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Dossier: Frauen in der Branche
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Dossier: Frauen in der Branche

Frauen bewirken Grosses

Zum Internationalen Frauentag am 8. März 2022 hat die htr hotel revue eine Ausgabe den Frauen in der Branche gewidmet. Hier finden Sie die Themen.

Laufbahn

«Man muss Ziele haben im Leben»

Felicia Ludwig ist Patissière im «Ornellaia» in Zürich. Zudem trägt sie heuer den Gault-Millau-Titel «Patissière des Jahres». Der Weg dorthin war weit.
Bernadette Bissig
Die 39-jährige Rumänin hat sich ihre Position als Patissière hart erarbeitet.
Die 39-jährige Rumänin hat sich ihre Position als Patissière hart erarbeitet. Bild: Valeriano Di Domenico
Bild: Valeriano Di Domenico

Wer im Restaurant Ornellaia in der Zürcher Innenstadt Platz nimmt, lässt sich das Dessert meist nicht entgehen. Weder am Mittag noch am Abend. Und nun, seit Felicia Ludwig den Gault-Millau-Titel «Patissière des Jahres 2022» trägt, sind ihre Kreationen noch beliebter. «Die Gäste bedanken sich für meine feinen Desserts und gratulieren mir zum Titel», erzählt die zierliche Zuckerbäckerin. «Es ist ein grossartiges Gefühl und eine tolle Motivation», freut sie sich. Und es sei eine Bestätigung, dass es sich lohne, 13 bis 14 Stunden pro Tag in der Küche zu stehen.

Sowohl am Mittag als auch am Abend schickt sie durchschnittlich 30 Desserts. Das braucht eine gute Planung. Denn viel Platz steht der Patissière nicht zur Verfügung. Sei es an ihrem Posten in der offenen Küche, oder sei es, was den Stauraum anbelangt. So produziert sie jeweils für zwei Tage vor. Während des Services wird sie vom Team unterstützt. Demnächst auch von einer Praktikantin, die bei ihr Einblick ins Patisseriehandwerk erhält.

Von der abstrakten Informatik zur exakten Patisserie
Dass sie mal in einem Zürcher Punktelokal im Fokus der Aufmerksamkeit stehen würde, ahnte sie nicht, als sie in ihrer Jugend in Rumänien jeweils sonntags für ihre Familie und ihre Nachbarschaft Kuchen und Torten buk. Trotz ihrer offensichtlichen Leidenschaft fürs Backen entschied sie sich für eine Informatikausbildung. Für die Liebe verliess sie ein paar Jahre später ihr Heimatland. Ihre neue Wahlheimat erwies sich jedoch als hartes Pflaster, und die Ehe war schwierig. So beschloss Ludwig, ihrem Leben einen neuen Dreh zu geben, einen Job zu suchen und Deutsch zu lernen. In einem Gasthof in Schwäbisch Hall fand sie eine Anstellung als Abwascherin.

Ihr Chef realisierte schnell, dass sie viel Talent fürs Backen hatte – Ludwig brachte jeweils selbst gebackene Süssigkeiten mit. So bewog sie ihr Vorgesetzter dazu, eine Ausbildung zur Köchin oder Konditorin in Angriff zu nehmen. Sie entschied sich für die Kochlehre, denn so konnte sie die Ausbildung in dem Gasthof absolvieren. Der Anfang war entmutigend, zu mangelhaft war ihr Deutsch. «In der Berufsschule verstand ich praktisch kein Wort, und mit meinen 27 Jahren war ich die Älteste. Ich war verzweifelt und wollte die Ausbildung abbrechen», erinnert sich Ludwig.

Ich war verzweifelt und wollte die Ausbildung abbrechen.

Destination Schweiz: Wo es hingehen sollte, war bereits vor der Lehre klar
Ihr Arbeitgeber überzeugte sie, weiterzumachen. So setzte sie ihre Lehre mit zusammengebissenen Zähnen fort. Neben den sprachlichen Hürden hatte sie auch mit finanziellen Engpässen zu kämpfen. «Der kleine Lehrlingslohn reichte nirgends hin. Um über die Runden zu kommen, übernahm ich im Gasthof an den Wochenenden Aufgaben im Housekeeping», erzählt Ludwig. So arbeitete sie während der drei Jahre dauernden Ausbildung praktisch sieben Tage die Woche. Und hatte nach Lehrabschluss doch Schulden zu tilgen.

Dass sie nach der Ausbildung in die Schweiz kam, war kein Zufall: Kurz bevor Ludwig ihre Lehre anfing, hatte sie ihren Chef in die Schweiz begleitet. Und war begeistert – von den Bergen, von den Seen. «Ich habe mich auf Anhieb verliebt in das Land und wusste, dass ich nach meiner Ausbildung hierhin wollte», erinnert sich die Patissière. «Man muss Ziele haben im Leben.»

Vor sechs Jahren begann die Zusammenarbeit mit Antonio Colaianni
Ihre erste Stelle trat sie dann tatsächlich in der Schweiz an – in St. Moritz im «Suvretta House». Nach einer Saison wechselte sie ins «Eden Roc» nach Ascona. Dort, im Restaurant La Brezza, war sie bei Rolf Krapf zu 50 Prozent als Köchin und zu 50 Prozent als Patissière tätig. Im «La Brezza» kristallisierte sich heraus, dass sie die Patisserie zu ihrem Beruf machen wollte.

Antonio hat mich immer gepusht, Neues zu wagen. Ohne ihn wäre ich nicht da, wo ich heute bin.

Nach Ascona wechselte sie nach Zürich ins «Clouds», und vor sechs Jahren begann die Zusammenarbeit mit Antonio Colaianni. Zuerst im «Mesa», dann im «Gustav» und nun im «Ornellaia», einem Gemeinschaftswerk des toskanischen Weinguts und der Familie Bindella. «Antonio hat mich immer gepusht, Neues zu wagen. Ohne ihn wäre ich nicht da, wo ich heute bin.»

Die klassischen Rezepte dienen als Basis
Was sie von ihrem Chef und Förderer ebenfalls gelernt hat, ist der Einsatz von Säure in Desserts. «Antonio hat mir aufgezeigt, dass Säure Desserts leichter und frischer macht», sagt Ludwig. Überhaupt legt sie grossen Wert darauf, dass ihre Desserts bekömmlich daherkommen. Aus diesem Grund setzt sie nur laktosefreie Milch und Rahm ein, geht mit dem Zucker an die unterste mögliche Grenze und verwendet Kräuter und Gewürze. Und sie experimentiert mit veganen Desserts. [DOSSIER]

Doch bei aller Experimentierfreudigkeit sind die klassischen Rezepte als Ausgangslage ihr oberste Gebot. Auf dieser Basis interpretiert sie die Desserts neu oder dekonstruiert sie, um den Klassikern einen ungewohnten Twist zu verleihen. Dabei lässt ihr Colaianni viel Spielraum. Einzige Bedingung: Der Caffè freddo muss auf der Karte bleiben. Und sowieso, «Antonio hätte gerne etwas mehr Desserts italienischen Ursprungs auf der Karte», erzählt Ludwig in ihrem perfekten Deutsch und schmunzelt. Mit Sicherheit wird sie einen guten Weg finden, auch wenn ihr Herz für die französische Patisserie schlägt.

Neben ihrem fordernden Job gibt sie seit einiger Zeit auch Backkurse und plant ein eigenes Backbuch. Und als langfristiges Ziel träumt sie von einer eigenen Konditorei mit Café. Dass ihr kein Weg zu weit ist, hat sie ja bereits mehrfach bewiesen.

