Bei einer Sterblichkeit von rund drei Prozent unter den Covid-19-Betroffenen war es nur eine Frage der Zeit, bis auch die Schweiz einen Todesfall in Zusammenhang mit dem neuen Coronavirus zu verzeichnen hat. Am Donnerstag verstarb eine 74-jährige Frau im Universitätsspital Lausanne (Chuv).

Früher oder später dürfte fast die gesamte Schweizer Bevölkerung mit dem Virus SARS-CoV-2 in Kontakt kommen, erklärt Marcel Salathé von der ETH Lausanne (EPFL) im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Stoppen lässt sich die Epidemie wohl nicht mehr, das sei selbst China mit strikten Massnahmen nicht gelungen. «Das wichtigste ist jetzt, Zeit zu gewinnen», so der Epidemiologe.

Einerseits um einen Impfstoff und Medikamente zu entwickeln. Diese könnten die Verbreitung eindämmen und insbesondere Risikogruppen schützen. Andererseits damit das Gesundheitssystem nicht überlastet werde.

Gefahr der Überlastung
«Man kann das Virus nicht einfach durch die Bevölkerung laufen lassen», betont der EPFL-Forscher. Eindrücklich illustriert er dies auf seinem Twitterkanal mit einer groben Berechnung bei einer ungehinderten Ausbreitung: Dieser Tage gebe es in der Schweiz rund einen Fall auf 100'000 Einwohner.

Bei ungehinderter Verbreitung wären es in zwei Monaten rund 500 Fälle pro 100'000 Einwohnern. Da rund 5 Prozent der Infektionen kritisch verlaufen und sicher Hospitalisierung bräuchten, würden 25 pro 100'000 Einwohner wegen Covid-19 im Spital landen. Ende April würden also rund 5 Prozent aller Hospitalisierungen auf das Coronavirus zurückgehen.

Bei ungehinderter Ausbreitung sei Ende Mai jeder Zehnte in der Schweizer Bevölkerung infiziert und theoretisch wären sämtliche Spitalbetten in der Schweiz mit Covid-19-Patienten belegt. Dann etwa dürfte auch der Höhepunkt der Epidemie erreicht sein. «Dieses worst-case Szenario gilt es unbedingt zu verhindern», so Salathé.

Nicht einfach nur Grippe
Er warnt davor, das Virus zu verharmlosen. «Wenn einige sagen, das sei einfach nur wie die saisonale Grippe, ist das falsch.» Die Sterblichkeitsrate sei rund zehnmal höher, zudem gebe es anders als bei der saisonalen Grippe keinen Impfstoff und keinerlei bestehende Immunität in der Bevölkerung.

Zwar hoffen einige auf einen saisonalen Effekt, also dass mit wärmeren Temperaturen auch die Infektionszahlen zurückgehen. «Das könnte aber nicht mehr als ein Hoffnungsschimmer bleiben», sagt Salathé. Auch in warmen Weltregionen wie beispielsweise Singapur breite sich das Virus aus. Der Einfluss der Witterung bleibe schwer abzuschätzen, weil in wärmeren Weltregionen auch stärker klimatisiert und damit womöglich die Verbreitung des Virus wieder begünstigt werde.

Zeit gewinnen
Dass ein Ensemble aus nicht-pharmazeutischen Massnahmen, wie das Abstandhalten, Händewaschen, das derzeitige Verbot von Grossveranstaltungen und weitere tatsächlich nützen, die Verbreitung zu bremsen, lässt sich anhand von Simulationen und Analysen früherer Epidemien nachweisen.

Man sehe auch am Beispiel Chinas, dass die dort verhängten, sehr strikten Massnahmen die Epidemie abbremsen, so Salathé. «Das wird ein grosses Thema der kommenden Monate: Kann Europa das auch? Viele sehen das pessimistisch, dass das nur einem autoritären Staat wie China gelingt.» Er glaube aber daran, dass auch die europäischen Länder durch nationale und internationale Koordination in dieser Krise wertvolle Zeit gewinnen können. Allerdings rechne er damit, dass die Massnahmen in der Schweiz in den kommenden Tagen und Wochen wohl noch verschärft würden. (sda)