Als die htr hotelrevue vor 130 Jahren zum ersten Mal erschienen ist, war Reisen noch ein exklusives Vergnügen. Um die Jahrhundertwende konnten sich das nur wenige leisten. Entsprechend gross und luxuriös waren damals viele Hotels und entsprechend klein die meisten Tourismusorte. Massentourismus oder gar Overtourism waren Fremdwörter.

Den grossen Aufschwung erlebte der Tourismus in der Schweiz ab dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis Anfang der 70er-Jahre, als sich die Zahl der Logiernächte mehr als verdoppelte.

Wir blicken zurück, wie sich einige der heute wichtigsten Tourismusorte der Schweiz vor rund 130 Jahren präsentiert haben und wie sich dort der Tourismus entwickelt hat.

Interlaken: Ob Aarmühle auch zum touristischen Hotspot geworden wäre?

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Wie dankbar müssen die heutigen Tourismusvermarkter den Gemeindebehörden von 1891 sein. Damals ersuchte die Einwohnergemeinde beim Kanton um einen Namenswechsel: Aarmühle sollte künftig Interlaken heissen. Man stelle sich nur die Marketingkampagne vor, die in Indien, China oder den USA den Reisenden einen Trip nach Aarmühle schmackhaft zu machen versucht.

Doch die touristischen Anfänge Interlakens reichen noch viel weiter zurück. Seit dem Mittelalter war das dort ansässige Kloster eine Anlaufstelle für Pilger und andere Reisende. Zwar liess das mächtige Bern 1527 die Klosterwirtschaft schliessen, doch so wirklich kümmerte das im Oberland niemanden. Das Gasthaus wurde nach wie vor rege genutzt.

Ab dem 18. Jahrhundert zog es immer mehr Leute nach Interlaken, die weder als Pilger noch als Handeslreisende unterwegs waren. Fasziniert von der imposanten Bergwelt kamen Abenteurer, Forscher und Künstler ins Oberland, darunter Johann Wolfgang von Goethe (1790), Lord Byron (1816) und Felix Mendelssohn-Bartholdy (1822 und 1847).

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es in Interlaken, das damals noch Teil der Gemeinde Matten war und sich erst 1837 abspaltete, erst ein einziges Hotel, das ein Gastwirtschaftspatent besass. Doch mit dem touristischen Aufschwung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stieg auch die Anzahl der Hotels, von denen heute immer noch mehrere in Betrieb sind. In diese Zeit fallen unter anderem auch die Gründung des Kursaals (1859), der Bau der Berner Oberland Bahnen (1890), die Eröffnung der Schynige-Platte-Bahn (1893) und die Erschliessung des Harders (1908) sowie des Jungfraujochs (1912).

Montreux: Seit 1890 auch bekannt als die Riviera der Schweiz

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Lange lebte die Region um Montreux primär von der Landwirtschaft. Touristisch trat die Gegend erst in Erscheinung, als die herrschenden Berner in der Mitte des 18. Jahrhunderts die Infrastruktur ausbauten. Bekannte Persönlichkeiten wie Jean-Jacques Rousseau und Lord Byron machten Halt in Montreux, das von seinem milden Klima und der Lage zwischen See und Gebirge profitierte.

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schnellten die Besucherzahlen in die Höhe: 1850 zählte Montreux laut dem historischen Lexikon der Schweiz acht Hotels, 1900 schon deren 70. 1902 stiegen 31'473 Gäste in den Hotels ab, 1910 bereits 76'578 (zum Vergleich: 2019 waren es knapp eine halbe Million Logiernächte). Seit 1890 vermarktet sich das Gebiet als die Riviera der Schweiz.

In dieser Phase des Aufschwungs entstanden in Montreux nicht nur Hotels als Kernelement der touristischen Infrastruktur, sondern auch die Uferpromenade, eine Tramverbindung nach Vevey, ein Kursaal (1881-1971) und diverse Bergbahnen.

Viele der in dieser Zeit gebauten Gebäude wurden allerdings wegen der Krise zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg wieder abgerissen. Eindrückliche Zeitzeugen der Belle Epoque sind unter anderem das Palace Hotel, das Grand Hotel Suisse Majestic, das Eden Palace Au Lac und die Markthalle.

Davos: Einem «Landesverräter», den Engländern und Väterchen Frost sei Dank

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Dass sich Davos in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Kurort entwickelte, ist wesentlich einem verurteilten Revoluzzer und «Landesverräter» zu verdanken. Der Deutsche Alexander Spengler floh, nachdem er bei der gescheiterten Märzrevolution in seiner Heimat einer der Anführer gewesen war, in die Schweiz und kam 1853 nach Davos. Der Arzt erkannte die heilende Wirkung der Bündner Höhenluft und gründete 1868 mit dem Holländer Willem Jan Holsboer die Kuranstalt Spengler-Holsboe.