Bernadette Bissig

Kaffeepause mit Eva Brechtbühl

«Unsere Branche eignet sich hervorragend für Frauen in Kaderpositionen»

Mehr als ein halbes Jahrhundert Engagement für den Schweizer Tourismus: Die 73-jährige Tourismusexpertin Eva Brechtbühl erlebte, wie sich die Rolle und die Akzeptanz der Frauen in der Branche entwickelte.
Natalie-Pascale Aliesch
Eva Brechtbühl startete ihre touristische Karriere mit 23 Jahren und blieb der Branche mit viel Engagement über 50 Jahre lang treu.
Eva Brechtbühl startete ihre touristische Karriere mit 23 Jahren und blieb der Branche mit viel Engagement über 50 Jahre lang treu. Bild: Corinne Glanzmann
Bild: Corinne Glanzmann

Eva Brechtbühl, Ihr touristischer Karrierestart erfolgte 1971 als 23-Jährige bei der Schweizerischen Verkehrszentrale (SVZ, heute Schweiz Tourismus). Mussten Sie sich damals besonders beweisen, um als Frau in der Branche Anerkennung zu erlangen?
Ich hatte Glück, weil mich die Vorgesetzten, insbesondere der damalige Direktor Werner Kämpfen, für voll nahmen. Ich konnte rasch recht selbstständig arbeiten.

In dieser Zeit gehörte die Frau hauptsächlich an den häuslichen Herd. Sie setzten auf die Karte Karriere. Wie reagierte Ihr Umfeld auf diesen Entscheid?
Meine Eltern und auch gewisse Freunde, vor allem diejenigen, die schon auf dem «Familien-Trip» waren, fragten mich hin und wieder, ob ich glücklich sei und ob ich wirklich Karrierepläne verfolgen wolle. Für mich war schon mit 20 ziemlich klar, dass ich im Beruf, im Tourismus weiterkommen wollte.

Gab es Situationen in Ihrer Laufbahn, in denen Sie sich als Frau je benachteiligt fühlten?
Ja, einmal, nämlich bei meiner Rückkehr an den Hauptsitz nach zwei Jahren Aussenstation in Rom. Ich war überzeugt, die damals aufzubauende Informationsabteilung leiten zu können, doch ein Mann wurde mein Chef. Da war Taktik angesagt! Und nach kurzer Zeit wurden mir Projekte zugeteilt, die ich in Eigenverantwortung bearbeiten konnte. Der Chef wurde ein lieber Kollege, und ein Jahr später konnte ich die Abteilung übernehmen.

Wie hat sich das 1971 angenommene Frauenstimmrecht auf den Stellenwert der Frau in der Branche ausgewirkt?
Nun ja! In unserem Land dauert alles etwas länger. In den 70er-Jahren änderte sich noch nicht allzu viel. Bei der SVZ hatten wir immerhin eine erste Agenturchefin in Schweden. Anfang der 80er-Jahre wurde ich die erste SVZ-Sektionschefin innerhalb des Gehaltssystems des Bundes.

Die 1948 in Zürich geborene Tourismusexpertin setzte fast ihr ganzes Berufsleben in den Dienst des Schweizer Tourismus. 1971 stiess sie zur Schweizerischen Verkehrszentrale (heute Schweiz Tourismus) in Zürich. Bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 2008 durchlief sie zahlreiche Stationen – von der Direktorin in Auslandvertretungen über die Leitung verschiedener Bereiche am Hauptsitz bis zum Mitglied der Geschäftsleitung. Sie übernahm Projektentwicklungen, Sponsoring sowie strategische und politische Aufgaben und sass in Beiräten und Verwaltungsräten diverser touristischer Organisationen. Seit 2008 ist sie Fachexpertin für Tourismusprojekte der Schweizer Berghilfe und seit 2015 im Touristischen Beirat des Kantons Glarus. Im vergangenen November wurde die 73-Jährige mit dem Milestone-Tourismuspreis für ihr Lebenswerk ausgezeichnet.

Wie sehen Sie die Lohnentwicklung bei den Frauen in der Branche seither?
Damals waren die Löhne noch ein Tabu. Man wagte kaum, eine Lohnvorstellung zu äussern. In den letzten Jahren hat sich in Sachen Entlöhnung auch in der Tourismusbranche einiges bewegt. Seit der Revision des Gleichstellungsgesetzes ist die Zeit der Ausreden vorbei. Die Frauen holen auf, zum Glück. Ich empfehle Frau, den Lohn und die Frage der Lohngleichheit unbedingt anzusprechen, sei es im Anstellungsgespräch oder in den Mitarbeitendengesprächen.

Wo sehen Sie die Hauptgründe dafür, dass es in der Branche immer noch wenig Frauen in Führungspositionen gibt?
Es gibt Männer, welche die Konkurrenz der Frauen fürchten. Und es gibt Frauen, die sich eine Führungsposition nicht zutrauen. Dabei eignet sich unsere Branche hervorragend für Frauen in Kaderpositionen. Der Tourismus wird weiblicher – auch bei den Gästen. Es sind auch meistens die Frauen, die in der Familien den Ferienentscheid fällen.

Wo müsste angesetzt werden, damit es mehr Frauen in Führungspositionen schaffen?
Quoten lehne ich ab. Es gilt, Bestqualifizierte – ob Frau oder Mann – zu engagieren. Bei Schweiz Tourismus gibt es inzwischen viele Frauen in Führungspositionen, in der Hotellerie ebenfalls. In der Ausbildung muss unbedingt auf diesen Aspekt hingearbeitet werden: Förderung, Mut machen, Schulung des überzeugten Auftretens und der Kommunikation. Frau muss sich mit dem Job identifizieren können.

Welche Frauen machen Ihrer Ansicht nach einen guten Job?
Eva Jaisli, CEO der PB Swiss Tools. Sie führt seit vielen Jahren erfolgreich das traditionsreiche Emmentaler Familienunternehmen. Werk-zeugtechnik ist eine Männerdomäne, doch es gelingt ihr, in allen Produktions- und Hierarchiestufen mindestens 30 Prozent Frauen zu beschäftigen, dies auch mit neuen Arbeitszeitmodellen. Eine innovative, verantwortungsvolle und sehr menschliche Managerin, die mich beeindruckt.

In welchem Ranking würden Sie gerne eine Frau zuoberst sehen?
Ich hätte schon Freude, wenn dereinst eine Frau CEO von Schweiz Tourismus würde. Schön fände ich auch, wenn in unserer Branche mehr Frauen den Sprung in Vorstände oder Verwaltungsräte schaffen würden.

Was würden Sie heute anders machen als vor 50 Jahren?
Ein Studium! Aber ich war immer eine Frau, die anpacken wollte – hands on! – und die Resultate sehen wollte. So war ich wohl am richtigen Ort und habe es nie bereut.

Quoten lehne ich ab. Es gilt, Bestqualifizierte – ob Frau oder Mann – zu engagieren.

Sie sind eine gute Netzwerkerin. Was raten Sie jungen Frauen, wie sie sich beruflich breit vernetzen können?
Ich halte nicht allzu viel von den existierenden Frauen-only-Netzwerken. Der Mix macht es doch aus. Eine solide Ausbildung ist sicher die Basis, doch dann braucht es eben Offenheit, Neugier, Empathie und ein gewisses Talent, auf die Menschen zuzugehen. Sicher fördern auch «Pfadi», Sport-, Freizeit- und Kulturvereine oder -clubs die gute, natürliche Kommunikation.

Mit welcher berühmten Frau würden Sie gerne zu Abend essen?
Ich war zwei Jahre Direktorin der Schweiz- Tourismus-Vertretung am Swiss Center in London. Die Theatermeile war gleich um die Ecke, und so genoss ich tolle Theaterabende. Eine grosse englische Schauspielerin ist Judi Dench. Sie spielte lange im Ensemble der Royal Shakespeare Company auf der Theaterbühne und wurde in unzähligen Rollen zum Filmstar – darunter jene als «M» in den «James Bond»-Filmen. Mit ihr möchte ich mich einen Abend lang unterhalten und amüsieren. Sie verfügt über einen grossartigen «british humour».

