird. Auch Stephan Widrig, CEO des Flughafens Zürich, geht von einer mehrjährigen Erholungsphase aus. Stefan Nydegger, Direktor von Schweiz Tourismus, setzt seine Hoffnung auf eine erste Rückkehr der asiatischen Gäste ebenfalls auf 2022: «2022 bis 2024 werden grosse Jahre sein.» Nach 2024 soll die Erholungsphase abgeschlossen sein und anschliessend die Normalisierungsphase beginnen.

Bei den internationalen Gästeankünften in der Schweiz erholt sich der US-amerikanische Markt eher als der asiatische. Laut der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich stieg die Nachfrage von US-Touristinnen und -Touristen im August spürbar. Bemerkenswert sind auch die steigenden Zahlen der Logiernächte von Touristen aus den Golfstaaten. Die KOF sieht hier einen Zusammenhang mit der Impfquote des Quellmarktes: So verzeichnen die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) mit einer Vollimmunisierungsrate von mehr als 85 Prozent der Bevölkerung über zwölf Jahre die höchste Impfquote weltweit.

Das Aufkommen der neuen Variante Omikron «wirft den Tourismus um Monate zurück», schreibt die «Neue Zürcher Zeitung» Anfang Dezember. Behördliche Auflagen wie Einstufungen als Risikoland oder Quarantänemassnahmen für Ungeimpfte lassen Gäste ihre Ferien in der Schweiz stornieren. Auch wenn die Reisebranche im Rahmen ihrer Möglichkeiten an Stellschrauben wie einfacheren Zugängen zu Teststationen oder kulanten Stornierungszusagen arbeitet, bleibt die weitere Entwicklung für alle Beteiligte höchst unsicher.

Sicher ist nur eines: Eine schnelle Erholung aller internationalen Herkunftsmärkte ist derzeit nicht in Sicht, denn das Virus wird nicht von heute auf morgen verschwinden. Sollte die Schweiz allerdings gestärkt aus der Pandemie hervorgehen und die Herausforderungen als Chance nutzen, kann sie ihrem Ruf als zuverlässige, saubere und sichere Destination für Reisende aus aller Welt gerecht werden.

Dr. Thuc Lan Tran ist Dozentin und Programmleiterin am Institut für Tourismus und Freizeit (ITF) der FH Graubünden und beschäftigt sich schwerpunktmässig mit internationalen Beziehungen (vorrangig China) und interkulturellen Themen.