Den touristischen Durchbruch bescherte Davos allerdings der Wintersport. Britische Gäste gründeten 1870 in Davos den ersten Skating Club und 1880 den ersten Curling Club der Schweiz. 1883 führte der englische Schriftsteller John Addington Symonds das weltweit erste internationale Schlittenrennen in Davos durch. Gefahren wurde auf den bis heute bekannten Davoser Schlitten. Etwa zur gleichen Zeit fanden auch die ersten Skis den Weg ins Landwassertal.

Der erste Skilift der Welt wurde 1934 ebenfalls in Davos eröffnet. Und der 1923 lancierte Spengler-Cup zählt heute zu den ältesten internationalen Eishockey-Turnieren der Welt. Bis heute ist der Winter für Davos die wichtigere Saison als der Sommer.

Lauterbrunnen: Eine Gemeinde, zwei Bergdörfer von Weltrang

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Heute lassen viele Touristen Lauterbrunnen im Talboden links liegen und fahren direkt mit der Bahn nach Wengen oder Mürren. Doch das war nicht immer so. Als die Alpen während der Romantik an Popularität gewannen, zog es auch Gebildete, Adelige und andere Reisende ins Lauterbrunnental. Die Destinationsorganisation schreibt über diese Pionierepoche: «In Lauterbrunnen konnte man im Pfarrhaus übernachten, das für die Beherbergung Reisender eingerichtet war. Daneben bestand die Möglichkeit, am äußeren Ende des Dorfes im Wirtshaus Steinbock (L'Auberge du Capricorne) einzukehren oder im Heulager eines Bauern zu übernachten.»

In Wengen eröffnete das Ehepaar Christian und Anna Lauener-Gertsch das erste Gasthaus erst im Jahr 1859, ein bescheidenes Gasthäuschen, und ein Jahr später die Pension Lauener für 30 Gäste. Davor gab es am Berg bereits Gasthäuser wie das 1841 erbaute Hotel  de la Jungfrau auf der Wengernalp und das Hotel Bellevue auf der Kleinen Scheidegg aus dem Jahr 1835.

Ein Gamechanger für Wengen war die 1893 eröffnete Wengernalpbahn von Lauterbrunnen auf die Kleine Scheidegg. Bereits elf Jahre später wurde der Skiclub in Wengen ins Leben gerufen. Das 1930 erstmals durchgeführte Lauberhornrennen machte Wengen in aller Welt bekannt.

Was das Lauberhornrennen für Wengen, ist James Bond für Mürren auf der anderen Talseite. Dem britischen Geheimagenten, der 1968 auf dem fiktiven Engadiner Gipfel Piz Gloria seinem Erzfeind Ernst Stavro Blofeld auf die Pelle rückte, hat das von Mürren aus erschlossene Schilthorn viel zu verdanken.

Touristen kamen aber natürlich schon vor Bond Touristen in Mürren. 1857 eröffnete die Bergschaft Winteregg den Gasthof Silberhorn. In den 1870er-Jahren richtete Mürren mit der grossen Kelle an: Das Grand Hotel und Kurhaus wurden gebaut, und Adlige, Gelehrte und Künstler reisten nach Mürren, um sich zu erholen. Dabei wurde das Bergdorf erst 1891 durch die Mürrenbahn erschlossen.

Saas-Fee: Ein touristischer Spätzünder gibt Vollgas

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Das Saastal gehörte nicht gerade zu den frühen Tourismus-Pionieren der Schweiz. Das erste Hotel entstand 1833 in Saas-Grund, das Gasthaus zur Sonne. Es folgten die Pension Monte Rosa im Jahr 1850 und 1856 das Hotel Monte Moro. Doch lange gingen die Tourismusströme an Saas-Fee, dem heute bekanntesten Ferienort der Region, vorbei. Das, obschon Bergsteigen damals ziemlich angesagt war und die meisten Gipfel rund um das Bergdorf bereits bestiegen worden waren.

Der Funke sprang beim Spätzünder erst in den 1880er-Jahren. 1881 baute die Gemeinde das Hotel Dom und legte damit den Grundstein für die touristische Entwicklung des Bergdorfs. Dann ging es plötzlich rasch vorwärts. 1883 folgten der Bau des Hotels Bellevue (das 1976 abbrannte und dort stand, wo heute das Grand Hotel Walliserhof steht). Zehn Jahre später entstanden die Hotels Beau-Site und Grand Hotel, und 1901 wurde das Hotel du Glacier gebaut.

