Eva Brechtbühl, Ihr touristischer Karrierestart erfolgte 1971 als 23-Jährige bei der Schweizerischen Verkehrszentrale (SVZ, heute Schweiz Tourismus). Mussten Sie sich damals besonders beweisen, um als Frau in der Branche Anerkennung zu erlangen?
Ich hatte Glück, weil mich die Vorgesetzten, insbesondere der damalige Direktor Werner Kämpfen, für voll nahmen. Ich konnte rasch recht selbstständig arbeiten.

In dieser Zeit gehörte die Frau hauptsächlich an den häuslichen Herd. Sie setzten auf die Karte Karriere. Wie reagierte Ihr Umfeld auf diesen Entscheid?
Meine Eltern und auch gewisse Freunde, vor allem diejenigen, die schon auf dem «Familien-Trip» waren, fragten mich hin und wieder, ob ich glücklich sei und ob ich wirklich Karrierepläne verfolgen wolle. Für mich war schon mit 20 ziemlich klar, dass ich im Beruf, im Tourismus weiterkommen wollte.

Gab es Situationen in Ihrer Laufbahn, in denen Sie sich als Frau je benachteiligt fühlten?
Ja, einmal, nämlich bei meiner Rückkehr an den Hauptsitz nach zwei Jahren Aussenstation in Rom. Ich war überzeugt, die damals aufzubauende Informationsabteilung leiten zu können, doch ein Mann wurde mein Chef. Da war Taktik angesagt! Und nach kurzer Zeit wurden mir Projekte zugeteilt, die ich in Eigenverantwortung bearbeiten konnte. Der Chef wurde ein lieber Kollege, und ein Jahr später konnte ich die Abteilung übernehmen.

Wie hat sich das 1971 angenommene Frauenstimmrecht auf den Stellenwert der Frau in der Branche ausgewirkt?
Nun ja! In unserem Land dauert alles etwas länger. In den 70er-Jahren änderte sich noch nicht allzu viel. Bei der SVZ hatten wir immerhin eine erste Agenturchefin in Schweden. Anfang der 80er-Jahre wurde ich die erste SVZ-Sektionschefin innerhalb des Gehaltssystems des Bundes.

Die 1948 in Zürich geborene Tourismusexpertin setzte fast ihr ganzes Berufsleben in den Dienst des Schweizer Tourismus. 1971 stiess sie zur Schweizerischen Verkehrszentrale (heute Schweiz Tourismus) in Zürich. Bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 2008 durchlief sie zahlreiche Stationen – von der Direktorin in Auslandvertretungen über die Leitung verschiedener Bereiche am Hauptsitz bis zum Mitglied der Geschäftsleitung. Sie übernahm Projektentwicklungen, Sponsoring sowie strategische und politische Aufgaben und sass in Beiräten und Verwaltungsräten diverser touristischer Organisationen. Seit 2008 ist sie Fachexpertin für Tourismusprojekte der Schweizer Berghilfe und seit 2015 im Touristischen Beirat des Kantons Glarus. Im vergangenen November wurde die 73-Jährige mit dem Milestone-Tourismuspreis für ihr Lebenswerk ausgezeichnet.

Wie sehen Sie die Lohnentwicklung bei den Frauen in der Branche seither?
Damals waren die Löhne noch ein Tabu. Man wagte kaum, eine Lohnvorstellung zu äussern. In den letzten Jahren hat sich in Sachen Entlöhnung auch in der Tourismusbranche einiges bewegt. Seit der Revision des Gleichstellungsgesetzes ist die Zeit der Ausreden vorbei. Die Frauen holen auf, zum Glück. Ich empfehle Frau, den Lohn und die Frage der Lohngleichheit unbedingt anzusprechen, sei es im Anstellungsgespräch oder in den Mitarbeitendengesprächen.

Wo sehen Sie die Hauptgründe dafür, dass es in der Branche immer noch wenig Frauen in Führungspositionen gibt?
Es gibt Männer, welche die Konkurrenz der Frauen fürchten. Und es gibt Frauen, die sich eine Führungsposition nicht zutrauen. Dabei eignet sich unsere Branche hervorragend für Frauen in Kaderpositionen. Der Tourismus wird weiblicher – auch bei den Gästen. Es sind auch meistens die Frauen, die in der Familien den Ferienentscheid fällen.