Welchen Jugendstreich vergessen Sie nie?
Ende der Primarschulzeit baute ich mit zwei Freundinnen einen Stand an einer Fussgängerpassage in unserem Quartier. Wir brieten Marroni und fingen an, sie zu verkaufen. Da kam die Polizei. Sofort überzeugten wir den Polizisten, dass die Einnahmen nicht für uns seien, sondern wir für die Schweizer Berghilfe sammelten. Schnell malten wir ein entsprechendes Plakat und waren mit dem Verkauf sehr erfolgreich. Unsere Eltern schalteten sich ein, und wir durften ein Taschengeld behalten. Vielleicht mein erstes richtiges Teamwork? [DOSSIER]

In wessen Schuhe möchten Sie einen Tag lang schlüpfen?
In niemandes Schuhe! Aber ich möchte zu gerne in rund 100 Jahren einen Tag lang zurückkehren, um zu sehen, welche technischen Errungenschaften – insbesondere auch in der Kommunikation und der Roboter-Forschung – sich die Menschheit bis dahin ausgedacht hat.

Was bevorzugen Sie: ein 12-Gang-Fine-Dining in einem Albergo diffuso oder ein Picknick im Park eines 5-Sterne-Luxushotels?
Ganz klar ein Picknick im Park. Angelehnt an ein unvergessliches Opernerlebnis im Park des Landhauses Glyndebourne in der englischen Grafschaft East Sussex, wo man sich mit einem gut gefüllten Picknickkorb ins Gras setzt und die Musik geniesst. 

Frauenhotels

Hotels nur für Frauen – wie geht das?

Mal Hort der Moral, mal Treffpunkt für Karrierefrauen, mal therapeutischer Kraftort: Unterkünfte, die exklusiv Frauen empfangen, hatten im Lauf der Geschichte schon so manches Gesicht. Und welche Zukunft haben sie?
Mischa Stünzi
Frauen vor dem Frauenhotel Martha Washington in New York (1912).
Frauen vor dem Frauenhotel Martha Washington in New York (1912). Bild: Library of Congress
Bild: Library of Congress
Frauen kommen im Marthahaus im Zürcher Niederdorf an (um 1925).
Frauen kommen im Marthahaus im Zürcher Niederdorf an (um 1925). Bild: Compagna
Bild: Compagna
Blick vom Hotel Barbizon auf New York City (1932).
Blick vom Hotel Barbizon auf New York City (1932). Bild: Library of Congress
Bild: Library of Congress
Zimmer im Hotel Barbizon (1942).
Zimmer im Hotel Barbizon (1942). Bild: Library of Congress
Bild: Library of Congress
Blick vom Frauenhotel Revital. Rechts im Bild die Dépendance Bois-Joly.
Blick vom Frauenhotel Revital. Rechts im Bild die Dépendance Bois-Joly. Bild: Pascale Pilloud
Bild: Pascale Pilloud
Die Dachterrasse des Josephine's Guesthouse for Women wird von den Gästen gemeinsam genutzt, was im Gasthaus für WG-Groove sorgt.
Die Dachterrasse des Josephine's Guesthouse for Women wird von den Gästen gemeinsam genutzt, was im Gasthaus für WG-Groove sorgt. Bild: zvg
Bild: zvg

Erst im Zuge der Industrialisierung wurde es üblich, dass alleinstehende Frauen überhaupt ihr Heim verliessen. Damals zogen junge Frauen auf der Suche nach Arbeit vom Land in die Städte. In vielen urbanen Zentren entstanden in der Folge Frauenunterkünfte – teils aus Sorge um die Moral der jungen Damen, teils um diese zu schützen. In solchen Pensionen lebten die Arbeiterinnen oft unter gestrenger Aufsicht einer «Hausmutter».

[IMG 2]Auch in der Schweiz entstanden damals Frauenunterkünfte. Etwa in Zürich das Marthahaus, heute das Hotel Marta, und das gleichnamige Haus in Bern, heute ebenfalls ein Hotel. Betrieben wurden beide vom 1877 gegründeten Verein «Freundinnen junger Mädchen». Die Organisation, die sich heute Compagna nennt, kämpfte in ganz Europa gegen Mädchenhandel und Prostitution. Der Name einer weiteren Zürcher Einrichtung aus jener Zeit belegt, dass die Unterkünfte damals mehr Heim als Hotel waren: «Töchterheim an der Lutherstrasse». An dessen Stelle steht heute das Josephine’s Guesthouse for Women.

Das New Yorker Hotel, «das die Frauen befreit hat»
Die ersten «echten» Hotels nur für Frauen entstanden in den USA. Um die Zeit der Weltkriege veränderte sich das Selbstverständnis der Frauen. Sie studierten, machten Karriere und wollten das Leben geniessen. Die eher biederen «Moralpensionen» waren nichts für sie.[IMG 3]

Es war die Zeit legendärer Frauenhotels wie des «Martha Washington» und des «Barbizon» in New York. Letzteres wurde auch dank Bewohnerinnen wie Grace Kelly, Liza Minnelli und Nancy Reagan selbst zur Berühmtheit. Die Bewohnerinnen konnten in den Unterkünften Kontakte knüpfen und so ihre Karrieren vorantreiben.[IMG 4]

Letztlich wurden die Hotels Opfer ihres eigenen Erfolgs. Sie trieben die Emanzipation voran, indem sie Singlefrauen Raum boten, sich zu entfalten. Die Historikerin Paulina Bren nennt ihr Buch über das «Barbizon» denn auch: «The Hotel That Set Women Free». In den 70er-Jahren hatte sich die Gesellschaft so weit verändert, dass Frauenhotels aus der Mode kamen.

Frauenhotel im Jura führte zwischenzeitlich eine Warteliste
Zwanzig Jahre später und 6200 Kilometer weiter östlich wurde im jurassischen Wintersportort Les Rasses das erste wirkliche Frauenhotel der Schweiz eröffnet. Das «Revital» feiert dieses Jahr sein 30-jähriges Bestehen. Ein halbes Jahr nach dem «Revital», im Frühling 1993, eröffnete oberhalb des Walensees das Frauenhotel Monte Vuala (das 2005 aufgelöst wurde). Interessanterweise positionierten sich beide Unterkünfte ganz ähnlich: als Kraftort, an dem sich Frauen erholen können. Im Zentrum standen von Beginn weg Angebote wie Yoga, Meditation, Wellness und gesundes Essen.

«Irgendwann einmal hatte das Hotel den Spitznamen ‹Hexenzentrum›.»

Pascale Pilloud
Inhaberin und Direktorin des Frauenhotels Revital

In den frühen Jahren machten wilde Gerüchte die Runde, was in diesen Hotels alles passiere. «Irgendwann einmal hatte das Hotel den Spitznamen ‹Hexenzentrum vom Balcon du Jura›», sagt Pascale Pilloud, die das «Revital» seit 15 Jahren besitzt und leitet. Heute sei das ganz anders: Der Betrieb gehöre zu den wichtigsten Arbeitgebern in der Gemeinde. Und vom Erfolg des Hotels profitiere auch das lokale Gewerbe. So können die Gäste zum Beispiel per Bestellschein beim Käser einkaufen, der dann ins Hotel liefert.

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Der Erfolg gibt Pilloud recht: 70 Prozent der Gäste sind Stammgäste. Zumindest war das vor der Pandemie so. Denn seit Corona seien enorm viele neue Gäste dazugekommen. So viele, dass die Direktorin zwischenzeitlich Wartelisten führen musste. Sie ist überzeugt, dass das Bedürfnis nach dieser Art von Urlaub in Zukunft noch zunehmen wird.

