Weitgehend unbemerkt von der breiteren Öffentlichkeit ging am 16. Juni die Home-Sharing-Plattform Dtravel an den Start. Eigenheimbesitzer können dort ihr Domizil registrieren und es zur Ferienvermietung anbieten – ganz ähnlich wie bei Airbnb, jedoch zu tieferen Gebühren. Allerdings will die Plattform weit mehr sein, als bloss eine weitere Online-Buchungsplattform. Die Macher von Dtravel versprechen nichts Geringeres, als das «Vertrauensproblem der Sharing Economy» zu lösen und Gastgebern und Gästen «die Kontrolle zurückzugeben».

Es ist nichts Ungewöhnliches, dass sich ein neuer Anbieter als die Antwort auf alle Probleme versteht, nur um dann mit wachsendem Marktanteil die Daumenschrauben für die Geschäftspartner anzuziehen und so nach und nach selbst zu genau dem Problem zu werden, welchem man einst den Kampf angesagt hatte. Auf den ersten Blick wirken auch die vollmundigen Versprechen von Dtravel wenig glaubhaft, denn dahinter steckt die auf Zahlungen mit Kryptowährungen spezialisierte britische Online-Buchungsplattform Travala.com. Diese wiederum schloss Ende 2019 sowie im Sommer 2020 Partnerschaften mit Booking und Expedia, also just jenen, die sie kritisiert, ohne sie explizit beim Namen zu nennen.

DAO
Eine Dezentralisierte Autonome Organisation, deren Regeln durch ein transparentes Computerprogramm codiert sind und die nicht von einer hierarchischen Führung, sondern ihren Mitgliedern gesteuert wird.

Und doch lohnt es sich, bei Dtravel genauer hinzuschauen. Denn die Plattform wird nicht wie ein klassisches Unternehmen geführt, dessen oberstes Ziel die Maximierung der Aktionärsrenditen ist, sondern als eine sogenannte Dezentralisierte Autonome Organisation (DAO). Diese ermöglicht es den Nutzerinnen und Nutzern, die Entwicklung der Plattform selbst mitzubestimmen. «Sobald das Gründerteam die Plattform aufgebaut hat, wird es die Kontrolle an die Community abtreten», verspricht Luke Kim, Gründungsmitglied von Dtravel, auf Anfrage. Die Community soll per Mehrheitsentscheid die Geschicke der Plattform lenken und über alles, von der Gebührenstruktur bis zu den Richtlinien, abstimmen können. «Stellen Sie sich eine DAO als eine Online-Kooperative vor», so Kim.

Partizipativer und günstiger dank Smart Contracts
Möglich machen es sogenannte Smart Contracts, basierend auf der Blockchain-Technologie. Mithilfe dieser «intelligenten Verträge» können die Plattformnutzerinnen und -nutzer nach codierten Regeln Vorschläge einbringen oder über Vorlagen abstimmen. Ihr Stimmgewicht ergibt sich aus dem Anteil der gehaltenen Dtravel-Tokens mit der Bezeichnung TRVL. Das Prinzip erinnert an Aktionärsabstimmungen, bei denen das individuelle Stimmgewicht von der Anzahl der gehaltenen Aktien abhängt. Nur, dass bei Dtravel jeder Nutzer auch «Aktionär» ist.

Smart Contract
Ein «intelligenter», sich selbst erfüllender elektronischer Vertrag, der über die Blockchain geschlossen wird und automatisch in Kraft tritt, sobald die im Vorfeld bestimmten Bedingungen erfüllt sind. Die Abwicklung erfolgt sofort, rechtssicher und für alle Beteiligten überprüfbar, ohne dass eine Institution die Ausführung überwachen müsste.

TRVL sind indes mehr als reine «Governance-Tokens». Sie sind zugleich Zahlungsmittel bei den Buchungen. Wer die Plattform nutzen will, muss also zunächst mit Dollar, Euro oder Schweizer Franken (die Krypto-Szene spricht von «Fiat») TRVL oder eine andere akzeptierte Kryptowährung kaufen. Die eigentlichen Buchungen geschehen dann wiederum mithilfe der Smart Contracts, ohne dass menschliches Zutun nötig wäre. Selbst Stornierungen geschehen automatisch, ohne dass Drittparteien wie Zahlungsdienstleister oder Versicherer miteinbezogen werden müssten.

«Unsere Vision ist es, nicht nur einen Betriebsstandard und vertrauenswürdige Richtlinien innerhalb von Dtravel zu schaffen, sondern diese Richtlinien auch in Code zu schreiben. Indem bestimmte Prozesse wie Streitschlichtungen ganz oder teilweise automatisiert werden, ist die Plattform weniger kostspielig im Betrieb und effizienter», so Kim.

Die Transaktionsgebühren betragen für die Gastgeber auf Dtravel 0 Prozent. Die Buchungsgebühren für die Gäste sind mit 7,5 Prozent vergleichsweise gering. Der Grossteil davon fliesst in eine «Community Treasury», deren Mittel die Token-Halter zur Weiterentwicklung der Plattform einsetzen können. Der Rest geht in den «Protection Pool», der als Versicherungsdeckung dient und Gastgeber mit bis zu 1 Million US-Dollar schützt, «falls Probleme mit Gästen auftreten», wie Kim es ausdrückt.

