Das südliche Bodenseeufer gilt unter Velofahrern, Genussreisenden und Kulturinteressierten als beliebte Ausflugsregion. Der See selbst bildet dagegen für die meisten touristischen Aktivitäten «nur» die Kulisse – von Badibesuchen und Schifffahrten einmal abgesehen. Dies soll sich in Zukunft ändern. Ein Projekt mit dem Arbeitstitel «Paddelland Bodensee» soll das südliche Bodenseeufer als eine der führenden Regionen beim Thema Paddeln positionieren. Im Fokus steht dabei die Trendsportart Stand-up-Paddling (SUP), bei der man sich im Stehen rudernd fortbewegt. Attraktive Angebote und Packages sollen Einheimische wie Touristen in den nächsten Jahren vermehrt auf die Bretter locken.

Rückblende: Vor zwei Jahren wurde der Prozess «Südufer Bodensee» lanciert, mit dem Ziel, das touristische Potenzial des Südufers stärker auszuschöpfen und auch Mehrwerte für die lokale Bevölkerung zu schaffen. Hinter der Initiative stehen die Regionalentwicklungsorganisation Regio Appenzell AR-St. Gallen-Bodensee sowie die beiden Tourismusorganisationen Thurgau Tourismus und St. Gallen-Bodensee Tourismus. Sie schickten ein halbes Dutzend Expertinnen und Experten zwischen Romanshorn und Altenrhein auf Spurensuche, mit der Mission, die Stärken und Schwächen der Region wahrzunehmen und daraus Ideen für eine ansprechende Inszenierung zu generieren.

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Eine Dienstleistungskette entlang des Seeufers
Einer dieser Kundschafter ist Tourismusberater Roland Anderegg. Zwei Tage war er im Feld unterwegs. «Ich habe viele Velofahrende am Seeufer gesehen, die sich unterwegs eine Glace kauften, aber ansonsten wenig an Wertschöpfung generierten.» Für ihn war deshalb klar: Die Region braucht nicht nur eine Inszenierung am Wasser, sondern auch auf dem Wasser.

Jetzt ist Anderegg Projektleiter von «Paddelland Bodensee». «Im Moment ist Paddeln noch ein ‹Autosport›, man muss seine Ausrüstung mit dem Auto anfahren.» Die grosse Herausforderung sei nun, Miete, Transport und Aufbewahrungsmöglichkeiten am See so zu organisieren, dass die Besucherinnen und Besucher spontan und ohne grösseren Vorlauf aufs Paddelbrett steigen könnten. Aber auch andere touristische Dienstleister entlang des Wassers sollten eingebunden werden, sagt der Thurgauer Tourismusdirektor Rolf Müller. «Die Paddelangebote müssen mit Food und Übernachtung kombiniert werden können.» Sein St. Galler Kollege Thomas Kirchhofer pflichtet ihm bei: «Das Gesamtpaket muss stimmen. Das reicht von der unkomplizierten Anreise über die Miete, die grosse Auswahl an buchbaren Erlebnissen, den Transport bis hin zur Übernachtung.»

Aktuell läuft eine Umfrage unter den Leistungsträgern, mit welchen Angeboten sie sich am Projekt beteiligen könnten. Die Touristiker hoffen auf ein breites Echo und möglichst viele interessante Vorschläge, ohne jedoch die Erwartungen zu hoch anzusetzen. «Wenn nur schon die Strandbar oder das Hotel am See Mietpaddel anböten, wäre das ein erster Schritt», sagt Anderegg.

Internationale Kooperation nicht ausgeschlossen
Das Vernetzen unterschiedlicher Leistungsträger und Interessenvertreter steht im Zentrum des Projekts. Regio Appenzell AR-St. Gallen-Bodensee versteht sich dabei als Impulsgeberin und Brückenbauerin. Was den Prozess «Südufer Bodensee» auszeichne, sei, dass er nicht an einer Gemeinde- oder Kantonsgrenze aufhöre, sagt Geschäftsleiterin Leila Hauri. «Akteure aus den verschiedensten Bereichen, Kantonen und Gemeinden setzen sich zusammen, engagieren sich und entwickeln gemeinsam Projekte für unsere Region.» So selbstverständlich dies klinge, so wenig sei es Usus, sagt Hauri.

