Andrea D’Amico, die Booking Holding verzeichnet im Zuge der Pandemie tiefrote Zahlen und musste rund 25 Prozent der weltweit 17 000 Mitarbeitenden entlassen. Wie ist die aktuelle Lage, und wie blicken Sie ins Jahr 2021?

Diese Krise hat die gesamte Wirtschaft schwer getroffen und den Reisesektor am allerhärtesten. Es ist deshalb keine Überraschung, dass auch wir signifikante Verluste hinnehmen mussten. Im zweiten Quartal dieses Jahres gingen unsere Bruttoeinnahmen um 91 Prozent zurück. Deshalb sahen wir uns gezwungen, harte Entscheidungen zu treffen und rund ein Viertel unserer Angestellten zu entlassen. Das ist sehr schmerzhaft. Es wird einige Jahre dauern, aber wir sind überzeugt, die Krise zu überstehen und den Weg zurück zu früherer Stärke zu finden.

Die Leute verreisen in ihrer Freizeit weniger – noch stärker eingebrochen ist aber der Markt für Geschäftsreisen. Wie wichtig ist dieses Segment für Booking?

Die genauen Zahlen kenne ich nicht, aber ich würde den Anteil auf circa ein Fünftel schätzen – vor Corona.

Glauben Sie, dass sich der Geschäftstourismus erholen und das Niveau von vor Corona erreichen wird?

Wie es mit dem Geschäftstourismus in Zukunft weitergehen wird, ist schwierig vorauszusehen. Ganz allgemein gehen wir davon aus, dass sich mit dem Reiseverhalten auch der Geschäftstourismus wieder normalisieren wird. Sobald sich die Leute wieder sicher fühlen, werden sie auch wieder in die grossen Städte reisen und dort in Hotels übernachten.

Zur Person
Andrea D’Amico ist Vizepräsident und Geschäftsführer für Europa, den Nahen Osten und Afrika (EMEA) bei Booking.com. In seinen 17 Jahren bei Booking.com hat er in verschiedenen regionalen Führungspositionen gearbeitet. Zuvor hatte D’Amico unterschiedliche Funktionen bei der italienischen OTA Venere.com inne. Der Italiener hat einen Bachelorabschluss in Wirtschaft von der Universität La Sapienza in Rom und spricht fliessend Italienisch und Englisch.

Diesen Juli – zufälligerweise mitten in der Corona-Krise – trat die sogenannte P2B-Regulierung der Europäischen Union in Kraft, die für mehr Fairness und Transparenz in den Geschäfts-beziehungen mit Onlineplattformen sorgen soll. Wie wirkt sich diese neue Regulierung auf das Geschäft von Booking aus?

Wir haben unsere Allgemeinen Geschäftsbedingungen den neuen Vorgaben angepasst. Für unsere Partner ist es nun einfacher, bei einem Problem mit uns in Kontakt zu treten. Ausserdem haben wir unser internes Streitbeilegungsverfahren verbessert. Für ein Fazit zu den Auswirkungen ist es noch zu früh. Wir unterstützen jedoch die Anstrengungen der Europäischen Kommission in diesem Bereich. Plattformen werden immer wichtiger, deswegen ist es gut, dass hier reguliert und der faire Wettbewerb sichergestellt wird. Wir sind gegenüber unseren Kunden und Geschäftspartnern stets bemüht, grösstmögliche Transparenz zu bieten.

Booking bezeichnet seine Geschäftskunden gerne als Partner. Viele Hotels fühlen sich jedoch nicht als Partner, insbesondere nicht die kleinen, die nicht Teil einer grossen und mächtigen Hotelkette sind. Behandelt Booking seine Geschäftspartner unterschiedlich?

Ich habe für dieses Empfinden volles Verständnis. Wenn Sie ein kleines Familienunternehmen mit vielleicht fünf Zimmern sind, und auf der anderen Seite ist dieses grosse, multinationale Unternehmen namens Booking, dann ist es völlig nachvollziehbar, wenn Sie denken, dass diese Beziehung im Ungleichgewicht ist. Aber betrachten wir mal die Situation in der Schweiz insgesamt: Von Online-Buchungsplattformen profitieren vor allem unabhängige Hotels. 87 Prozent der Buchungen gehen an unabhängige Hotels, im Vergleich zu 78 Prozent für den Hotelmarkt insgesamt. Ein einziger Onlineeintrag bietet eine internationale Sichtbarkeit, die ein Unterkunftsbesitzer alleine nie erreichen könnte.

