Mit dem Städtetourismus hat die Pandemie auch den Kulturtourismus praktisch zum Erliegen gebracht. Im Dezember mussten Museen und andere Kultureinrichtungen zum zweiten Mal innert eines Jahres ihre Türen schliessen. Mit den Lockerungen vom 1. März dürfen Sie wieder Besucherinnen und Besucher empfangen. Bei Schweiz Tourismus baut man auch für die Zeit nach der Pandemie auf die Strahlkraft der Museen. Kulturelle Aktivitäten seien «eine höchst willkommene Abwechslung mit Live-Charakter nach den lang anhaltenden Einschränkungen und vielen Stunden in den eigenen vier Wänden», so Projektleiterin Liên Burkard.

Besonders wichtig ist das Kultur-Revival für die Stadt Basel. Welche Wertschöpfung der Kulturtourismus in der Stadt auslöst, kann Christoph Bosshardt, Marketingleiter bei Basel Tourismus, zwar nicht genau beziffern. Er verweist jedoch auf Zahlen, wonach über 40 Prozent aller Freizeittouristen in Basel während ihres Aufenthalts ein Museum besuchen. International renommierte Häuser wie die Fondation Beyeler oder das Kunstmuseum Basel gehörten zu den wichtigsten USPs für die Kulturstadt Basel.

Corona zwingt die Tourismusmarketer nun jedoch zum Umdenken. «Bisher haben wir damit geworben, dass man in Basel im Gegensatz zu London, Paris oder New York für eine Weltklasseausstellung nicht anstehen muss und dass man die Kunstwerke in unseren Museen ohne Zeitdruck und Gedrängel geniessen kann», so Bosshardt. Dies könnte sich nun ändern. Gerade bei den grossen Museen könnten Tickets für bestimmte Zeitslots künftig zum Standard werden.

Stärkerer Austausch zwischen den verschiedenen Anbietern
Die Museen selbst haben den Corona-Stillstand ebenfalls genutzt, um ihr Angebot zu überdenken. Etwa das Zentrum Paul Klee (ZPK) in Bern. Thomas Soraperra, Kaufmännischer Direktor, berichtet von äusserst beliebten virtuellen Zoom-Führungen während des Shutdowns: «Die 50 Plätze waren jeweils im Nu ausgebucht.» Ersetzen könne das Digitale das Analoge trotzdem nicht. «Wir sind alle Touristen, sobald wir die eigene Stadt verlassen», erinnert Soraperra. [IMG 2]

Die Vermarktung von Kunst zu touristischen Zwecken sieht er pragmatisch. Den Begriff «Package», der unter Touristikern so beliebt ist, vermeidet er trotzdem. Er spricht lieber von «Erlebnissen». Und für ein stimmiges Gesamterlebnis brauche es neben der Kultur nun mal andere Angebote wie Shoppen, Essen, Apéro oder Übernachtung.

Der Verkauf dieser Gesamterlebnisse wird sich laut Soraperra zukünftig noch stärker ins Digitale verlagern. Auf der Website des ZPK soll der kulturell interessierte Gast bald auf andere, auch nichtkulturelle Angebote in der Region hingewiesen werden. Im Gegenzug sollen die Besucherinnen und Besucher anderer Websites zu den Kulturangeboten des ZPK gelangen. «Es gibt ganz unterschiedliche Touchpoints. Wir müssen kundenzentriert denken. Der Austausch muss wechselseitig und in beide Richtungen stattfinden», sagt der Kaufmännische Direktor.

Potenzial sieht er dabei nicht nur im Ausland, sondern auch im Schweizer Markt. Schon im letzten Jahr habe man den «Kunstherbst Bern» ausgerufen und in Zürich und Basel Broschüren verteilt, eine davon auch als Beilage im «Tages-Anzeiger». Diese Marketingaktionen wolle man weiterführen.