Das «Revital» ist übrigens nicht 365 Tage im Jahr ein reines Frauenhotel. An zwei Wochen pro Jahr treffen Frauen und Männer aufeinander, und eine Woche pro Jahr sind die Männer unter sich. «Wenn Männer zum ersten Mal zu uns kommen, reisen viele mit dem Bike auf dem Gepäckträger an. Wahrscheinlich ist es für sie einfacher, den Kollegen zu sagen, sie gingen zum Biken in den Jura als zum Erholen ins Frauenhotel», sagt Pilloud und lacht.

Frauenhotel empfängt ein Jahr nach Eröffnung auch Männer
Ein anderes «Frauenhotel», in dem Männer willkommen sind, ist das ehemalige «Ladys First» im Zürcher Seefeld, das Anfang April nach einem Umbau unter dem Namen Alma Hotel wiedereröffnen wird. Es wurde 2001 als Frauenhotel gegründet, liess aber bereits ein Jahr später aus wirtschaftlichen Gründen auch männliche Gäste zu.

«Die Positionierung hängt davon ab, ob ein entsprechendes Bedürfnis besteht.»

Verena Kern Nyberg
Direktorin der vier Hotels von Sinn & Gewinn

Im Zuge des Umbaus zum ursprünglichen Konzept zurückzukehren, sei nie eine Option gewesen, sagt Verena Kern Nyberg, Direktorin der vier Hotels von Sinn & Gewinn – dazu gehören neben dem «Alma» die erwähnten Hotels Marta und Josephine’s Guesthouse in Zürich sowie die Pension Bienvenue in Lausanne. Die beiden Letzteren empfangen exklusiv Frauen und laufen gemäss Kern Nyberg sehr gut.

Dass sie im «Alma» trotzdem an der gemischten Klientel festhält, hat mit den unterschiedlichen Zielgruppen zu tun: «Im ‹Josephine’s› und im ‹Bienvenue› bleiben die meist jungen Gäste in der Regel länger als ein paar Tage. Dort herrscht dank Ess- und Wohnzimmer, Gemeinschaftsküche und Dachterrasse ein bisschen WG-Groove.»

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Die Positionierung hänge davon ab, ob ein entsprechendes Bedürfnis bestehe, findet Kern Nyberg. So funktionierten Frauenparkplätze deshalb so gut, weil Frauen möglichst rasch und sicher aus dem Parkhaus in den belebten öffentlichen Raum kommen wollten. Auch das Wellness im Alma Hotel sei weiterhin Frauen vorbehalten, weil Frauen im Wellness lieber unter sich seien. Im Hotelgang sehe sie das Bedürfnis, dass Frauen unter sich sein wollten, aber weniger.[RELATED]

Frauenetagen im gemischten Hotel überzeugen weniger
Wie Sinn & Gewinn fährt auch das «Haus zur Stauffacherin» in Zürich mehrgleisig und bietet neben klassischen Hotelzimmern Long Stay und betreutes Wohnen – alles exklusiv für Frauen. Vor der Pandemie seien die Hotelzimmer sehr gut ausgelastet gewesen, sagt Geschäftsleiterin Brigit Ruf, unter anderem dank vieler Stammgäste. Derzeit sei vor allem die Langzeitmiete gefragt, «aber sobald sich die Lage normalisiert, kann es sein, dass wir das Hotel innert eines Jahres wieder komplett hochfahren. Das werden wir im Herbst je nach Lage definitiv entscheiden.» Potenzial für Frauenhotels sieht Ruf vor allem in grösseren Städten: «Vermutlich wirkt die Grossstadt als besondere Drohkulisse, in der Frauenhotels einen willkommenen Rückzugsort bieten.»

Immer wieder gibt es Hotels, die einzelne Etagen für Frauen reservieren. Von diesem Konzept sind die Managerinnen weniger überzeugt: «Wer nur einzelne Teile des Hotels für Frauen reserviert, hat kein klares Profil, gleichzeitig aber ein eingeschränktes Zielpublikum», sagt Ruf.

[DOSSIER]

Mischa Stünzi

Leadership

Von Tränen, hohen Erwartungen und schwierigen Gästen

Emma Betti und Charlotte Hennessy betreiben im Hotel Steffani in St. Moritz das Restaurant Dumpling in Altitude. Mit Hotelière Daniela Märky teilen sie die Liebe zu Dumplings und ihre Erfahrungen als junge Chefinnen. Ein Gespräch am runden Tisch.
Bernadette Bissig
Daniela Märky, Emma Betti und Charlotte Hennessy (v. l.).
Daniela Märky, Emma Betti und Charlotte Hennessy (v. l.). Bild: zvg
Bild: zvg
Im ehemaligen chinesischen Restaurant Mandarin ist nun das «Dumpling in Altitude» eingezogen.
Im ehemaligen chinesischen Restaurant Mandarin ist nun das «Dumpling in Altitude» eingezogen. Bild: Diego Parlange
Bild: Diego Parlange
Unkonventionelle Dumplings, ...
Unkonventionelle Dumplings, ... Bild: Diego Parlange
Bild: Diego Parlange
... süss-salzige Desserts, ...
... süss-salzige Desserts, ... Bild: Diego Parlange
Bild: Diego Parlange
... raffinierte Gerichte und ein Maxi-Brunch.
... raffinierte Gerichte und ein Maxi-Brunch. Bild: Diego Parlange
Bild: Diego Parlange

Es lässt sich bereits eine erste Bilanz ziehen: Die Küchenchefin Emma Betti und die Gastgeberin Charlotte Hennessy sind sehr zufrieden, wie sich das Lokal im Hotel Steffani in St. Moritz etabliert hat. Sie führen das Restaurant Dumpling in Altitude nun seit drei Monaten. Im vergangenen Winter im ehemaligen chinesischen Restaurant des Hotels vom Food-Kollektiv Madame Sum als Pop-up lanciert, findet das Konzept nun seine feste Fortsetzung. Wie in der letzten Saison stellt die Hotelière Daniela Märky dem Food-Kollektiv das Lokal und die Küche zu einer umsatzbasierten Miete zur Verfügung. Im Gegenzug erhält sie ein junges, hochwertiges und innovatives Gastroangebot ins Haus.

Und mit dieser Saison eben auch ein energievolles Frauenduo. Die 25-jährige Betti, gelernte Patissière aus Lausanne, hat hier in St. Moritz ihre erste leitende Position inne. Ihr Rüstzeug sammelte sie unter anderem im 3-Sterne-Lokal Mirazur des Spitzenkochs Mauro Colagreco in Menton (F) sowie im 2-Sterne-Restaurant Ecriture bei Maxime Gilbert in Hongkong. So eignete sie sich neben ihrem Patisserie-Handwerk hochstehendes Küchen-Know-how an.

Kannst du schwierige Situationen wegstecken, gibt dir der Job viel Befriedigung.
Charlotte Hennessy, Restaurant Manager im «Dumpling in Altitude» in St. Moritz

Die 28-jährige Hennessy aus Genf hingegen studierte an der Ecole hôtelière de Lausanne. Danach war auch sie in Hongkong tätig – wo sich die beiden jungen Frauen kennenlernten. In der lebendigen Metropole führte Hennessy als Restaurant Manager ein reines Frauenteam und machte so ihre ersten Führungserfahrungen. An Männerteams gewohnt, sei dies eine Umstellung gewesen: «Meine Mitarbeiterinnen – alle älter als ich – waren einerseits fürsorglich und warmherzig, hatten aber andererseits sehr hohe Ansprüche an meine Führungskompetenz und waren dementsprechend kritisch.» [IMG 3-5]

Dieses Verhalten führt Hennessy darauf zurück, dass Frauen grundsätzlich emotionaler involviert seien als Männer, generell jedoch mehr leisten müssten, um Anerkennung zu bekommen. «Im Gegenzug erwarten sie entsprechend viel von anderen Frauen – gerade von Frauen in Führungspositionen», ergänzt Betti. Oder hat die Skepsis gegenüber weiblichen Führungskräften damit zu tun, dass Frauen in Führungspositionen in der Gastronomie und Hotellerie immer noch rar sind? Insbesondere die Küchen sind sehr männerdominiert. Und vielerorts herrscht nach wie vor ein rauer Umgangston. «Ich habe in Küchen vieles erlebt, das nicht sehr respektvoll war», erinnert sich Betti. Doch glücklicherweise finde nun langsam ein Kulturwandel statt.