Das hilft einem einzelnen Hotel in seinen Beziehungen zu Booking wenig.

Wir bieten allen Hotels eine benutzerfreundliche Plattform, auf der sie ihr Angebot aufschalten, bebildern sowie den Preis und die Stornierungsbedingungen festlegen können. Ihr Angebot wird dank uns in 42 Sprachen übersetzt, inklusive Kundensupport, und das alles kostenlos. Für ein kleines, auf sich allein gestelltes Unternehmen wären so ein Service und so eine Reichweite undenkbar. Ich denke deshalb, dass das Problem eher emotionaler Natur ist. Wir können unsere Verträge nicht individuell jedem kleinen Unternehmen anpassen. Allein in der Schweiz haben wir über 16 000 Liegenschaften auf unserer Plattform, weltweit sind es mehr als 29 Millionen Einträge. Wir sind davon überzeugt, unseren Partnern einen sehr guten Gegenwert anzubieten, sonst wären unser und ihr Erfolg der letzten Jahre nicht möglich gewesen.

Booking ist zweifellos praktisch, erhöht die Sichtbarkeit und vereinfacht den Vertrieb. Nicht wenige Hotels lagern ihren Verkauf und ihr Marketing komplett an Booking aus. Viele andere Hotels wünschen sich jedoch mehr Kontrolle über ihr eigenes Angebot und ihre Preise. Viele von ihnen sehen Booking als notwendiges Übel, ohne das es leider nicht mehr geht. Was entgegnen Sie dieser Kritik?

Schauen Sie, letztendlich findet sich jedes Unternehmen in der gleichen Situation wieder: Jeder wünscht sich, dass die Kunden möglichst direkt zu einem kommen, ohne dass man irgendjemanden dafür bezahlen müsste. Auch wir fänden es schön, wenn jeder Reisende automatisch auf Booking.com gehen würde. Aber wir wissen, dass das unrealistisch ist. Deshalb geben wir viel Geld für Google, Yandex oder Naver aus (Letztere beide sind Suchmaschinen aus Russland bzw. Südkorea) und betreiben Partnerschaften mit Ryanair oder KLM. Das kostet, aber wir wissen, dass so mehr Nachfrage generiert wird. Gleichzeitig versuchen wir, das Kundenerlebnis auf unserer Plattform so attraktiv wie möglich zu gestalten, sodass der Kunde beim nächsten Mal ohne Umwege zu uns kommt. Der Hotelier befindet sich in der gleichen Lage. Auch für ihn wäre es schön, wenn der Kunde einfach bei ihm eintreten und buchen würde. Aber das ist nicht der Fall, insbesondere dann nicht, wenn man ein weltweites Zielpublikum erreichen möchte. Wir bieten einen dieser Kanäle, mit dessen Hilfe der Hotelier neue Märkte erschliessen und neue Kunden gewinnen kann.

Sie erwähnen Google. Ist Booking eigentlich abhängig von Google?

Die Frage, ob Google Freund oder Feind ist, wird uns seit Jahren immer wieder gestellt. Tatsächlich sind wir für Google wichtig, und Google ist wichtig für uns. Sollte Google in Zukunft selbst vermehrt im Reisemarkt aktiv werden und direkt mit uns in Konkurrenz treten, dann würde dies nicht über Nacht geschehen. Wir haben in unser Angebot viel Aufbauarbeit investiert. Wie gesagt, bis vor kurzem hatten wir 17 000 Mitarbeitende auf der ganzen Welt. Google wäre sicherlich in der Lage, ebenfalls ein entsprechendes Angebot aufzubauen, aber es ist auch eine Frage des Know-hows des Reisesektors und des Kundenservices. Auch Amazon oder Facebook könnten theoretisch jederzeit in den Reisemarkt einsteigen, darauf haben wir keinen Einfluss. Alles, was wir tun können, ist, stetig besser zu werden, sodass der Kunde immer wieder auf unsere Plattform kommen will.

Ein sehr kontroverses Thema sind die Preisparitätsklauseln. In den grossen Nachbarländern der Schweiz wurden sie für ungültig erklärt, hierzulande haben zumindest enge Paritätsklauseln weiterhin Bestand. Warum sind solche Klauseln überhaupt nötig?