Einen Schub erfuhr der Ort 1951, als die Strasse von Saas-Grund her eingeweiht wurde. Im gleichen Jahr wurde die Skischule gegründet, drei Jahre später die Luftseilbahn auf den Spielboden gebaut und 1959 die Luftseilbahn Spielboden-Längfluh.

Weggis: Wo um ein Haar ein kleines Neuschwanstein entstanden wäre

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Der 1820 eröffnete Weg auf die Rigi setzt Weggis auf die touristische Landkarte. Lokale Führer und Träger waren gefragt – in Weggis nannte man das den «Rigidienst». Sie brachten gutbetuchte Reisende zu den Heilquellen nach Rigi-Kaltbad oder später auf den Kulm. Ab 1837 verkehrte ein erstes Dampfschiff auf dem Vierwaldstättersee. Es fuhr zweimal die Woche von Weggis nach Luzern.

Der «schönste Flecken der Erde», wie der amerikanische Schriftsteller Mark Twain die Gegend nach seinem Besuch im Jahr 1897 nannte, blieb den Noblen und Reichen der damaligen Zeit nicht verborgen. 1866 war der bayerische König Ludwig II zu Gast im Hotel von Hertenstein und von der Ortschaft in der Gemeinde Weggis derart angetan, dass er dort eine Parkanlage mit Lustschloss bauen wollte. 1868 kam erneut hoher Besuch: Die englische Königin Viktoria residierte im Hotel von Hertenstein, das 1909 zum Schlosshotel umgebaut wurde (heute steht dort das Campus Hotel).

Mit dem Bau der ersten Bergbahn Europas, der Rigibahn aus dem benachbarten Vitznau, kam der Weggiser Rigidienst 1871 abrupt zum Erliegen. Einen eigenen Zugang zur Königin der Berge erhielt Weggis erst fast 100 Jahre später: 1968 wurde die Luftseilbahn Weggis-Rigi Kaltbad eröffnet.

Dafür darf sich Weggis rühmen, mit dem Lido das erste Strandbad der Schweiz eröffnet zu haben, in dem Männer und Frauen nicht in getrennten Bereichen baden mussten. Das 1919 eingeweihte Freibad war damals ein veritabler Skandal in der konservativen Gegend.

Zermatt: Alexander Seiler legte nicht nur den Grundstein für eine Hoteldynastie

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So mancher Zermatter pflegt bis heute das Bild des widerspänstigen Berglers. Tatsächlich waren die Bewohner dieser abgelegenen Gegend im 17. Jahrhundert freie Bürger und unabhängig von den Herren im Tal. Fremdenverkehr und Gastfreundschaft waren bis ins 18. Jahrhundert keine Attribute, die man den Zermattern zuschrieb. Im Gegenteil: Besucher, die es – oft auf Forschungsreisen – an den Fuss des Matterhorns verschlug, berichteten im besten Fall davon, man habe ihnen keinen Platz zum Schlafen geboten, und im schlechtesten, sie seien mit Messern und Pickeln angegriffen worden.

Erst um 1838 eröffnete der Zermatter Arzt Lauber die erste Herberge in seinem Heimatdorf. Das Hotel Cervie verfügt gerade einmal über drei Betten. Zum touristischen Geburtshelfer wurde auch ein gewisser Alexander Seiler aus dem Goms. Er baute 1854 das Hotel Monte Rosa mit 35 Betten.

Seiler kaufte und pachtete in Zermatt weitere Herbergen, wie 1857 das von Joseph Anton Clemenz eröffnete Mont Cervin und das Des Alpes. Einen grossen Wurf landete Seiler, als er im oberhalb von Zermatt gelegenen  Weiler Riffelalp 1884 ein Grandhotel eröffnete. Als Grossrat setzte sich Seiler zudem für den Bau der Gornergratbahn und des Riffelalptrams ein – beide wurden 1898 in Betrieb genommen.

Die bergsteigbegeisterten Engländer waren in den frühen Jahren gute Kunden für die Zermatter Hoteliers. 1857 gründeten sie im Bergdorf den Alpine Club, und 1865 gelang dem Engländer Edward Whymper zusammen mit drei Bergführern und drei weiteren Landsmännern die Erstbesteigung des Matterhorns. Der Gipfelsturm endete allerdings tragisch, als beim Abstieg der Bergführer Michel Croz, und die Briten Douglas Robert Hadow und  Lord Francis Douglas tödlich verunglücken.

Per Eisenbahn ist Zermatt erst seit 1891 von Visp aus erreichbar. Bis 1933 verkehrte die Dampfbahn allerdings nur im Sommer – von 1. Mai bis 31. Oktober. Der erste fahrplanmässige Zug ab Zermatt führte den Sarg mit der Leiche von Alexander Seiler ins Tal.

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