Die Frage wird oft kontrovers diskutiert und erhitzt gelegentlich die Gemüter: Soll ein Restaurant den Gästen Leitungswasser in Rechnung stellen? Einerseits ist das Servieren von Leitungswasser mit Aufwänden verbunden; andererseits stösst es bei manchen Gästen auf Unverständnis, wenn ein Gut, das praktisch gratis aus dem Hahn fliesst, etwas kostet. Ein Luzerner Jungunternehmen bietet einen Ausweg aus dieser Zwickmühle.

Wasser für Wasser heisst die Organisation, die Lior Etter zusammen mit seinem Bruder Morris vor knapp zehn Jahren gegründet hat. «In der Schweiz baden wir in Trinkwasser, während beispielsweise im Gondwe-Quartier in der sambischen Hauptstadt Lusaka nur jeder Zehnte überhaupt sicheren Zugang zu Trinkwasser hat», erklärt Lior Etter. Wasser für Wasser, kurz WfW, hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, in Sambia und in Mosambik die städtische Wasserversorgung systematisch zu verbessern (siehe Text unten).[IMG 2]

Keine Bittstellerin, sondern Dienstleisterin für die Branche
Was die Wasserversorgung im südlichen Afrika mit dem Preis für Leitungswasser in Schweizer Restaurants zu tun hat? Über 300 Schweizer Gastrobetriebe sind Partner von WfW. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie verrechnen den Gästen einen fairen Preis für Leitungswasser und überweisen einen Teil des Wasserumsatzes der Non-Profit-Organisation – jährlich im Schnitt ein paar Tausend Franken pro Partnerbetrieb, wie Etter sagt. Andere Organisationen gehen ähnlich vor wie WfW, aber keine tut es so erfolgreich.

Zwei Modelle, ein Ziel

Die Non-Profit-Organisation Wasser für Wasser (WfW) bietet den Partnerbetrieben aus der Gastronomie zwei Modelle an.

WfW Classic: Angefangen hat WfW mit dem Classic-Modell. Dabei schenken Restaurants neben Mineral- auch Leitungswasser zu einem selbst festgelegten Preis aus (Richtpreise: 2 Franken je Halbliter, 3 Franken je Liter). Die Einnahmen aus dem Verkauf des Leitungswassers gehen vollumfänglich an Wasser für Wasser, der Mineralwasserumsatz bleibt beim Gastronomen.

WfW Green: Das Restaurant stellt hier komplett auf Leitungswasser um und verbannt Flaschenwasser von der Karte. Dieser Verzicht schone die Umwelt, spare Platz und reduziere den Aufwand, fasst Wasser für Wasser die Vorteile für die Gastronomie zusammen. Das Wasser aus dem Hahn wird gefiltert, gekühlt und mit oder ohne Kohlensäure verkauft. Den Preis legt der Wirt fest und verpflichtet sich gleichzeitig, mindestens 10 Prozent des Wasserumsatzes an WfW zu spenden.

Laut WfW-Mitgründer Lior Etter sind die Spendenbeiträge ungefähr gleich hoch, unabhängig davon, welches Modell ein Gastrobetrieb gewählt hat. Selten komme es vor, dass bei einem Classic-Partner die Kunden auf einmal viel mehr Leitungs- und kaum noch Mineralwasser bestellten. Weil den betroffenen Betrieben so ein wichtiger Teil des Umsatzes wegbreche, empfehle er ihnen dann, auf das Green-Modell umzustellen. (stü)

Dabei habe man sie anfangs für verrückt gehalten, erinnert sich der Co-Geschäftsführer. «Alle haben uns gesagt: Nie wird euch ein Gastronom einfach so einen Teil seiner Einkünfte abgeben.» Trotzdem konnten sie in den letzten Jahren immer mehr Restaurants und Hotels von sich überzeugen. WfW sieht sich dabei nicht als Bittstellerin, sondern als Dienstleisterin: «Wir wollen unseren Partnern einen Mehrwert bieten.»

Für die Partnerbetriebe hat sich nicht nur die lästige Frage nach dem Preis für Leitungswasser erledigt. Mit der Partnerschaft tragen sie auch ihr soziales Engagement nach aussen und werden dazu von WfW mit Infomaterial und Karaffen unterstützt.

