Pirmin Bischof, der deutsche Bundesgerichtshof hat die «engen» Preisparitätsklauseln des Buchungsportals Booking endgültig für wettbewerbswidrig erklärt. Haben Sie diesen Entscheid erwartet?

Ja, habe ich. Ich freue mich sehr über diese Klarstellung. Damit sind in allen vier grossen Nachbarländern die engen Paritätsklauseln verboten. Die Schweiz ist nun ein Exotikum. Schweizer Hoteliers sind die einzigen Verbleibenden in der alpinen Konkurrenzumgebung, die vom Gesetzgeber derartig diskriminiert werden.

Pirmin Bischof (Die Mitte) ist Rechtsanwalt und Notar und vertritt seit 2011 den Kanton Solothurn im Ständerat. Er ist unter anderem Mitglied der Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK-S). Von 2007 bis 2011 war er Nationalrat. In Hotelleriekreisen ist der 62-Jährige besonders bekannt als Urheber der «Motion Bischof» («Verbot von Knebelverträgen der Online-Buchungsplattformen gegen die Hotellerie»), die er im September 2016 einreichte. Der Jurist verfügt über internationale Erfahrung: Seinen Master of Law erwarb er an der Universität Harvard (USA), seine Prüfung und Vereidigung als Rechtsanwalt erfolgte am Obersten Gericht von New York. Bischof ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Der Entscheid in Deutschland setzt einen Schlussstrich unter einen mehrjährigen Rechtsstreit. Warum ist die Rechtslage so vertrackt?

Die Rechtslage ist gar nicht so kompliziert. Aber während Frankreich, Italien und Österreich Paritätsklauseln via Gesetzgebung verboten haben, wählte Deutschland den Weg über die Wettbewerbsbehörde. Deren Beschlüsse können juristisch angefochten werden – was Booking mit allen Mitteln getan hat und übrigens auch in der Schweiz weiterhin tut. Aber auch wir haben unterdessen den politischen Weg beschritten. Gegen ein vom Parlament beschlossenes Verbot wird es keine Rechtsmittel geben.

Bedeutet ein Verbot nicht ein Eingriff in die Wirtschafts- und Vertragsfreiheit?

Selbstverständlich wäre dies ein Eingriff in die Vertragsfreiheit! Aber nichts anderes ist das gesamte Kartellrecht oder das Verbot von unlauterem Wettbewerb. Das gibt es in jedem liberalen Wirtschaftssystem. Wenn man diese Eingriffe nicht vornehmen würde, bräche das ganze Vertragssystem zusammen. Stellen Sie sich vor, man könnte einfach so Monopole bilden und dann hemmungslos ausüben… Beim Verbot der Paritätsklauseln geht es darum, dass die Vertragsfreiheit der Hotels gewahrt wird und dass sie nicht von einem marktmächtigen Unternehmen wie Booking auspresst werden wie eine Zitrone.

Buchungsplattformen wie Booking betonen gerne den Nutzen, den sie Hotels bieten, und appellieren im Gegenzug an deren Fairness. Können Sie diese Sichtweise nachvollziehen?

Die Grundüberlegung stimmt: Die Plattformen, namentlich Booking, bieten ein attraktives Geschäftsmodell für alle Beteiligten. Das heisst aber nicht, dass man alles darf. Booking hat zwischenzeitlich eine Preis- und Angebotsstruktur errichtet, von der unzählige Hotels weltweit abhängig geworden sind. Hier ist der Gesetzgeber aufgerufen, zu legiferieren.

Die meisten Buchungen erfolgen immer noch über alternative Kanäle. Wie abhängig von Booking sind Hotels tatsächlich?

Das ist sehr unterschiedlich. Einige verzichten sogar ganz auf Booking. Aber ein stark wachsender Anteil ist auf diese Dienstleistungen angewiesen. Ein international tätiges Hotel kann in der Regel nicht auf die Präsenz bei Booking verzichten, es sei denn, es verzichtet freiwillig auf einen beträchtlichen Teil seines Umsatzes.