Je mehr Frauen sich mit Elan und Erfolg in der Branche behaupten, desto besser.
Daniela Märky, Hotelière, Hotel Steffani, St. Moritz

Entsprechend ist es Betti und Hennessy wichtig, dass sie in ihrem eigenen fünfköpfigen Team einen respektvollen Umgang pflegen und den menschlichen Aspekt nicht vernachlässigen. Erleichternd komme sicher dazu, dass sie sich sehr gut kennen würden und einen engen und ehrlichen Austausch untereinander pflegten. Und sie setzen auf Diversität. Denn sie sind überzeugt, dass gemischte Teams am idealsten sind. Dazu kommt, «dass jeder im Team wichtig ist. Unabhängig davon, ob er die Teller abwäscht oder ein raffiniertes Gericht kreiert», konstatiert Betti.

Diesen Tenor verfolgt auch Märky, die ein Team von 100 Mitarbeitenden führt. «Mir ist es wichtig, mit anzupacken. Ich bin nicht die Direktorin, die nur im Büro sitzt. Ich will nahbar sein für mein Team.» So hat sie sich rasch Respekt verschaffen können. Sich die Anerkennung der Gäste zu erarbeiten, war hingegen ein härteres Stück Arbeit.

Ich musste mir den Respekt erarbeiten – bei den Mitarbeitenden und bei den Gästen.
Daniela Märky führt zusammen mit ihrer Schwester Francesca Märky das Hotel Steffani

Die heute 36-jährige Märky übernahm das Hotel vor sechs Jahren von ihren Eltern. Die Stammgäste hatten zu Beginn Mühe, sich an eine junge Hotelière zu gewöhnen, und sahen in ihr in erster Linie die Tochter. Und die neuen Gäste machten grosse Augen, wenn ihnen auf Nachfrage nach dem Chef eine junge Frau entgegentrat. Denn es war ein ungewohntes Bild – die St. Moritzer Luxushotellerie ist von Männern geprägt.

«Erst allmählich, als ich eine Renovation in Angriff nahm und neue Konzepte initiierte, wurde den Leuten klar, dass es mir ernst ist und ich nicht einfach ‹die Tochter von› bin», so Märky. «Das war nicht immer ein Zuckerschlecken und hat eine dicke Haut erfordert.»

«Es gilt, auch mal bestimmt und klar Grenzen zu setzen»
Auf die Zähne beissen mussten auch Betti und Hennessy in ihren bisherigen Stationen. Betti erinnert sich an so manche vergossene Träne, Hennessy an ihre phasenweise Verzweiflung. «Doch kannst du diese schwierigen Situationen wegstecken, gibt dir dieser Job eine grosse Befriedigung», erzählt Hennessy. Und Betti doppelt nach: «Ich schätze das direkte Feedback der Gäste. [DOSSIER]

Diese Unmittelbarkeit liebe ich an meinem Beruf.» Doch hier hakt Hennessy mit einem tiefen Lachen ein. Sie ist es, die positives Feedback entgegennimmt, aber auch mit Reklamationen konfrontiert wird. Der direkte Kontakt sei schön, aber einfach seien die Gäste nicht. «Gerade ältere Männer treffen den richtigen Ton nicht immer. Da gilt es, auch mal bestimmt und klar Grenzen zu setzen», so Hennessy. Denn nur Worte und Taten tragen zur Veränderung bei, sind die drei Frauen überzeugt. Umso mehr freut sich Märky, zwei junge, toughe Gastronominnen im Haus zu haben: «Je mehr Frauen sich mit Elan und Erfolg in der Branche behaupten, desto besser.»

Bernadette Bissig

Mentoring

Eine Präsidentin im Jahr 2024?

Mit einem Mentoringprogramm will HotellerieSuisse den Frauenanteil in den nationalen und regionalen Verbandsorganen erhöhen. Elf Frauen nehmen an der ersten Durchführung teil.
Christine Zwygart
Nebst dem persönlichen Austausch und Workshops zu Themen wie Wirtschaftspolitik und Lobbying, Kommunikation und Auftrittskompetenz besuchen die Teams gemeinsam auch reale Vorstandssitzungen auf regionaler oder nationaler Ebene.
Nebst dem persönlichen Austausch und Workshops zu Themen wie Wirtschaftspolitik und Lobbying, Kommunikation und Auftrittskompetenz besuchen die Teams gemeinsam auch reale Vorstandssitzungen auf regionaler oder nationaler Ebene. Bild: Getty Images/AzmanJaka
Bild: Getty Images/AzmanJaka
Sybille Bless, Gastgeberin Hotel Restaurant Hammer
Sybille Bless, Gastgeberin Hotel Restaurant Hammer
Laure Wyss, Direktorin Goût & Région, Hôtel de l’Aigle
Laure Wyss, Direktorin Goût & Région, Hôtel de l’Aigle
Silvana Schlösser, General Manager Ameron Swiss Mountain Hotel Davos
Silvana Schlösser, General Manager Ameron Swiss Mountain Hotel Davos

Die Hotellerie und die Gastronomie sind weiblich geprägt; mehr als die Hälfte der Mitarbeitenden sind Frauen. Umso mehr fällt auf, dass in den Führungsgremien von HotellerieSuisse vorwiegend Männer das Sagen haben. Heute sind mit Nicole Brändle Schlegel (Geschäftsleitung), Marie Forestier (Verbandsleitung) und Corina Gilgen (Leiterin Regionaler Verband Bern + Mittelland) gerade mal drei Frauen in Führungspositionen.

Ein Ungleichgewicht, dem der Branchenverband entgegentreten möchte: Bis in fünf Jahren sollen die 3,7 Prozent der Mandate in den Verbandsorganen auf nationaler und regionaler Verbandsebene, die mit Frauen besetzt sind, signifikant erhöht werden.

Frauen wägen meist mehr ab, ob ein Mandat zu ihnen passt
Die Gründe, wieso Frauen sich weniger in der Verbandsarbeit engagieren? «Bei Hotelehepaaren sind sie häufig noch stärker als der Mann ins operative Geschäft eingebunden und halten sich bei ausserbetrieblichen Engagements zurück», so Thomas Allemann, Leiter Account Management bei HotellerieSuisse. Bestehe ein Gremium zudem hauptsächlich aus Männern, brauche es mehr Mut und Support, sich für ein Mandat von sich aus ins Spiel zu bringen. Und: «Frauen wägen tendenziell mehr ab, ob ein Mandat zu ihnen passt und ob sie die nötigen Voraussetzungen dazu mitbringen.»

Elf Frauen sind im Herbst 2021 in das neu lancierte Programm gestartet, das sich an aktive Hotelièren und weibliche Mitglieder von Vorständen richtet. Unterstützt werden sie von einer Mentorin und sechs Mentoren, die alle viel Erfahrung und Wissen in der Verbandsarbeit mitbringen. Nebst dem persönlichen Austausch und Workshops zu Themen wie Wirtschaftspolitik und Lobbying, Kommunikation und Auftrittskompetenz besuchen die Teams gemeinsam auch reale Vorstandssitzungen auf regionaler oder nationaler Ebene. [DOSSIER]

Persönlicher Austausch, Workshops und Sitzungen
Eine der Frauen ist Sybille Bless, Gastgeberin im Hotel Restaurant Hammer in Eigenthal LU. Ihre Beweggründe für die Teilnahme: «Es liegt mir am Herzen, meine Erlebnisse und die Leidenschaft für unsere kreative Branche dem Verband einerseits und den Jugendlichen andererseits weiterzugeben – um diese wiederum für diesen spannenden Beruf zu begeistern.»