Von der Alpwirtschaft über das Nobelhotel bis zur Strandbar
Etter betont, dass 100 Prozent der Gelder aus der Gastronomie in die Projekte in Afrika flössen. WfW selber finanziert sich über Gönner, Finanzierungs- und Corporate-Partner. Und warum wird ausgerechnet die Gastronomie anders behandelt? «Wenn wir zum Beispiel ein Unternehmen dafür gewinnen wollen, dass es im Büro und bei Meetings von Mineral- auf Leitungswasser umstellt und uns einen Teil der gesparten Kosten spendet, können wir uns Zeit lassen für die persönliche Überzeugungsarbeit. Den Gast im Restaurant dagegen müssen wir innert Sekunden und mit wenigen Worten erreichen.» Da brauche es einfache Botschaften wie: Alles Geld fliesst in die Projektarbeit in Afrika.

Trotz aller Argumente ist es nicht einfach, neue Gastropartner zu finden. «Um die gut 300 Betriebe zu gewinnen, haben wir mit rund 3000 gesprochen», schätzt Etter. Und mit der Pandemie wurde es nicht einfacher. Trotz Lockdown ging WfW letztes Jahr immerhin 27 neue Gastropartnerschaften ein. Ein Vorteil von WfW: «Wir sind keine links-grüne Organisation, die nur mit alternativen Beizen zusammenspannt.» Die Bandbreite der Partner reicht von der Alpwirtschaft über das Nobelhotel bis zur Strandbar. Die Kommunikation gegenüber dem Gast wird dem jeweiligen Betrieb angepasst.

Expansion in die Romandie wegen Corona verschoben
Ausgerechnet 2020 hätte Wasser für Wasser in die Westschweiz expandieren wollen. Der Sprung über den Röstigraben wurde nun vorerst vertagt. Wachsen will WfW in nächster Zeit stattdessen vor allem in der Deutschschweiz.

«Wasser beschäftigt die Gastronomie sehr viel stärker, als wir das erwartet hätten.»

Lior Etter
Mitgründer und Co-Geschäftsleiter Wasser für Wasser

Die Organisation hat eine besondere Wachstumsstrategie: Sie nimmt sich eine Stadt nach der anderen vor. Nicht weil das Angebot im ländlichen Raum weniger gut ankommt, sondern aus Effizienzgründen. «Wenn wir mit unserer Idee auf dem Land von Gasthaus zu Gasthaus ziehen, ist das für uns wesentlich aufwendiger als in einer Stadt, wo die Restaurantdichte höher ist», so Etter. Letztlich sei Wachstum eine Frage der Ressourcen: «Feldschlösschen etwa hat allein in der Innerschweiz unzählige Leute im Aussendienst. Bei uns ist eine Person für mehrere Regionen zuständig.»

Interessant ist, dass sich die Bedenken der Gastronominnen und Gastronomen je nach Region laut Etter stark unterscheiden. In Bern etwa sei die grösste Sorge, dass man für Leitungswasser neu etwas verlangen solle. In Zürich dagegen sorgten sich die Wirtsleute eher um die fehlenden Einnahmen.

«Wasser ist letztlich etwas sehr Emotionales», sagt Etter. «Es beschäftigt die Gastronomie sehr viel stärker, als wir das vor zehn Jahren erwartet hätten.»

Wohin das Geld fliesst

Wasser für Wasser ist es gelungen, sich im Non-Profit-Sektor zu etablieren, dennoch ist die Organisation so klein, dass sie sich bei ihren Projekten stark fokussieren muss, will sie einen Einfluss haben. Sie ist deshalb nur in Sambia und Mosambik tätig und konzentriert ihre Projekte auf urbane Gebiete.

Viele afrikanische Städte wachsen derzeit so rasch, dass die Infrastruktur der lokalen Versorger nicht Schritt halten kann. Es kommt zur Unterversorgung, beispielsweise mit sauberem Wasser. Hier setzt Wasser für Wasser (WfW) an: Die Organisation aus Luzern finanziert die Ausbildung von Fachleuten vor Ort und ermöglicht mittels Anschubfinanzierung den Aufbau der Wasserinfrastruktur. Die Infrastruktur bleibt dabei im Besitz der lokalen Wasserversorger. Bisher konnten so mit der Unterstützung von WfW professionell geführte Versorgungssysteme für über 100 000 Menschen aufgebaut werden.

Gleichzeitig setzt sich WfW mit Bildungsprogrammen und verschiedenen Angeboten für Unternehmen in der Schweiz dafür ein, dass Leitungswasser auch bei uns wertgeschätzt und getrunken wird. Weil sauberes Wasser bei uns eine Selbstverständlichkeit sei, meint Etter, gehe oft vergessen, dass auch die Schweizer Wasserwirtschaft und die Gesellschaft als Ganzes vor grossen Herausforderungen stünden. (stü)

Mischa Stünzi