Das «Ibis Styles London Gloucester Road» bietet als erstes Accor-Haus in Nordeuropa seit letztem Jahr ein vollständig digitales Gästeerlebnis. Schweizer Hotels sind auch gut aufgestellt. Die Lenzerheider Revier Hospitality Group orientiert sich strategisch an den verschärften wirtschaftlichen Rahmenbedingungen: Alle Prozesse laufen so weit wie möglich digitalisiert und automatisiert ab. «Zu Beginn wollten wir damit die Kosten reduzieren», sagt CEO Daniel Renggli. Mittlerweile hat sich der Blickwinkel aber noch einmal verschoben, da die Digitalisierung wegen des Fachkräftemangels zur Notwendigkeit geworden ist. «Es fehlt an Personal, das die betrieblichen Prozesse überhaupt noch ausüben kann.»


Zum Beispiel die Regelung des Zutritts
In der «Revier Mountain Lodge Adelboden» läuft deshalb auch dieser Abschnitt der digitalen Gästereise seit letztem Jahr automatisiert. Zum Einsatz kommt die Schweizer Zutrittslösung Salto KS, die mit numerischen Codes arbeitet. Am Haupteingang ist ein Wandleser mit Eingabetastatur angebracht, genauso an den 86 Zimmertüren. Die Lesegeräte sind kabellos installierbar und vereinfachen die Ankunft. Nachdem Gäste vorab online eingecheckt haben, bekommen sie am Anreisetag ihre Zutrittsrechte als PIN aufs Smartphone gesendet und tippen diesen bei Ankunft in den Leser ein. Der persönliche Code ermöglicht das Türöffnen wie mit einer Keycard. «Der Vorteil unserer PIN-Lösung ist aber, dass es kein Medium braucht. Der Zutritt funktioniert ganz ohne Karte oder App.»

Zusätzlich besitzt die Salto-Software via Cloud eine Verbindung zum Check-in-Terminal und zum PMS. «Was die einzelnen Systeme miteinander kommunizieren, ist für uns zentral. Sonst weiss die Tür nicht, welcher Code von wann bis wann für wen öffnen soll. Mit der Cloud sind wir wesentlich flexibler als mit einer Server-Infrastruktur.» So kann das Hotel auch bei einem Early-Check-in schneller reagieren, genauso, wenn Gäste kurzfristig etwas dazubuchen. Für das komplette Zutrittsmanagement braucht es kein Personal vor Ort, alles wird zentral gesteuert. Die Vernetztheit der einzelnen Systeme macht den Betrieb zudem kostengünstiger, ergänzt Renggli. Und in Sachen Skalierbarkeit verschafft die Cloud-Technik den nötigen Raum für Erweiterungen. Im Sommer hat das neu eröffnete «Revier Mountain Lodge Montafon» in Österreich das Cloud-fähige Zutrittssystem erhalten.

Ein vollständig digitales Gästeerlebnis
Auch bei Stay Kooook, Eigenmarke der Dübendorfer SV Group, sind sämtliche Touchpoints vollständig digitalisiert: Die Gäste wickeln Reservation, Check-in, Türöffnung, Konsumationen, Kommunikation, Check-out und Rechnungsstellung in einer Web-App ab. «Damit schaffen wir ein nahtloses, durchgängiges digitales Gästeerlebnis von der Buchung bis zum Check-out», so SV Hotel Managing Director Beat Kuhn. Die Web-App und die Hospitality-Plattform Magic, welche die Hintergrundpozesse koordiniert, entwickelte die SV Group selbst. «Wir haben mit einem Start-up begonnen. Bald merkten wir aber, dass wir die Entwicklung selber in die Hand nehmen mussten, um alle Gästebedürfnisse abzudecken.» Bei Magic sind vorwiegend Cloud-basierte Lösungen im Einsatz. An der Entwicklung beteiligt waren unter anderem die Unternehmen Apaleo, Salto, 4 Suites.

 

Die Pandemie hat das Bedürfnis nach kontaktlosen Interaktionen verstärkt. 

 

Fragt sich, was der hohe Digitalisierungsgrad während der Pandemie gebracht hat. Im bisher einzigen, 2020 eröffneten Stay-Kooook-Haus der Schweiz in Bern-Wankdorf sehr viel: Die Buchungslage war deutlich besser als in anderen Häusern. Was auch an der Ausrichtung auf Extended Stay und Long Stay mit den Studios lag. Kuhn beobachtet, wie die Gästepräferenzen durch Corona in diese Richtung gehen: «Im Business-Segment verstärkte sich der Trend zu Bleisure und längeren Businessreisen. Die Gäste hängen an den Businesstrip noch ein paar Ferientage dran oder verlängern die Ferien mit einigen Remote-Work-Tagen.» Ein weiterer Trend: Gäste wollen selbstbestimmter reisen und keine Zeit mehr mit der Bewältigung administrativer Prozesse verbringen. «Dazu gehören alle Prozesse, die sich auch ohne Réception erledigen lassen.» [RELATED]

Auch das Versprechen, ein «Erlebnis mit möglichst wenigen Kontakten» zu schaffen, gehört zur Eigenmarke dazu. Die Pandemie habe das Bedürfnis nach kontaktlosen Interaktionen erhöht, so Kuhn. Er geht davon aus, dass Personalmangel und Kostendruck den kontaktlosen Aufenthalt weiter beschleunigen, vor allem im Segment für günstigere Übernachtungen. Technisch ginge es sogar ganz ohne Präsenz vor Ort. «Aber unser Business ist ein People-Business. Es wird immer Gastgeber brauchen. Nur wird deren Zeit zu kostbar, um sie mit Administrativem zu verbringen.» Bei Stay Kooook könnten sich die Gastgeber voll der Begegnung mit den Gästen widmen. Kuhn sieht die Eigenmarke als Konzept mit Signalwirkung: «Unser durchgängiges Online-Erlebnis nimmt vorweg, was sich künftig als Standard in der Hotellerie etablieren dürfte.» Schon jetzt zeige der Markt grosses Interesse an der Hospitality-Plattform Magic, die als White-Label-Lösung erhältlich ist. Einige Hotels hätten sie bereits als Service eingekauft.

Andreas Lorenz-Meyer