Prof. Dr. Jörn Basel ist Dozent am Institut für Tourismus und Mobilität (ITM) an der Hochschule Luzern. Seine Forschungsthemen liegen im Bereich der angewandten Entscheidungsforschung mit den Schwerpunkten Vertrauen, Risikowahrnehmung und neue Technologien.

Wie treffen wir Entscheidungen?
In welcher Destination soll der Urlaub verbracht werden? Welches Hotel genügt den individuellen Ansprüchen? Und vor allem: Welches Dessert darf es im Rahmen des Mittagsmenüs sein? Wie das menschliche Leben im Allgemeinen, so ist auch das touristische Verhalten als eine lange Kette von Entscheidungen zu verstehen. Der Mensch trifft schliesslich unglaubliche 35'000 Entscheidungen pro Tag, und daher wäre es doch wünschenswert, wenn man zumindest einen Teil der touristisch relevanten Entscheidungen besser vorhersagen und vielleicht sogar beeinflussen könnte.

Dieser Wunsch ist aus Sicht von Sales & Marketing nicht neu. Profitable Angebote und Dienstleistungen gekonnt in Szene zu setzen und damit Einfluss auf das Kundenverhalten zu nehmen, ist schliesslich deren angestammte Kernaufgabe. Was sich jedoch in den letzten Jahren bedeutsam geändert hat, ist die psychologische Sicht darauf, wie wir unsere Urteile treffen. Zahlreiche Studien dokumentieren hierzu eindrücklich: Der Mensch ist ein kognitiver Faulenzer. Es werden nicht – wie früher vermutet – die offensichtlich ökonomisch optimalen Entscheidungen getroffen, sondern ausschlaggebend sind oftmals Dinge wie Bequemlichkeit, eine starke Orientierung am sozialen Umfeld oder auch unser fehleranfälliger Umgang mit Zahlen und Wahrscheinlichkeiten. Wir – und folglich auch die Kundinnen und Kunden – agieren eben in vielen Fällen weniger rational, sondern im besten Fall begrenzt rational.

Dies klingt etwas pessimistisch, das Gute daran ist jedoch, dass diese Schwächen der menschlichen Natur eine gewisse Systematik besitzen. Dadurch wird das Verhalten prognostizierbar und kann entsprechend gelenkt werden. Und genau an dieser Steuerung setzt Nudging an.

Was bedeutet Nudging?
Der Begriff Nudging (englisch «to nudge» = (an)stupsen), wurde vom Ökonomen und Nobelpreisträger Richard Thaler und dem Juristen Cass Sunstein eingeführt. Die Idee dahinter ist, dass sich das menschliche Entscheidungsverhalten zwar durch inhärente Trägheit auszeichnet, man dies aber durch kleine «Stupser» teilweise korrigieren kann – zumindest, wenn diese Trägheit zu ungewünschten Konsequenzen führt. Der Begriff eines sanften Stupsers ist hierbei durchaus wörtlich zu verstehen, denn ein echter Nudge verzichtet auf Verbote und auch auf monetäre Strafen. Die Entscheidungsfreiheit wird bewusst nicht eingeschränkt, nach dem Motto: Dieser Weg ist der bessere, aber du kannst auch durchaus die andere Variante wählen. Ein Nudge schliesst folglich keine Optionen aus, sondern ist eher als kognitiver Wegweiser zu verstehen, bezogen auf eine spezifische Entscheidungssituation.

Nudging im Tourismus
Die klassischen Anwendungen des Nudging kommen aus dem Bereich Gesundheit oder der finanziellen Haushaltsplanung. Wichtig ist hierbei stets der Grundsatz, dass der Stupser in eine Richtung gehen soll, welche individuell ebenfalls angestrebt wird. Möchte ich mich beispielsweise im Homeoffice gesünder ernähren, wäre ein simpler Nudge einfach, Süssigkeiten schwerer zugänglich im obersten Regal aufzubewahren und stattdessen etwas Obst direkt in der Nähe meines Arbeitsplatzes zu platzieren. Ich erlege mir kein Süssigkeitsverbot auf, sondern nutze lediglich meine eigene Trägheit zu meinen Gunsten. Das oft zitierte Ampelsystem auf Lebensmitteln geht hierbei in eine ähnliche Richtung. Eine rote Ampel auf einem Produkt verbietet mir nicht den Konsum, sondern sendet nur ein bestimmtes Signal mit einem informativen Inhalt.