Ganz ohne menschliches Eingreifen wird es trotzdem nicht funktionieren. «Die Prozesse zur Beilegung von Streitigkeiten werden derzeit noch ausgearbeitet», gibt Luke Kim zu. Am Ende werde es einen Mix aus Automatisierung und herkömmlichem Kundenservice geben. In den meisten Fällen dürfte der Protection Pool zwar in der Lage sein, eine für beide Parteien zufriedenstellende Lösung zu finden. Bei offenen Fragen oder bei grösseren Beträgen werde man jedoch menschlichen Kundenservice involvieren.

Die Übernachtungsangebote von Dtravel sollen auch auf der Mutterplattform Travala.com gelistet werden. Noch sind sie nicht buchbar, denn erst muss noch das sogenannte Token Generation Event (TGE) stattfinden, bei dem die TRVL erstmals in Umlauf gebracht werden. In wenigen Monaten sollen die Gäste jedoch in der Lage sein, Unterkünfte auf Dtravel zu buchen. «Wir werden in Kürze eine detaillierte Roadmap auf der Website veröffentlichen», verspricht Luke Kim.

Theoretisch könnte Dtravel abtrünnig werden
Doch was wäre, wenn sich die Dtravel-Gemeinschaft entscheiden würde, sich von Travala zu trennen und eigene Wege zu gehen? «Die Dtravel-DAO kann alles vorschlagen und darüber abstimmen, was sie als vorteilhaft für ihre Home-Sharing-Wirtschaft erachtet», gibt Kim zu. Er gehe jedoch davon aus, dass die Beziehung zwischen den Schwesterplattformen auch in Zukunft «symbiotisch» bleiben werde. Da Dtravel sich ausschliesslich auf Home-Sharing konzentriert, während Travala.com andere Reiseprodukte anbietet, gebe es «keine realistische Situation, n der Dtravel Änderungen einführt, die für Travala nachteilig sind.»


«Wir sind noch im ‹Wilden Westen› der Krypto-Wirtschaft.»

Feyyaz Alingan ist Technologieberater und Schweizer Krypto-Experte bei bluealpineresearch.com

Der Entwicklungsstand des Krypto-Sektors wird gerne mit dem des Internets in den späten 1990er-Jahren verglichen. Sehen Sie das auch so?

Absolut. Bei gewissen Websites und Applikationen merkt man sehr schnell: Wir sind immer noch im «Wilden Westen» der Krypto-Wirtschaft. Vielerorts fehlt noch der Feinschliff. Das ist vor allem für Anfänger nicht nur frustrierend, sondern auch gefährlich, da diese Protokolle nicht mit Spielgeldern funktionieren. Eine der grössten Herausforderungen für die Krypto-Gemeinschaft wird es deshalb sein, diese Protokolle und Applikationen nutzerfreundlicher zu machen, ohne den Nutzen dahinter zu verwässern. Für Investoren und Programmierer bedeutet das eine Riesenchance – für die Kritiker ist es hingegen ein gefundenes Fressen. [IMG 2]

Was bietet die Blockchain-Technologie Reiseanbietern?

Reiseanbieter werden sich noch stärker zu Technologieunternehmen wandeln und sich überlegen müssen, wie sie Blockchain am besten einsetzen. Kreative Möglichkeiten dazu gibt es viele, etwa bei den Loyalitätsprogrammen: NFTs beispielsweise könnten als Eintrittskarten für einen exklusiven Club fungieren. Rückerstattungen und andere Transaktionen könnten stärker automatisiert werden. Blockchain bietet nicht nur zusätzliche Zahlungsmittel, sondern könnte ganz unterschiedliche Prozesse von A bis Z auf den Kopf stellen.

NFT
Ein Non-Fungible Token ist eine eindeutige, nicht austauschbare kryptografische Einheit. Ein physisches Pendent dazu wäre beispielsweise die «Mona Lisa». Vollkommen «fungible» ist dagegen eine Geldmünze wie der Einfränkler – einer ist so gut wie der andere.

Und wie profitiert der Gast?

Der Endverbraucher wird von besseren Preisen und effizienteren Prozessen profitieren. Er braucht nicht mehr mühsam Kreditkartenformulare auszufüllen, sondern kann einfach eine Zahlungsadresse eingeben und die Kryptos ohne Umwege und in Echtzeit dorthin versenden. Auch können Angebote noch genauer auf den Nutzer zugeschnitten werden, sodass er «mehr Reise fürs Geld» bekommt.

Gibt es auch Risiken?

Dank der Blockchain werden Konsumentenadressen und deren Verhalten verfolgbarer denn je. Nicht jeder Kunde möchte offenlegen, wo er welche Reise mit welchem Anbieter gebucht hat. Die entsprechenden Privatsphäre-Mechanismen nochmals zu überdenken, ist eine Herausforderung für die Krypto-Branche als Ganzes.

Wie sieht die Zukunft von Travel und Krypto aus?

Im jüngsten Bull-run Anfang Jahr haben viele Menschen viel Geld mit Krypto verdient, welches sie nun gerne ausgeben würden. Hersteller von Luxusgütern bieten immer mehr Kryptozahlungen auf dem Sekundärmarkt an. Etwas Ähnliches wird in der Reisebranche passieren. Krypto wird sich vom Nischenprodukt zu einem etablierten Zahlungsmittel entwickeln.

patrick timmann