Bei einer Zwischenevaluation haben die Verantwortlichen von HotellerieSuisse erste Reaktionen von allen Teilnehmerinnen eingeholt. Allgemein kommt der offene Austausch bei allen gut an, ebenso Gespräche, die zur Selbstreflexion und ganzheitlichen Betrachtung der Branche anspornen. Zu kurz gekommen ist indes das «Networking face to face», das hauptsächlich durch die Pandemie erschwert worden ist.

Drei Sitze in der Verbandsleitung werden 2022 und 2023 frei
Eine Chance, in den Leitungsgremien für mehr Diversität zu sorgen, besteht schon bald. Denn gleich drei frei werdende Sitze müssen demnächst neu besetzt werden: So verlassen Jörg Arnold (Zürich) und Urs Zimmermann (Brione s. Minusio) die Verbandsleitung von HotellerieSuisse Ende 2022, und die Amtszeit von Präsident Andreas Züllig dauert nur noch bis Ende 2023. Die ersten Frauen beenden das Mentoringprogramm mit der Delegiertenversammlung im Juni. Start der nächsten Ausgabe ist für September 2022 geplant.


Drei der elf Mentees zum Programm:

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«Mein Mentor und die Leitung von HotellerieSuisse unterstützen mich optimal in der Förderung meiner Werte und im Aufbau meines Netzwerks, damit ich mich künftig noch mehr dafür einsetzen kann.»

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«Die Impulse, die ich hier vermittelt bekomme, sind für mich sehr spannend – in einer Branche, die sich stetig mit einem dynamischen Wandel konfrontiert sieht.»

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«Dank dem Mentoring-Programm weiss ich heute viel besser, wie ich mich für den Erfolg des Schweizer Tourismuslandes einsetzen kann.»

Das Gepräch

«Ich bin heute ein Quotenfan»

Bettina Pereira setzt sich bei der Welcome-Hotels-Gruppe für Chancengleichheit ein und dafür, dass Frauen ihre Möglichkeiten beim Schopf packen.
Christina Gubler
Geschäftsleitungsmitglied Bettina Pereira im Hotel Welcome Inn in Kloten: «Wir Frauen müssen wirklich endlich lernen, zu sagen, was wir wollen.»
Geschäftsleitungsmitglied Bettina Pereira im Hotel Welcome Inn in Kloten: «Wir Frauen müssen wirklich endlich lernen, zu sagen, was wir wollen.» Bild: Pablo Tys
Bild: Pablo Tys
Aufstehen, Krone richten lautet das Motto von Bettina Pereira.
Aufstehen, Krone richten lautet das Motto von Bettina Pereira. Bild: Pablo Tys
Bild: Pablo Tys

Frau Pereira, Sie waren Direktorin von 4- und 5-Sterne-Häusern und sind jetzt Geschäftsleitungsmitglied einer Hotelgruppe. Hatten Sie eine solche Karriere im Visier, als Sie vor über 30 Jahren als junge Frau in die Branche einstiegen?
Überhaupt nicht. Ich kam aus Österreich, hatte eine kaufmännische Ausbildung und wollte unbedingt in der Schweiz leben und arbeiten. Da damals für Ausländer noch das Saisonnierstatut galt, kamen fast nur Jobs in der Gastronomie infrage. Also boxte ich mich fünf Jahre als Serviceangestellte durch, um dann eine Arbeitsbewilligung zu bekommen, die mir ein breites Jobspektrum ermöglichte. Eine Kollegin, die schwanger wurde, bot mir dann an, mich als ihre Nachfolgerin als Cheffe de Service im Mövenpick Hotel Zürich Airport zu empfehlen. Zunächst schreckte ich zurück. Um vier Uhr in der Früh anfangen, das wollte ich eigentlich nie. Als breit interessierter Mensch reizte es mich dann doch, und ich bekam den Job.

Gab es später ein Schlüsselerlebnis, ab dem Sie Ihren Weg gezielt weitergingen?
Ja. Bei Mövenpick durfte ich im internen Management-Trainee-Programm mitmachen und während zweier Jahre alle Abteilungen durchlaufen. Einige Kaderkollegen stichelten freilich wiederholt, als Quereinsteigerin ohne Hotelfachschule erhielte ich nie einen guten Posten. Das nervte mich. Ich ging zum Hoteldirektor und fragte ihn ohne Umschweife, ob ich Aufstiegschancen hätte oder tatsächlich die Fachausbildung nachholen müsse. Er meinte grinsend: «Theoretiker haben wir genug. Entweder kann man es oder nicht. Und Sie können es.» Als mir später die Rooms-Division-Managerin auch noch den Job als Front-Office-Managerin anbot, wusste ich definitiv, dass ich es schaffen würde, und zwar bis zur Hoteldirektorin. Ich absolvierte berufsbegleitend ein Betriebsökonomie-Studium. Das bedeutete, während zweier Jahre meine Ferien dem Blockunterricht zu opfern.

Eine Quereinsteigerin und passionierte Netzwerkerin mit Managerqualitäten
Bettina Pereira (53) ist Head of Sales & Marketing und Geschäftsleitungsmitglied bei der Welcome-Hotels-Gruppe mit Sitz in Kloten ZH. Seit 2011 präsidiert sie das Netzwerk «Frauen im Tourismus», das für den kommenden Herbst eine grosse, offene Netzwerkveranstaltung im Volkshaus Zürich plant. Die gebürtige Österreicherin ist 1988 in die Schweiz gezogen und hat sich als Quereinsteigerin in der Hotellerie nach oben gearbeitet. Bevor sie bei Welcome Hotels einstieg, führte sie als General Manager das Hotel NH Zürich Airport, anschliessend die Leonardo-Hotels Rigihof und Alden Splügenschloss in Zürich.

Heute sind Sie ganz oben und unterstützen selber Frauen dabei, berufliche Chancen zu bekommen und wahrzunehmen. Warum?
Wie ich damals bei Mövenpick brauchen weibliche Nachwuchskräfte nach wie vor Mentorinnen oder Mentoren, die sie in die richtige Richtung lenken. Gerade in der Tourismusbranche, die von den Frauen lebt. Sie machen die Mehrheit der Beschäftigten aus. Trotz Top-Ausbildung hat sich jedoch nur für wenige von ihnen die Türe ins oberste Management geöffnet.

In welcher Sparte der Tourismusbranche haben es Frauen diesbezüglich am schwierigsten?
Der Weg nach oben ist überall eine grosse Herausforderung; und Frauen müssen dabei immer noch etwas mehr leisten als Männer. Wichtig ist aber, dass sie formulieren, was und wohin sie wollen und was sie bereit sind, dafür zu investieren. Wer orientierungslos auf der Karriereleiter herumklettert, wird schnell herumgeschubst. Wir Frauen müssen wirklich endlich lernen, zu sagen, was wir wollen. Erwartungen werden nur erfüllt, wenn diese auch ausgesprochen werden.

Wenn es in einem Unternehmen um die Chancengleichheit trotzdem schlecht steht, was dann?
Es liegt in der Entscheidung jeder Arbeitnehmerin, ob sie dort arbeiten respektive weiterarbeiten möchte oder nicht. Ich selber würde es nie tun, Chancengleichheit ist für mich in der heutigen Zeit Grundvoraussetzung. Und wenn ich es tun würde, würde ich zumindest nicht lockerlassen und den Mut haben, innerhalb des Betriebs meine Forderungen zu formulieren und Veränderungen anzustreben.

Weibliche Nachwuchskräfte brauchen Mentorinnen und Mentoren, die sie in die richtige Richtung lenken.

Mit welchen Argumenten würden Sie anderen Unternehmen der Tourismusbranche schmackhaft machen, qualifizierte und ehrgeizige Frauen gezielter zu fördern?
Ich würde ihnen bewusst machen, dass es sich lohnt. Denn es ist immer hilfreich, eine weibliche Sicht auf die Dinge zu erhalten. Zudem qualifizieren sich Frauen nebst einer sehr guten Ausbildung durch Leadership-Qualitäten und Empathie für leitende Funktionen.