Wir erwarten von unseren Partnern ein Mindestmass an Fairness. Ohne Preisparität bestünde das Risiko, dass unsere Partner uns einfach als Schaufenster missbrauchten, um ihre Sichtbarkeit zu erhöhen, nur, um dann den Endkunden mit tieferen Preisen auf die eigenen Hotelwebsite zu locken. Dieses Kundenverhalten beobachten wir immer wieder. Freeriding ist Teil des Geschäfts, aber: Wenn die Hotels auf Booking.com keine wettbewerbsfähigen Preise schalten, dann wird es für uns schwieriger, all die erwähnten Dienstleistungen weiterhin kostenlos für sie anzubieten. Deshalb wünschen wir uns faire Geschäftsbeziehungen, die auch uns erlauben, Buchungen über unsere Website zu generieren.

Eine Studie des deutschen Bundeskartellamts hat nun allerdings gezeigt, dass die Kunden fast immer dort buchen, wo sie das Angebot gefunden haben. Die Untersuchung kommt zum Schluss, dass es namentlich für Booking.com kein Freerider-Problem gibt und dass aus diesem Grund Preisparitätsklauseln überflüssig sind. So weit zur Theorie. Sehen Sie in den Schweizer Nachbarländern einen Rückgang Ihres Geschäfts seit Aufhebung der Paritätsklauseln?

Diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Es ist keineswegs so, dass jeder Partner gleich am ersten Tag der veränderten Rechtslage seine Preise anpasst. Ausserdem haben sich einige Hotels schon vorher nicht an die Preisparität gehalten. Letztendlich dürfte die Aufhebung der Preisparität den Hotels mehr schaden als uns. Denn die Kunden sortieren die Angebote auf unserer Plattform gerne nach dem Preis. Je höher der Preis, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, gebucht zu werden. Gleichzeitig sinkt auch die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kunde von Booking.com auf die Website des entsprechenden Hotels wechselt. Aus diesem Grund versuchen wir, unseren Partnern immer wieder klarzumachen, dass es in ihrem eigenen Interesse liegt, auf Booking.com mit wettbewerbsfähigen Preisen vertreten zu sein.

Von den Hotels hört man, dass Booking immer wieder seine Geschäftsbedingungen ändert und neue Angebote einführt, ohne die Hotels ausreichend darüber zu informieren. Ein Beispiel sind Delayed Cancellations, wonach Booking das Hotel über Buchungsstornierungen zunächst nicht in Kenntnis setzt und ein Zimmer in Eigenregie weiterverkauft. Die Hoteliers stört insbesondere, dass dieses Feature als Opt-out und nicht als Opt-in eingeführt wurde.

Die Geschwindigkeit, in der wir neue Features und Funktionen entwickeln, ist sehr hoch. Es wäre kaum machbar, bei jeder kleinen Änderung zunächst alle Partner vorab zu informieren und ihnen genau zu erklären, wie das entsprechende Feature funktioniert. Wenn wir der Überzeugung sind, dass eine Neuerung den Hotels Vorteile bringt, ohne sich allzu stark auf ihr Geschäft auszuwirken – und darunter fällt das Beispiel Delayed Cancellations –, dann führen wir sie als Opt-out ein. Die Hoteliers haben somit jederzeit die Möglichkeit, das Feature zu deaktivieren.

Zum Unternehmen
Booking.com hat sich seit der Gründung im Jahr 1996 in Amsterdam zu einem der weltweit grössten Online-Reiseunternehmen entwickelt und ist heute Teil der Booking Holdings Inc. Die Plattform hat in Europa von allen OTAs den grössten Marktanteil.

Die EU hat mit dem Digital Service Act bereits das nächste Gesetz in der Pipeline, um unter anderem die Fairness im Wettbewerb weiter zu verbessern. Dominante Plattformen wie Google, Amazon oder Facebook sollen an die kürzere Leine kommen. Was glauben Sie, ab wann ist eine Plattform wettbewerbsbehindernd?

Auch wir befinden uns in einem extrem kompetitiven Wettbewerb. Wir glauben, dass unser bisheriger Erfolg nicht auf der Beschränkung von Wettbewerb beruht, sondern darauf, dass wir dem Kunden das beste Angebot bieten. Das soll auch in Zukunft so bleiben. Wenn die EU dafür sorgt, dass der Wettbewerb auch in Zukunft spielt, dann sind wir darüber sehr glücklich.