Wo müsste angesetzt werden, damit es mehr Frauen in Führungspositionen schaffen?
Quoten lehne ich ab. Es gilt, Bestqualifizierte – ob Frau oder Mann – zu engagieren. Bei Schweiz Tourismus gibt es inzwischen viele Frauen in Führungspositionen, in der Hotellerie ebenfalls. In der Ausbildung muss unbedingt auf diesen Aspekt hingearbeitet werden: Förderung, Mut machen, Schulung des überzeugten Auftretens und der Kommunikation. Frau muss sich mit dem Job identifizieren können.

Welche Frauen machen Ihrer Ansicht nach einen guten Job?
Eva Jaisli, CEO der PB Swiss Tools. Sie führt seit vielen Jahren erfolgreich das traditionsreiche Emmentaler Familienunternehmen. Werk-zeugtechnik ist eine Männerdomäne, doch es gelingt ihr, in allen Produktions- und Hierarchiestufen mindestens 30 Prozent Frauen zu beschäftigen, dies auch mit neuen Arbeitszeitmodellen. Eine innovative, verantwortungsvolle und sehr menschliche Managerin, die mich beeindruckt.

In welchem Ranking würden Sie gerne eine Frau zuoberst sehen?
Ich hätte schon Freude, wenn dereinst eine Frau CEO von Schweiz Tourismus würde. Schön fände ich auch, wenn in unserer Branche mehr Frauen den Sprung in Vorstände oder Verwaltungsräte schaffen würden.

Was würden Sie heute anders machen als vor 50 Jahren?
Ein Studium! Aber ich war immer eine Frau, die anpacken wollte – hands on! – und die Resultate sehen wollte. So war ich wohl am richtigen Ort und habe es nie bereut.

Quoten lehne ich ab. Es gilt, Bestqualifizierte – ob Frau oder Mann – zu engagieren.

Sie sind eine gute Netzwerkerin. Was raten Sie jungen Frauen, wie sie sich beruflich breit vernetzen können?
Ich halte nicht allzu viel von den existierenden Frauen-only-Netzwerken. Der Mix macht es doch aus. Eine solide Ausbildung ist sicher die Basis, doch dann braucht es eben Offenheit, Neugier, Empathie und ein gewisses Talent, auf die Menschen zuzugehen. Sicher fördern auch «Pfadi», Sport-, Freizeit- und Kulturvereine oder -clubs die gute, natürliche Kommunikation.

Mit welcher berühmten Frau würden Sie gerne zu Abend essen?
Ich war zwei Jahre Direktorin der Schweiz- Tourismus-Vertretung am Swiss Center in London. Die Theatermeile war gleich um die Ecke, und so genoss ich tolle Theaterabende. Eine grosse englische Schauspielerin ist Judi Dench. Sie spielte lange im Ensemble der Royal Shakespeare Company auf der Theaterbühne und wurde in unzähligen Rollen zum Filmstar – darunter jene als «M» in den «James Bond»-Filmen. Mit ihr möchte ich mich einen Abend lang unterhalten und amüsieren. Sie verfügt über einen grossartigen «british humour».

Welchen Jugendstreich vergessen Sie nie?
Ende der Primarschulzeit baute ich mit zwei Freundinnen einen Stand an einer Fussgängerpassage in unserem Quartier. Wir brieten Marroni und fingen an, sie zu verkaufen. Da kam die Polizei. Sofort überzeugten wir den Polizisten, dass die Einnahmen nicht für uns seien, sondern wir für die Schweizer Berghilfe sammelten. Schnell malten wir ein entsprechendes Plakat und waren mit dem Verkauf sehr erfolgreich. Unsere Eltern schalteten sich ein, und wir durften ein Taschengeld behalten. Vielleicht mein erstes richtiges Teamwork? [DOSSIER]

In wessen Schuhe möchten Sie einen Tag lang schlüpfen?
In niemandes Schuhe! Aber ich möchte zu gerne in rund 100 Jahren einen Tag lang zurückkehren, um zu sehen, welche technischen Errungenschaften – insbesondere auch in der Kommunikation und der Roboter-Forschung – sich die Menschheit bis dahin ausgedacht hat.

Was bevorzugen Sie: ein 12-Gang-Fine-Dining in einem Albergo diffuso oder ein Picknick im Park eines 5-Sterne-Luxushotels?
Ganz klar ein Picknick im Park. Angelehnt an ein unvergessliches Opernerlebnis im Park des Landhauses Glyndebourne in der englischen Grafschaft East Sussex, wo man sich mit einem gut gefüllten Picknickkorb ins Gras setzt und die Musik geniesst.