Was ist mit dem Gegenargument, Familie und Kaderjob seien halt schwer unter einen Hut zu bringen?
Auch in unserer Branche ist eine Karriere für Mütter durchaus möglich. Es braucht nur etwas Flexibilität und Innovation zu Themen wie Kinderwunsch und Kinderbetreuung sowie Arbeitszeitmodellen. Diesbezüglich werden sich die Arbeitgebenden künftig aber ohnehin umorientieren müssen. Denn die Tourismusbranche leidet unter Fachkräftemangel, der durch Corona noch verschärft wurde. Viele Mitarbeitende sind abgesprungen, wurden gekündigt und haben sich umorientiert. Um sie zurückzuholen oder neue zu finden, müssen wir ihnen etwas bieten. Nicht überall, aber in vielen Bereichen sind Jobsharing, Teilzeitpensen oder Homeoffice dank Digitalisierung möglich. Gerade was Letzteres im Erwerbsleben bedeutet, hat man in den zwei Pandemiejahren ja gesehen.

[IMG 2]Bei Welcome Hotels sind Frauen selbst im obersten Kader in der Mehrzahl. Welche Instrumente setzen Sie in Ihrem Betrieb ein, um Frauen zu fördern?
Unser CEO Marcel Wohlgemuth war schon immer sehr offen gegenüber Frauenförderung. Nicht zuletzt, weil er schätzt, dass Frauen in der Regel Macherinnen sind. Wenn etwas gemacht werden muss, krempeln sie die Ärmel hoch und erledigen es, egal, was sonst noch los ist. Bei uns sind die Hierarchien nicht so steil und die Entscheidungswege relativ kurz. Also muss es zackig gehen.

Setzen Sie auch gezielte Förderinstrumente ein?
Nein, aber wir pflegen eine Kultur, die Frauen entspricht. Ich glaube, wenn sie Chancen bekommen, neue Herausforderungen zu meistern und dank offener Kommunikation auch selber Ideen einzubringen, fühlen sie sich am Arbeitsplatz wohl und bleiben auch gerne. Dann ist – anders als bei Männern – der Lohn auch nicht unbedingt das vordergründige Kriterium, weshalb man sich umorientiert. Im Verein «Frauen im Tourismus», den ich präsidiere, bieten wir hingegen spezifische Workshops an und erarbeiten derzeit auch ein Mentoring-Programm für unsere Mitglieder.

Mit 95 Mitgliedern ist dieses Netzwerk klein – angesichts der rund 140 000 Frauen, die in der Branche tätig sind. Netzwerken Frauen zu wenig?
Wir sehen, dass sich vor allem junge Berufsfrauen fürs Netzwerken noch wenig interessieren. Da versuchen wir jetzt anzusetzen. Denn sich einem Netzwerk anzuschliessen, sich auszutauschen und so private und geschäftliche Synergien zu nutzen, ist wirklich die beste Entscheidung, die jede Frau für sich treffen kann. Um sich ein gutes Netzwerk aufzubauen, muss man aber auch sonst aktiver werden.

Das heisst?
Männer gehen an die Bar, trinken ein Bier und reden miteinander. Frauen möchten das lieber sehr viel offizieller tun, damit es keine komische Note bekommt und Aussenstehende sich vielleicht fragen, was die denn da so zu bequatschen haben. Viele Kolleginnen in meinem Umfeld sagen mir auch, sie trauten sich einfach nicht, jemanden anzusprechen. Dabei arbeiten sie in der Hotellerie und sind den Kontakt mit fremden Leuten gewohnt. Da muss man halt zwischendurch einfach aus seiner Komfortzone heraus. Wenn man sich dabei mal eine blaue Nase holt, steht man halt wieder auf, richtet seine Krone und geht weiter geradeaus.

 Verschiedenen Verbänden der Branche täte zum Beispiel etwas mehr Frauenpower durchaus gut.

Bewegt man sich im Netzwerk einer bestimmten Branche nicht in einer Art Kokon?
Diese Gefahr besteht. Deshalb sollte man sich auch für andere Netzwerke interessieren oder sich sogar zwei oder mehreren anschliessen. Ich hatte zum Beispiel Kontakt mit IT-Frauen. Das war mega interessant, weil allein schon deren Sprache und Kommunikation ganz anders war, und wir uns trotzdem bei vielen Themen fanden. «Frauen im Tourismus» pflegt den Austausch mit anderen Frauennetzwerken ebenfalls, etwa mit Femdat und Alliance F. Wir sind auch bei Swonet dabei, der Plattform, welche die grössere Sichtbarkeit und verbindende Zusammenarbeit von inzwischen 160 Schweizer Frauenorganisationen vorantreibt und auch Männernetzwerke vorstellt.

Wäre für Sie der Austausch mit einem Männernetzwerk wünschenswert?
Ich ganz persönlich fände es cool. Bei einem Swonet-Anlass gab es einmal ein Gespräch mit der damaligen Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf. Sie sagte, um ihre Anliegen in die politischen Kreise zu tragen und um für sie Mehrheiten zu finden, brauche sie zwingend auch Männer. Das habe ich nie vergessen. Auch wir brauchen Männer, die unsere Bedürfnisse unterstützen und für sie lobbyieren. Die Männer brauchen freilich auch uns. Verschiedenen Verbänden der Branche täte zum Beispiel etwas mehr Frauenpower durchaus gut. Denn ein gesunder Mix aus Frauen und Männern trägt dazu bei, dass eine grössere Offenheit in der Zusammenarbeit sowie für neue, spontane Projekte entsteht.[DOSSIER]

Wie stehen Sie zu Frauenquoten?
Ich bin heute ein Quotenfan, weil sich einfach zu wenig bewegt. Das Thema Lohndiskriminierung wurde angegangen, weil hier Überprüfungen gemacht werden. Aber bei der Frauenquote verhält sich die Gesellschaft relativ ruhig. Auch wir Frauen selbst! Wir sollten endlich bereit sein, uns zu nehmen, was uns laut Gesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann zusteht.

Viele möchten aber keine «Quotenfrau» sein.
Das ist falsch gedacht. Es geht doch darum, dass man einen Job will und auch die entsprechende Qualifikation dafür vorweisen kann. Ohne die würde man sowieso nicht in die Kränze kommen. Wenn man dann halt von einigen als Quotenfrau verunglimpft wird, ist das doch egal.

Karriere

Kaderfrauen gesucht

In der Hotellerie, der Gastronomie und im Tourismus arbeiten mehr Frauen als Männer. In Führungspositionen sind sie jedoch untervertreten. Selbst beim Nachwuchs sind Frauen in Kaderfunktionen rar. Eine Übersicht.
Claudia Langenegger
Bild: Pixabay/geralt
Bild: Pixabay/geralt

Mehr als die Hälfte der Mitarbeitenden in Hotellerie und Gastronomie sind weiblich. Doch in den Führungsetagen finden sich verhältnismässig wenig Frauen. Jeder vierte Mann im Gastgewerbe hat eine leitende Funktion inne, bei den Frauen ist dies nur knapp jede siebte. Die Branche liegt damit im schweizerischen Durchschnitt: Der prozentuale Anteil an weiblichen Vorgesetzten ist in der Gesamtwirtschaft nur wenig höher. Frauen im Gastgewerbe haben mehrheitlich keine Führungsfunktion inne: gut 60 Prozent. Bei den Männern sind es nur gut 40 Prozent.

