Auf stolzen 3883 Metern über Meer liegt die Bergstation des «Matterhorn Glacier Ride ll», einer neuen Verbindung von Klein Matterhorn hinunter zur Testa Grigia auf 3458 Metern über Meer, nahe der Grenze zu Italien. Sie ist das letzte Teilstück der neuen Seilbahnverbindung Matterhorn Alpine Crossing. Mit ihr sollen Touristen aus Übersee das Matterhorn in ihren Europatrip einbauen können – indem sie von Mailand übers Aostatal in den italienischen Skiort Cervinia gelangen, in der Gondel die Alpen queren, um dann nach einem Aufenthalt in Zermatt die Reise wieder fortzusetzen – beispielsweise in Richtung Paris.

Glasböden in den Gondeln lassen den Blick hinab in die Tiefe zu und sollen dazu beitragen, dass die Fahrt über den Theodulgletscher und die spektakuläre Aussicht aufs Matterhorn zum Erlebnis werden. Derzeit laufen auf den beiden Bergspitzen die Bauarbeiten. Laut den Zermatt Bergbahnen soll die neue Seilbahnstrecke im Frühsommer in Betrieb gehen. Kosten für den «Matterhorn Glacier Ride Il»: rund 45 Millionen Franken.

Zwischenhalt zum Skifahren oder Snowtubing
Laut Valérie Biner von den Zermatt Bergbahnen werden in Zukunft Tourveranstalter die Seilbahn-Alpenüberquerung anbieten. «Gespräche in den Märkten laufen bereits.» Aus ihnen gehe hervor, dass das neue Reiseangebot auf grosses Interesse stosse.

Ab 2024 werden laut Biner die Zermatt Bergbahnen einen Gepäcktransport zwischen Zermatt und Cervinia anbieten. Dies werde eine komfortable Reise ermöglichen und erlauben, die verschiedene Aktivitäten entlang der Route geniessen zu können: so etwa die Snowtubing-Bahn bei der Talstation Testa Grigia und einfache Anfängerpisten mit der Möglichkeit, direkt vor Ort die komplette Skiausrüstung zu mieten. Vorerst sei die Reise auf dieser Route nur mit Handgepäck möglich. Ein unterirdischer Umschlagplatz für Transportlogistik in einer neuen Talstation in Zermatt soll ab 2024 bereit sein.

Schnell von Mailand aus ein Ausflug nach Zermatt
Nach Einschätzung der Zermatt Bergbahnen werden Europa-Reisende in einem Tag von Mailand nach Zermatt reisen können. Dabei dauert die Fahrt von Mailand nach Cervinia etwa zwei Stunden, die Reise über insgesamt sieben Seilbahn-Abschnitte nimmt eineinhalb bis zwei Stunden in Anspruch – diverse Halte mit Aktivitäten entlang der Strecke sind dabei nicht eingerechnet. Von Zermatt aus seien künftig auch Tagesausflüge ins italienische Cervinia möglich. «In welcher Form die Reise in Angriff genommen wird, wird die Zukunft zeigen.» Dabei sei die neue Verbindung nicht nur attraktiv für Gäste aus Übersee, die auf Europa-Reise sind, sondern auch für Skifahrer: vor allem im Sommerskibetrieb – so etwa für die Rückkehr nach Zermatt am Ende des Skitags. Des Weiteren werde das Weltcup-Rennen «Matterhorn Cervino Speed Opening» ab 2023 von der neuen Verbindung profitieren.

Schnee ist ein Highlight für Touristen aus der Ferne
Tourismusexperte Jürg Stettler, Leiter des Instituts für Tourismus und Mobilität an der Hochschule Luzern, zweifelt nicht daran, dass Veranstalter die neue Strecke bald in ihr Angebot aufnehmen werden – für kleine Gruppen mit Bustransport ab Flughafen Mailand nach Cervinia und ab Zermatt, oder als Shuttleservice Flughafen–Cervinia für Individualreisende. «Ich gehe davon aus, dass dies eine sehr attraktive Route sein wird.» Insbesondere die Möglichkeit, Schnee nicht nur zu sehen, sondern erleben und berühren zu können, mache die neue Route vor allem für Gäste aus Asien attraktiv. Und für Gäste aus den USA sei sie interessant, weil sie viele Highlights biete.

Stettler hält eine Steuerung der Gästefrequenz über den Preis für angezeigt, damit die Zahl der zusätzlichen Tagesgäste akzeptabel bleibe. Rabatte für Gäste mit Übernachtung, ein höherer Preis für Tagesgäste – damit könne man ein Publikum ansprechen, das zur Positionierung von Zermatt passe. Zermatts Bettenkapazität sieht er als natürliche Grenze, die das Gästevolumen beschränke. Im Hinblick auf diese Limite sei es denn auch nicht schlimm, wenn einige Durchreisende als Übernachtungsort Cervinia statt Zermatt wählten. «Aus Sicht von Zermatt sind dies Tagesgäste, welche die Auslastung der Seilbahn verbessern.»

Meist Ersatz für alte Seilbahnen
Komplett neue Seilbahnstrecken werden in der Schweiz selten gebaut. Eine Umfrage bei den drei weltweit grössten Seilbahnbauern zeigt: Bei den meisten Aufträgen geht es um die Erneuerung von bestehenden Anlagen – neue Verbindungen waren in den letzten Jahren selten. Das Südtiroler Unternehmen Leitner baut nach eigenen Angaben in der Schweiz ein bis zwei Seilbahnen pro Jahr, die nicht dem Ersatz zuzuschreiben sind. Demgegenüber gibt es laut dem Verband Seilbahnen Schweiz derzeit gut 500bestehende Schwebebahnen. Zusammen mit Doppelmayr-Garaventa dominieren Leitner und Bartholet den Weltmarkt – Letztere gehören seit einigen Monaten zur Unternehmensgruppe HTI, wobei sie weiterhin separat an Ausschreibungen teilnehmen.
Auch bei den Ersatzbauten gibt es teils Innovationen. So baut Bartholet in Flims den Flem-Express. Eine Besonderheit der neuen Bahn ist der autonome Betrieb: Die Gondel fährt erst dann los, wenn es Passagiere hat. Das hat den Vorteil, dass in Zeiten von schwachen Passagierfrequenzen zahlreiche Leerfahrten wegfallen, so etwa im Sommer. Laut Marketingleiter Peter Wüthrich wird die Seilbahn in zwei Etappen gebaut und Ende 2024 in Betrieb gehen.
Eine komplett neue Seil- bahnverbindung entsteht durch den Flem-Express nicht. Genutzt werden Stationen einer mittlerweile zurückgebauten Seilbahn. «Wir versuchen vermehrt, auch im urbanen Bereich neue Konzepte zu realisieren», sagt Wüthrich.