«Das russische Vakzin gegen das Coronavirus ist effektiv und bildet eine beständige Immunität», sagte Kremlchef Wladimir Putin am Dienstag im Staatsfernsehen. Es trägt den Namen «Sputnik-V» und soll an den ersten Satelliten im All erinnern, den die Sowjetunion 1957 vor den USA gestartet hatte. Der neue Wirkstoff sei am Dienstagmorgen registriert worden, hiess es. Doch wichtige Tests stehen noch aus, weder die Wirksamkeit noch die Nebenwirkungen lassen sich derzeit fundiert beurteilen.

Eine seiner beiden Töchter habe sich schon impfen lassen, sagte Putin. Bei ihr seien nach der ersten Injektion 38 Grad Fieber gemessen worden, das aber rasch wieder gesunken sei. «Sie fühlt sich gut.» Der Impfstoff wurde vom staatlichen Gamaleja-Institut für Epidemiologie und Mikrobiologie in Moskau entwickelt. Weltweit gibt es mittlerweile mehr als 170 Projekte, bei denen unter Hochdruck nach Corona-Impfstoffen gesucht wird.

Den russischen Wirkstoff haben erst wenige Menschen im Rahmen einer Studie erhalten. Eine Zulassung vor dem Vorliegen der Ergebnisse grosser klinischer Studien widerspricht dem international üblichen Vorgehen. So stellte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Vorfeld klar: «Jeder Impfstoff muss natürlich alle Versuchsreihen und Tests durchlaufen, bevor er genehmigt und ausgeliefert wird.» Es gebe klare Richtlinien für die Entwicklung von Impfstoffen.

Putin hatte im Frühjahr Druck gemacht, dass Russland schnell einen eigenen Impfstoff entwickelt. Der Chef des russischen Investmentfonds sprach kürzlich von einem «Sputnik-Moment»: "Die Amerikaner waren überrascht, als sie Sputniks Piepen hörten. Mit diesem Impfstoff ist es genauso. Russland wird ihn als erstes haben», sagte Kirill Dmitrijew dem US-Sender CNN. Sein vom Kreml gegründeter Fonds finanziert die Produktion und Entwicklung des Impfstoffs.

International warnen Experten vor zu grosser Eile. «Auch in der aktuellen Pandemiesituation ist es zwingend erforderlich, dass alle Prüfungen und Bewertungen mit der gleichen Sorgfalt erfolgen wie bei anderen Impfstoffen», mahnte Klaus Cichutek, Präsident des deutschen Paul-Ehrlich-Instituts. Zugelassen werden sollte ein Präparat nur dann, «wenn der gezeigte Nutzen mögliche Risiken deutlich überwiegt». Bei dem Impfstoff in Russland lässt sich dies bislang nicht bewerten.

Russland hatte im Frühjahr eine klinische Studie mit dem Impfstoff in einer internationalen Datenbank registrieren lassen und ihn damals noch als «Gam-Covid-Vac Lyo» bezeichnet. Es handelt sich um einen sogenannten Vektorimpfstoff. Dabei transportieren harmlose Viren Teile des Erbguts von Erregern in den Körper. Dieser bildet im Idealfall dann Antikörper und setzt andere Abwehrmechanismen in Gang.

Der Impfstoff sei bislang an 50 Soldaten und Zivilisten getestet worden, die sich freiwillig gemeldet hätten, hiess es. Doch die viel entscheidendere Phase ist die nächste Etappe, bei der an weitaus grösseren Probandengruppen überprüft wird, ob ein Wirkstoff tatsächlich vor einer Infektion schützt und welche Nebenwirkungen auftreten. Dem Gesundheitsministerium in Moskau zufolge soll eine solche Phase-III-Studie mit etwa 2000 Freiwilligen parallel mit der Zulassung des Präparats beginnen.

Die Bevölkerung soll unterdessen schon geimpft werden – zunächst Ärzte und Lehrer, nach Behördenangaben noch im August oder ab September. Die Genehmigung soll den Angaben nach vorläufig sein. Sie könne zurückgenommen werden, wenn der entwickelte Impfstoff am Ende nicht die gewünschte Wirkung hat.

«Eine reguläre Zulassung ohne die umfangreichen Daten aus einer Phase-III-Prüfung mit mindestens mehreren Tausend Probanden sollte mit Vorsicht betrachtet werden», sagte Cichutek der Deutschen Presse-Agentur. Bei den regulären Prüfungen könnten auch mögliche seltene Nebenwirkungen entdeckt werden. In Deutschland und der EU sei eine Zulassung erst nach Vorlage aussagekräftiger Sicherheits- und Wirksamkeitsdaten üblich.

Laut einer Liste der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom Montag werden derzeit sechs Impfstoff-Kandidaten in einer Phase-III-Studie getestet – russische Präparate zählen nicht dazu. Die Weltgesundheitsorganisation WHO erinnerte aber auch daran, dass Russland eine «ausgezeichnete Tradition» bei der Herstellung und Anwendung von Impfstoffen habe. Die WHO stehe in engem Kontakt mit den russischen Gesundheitsbehörden, sagte eine Sprecherin auf Anfrage. Es liefen Gespräche über eine mögliche «strenge Überprüfung» aller gesammelten Daten über den Wirkstoff.

«Ich denke nicht, dass dieser Impfstoff besser oder schlechter ist als die anderen Kandidaten», hatte Stephan Becker von der Universität in Marburg kürzlich der «Süddeutschen Zeitung» gesagt. Der Virologe geht demnach davon aus, dass die meisten der jetzt entwickelten Vakzine eine Wirkung haben werden – offen sei aber, wie stark sie sein wird. «Dass ein Impfstoff vollständig schützt, also eine Infektion verhindert, ist eher die Ausnahme.» Es werde schon schwierig sein, einen Kandidaten zu finden, der einen schweren Verlauf von Covid-19 abwenden kann.

Nur ein gut wirksamer Impfstoff kann Experten zufolge letztlich eine rasche deutliche Wende in der Corona-Pandemie bringen, ohne dass strenge Lockdown-Regeln nötig sind. Die Zahl weltweit bekannter Corona-Infektionen stieg zuletzt innerhalb von weniger als drei Wochen von 15 Millionen auf mehr als 20 Millionen. Das ging am Montag aus Daten der Universität Johns Hopkins in Baltimore hervor. Besonders betroffen sind neben den USA, Brasilien und Indien derzeit auch Länder wie Russland, Südafrika und Mexiko. (sda/dpa)