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Die Gründe, dass Frauen die Karriereleiter seltener hochklettern, sind vielfältig. Im Gastgewerbe zeigt sich denn auch ein gewohntes Bild: Weibliche Gastrofachleute arbeiten häufiger Teilzeit als ihre männlichen Kollegen. Die Gastronomie weist mit über 50 Prozent sogar einen überdurchschnittlichen Anteil an Teilzeitbeschäftigten auf. Setzt man den Fokus aber auf die Beherbergungsbranche, fällt auf: Die Hotelièren sind Arbeitsbienen! Sie arbeiten viel häufiger Vollzeit (32 %) als Arbeitnehmerinnen in der Gesamtwirtschaft (18 %) – aber noch immer weniger stark als die Männer (37 %).

Mehr Teilzeit, weniger Lohn
Auch bei den Löhnen zeigt sich der Geschlechterunterschied, insbesondere bei leitenden Funktionen. Das Bundesamt für Statistik (BfS) rechnete aus, dass im Bereich Hotel, Gastronomie, Handel und Dienstleistung männliche Führungskräfte im Alter von 30 bis 49 Jahren durchschnittlich 1300 Franken mehr verdienen als die Frauen, ab 50 Jahren sogar um 1550 Franken mehr.[IMG 3]

Vergleicht man aber die Löhne nur im Gastgewerbe und über alle Stufen hinweg, sieht es weniger drastisch aus. Hotellerie und Gastronomie stehen sogar sehr gut da. Die aktuellste Untersuchung des BfS dazu zeigt, dass der unerklärte Anteil der Bruttolohndifferenz im privaten Sektor durchschnittlich 684 Franken pro Monat beträgt. Im Gastgewerbe beläuft sich dieser bloss auf 196 Franken pro Monat. Die Branche hat hier also die Nase vorne: Im Detailhandel waren es monatlich stattliche 624 Franken, in der Maschinenindustrie 931 Franken, im Kredit- und Versicherungsgewerbe sogar 1324 Franken.

Frauen haben vielleicht auch Angst, dass wenn sie es nicht packen, es dann heisst: Tja, sie ist halt eine Frau.

Selina Döringer (30), Geschäftsführerin Moosalpregion, Wallis

Ist das Gastgewerbe also doch gleichberechtigter als angenommen? Die Gründe für die geringe Differenz können leider gut anderswo liegen, nämlich bei den eher bescheidenen Löhnen der Branche. Ob im Management oder beim Fussvolk – es gibt wenig Luft nach unten und nach oben.

Ein ähnliches Bild wie im Gastgewerbe zeigt sich im Tourismus. Die Studie von World Tourism Forum Lucerne und Aptamind Partners in der Reise- und Tourismusbranche weltweit hat gezeigt, dass nur jeder zwanzigste CEO weiblich ist und weniger als ein Fünftel aller C-Level-Positionen mit Frauen besetzt sind. Und dies, obwohl die Branche ebenso viele Frauen wie Männer beschäftigt.

In Küchen habe ich vieles erlebt, das nicht sehr respektvoll war. Glücklicherweise findet langsam ein Kulturwandel statt.

Emma Betti (25), Restaurant Dumpling in Altitude St. Moritz

[IMG 4]Nachwuchshoffnung dank Mentoring
Wie sieht es bei der jungen Generation aus? Sind die jungen Kader im Gastrobereich weiblicher? Leider zeigt sich auch beim Nachwuchs ein traditionelles In der EHL Hospitality Business School mit ihren drei Campus in Lausanne, Chur-Passugg und Singapur sind 60 Prozent der Studierenden weiblich. Doch nur 17 Prozent der Absolventinnen und Absolventen der EHL, die eine Führungspositionen einnehmen, sind Frauen.

Wenn es um den Aufstieg auf der Karriereleiter geht, sehen sich Frauen nach wie vor mit grösseren Herausforderungen konfrontiert. Dies liegt aber nicht bloss daran, dass es ihnen an Mut oder Selbstvertrauen mangelt, um Positionen mit grösserer Verantwortung zu übernehmen. Neuste Studien zum Thema zeigen, dass von Frauen andere Qualitäten verlangt werden, um in Führungspositionen akzeptiert zu werden.

Mein Chef hat mich immer gepusht, Neues zu wagen. Ohne ihn wäre ich nicht da, wo ich heute bin.

Felicia Ludwig (39), Patissière im «Ornellaia» in Zürich und «Patissière des Jahres», Gault Millau 2022

Selbstvertrauen alleine reicht nicht. Eine Frau müsse auch «Wärme» ausstrahlen, um eine gleichwertige Chance zu haben. Die EHL hat das Problem erkannt und 2018 die Initiative «Women in Leadership» (WIL) ins Leben gerufen, um die Ausbildung weiblicher Führungskräfte zu fördern.[DOSSIER]

Auch die Verbandswelt der Branche ist männlich, sogar sehr: Nur 3,6 Prozent der Sitze in den Organen von HotellerieSuisse und der 13 Regionalvorstände sind mit Frauen besetzt. Es laufen nun zahlreiche Bemühungen, ein besseres Gleichgewicht herzustellen. Denn Diversität lohnt sich: Es ist durch zahlreiche Studien belegt, dass sich Vielfalt positiv auf die Mitarbeitenden, die Teams und auf das gesamte Unternehmen auswirkt.

Gastkommentar

Slash, Stern, Krone, Doppelpunkt – Hauptsache gendern

«Hotelier des Jahres»? Annette Stoffel plädiert für eine inklusive Sprache.
Annette Stoffel

Geschlechterquote in der Verbandsleitung von HotellerieSuisse, Frauen-Booster und allerlei Titel und Auszeichnungen fliegen als Headlines seit November 2021 durch die Branchen-News und Fachmedien. Trend, Phänomen oder einfach leichtere Kost als Kontrastthema zur Pandemie?

Am Donnerstag, 13. Januar, wurde die Bewerbungsphase zum «Hotelier des Jahres» lanciert. Mit einer Prise Nachsicht mit der männlichen Titelwahl kann man zumindest feststellen, dass es DER Preis und DIE Auszeichnung ist. Also ausgewogen. In der Jury aber sitzen sechs Männer und drei Frauen – und so ist ungefähr auch die Verteilung der bisher verliehenen Preise. Möglicherweise wird diese Unausgewogenheit durch die Krone im Logo kompensiert. Wie in der Hotelklassifikation bei der Kategorie «Superior». Also dürfen wir Frauen uns freuen, dass wir quasi den «Standard» aufwerten, oder eben krönen, und auch Hotelièren als Preisträgerinnen angedacht sind.

Ein Gender-Doppelpunkt ebnet den Weg zu «Diversity & Inclusion».

Einige Tage später begegnete mir das Schweizer Fachmagazin «Der Hotelier». Wie war das nun mit der weiblichen Branche und den Bemühungen um Geschlechterquote und Frauen-Booster? Auch hier ist der Titel männlich gewählt. Bewusst? Bequem? Ein Blick auf andere Fachmagazine stimmt hoffnungsvoll: Seit 2021 nennt sich «Der Schweizer Journalist» «Schweizer Journalist:in». Ein kleiner typografischer und optisch sogar durchlässiger Gender-Doppelpunkt, der in der Wahrnehmung den Weg zu «Diversity & Inclusion» ebnet.[DOSSIER]

Nein, ich bin keine «Tüpflischiisserin», wie man es bei uns in Bern sagen würde. Aber mit sprachlichem Bewusstsein kann man wichtige Zeichen setzen und die Inklusion explizit sichtbar machen. Inklusion, merke ich gerade, klingt wie Infusion. Passt, denn manche Frauen wären allenfalls froh, gewisse männliche Verhaltensmuster intravenös zu beziehen, um sich mehr zu trauen, sich zu exponieren und durchsetzungsstark zu kommunizieren. Jeder Schritt ist ein Auftritt, egal welchen Geschlechts …

Beste Grüsse ins Männerland – wir Frauen sind parat für die Reise!

Annette Stoffel, Trainerin & Coach (ascons.ch) und Geschäftsführerin von HotellerieSuisse Berner Oberland