Der dokumentierte Erfolg des Nudging hat auch im Tourismus Einzug gehalten, wenn auch nicht immer explizit unter diesem Begriff. Gerade im Zuge der Nachhaltigkeit setzen viele Hotels auf den bekannten Handtuch-Nudge. Dies bedeutet, dass an den Badezimmern ein Hinweis angebracht wird, dass eine grosse Mehrheit der Gäste ihr Handtuch mehrfach nutzt und dadurch einen Beitrag zum Energiesparen leistet. Der Wirkungsmechanismus dahinter ist die Tatsache, dass unser soziales Verhalten oftmals automatisiert stattfindet und wir unser Verhalten (unbewusst) an der gängigen sozialen Norm ausrichten.

Ein effektiver Nudge kann folglich auch über Kommunikation erfolgen. So zielt etwa eine aktuelle Kampagne der Destination Engelberg-Titlis darauf ab, mittels verschiedener Nudging-Ansätze eine Anreise mit dem öffentlichen Verkehr als soziale Norm darzustellen. Hierbei ist auch zu beachten, dass gerade im Bereich Nachhaltigkeit ein Nudge auch darin liegen kann, einen bestimmten Energiebedarf sichtbar zu machen. Man kennt diese Visualisierungshilfen auch von digitalen Fortschrittsbalken, welche uns beim Bearbeiten von Onlinebefragungen zum Fertigstellen animieren. Die ansprechende Darstellung von Zielen oder auch des eigenen CO₂-Fussabdrucks können daher auch als Nudge konzipiert werden. [DOSSIER]

Nudge «for good» oder für Profit?
Im Bereich Nachhaltigkeit ist es relativ einfach, zu argumentieren, dass die grosse Mehrheit der Kundinnen und Kunden sich diesen Zielen auch anschliessen würde. Ein Unternehmen, welches etwa den Handtuch-Nudge verwendet, kann daher davon ausgehen im Sinne seiner Gäste zu handeln. Verschiedene Studien zeigen auch, dass durch diese kleine Intervention der Handtuchverbrauch um bis zu 25 Prozent reduziert werden kann. Nicht umsonst fordert auch der Nudge-Erfinder Richard Thaler «Nudge for good» – also nutze Nudging, um Gutes zu tun.

Anders sieht es allerdings aus, wenn Nudging im Zusammenspiel mit klaren monetären Interessen des Unternehmens genutzt wird. Diese einseitige Ausrichtung wird auch als Dark Nudging bezeichnet, denn auch hier nutzen Firmen die menschliche Trägheit, und dies lässt sich gerade an digitalen Beispielen illustrieren. So ist oftmals ein kleiner Haken als Vorauswahl platziert, und schon landet man auf dem Verteiler eines Newsletters. Dieser als Opt-out-Regel bekannte Nudge ist vielleicht ärgerlich, richtet aber zumindest keinen finanziellen Schaden an. Es gibt im Nudging aber auch moralische und rechtliche Grauzonen, etwa wenn eine Buchungsplattform mit (angeblich) begrenzten Hotelzimmern wirbt, welche gerade (angeblich) von vielen potenziellen Gästen betrachtet werden. Zwar gibt es in der Schweiz kein explizites Nudging-Gesetz jedoch zeigt eine aktuelle rechtliche Analyse, dass Nudging durchaus werberechtlich von Bedeutung sein könnte. Nicht umsonst wurde diese Art des Nudging, auch bekannt als künstliche Verknappung, vom deutschen Verbraucherschutz gerügt. Nudging ist in diesem Fall ein zweischneidiges Schwert: Die Wirksamkeit ist in beiderlei Hinsicht gegeben – zum Nutzen der Kundschaft für bessere und nachhaltige Entscheidungen, aber auch zum einseitigen finanziellen Nutzen des Unternehmens.

Soll ein Unternehmen nudgen?
Grundsätzlich spricht wenig gegen einen zielgerichteten Einsatz von Nudging, insbesondere wenn der klare Vorteil aus Kundensicht erkennbar ist. Nudges sind zudem in vielen Fällen wirksam (wenn auch kein Wundermittel) und auch kostengünstig umzusetzen. Aus der Macht über die Gestaltung der Kundenentscheide resultiert aber auch eine klare unternehmerische Verantwortung. Ein Nudge ist daher nur so lange auch kundenfreundlich, als er leicht erkennbar ist und in einer digitalen Umgebung idealerweise mittels eines einzigen Mausklicks abgewählt werden kann.