Dies sei so vorgesehen gewesen, sagte Bundesratssprecher André Simonazzi vor den Medien in Bern. Der Bundesrat habe geplant, eine erste Diskussion zu führen und später zu entscheiden. Er warte auf die neuesten Zahlen zur Zuwanderung. Diese bildeten allerdings nur ein Element für den Entscheid. Auch politische Aspekte würden berücksichtigt.

Entscheiden will der Bundesrat laut Simonazzi an einer der nächsten Sitzungen. Kommende Woche trifft sich der Bundesrat wegen der Sondersession des Nationalrates am Dienstagabend, statt wie üblich am Mittwoch zu seiner Sitzung. Entscheide aus dieser Sitzung will er indes am Mittwoch bekannt geben. Übernächste Woche hält der Bundesrat seine Sitzung «extra muros» im Kanton Waadt ab.

Zwei Entscheide
Zum einen hat der Bundesrat zu entscheiden, ob für Bürger aus den neuen osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten weiterhin Kontingente gelten: Für die so genannten EU-8-Staaten hatte er die Ventilklausel bereits vor einem Jahr angerufen. Zum anderen geht es um die Frage, ob die Klausel für die EU-17 mit den «alten» EU-Staaten aktiviert wird.

Den Entscheid zu den EU-8 muss der Bundesrat bis Ende April fällen, jenen zu den EU-17 bis Ende Mai. Ob beide Entscheide noch im April fallen, sei am Mittwoch nicht festgelegt worden, sagte Simonazzi auf eine entsprechende Frage.

Umstrittenes Instrument
Die Ventilklausel ist politisch höchst umstritten. Viele bürgerliche Politiker befürworten das Instrument. Die Linke dagegen ist tendenziell der Ansicht, die Klausel nütze nicht viel. Sie fordert stattdessen stärkere flankierende Massnahmen zur Personenfreizügigkeit. Ebenfalls ablehnend äussern sich der Wirtschaftsdachverband economiesuisse und der Arbeitgeberverband.

Auch hotelleriesuisse, der Unternehmerverband der Schweizer Hotellerie, spricht sich gegen die erneute Anwendung der Ventilklausel auf die EU-8-Staaten und insbesondere gegen die Ausdehnung der Ventilklausel auf die EU-17-Staaten aus.

Die Aussenpolitische Kommission des Ständerates gab keine Empfehlung ab, jene des Nationalrates empfiehlt dem Bundesrat, auf die Ventilklausel zu verzichten. Die Gegnerinnen und Gegner sind der Ansicht, dass eine Anwendung dieses Instruments nicht im aussenpolitischen Interesse der Schweiz sei. Die Befürworter vertreten hingegen die Ansicht, mit der Anwendung des Instruments würden Versprechen an die Bevölkerung umgesetzt.

Voraussetzungen wohl erfüllt
Die Ventilklausel, die im Personenfreizügigkeitsabkommen vorgesehen ist, ermöglicht der Schweiz bei starker Zuwanderung bis im Juni 2014 die Kontingentierung. Derzeit gibt es Kontingente für Bürger aus Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn. Aus Sicht der Schweiz dürften die Voraussetzungen erfüllt sein, um die Ventilklausel auch für die EU-17 anzuwenden.

Als die Schweiz die Klausel vergangenes Jahr für die EU-8 anrief, stiess dies in der EU auf Kritik. In der aktuellen Debatte äussert sich EU-Botschafter Richard Jones zurückhaltend. Er wäre zwar nicht erfreut, doch sei die rechtliche Grundlage gegeben, sollten die Voraussetzungen erfüllt sein, sagte er im Februar.

Attraktiv für EU-Bürger
Die Attraktivität der Schweiz für Ausländer bleibt ungebrochen. 2012 wurden55'430 Aufenthaltsbewilligungen des Typs B an Bürger aus Ländern der EU-17 erteilt. Im Vergleich zu 2011 entspricht dies einem Plus von 4,6 Prozent. Die L-Bewilligungen, die einen Aufenthalt von weniger als einem Jahr erlauben, nahmen um 5,7 Prozent auf 54'185 zu.

Anders bei den von der Klausel betroffenen EU-8-Ländern: Gesamthaft wurden 3874 B-Bewilligungen an Bürger dieser Länder erteilt, ein Drittel weniger als im Vorjahr. Von Januar bis April wurden pro Monat durchschnittlich 560 Bewilligungen erteilt, ab Mai wegen der Klausel nur noch 204.

Mehr Kurzaufenthalter
Da sich die Ventilklausel nur auf die B-Bewilligungen bezieht, begehrten die Bürger der EU-8-Staaten jedoch in der Folge Kurzaufenthaltsbewilligungen. Insgesamt wurden fast 14'000 L-Bewilligungen erteilt, 22 Prozent mehr als 2011.

Die Ventilklausel für B-Bewilligungen könnten gegenüber der EU-17 zur Anwendung kommen, wenn die Zahl der Bewilligungen zwischen dem 1. Juni 2012 und dem 31. Mai 2013 die Schwelle von 56'268 überschreitet. Die Ventilklausel für Kurzaufenthalter aus Ländern der EU-8 könnte angerufen werden, wenn zwischen 1. Mai 2012 und 30. April 2013 mehr als 15'218 Gesuchen entsprochen wird. (npa/sda)