Hochinteressiert, gebildet und dazu noch reich
Sein Kollege Daniel Baumann, Direktor und Kurator der Kunsthalle Zürich, erkennt ebenfalls Veränderungen. «Genau wie der Tourismus erlebt auch die Kunstwelt gerade eine Verschiebung von global hin zu lokal. Wir haben gemerkt: Es gibt ein einheimisches Publikum, aber wir holen es nicht ab.» Zukünftig wolle man das einheimische Potenzial stärker ausschöpfen.

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Neben dem Heimmarkt habe ihm die Pandemie noch ein weiteres, bisher kaum erschlossenes Kundensegment aufgezeigt: «Es gibt einen Bedarf an massgeschneiderten individuellen Touren für Einzelpersonen oder kleinere Gruppen.» Baumann berichtet von zwei wohlhabenden Kunden aus Amerika, die bereit waren, für eine exklusive Führung des Direktors zu bezahlen. «Wir reden hier nicht von einem Massenmarkt, sondern einer kaufkräftigen Nische. Diese Kundschaft ist hochinteressiert, gebildet und reich. Doch bisher haben wir sie kaum abgeholt», sagt Baumann.


«Sehen ein Bedürfnis nach Themen wie Verletzlichkeit und Sensibilität»

Zentrum Paul Klee, Bern «Wir haben seit Ausbruch der Krise viel mit digitalen Formaten experimentiert», sagt Direktorin Nina Zimmer. Ob das Digitale echte Führungen in Zukunft ersetzen werde, sei hingegen die falsche Frage. Zimmer zieht den Vergleich mit einer Zeitung: «Gedruckt, als E-Paper oder als Website – es sind drei verschiedene Formen, die von den Lesenden jeweils einen Logikwechsel erfordern.» Einen klaren Einfluss von Corona auf die Inhalte erkennt Zimmer indes noch nicht. «Aber wir sehen ein gesteigertes Bedürfnis nach Themen wie Verletzlichkeit, Sensibilität und körperlicher Fragilität.» [IMG 6]
zpk.org


«Erwachen aus dem Dornröschenschlaf»

Fondation Beyeler, Basel Er sei glücklich, dass das Museum am 1. März aus dem zweiten «Dornröschenschlaf» habe erwachen dürfen, so Direktor Sam Keller. An den ersten beiden Märztagen war der Eintritt frei. Diese Aktion sei einerseits den Arbeitskräften im Gesundheitsbereich gewidmet und andererseits jenen Menschen, die besonders hart von der Krise getroffen worden seien. «In einer Zeit, in der Menschen Abstand zueinander halten müssen, tut es allen gut, diese sinnlichen Kunstwerke und ihre unmittelbare Wirkung live vor Ort zu erleben.» Während der Schliessung hat die Fondation Beyeler eine ungewöhnliche Erkundungsmöglichkeit geschaffen: Im Nintendo-Switch-Spiel «Animal Crossing» können Spieler digital durchs Gelände streifen. [IMG 7]
fondationbeyeler.ch


«Lokale Verantwortung hat nichts Provinzielles»

Kunsthalle Zürich «Die Pandemie hat einige Trends beschleunigt, die schon vor der Pandemie da waren», sagt Direktor Daniel Baumann. Etwa das Thema Nachhaltigkeit und die Kritik am Export und Import von Kunst: «Das Lokale war in der Kunstwelt bis vor zwei Jahren noch völlig verpönt. Global war das Mass aller Dinge, lokal war gleichbedeutend mit provinziell. Jetzt können wir zeigen, dass lokale Verantwortung nichts Provinzielles hat.» Unter dem Druck von Corona und den wirtschaftlichen Folgen finde gerade eine Neubewertung statt: «Wir machen möglichst keine umständlichen Transporte mehr, wir wollen den rastlosen Import/Export vermeiden. Kunst stellt sich der Umweltfreundlichkeit.» [IMG 8]
kunsthallezurich.ch

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patrick timmann