Wilde, unerschlossene Landschaften sind ein wertvolles Gut der Schweiz. Aber wo ist die Schweiz noch wirklich naturnah? Dieser Frage sind Gero Nischik und Marco Pütz von der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) nachgegangen.

Für ihre Studie stützten sich die beiden Landschaftsforscher auf Daten aus einer früheren Bevölkerungsbefragung, welche Infrastrukturen - also Verkehrswege, Gebäude, Sportplätze, Seilbahnen oder Energieanlagen – störend wirken und welche die Landschaft nicht stören.

Anschliessend erfassten und berechneten sie die räumliche Verteilung und das Ausmass der störenden Infrastrukturen in der Schweiz. War weniger als 20 Prozent der Fläche eines Gebiets mit störenden Strukturen bedeckt, galt dieses als «naturnaher Freiraum».

So identifizierten die beiden Forscher 2400 Gebiete in der Schweiz, die als «naturnahe Freiräume» gelten können. Diese bedecken etwa ein Drittel aller Schweizer Landschaftsräume, wie die WSL am Donnerstag mitteilte. Besonders naturnah sind demnach noch die Kantone Graubünden, Uri, Glarus und Wallis.

Hauptsächlich im Hochgebirge
Die Hälfte dieser relativ unerschlossenen Gebiete steht bereits national und kantonal unter Schutz. Allerdings liegt der Grossteil dieser Flächen in mehr als 2000 Metern Höhe und besteht aus steilen und kargen Fels- und Eisflächen. Unterhalb von 500 Metern Höhe liegen nur 0,2 Prozent der identifizierten naturnahen Freiräume.

Die Forscher befürchten, dass die noch unerschlossenen Gebiete, die noch nicht unter Schutz stehen, künftig weiter schrumpfen und mit Freizeit-, Wasserkraft- oder anderen Anlagen verbaut werden. «Die fortschreitende Erschliessung der Schweiz erfordert eine schnelle, konsequente Erhaltung naturnaher Freiräume», liess sich Nischik in der Mitteilung zitieren. Sonst würden immer mehr Freiräume, die bislang kaum von Strassen, Bahnen oder touristischen Transportanlagen erschlossen sind, zu reinen Wohn-, Wirtschafts- und Verkehrsräumen.

Naturnah versus Wildnis
Eine andere Studie der Alpenschutzorganisation Mountain Wilderness Schweiz, die ebenfalls in Zusammenarbeit mit der WSL durchgeführt wurde, war im vergangenen Jahr zu einem kleineren Anteil naturnaher Gebiete in der Schweiz gekommen: Dieser Studie zufolge sind nur 17 Prozent der Schweiz noch Wildnis.

Der Unterschied beruhe auf den unterschiedlichen verwendeten Konzepten, erklärte Pütz auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Die Mountain Wilderness-Studie nutzte einen rein ökologischen Blickwinkel und wertete nur störungsfreie Gebiete als «Wildnis». Das Konzept der «naturnahen Freiräume» indes verbindet ökologische und ökonomische Aspekte, da es sich auf den subjektiven Eindruck stützt, den Infrastruktur erweckt. Es lässt dadurch ein gewisses Mass an Störung der Landschaft zu. (sda)

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