Unter dem Dach des 2019 gestarteten Prozesses «Südufer Bodensee» soll neben dem «Paddelland Bodensee» auch ein neues Veloerlebnis entlang der Schweiz-Mobil-Routen entstehen. Ziel ist es, die Veloströme, die sich heute vor allem am Seeufer konzentrieren, gleichmässiger auf die gesamte Region zu verteilen. Mithilfe von Gamification-Elementen sollen Aussichtspunkte, Grillstellen oder Museen aufgewertet werden.
regio-stgallen.ch

Auch ökologische Anliegen und Bedürfnisse anderer Nutzergruppen gilt es zu berücksichtigen. Aktuell laufe der Austausch mit den kantonalen Ämtern für Raumentwicklung, der Seepolizei sowie Vogel- und Fischereiexperten. Einmal jährlich findet zudem das Forum Südufer Bodensee statt, zu dem alle relevanten Akteure und touristischen Leistungsträger eingeladen werden.

Der aktuelle Perimeter des «Paddellands» erstreckt sich vom st.-gallischen Rheineck an der österreichischen Grenze bis nach Uttwil TG. Das bedeute jedoch nicht, dass die Kooperation dort ende. Hauri richtet den Blick bereits den Bodensee hinunter bis nach Kreuzlingen TG. Auch für eine Zusammenarbeit mit Leistungsträgern in Deutschland und Österreich sei man offen. «Aber es gibt sehr viele Akteure. Es ist Erfolg versprechender, dort zu starten, wo man verankert ist, um den Aktionsradius danach schrittweise zu erweitern.»

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Ihre Projektpartner sehen das ähnlich. «Anstatt ein weiteres Dreivierteljahr lang Papier zu produzieren, wollen wir mit ersten Umsetzungen Erfahrungswerte in dieser Sportart sammeln. Anschliessend können wir auf die Nachbarn zugehen», sagt Anderegg.

Er sieht das Projekt als «Befähiger» des Paddelsports. Ob SUP nach Ablauf des Projekts Ende 2023 bereits ein Selbstläufer sein wird, wagt er nicht abzuschätzen. Möglicherweise brauche man noch etwas Geduld, bis Paddeln ein Breitensport sei. Er und seine Mitstreiter ziehen Parallelen zum Aufstieg des Mountainbike-Tourismus in Graubünden. Dieser habe sich noch vor gut zehn Jahren an einem ähnlichen Punkt befunden wie heute das Paddeln am Bodensee. Geht es nach den Touristikern, wird das Paddeln in der Region ebenfalls einen Nachfragesog auslösen.

In loser Folge berichtet die htr hotel revue über Projekte, die im Sinne von #bettertogether entstanden sind. [DOSSIER]


Sorge um Fische und Zugvögel

Umweltschützer reagierten skeptisch auf die Pläne rund um das «Paddelland Bodensee». Die Anliegen des Projekts seien zwar berechtigt, sagte Lukas Indermauer, Geschäftsführer des WWF St. Gallen, Anfang April gegenüber SRF. Man lese jedoch punkto Schutz der Natur zu wenig aus dem Konzept heraus. Problematisch seien insbesondere Paddelnde auf Entdeckungstour in Ufernähe, da Schilfufer Hotspots der Biodiversität sowie Rückzugsgebiete und Kinderstuben von Fischen seien. Auch Vögeln bieten sie Lebensraum. Jakob Rohrer, Co-Präsident des Thurgauer Vogelschutzes Birdlife, forderte eine eindeutige Signalisation und Mindestabstände. «Diese Schutzgebiete sind nicht nur Brutgebiete, sondern auch wichtige Rastplätze für ziehende Wasservögel. Ein einzelner Paddler kann bereits Hunderte Vögel in die Flucht treiben.»

Die Bedenken der Umweltschützer nehme man ernst, heisst es seitens der Projektverantwortlichen von «Paddelland». Entsprechend wichtig sei der Austausch mit Umweltschutzorganisationen. «Wir sind offen für Gespräche», sagt Leila Hauri.

Hauri und ihre Kollegen gehen davon aus, dass die Beliebtheit des Paddelsports so oder so zunimmt, die Koordination darum umso wichtiger wird. Projektleiter Roland Anderegg: «Die Menschen wollen ans Wasser. Ob wir was machen oder nicht, die Nachfrage wird zunehmen.» Deshalb wolle man die Paddlerströme kanalisieren, indem man Ein- und Ausstiegsstellen kennzeichne und die Menschen darauf hinweise, nicht ins Schilf zu fahren.

Ob diese Logik bei den Umweltschützern verfängt, ist offen. Vom WWF St. Gallen und dem Thurgauer Vogelschutz war niemand für eine Stellungnahme zu erreichen.