Gegen das drohende Verbot führt Booking unter anderem den Nutzen für den Endkunden ins Feld: Die Gäste profitierten von geringeren Übernachtungspreisen, die sich aus einem intensivierten Preiswettbewerb zwischen den Hotels ergäben. Stimmt diese Logik?

Nein. Konsumentinnen und Konsumenten profitieren dann, wenn der Markt transparent ist. Durch die Knebelverträge mit Booking kann der Hotelier auf seiner eigenen Website den Gästen nicht das Angebot machen, welches er ihnen eigentlich unterbreiten möchte. Ein Kunde, der kurzfristig buchen möchte und auf die Website des Hotels geht, bekommt wegen der Knebelverträge «falsche» Preise angezeigt. Würde er direkt zum Telefon greifen, bekäme er vielleicht ein günstigeres Angebot, weil der Hotelier kurzfristig möglicherweise einen Teil seiner Zimmer nicht verkaufen kann. Ein Verbot von Preisparitätsklauseln würde für die Kundinnen und Kunden mehr Preistransparenz schaffen und ist somit in ihrem Sinne.

Booking spricht auch gerne von einer Trittbrettfahrerproblematik: Hoteliers wollten das «Schaufenster» von Booking zwar nutzen, die Gäste dann zur Buchung aber auf die eigene Website lotsen, um Kommissionszahlungen zu umgehen...

Da ist es für einmal von Vorteil, dass die Schweiz das letzte Land ist, das gegen die engen Paritätsklauseln vorgeht. Unsere Nachbarn haben diese Klauseln wie gesagt bereits verboten. Und von der zitierten Trittbrettfahrerproblematik ist in allen vier Ländern rein gar nichts zu sehen. Im Gegenteil: Der Marktanteil von Booking ist geblieben oder sogar gestiegen, es gab keinen Einbruch. Das Argument ist also falsch.

Warum ist die Schweiz beim Aussprechen von Verboten vergleichsweise zurückhaltend?

Das ist eine gute Frage. Tatsächlich scheint es hierzulande wahnsinnig schwierig zu sein, eine in meinen Augen selbstverständliche Gesetzgebung durchzubringen, die für die Hotels dringend nötig ist. Ich kann mir das nur so erklären, dass die Schweiz traditionell ein sehr kartellfreundliches Land ist. Denken Sie an das Schweizer Bierkartell, das bis 1991 Bestand hatte. Freier Wettbewerb bedrohe die Bierqualität, hiess es. Doch seit der Zerschlagung des Kartells haben wir ein viel breiteres und besseres Bierangebot.

Ihre Motion gegen die Knebelverträge haben Sie vor viereinhalb Jahren eingereicht. Hat die Wettbewerbskommission die Entwicklungen verschlafen, die in den Nachbarländern längst vollzogen wurden?

Ein Stück weit schon. Die Weko hatte zwar 2015 richtig reagiert, als sie die weiten Paritätsklauseln verboten hat. Zu meinem Erstaunen stellte sie gleichzeitig fest, dass man für ein Verbot auch der engen Klauseln noch über zu wenige Daten verfüge, um abzuschätzen, ob tatsächlich Marktmacht vorliege oder nicht. Zwischenzeitlich dürfte das klar sein – auch dank der Entscheidungen in den Nachbarstaaten. Warum die Weko noch nichts Weiteres unternommen hat, ist mir schleierhaft. Deshalb muss nun die Gesetzgebung vorwärtsmachen.

In Ihrer Motion ist ursprünglich nur von «Hotels» die Rede. Vertreter der Beherbergungsbranche fordern nun aber, dass mit einem Verbot der Paritätsklauseln die Verträge aller Beherbergungsbetriebe mitgemeint sein sollen. Ist diese Auslegung zulässig?

Der Markt hat sich in den letzten Jahren stark entwickelt – denken Sie nur an den Siegeszug von Airbnb. Der Miteinbezug weiterer Beherbergungsformen ist vor diesem Hintergrund gerechtfertigt. Das Parlament muss nun bestimmen, welche genau gemeint sind.

Auch wünschen sich Branchenvertreter eine Ausweitung des Verbots auf Konditionenparitätsklauseln und Verfügbarkeitsgarantien. Ist auch dies in Ihrem Sinne?

