Stell dir vor, der Tisch ist gedeckt und keiner kommt. Die Statistik der Reservierungsplattform Lunchgate bestätigte im Januar die Erfahrungen, die zahlreiche Hotels mit öffentlichen Restaurants und andere Gastrobetriebe gemacht haben: In den letzten zwölf Monaten hat sich die Zahl der No-Shows – Nichterscheinen ohne Abmeldung – verfünffacht. Dabei kommt es je nach Region, Wochentag, Tageszeit und Gruppengrösse zu unterschiedlichen Steigerungen.

So zählen Graubünden, Luzern und Zürich zu den Spitzenreitern, während sich Basel und Bern im Mittelfeld tummeln. Rekordverdächtig sind die Wochentage Freitag bis Sonntag und die Essenszeiten am Abend. Ausländische Touristen bleiben viermal häufiger fern, und auch Erstbesuchende gelten als halb so zuverlässig wie Stammgäste.

Lunchgate, das seit 2013 Reservationen vornimmt, hat Millionen von Daten ausgewertet. Bis Anfang 2022 kam es demnach im Durchschnitt bei nur einer von tausend Reservationen zur No-Show. In den letzten zwölf Monaten waren es deren fünf. Das klingt immer noch nach einer «quantité négligeable». Yves Latour, Managing Partner bei Lunchgate, widerspricht: «Die Zahlen bei unserer Statistik sind nur die Spitze des Eisbergs. Bei Restaurants mit ausschliesslich telefonischer Reservation gehe ich von deutlich höheren Zahlen aus.»

Ich stelle bei No-Shows 50 Franken pro Person in Rechnung.
Urs Achter, Hotelier Berggasthaus Crest᾿ota in Lenzerheide

Inzwischen bietet Lunchgate eine Kreditkartenhinterlegung an. So kann bei No-Shows ein festzulegender Betrag pro Gast abgebucht werden. Bei Betrieben, die das eingeführt haben, sei die Anzahl No-Shows rapide gesunken. Solange diese Annullationsbestimmungen bei der Reservation klar kommuniziert werden, sieht Juristin Annette Rupp von Hotelleriesuisse keine rechtlichen Einwände gegen eine solche Rechnungsstellung. Aber: «Die Betriebe können den Schaden nur dann in Rechnung stellen, wenn der Tisch nicht weitervermietet werden konnte.»

Geteilte Meinungen
In einer Umfrage von Lunchgate bei über 350 Gastrobetrieben sind die Meinungen geteilt: Je knapp 30 Prozent sprechen sich klar für beziehungsweise gegen die Einführung einer Zahlungsgarantie aus. Klare Zusprache kommt von Fine-Dining-Restaurants, die aufwendige Menüs vorbereiten, und von trendigen, ausgebuchten In-Lokalen, die Gäste zurückweisen müssen. Für sie ist jede No-Show ein nicht einkalkulierter Verlust, denn die Küche hat eingekauft, und das Personal steht bereit. Das gilt auch für einige Hotelrestaurants mit externen Gästen, jedenfalls in touristischen Hotspots wie Grindelwald oder Lenzerheide. So verlangt das Hotel Belvedere in Grindelwald bei der Reservation im 20-plätzigen Gourmetrestaurant «1910» eine Anzahlung (siehe «Pro»). Auch die Hotels Lenzerhorn und Crest’ota in Lenzerheide verzeichnen diesen Winter einen rasanten Anstieg an No-Shows und sind daran, auf die nächste Saison hin eine Zahlungsgarantie einzuführen. «In unserem ‹Heid-Stübli› können wir alle 100 Plätze für je zwei Stunden zweimal besetzen und müssen oft etwa 40 Gäste abweisen», sagt «Lenzerhorn»-Direktor Elias Leu. «Angesichts des engen Zeitfensters bleiben die Tische bei No-Shows jedoch leer.»

Hotelier Urs Achter vom abgelegenen Berggasthaus Crest’ota bietet abends ausschliesslich Menüs an. Er gibt ein Zückerchen: «Ich stelle bei No-Shows 50 Franken pro Person in Rechnung. Die Gäste erhalten nach der Bezahlung einen Gutschein in dieser Höhe, den sie vielleicht ein anderes Mal einlösen.»

Andere Wirte und Hoteliers sehen von solchen Massnahmen ab. Sie befürchten bei der Forde-rung nach einer Zahlungsgarantie eine abschreckende Wirkung. So zum Beispiel Direktor Daniel Siegenthaler vom Hotel Bern in der Stadt Bern. Er kann auf Lauf-kundschaft zählen, die No-Shows weitgehend kompensiert, und verzichtet daher auf solche Massnahmen (siehe «Kontra»). Andere Gastronomen setzen auf das Zwischenmenschliche und plädieren als Gastgeber für Nachsicht und Kulanz.


Pro
«Die Gäste müssen sich der Konsequenzen bewusster werden»
[IMG 2]
«Unser Hotel Belvedere in Grindelwald führt das Restaurant Belvedere mit 100, das Gourmetlokal ‹1910 – Gourmet by Hausers› mit 20 und die Fondue-Gondel mit 6 Plätzen. Das ‹1910› haben wir im Hochpreissegment im Januar 2022 eröffnet und verlangen dort seit Anbeginn bei der Reservation eine Anzahlung von 50 Franken pro Person. Der Betrag wird gutgeschrieben. Eine Stornierung ist bis am Vorabend um 18 Uhr möglich. Wir haben dies eingeführt, da wir ausschliesslich aufwendige 4- und 5-Gang-Menüs anbieten. Bei so wenig Plätzen ist jede No-Show angesichts des Einkaufs und des Personals ein grosser Verlust. Infolge der Anzahlung kam es bisher zu keinen No-Shows.

Auch bei den drei Fondue-Gondeln mit je zwei Plätzen fordern wir seit Ende Januar Kreditkartenangaben und verrechnen bei Nichterscheinen 10 Franken. Von einer Zunahme an No-Shows kann man nicht sprechen, da die Gondeln erst seit Dezember offen sind. Man kann sie für zwei Stunden buchen. Wenn jemand nicht kommt, lässt sich das wegen des Taktplans nicht durch Laufpublikum kompensieren. Reklamationen haben wir bisher keine erhalten. 

Beim ‹Belvedere› hingegen verlangen wir weder Anzahlung noch Kreditkartenangaben. Noch nicht. Im vergangenen Winter hat die Anzahl No-Shows jedoch weiter zugenommen. Etwa einmal pro Woche bleibt ein bestellter Tisch leer. Bei den ausbleibenden Gästen handelt es sich ausschliesslich um Touristen. Da unser Hotel nicht im Ortskern liegt, können wir nicht ohne Weiteres mit spontanen Gästen rechnen, und so erwägen wir auch hier die Einführung von Kreditkartenangaben. Ob dies das Publikum abschreckt oder ob es Verständnis zeigt, werden die Buchungszahlen zeigen. Fest steht: Die Gäste müssen sich der Konsequenzen ihrer Reservation für den Gastrobetrieb bewusster werden.»

Kontra
«Diese Massnahme ist hart und würde Befremden auslösen»
[IMG 3]
«Unser Hotel mit dem Restaurant Volkshaus 1914 liegt im Herzen der Berner Altstadt. Die meisten Gäste stammen aus der Region und besuchen uns mehrfach. Zudem kommen viele Hotelgäste übers ganze Jahr beruflich in unsere Messe- und Bundesstadt, während Touristen aus dem Ausland vorwiegend in den Sommermonaten hier Station machen. Das Restaurant verfügt über 80 Plätze. Zu unseren Spezialitäten zählen unsere Volkshaus-Klassiker wie das feine Wiener Schnitzel oder Grossmutters Hacktätschli sowie Kalbsläberli mit Berner Rösti, aber auch Vegetarier und Veganer werden auf unserer Karte fündig.

Vor allem mittags sowie abends und gegen Ende der Woche ist unser Restaurant sehr gut ausgelastet. No-Shows sind bei uns auf tiefem Niveau konstant geblieben, den Trend der massiven Zunahme, den Lunchgate festgestellt hat, können wir bei uns nicht bestätigen. Dank unserer zentralen Lage haben wir genügend Laufkundschaft, sodass wir in der Regel leer gebliebene Tische nach einer bestimmten Zeit anderweitig besetzen können. Sollten diese ausgebliebenen Gäste mit grosser Verspätung doch noch erscheinen, können sie in der Regel nach kurzer Wartezeit mit einem anderen Tisch rechnen.

Die Hinterlegung einer Kreditkarte oder gar eine Anzahlung kommt für uns nicht infrage. In gewissen Situationen mag eine solche Zahlungssicherheit sinnvoll sein, zum Beispiel bei einer geringen Platzzahl, bei einem Gourmetlokal mit aufwendigen Mehrgangmenüs oder an Orten mit wenig Laufkundschaft. Wenn die Gäste dafür Verständnis zeigen, ist alles bestens. Für das ‹Volkshaus 1914› ist es jedoch kein Thema. Alles in allem ist dies meines Erachtens eine harte Massnahme, die bei unseren Gästen eher Befremden hervorrufen würde.» 

Hannah Einhaus