Ursprünglich war lediglich von Preisparitätsklauseln die Rede, weil dort der Handlungsdruck besonders gross war. Inzwischen hat man festgestellt, dass nicht nur der Preis ein entscheidender Faktor ist, sondern etwa auch, welche Zimmerkategorien angeboten werden dürfen und zu welchen Konditionen. Es ist wünschenswert, dass die gesamte Palette der Angebotsparameter einfliesst, nicht nur der Preis. Ich hoffe, der Bundesrat wird dies in seiner Botschaft berücksichtigen. Wenn nicht, muss das Parlament das nachholen.

Warum bei der Beherbergung aufhören? Warum regelt man nicht gleich die gesamte digitale Plattformökonomie?

Die Auswirkungen der Digitalisierung sind im Bereich der Hotellerie besonders deutlich. Aber tatsächlich müssen wir uns in Zukunft die Frage stellen, ob eine Regulierung des Beherbergungsbereichs nicht zu eng gefasst ist. Denken Sie an das Informationsmonopol von Google oder die Beherrschung des Onlinehandels durch Amazon. Da sind in kurzer Zeit Anbieter entstanden, die ganze Marktbereiche dominieren. Wenn man den Blick weitet, kann man sagen: Die Hotellerie, die sich gegen ihre Knebelung wehrt, ist Pionierin in einer digitalisierten Welt, in der sich bald weite Teile der Wirtschaft mit ähnlichen Problemen konfrontiert sehen werden.

Wir haben es mit globalen Entwicklungen zu tun – brauchte es da nicht internationale Lösungen?

Das wäre wünschenswert. Die juristische und politische Realität ist aber die: Die Bereiche Kartellrecht und unlauterer Wettbewerb sind im privaten Vertragsrecht weltweit sehr wenig vereinheitlicht. Im Hotelleriebereich beispielsweise hat jedes Land seinen eigenen Weg gewählt. Selbst in der EU ist eine Vereinheitlichung bisher gescheitert. Solange das so ist, muss die Schweiz ihre eigenen Gesetze beschliessen, und die sollten nicht schlechter sein als in den Nachbarländern.

Was aber sehr lange dauert...

Richtig. Die digitale Welt ist eine schnelle Welt. Der schweizerische demokratische Gesetzgebungsprozess ist dagegen eher langsam. Es heisst oft, dass auf dieser Welt die Grossen die Kleinen fressen. Aber eigentlich müsste es heissen: Die Schnellen fressen die Langsamen. Gerade in unserer direkten und föderalistischen Demokratie müssen wir Wege finden, wie wir mit schnellen Entwicklungen schneller umgehen können.[DOSSIER]

Der Bundesrat hat sich im November für ein Verbot von Preisparitätsklauseln ausgesprochen. Das Vernehmlassungsverfahren wurde im Februar abgeschlossen. Wann kommt das Verbot?

Ich gebe keine Prognosen mehr ab. Als ich meine Motion 2016 eingereicht habe, glaubte ich an ein Verbot bis 2020. Jetzt ist Sommer 2021, und es liegt noch nicht einmal eine Gesetzgebung auf dem Tisch. Dabei haben sowohl National- als auch Ständerat den Vorstoss ganz deutlich überwiesen. Der Wink mit dem Zaunpfahl an den Bundesrat war unmissverständlich. Ich hoffe, dass das Gesetz nun wirklich kommt. Weitere Verzögerungen durch die Verwaltung sind für mich inakzeptabel. Für die Hotellerie ist es dringend. Wenn das Verbot Anfang 2023 in Kraft treten könnte, wäre das sehr nützlich.

Erwarten Sie sich vom Verbot in Deutschland eine Signalwirkung?

Booking hatte sich in Deutschland mit allen Mitteln gegen ein Verbot der engen Paritätsklauseln gewehrt. Dass nun der endgültige Entscheid der Kartellkammer des Bundesgerichtshofs vorliegt, ist für die Schweiz fast schon vorentscheidend. Das Verbot muss jetzt kommen, denn nur noch in der Schweiz sind Hotels derart der Willkür eines amerikanischen Grosskonzerns ausgesetzt.