Marcel Perren, haben Sie schon Chinesisch gelernt?

Da der chinesische Markt für Luzern eine grosse Bedeutung hat, hielt ich mich selbst schon mindestens sieben oder acht Mal in China auf. Aber trotzdem sind meine Chinesisch-Kenntnisse noch sehr bescheiden. Diese beschränken sich auf ganz wenige Wörter, denn es handelt sich um eine sehr schwierig zu lernende Sprache. Seit vielen Jahren haben wir einen chinesischen Mitarbeitenden, der für Luzern in China tätig ist. Damit haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht.

Sind grosse Chinesen-Gruppen, wie in den vergangenen Wochen gleichzeitig Luzern besuchten, für Sie Fluch oder Segen?

Incentive-Gruppen von 12'000 Personen in der Schweiz stellen sicher eine logistische Herausforderung dar. Für Luzern handelt es sich um Tages­ausflügler, da diese Gäste, die für das weltweit tätige Unternehmen Jeunesse Global arbeiten, nicht in Luzern übernachten, sondern im Raum Basel und Zürich. In der ersten Woche waren es 4000 Personen, danach folgte vergangene Woche der Rest aufgeteilt in mehrere Etappen mit je 2300 bis 1400 Teilnehmenden. Logistisch ist es zu bewältigen, aber am oberen Limit für eine kleinere Stadt wie Luzern. Gleichzeitig muss man diese Zahlen relativieren, denn Luzern zählt im Durchschnitt täglich 22'000 Besucher. Diese halten sich nicht alle in der Stadt auf, sondern verteilen sich auf die Region mit Seen und Bergen.


Ein Walliser 
vermarktet Luzern
Marcel Perren (52) ist seit Anfang 2007 Tourismusdirektor in Luzern. Zuvor war der Walliser Leiter Gästemarketing und Vizedirektor von Wallis Tourismus. Nach seiner Ausbildung als Betriebsökonom HWV mit Fachrichtung Marketing absolvierte Perren verschiedene Weiterbildungen. So etwa ein Executive MBA in General Management an der Uni Zürich oder den eidg. dipl. Marketingleiter. Er ist Präsident der Konferenz der regionalen Tourismusdirektoren der Schweiz (RDK) und in dieser Funktion Vorstandsmitglied von Schweiz Tourismus und des Schweizer Tourismus-Verbandes. 
Perren ist verheiratet und wohnt in Luzern.

Also weder Fluch noch Segen?

Eher ein Segen für den Tourismus. Denn wir sind froh, dass wir auch für den chinesischen Markt attraktiv sind. Die total 12'000 zusätzlichen Gäste, die an sechs Tagen im Mai in Luzern waren, sorgten für eine Wertschöpfung von über vier Millionen Franken, wohlgemerkt ohne Übernachtungen. Also für die Schifffahrt, das Shopping und das Gala-Dinner.

Für die Luzerner Hotellerie ist es doch schade, dass diese Chinesen nicht auch in Luzern übernachteten?

Mit unserer Hotelinfrastruktur wäre dies unmöglich gewesen. Im Monat Mai haben wir eine Auslastung von über 70 Prozent und haben im Vergleich zu Basel und Zürich eine deutlich geringere Hotel-Kapazität. Hinzu kommt, dass eine Aufteilung auf drei Städte für den Organisator G2 Travel in Berlin logistisch kompliziert gewesen wäre. Für uns geht es aber absolut in Ordnung, dass wir als Tagesausflugs-Destination auserwählt wurden.

Der Grossteil der Wertschöpfung entfiel wohl auf die Luzerner Uhren- und Bijouterie-Geschäfte.

Rund die Hälfte der Wertschöpfung entfiel auf die Uhren- und Schmuckbranche, die andere Hälfte auf touristische Dienstleister und den Detailhandel. Das Gala-Dinner mit musikalischem Unterhaltungsprogramm für 8500 Personen fand in der Messe Luzern statt. Alle 12'000 chinesischen Gäste, die nach Luzern kamen, unternahmen eine Schifffahrt. Im Rahmen von anderen Tagesausflügen besuchten sie auch den Titlis.

Wann erfuhren Sie von der geplanten Reise der 12'000 Chinesen nach Luzern?

Erst rund dreieinhalb Wochen vor Ankunft der ersten Gruppe. Alle Programmpunkte waren bereits gebucht. Wir erachteten es als sinnvoll, dass wir die Koordination dieses Grossanlasses zusammen mit der Stadt Luzern übernehmen. Zentral war die Erarbeitung eines verkehrstechnischen Mobilitätskonzepts durch Spezialisten. Die Busse aus Basel und Zürich fuhren nicht ins Stadtzentrum, sondern zu einem Art Hub beim sogenannten Inseli hinter dem KKL Luzern. Nach ihrem Aufenthalt auf dem Schiff und in der Stadt wurden die Besucher mit Shuttle-Bussen wieder zu den Bussen auf die Allmend zurückgebracht. Dieses Verkehrskonzept hat sich sehr bewährt.

Welche weiteren logistischen Arbeiten waren nötig?

Einiges musste mit der Stadt Luzern koordiniert werden. Die Verkehrspolizei hatte den Auftrag, die Busse auf den Parkplatz beim Inseli einzuweisen. Zusätzliche Toilettenwagen wurden beim Inseli installiert, und zusätzliche Reinigungsdienste wurden aufgeboten. An die Guides der Touristengruppen wurden Infoblätter mit Hinweisen zu Sehenswürdigkeiten, WC-Anlagen und Notfallnummern abgegeben. Wir von Luzern Tourismus hatten «Friendly Hosts» im Einsatz, die für einen freundlichen Empfang der Gäste besorgt waren. Logistisch war der Koordinationsaufwand insgesamt beträchtlich, aber gemeinsam mit der Stadt gestaltete sich die Zusammenarbeit unkompliziert und alles lief planmässig.

Rechnen Sie damit, dass Teilnehmer dieser Gruppe später die Schweiz als Individualgäste besuchen?

Viele, mit welchen ich sprechen konnte, waren begeistert vom Aufenthalt und beabsichtigen, mit Freunden und Familien wieder zu kommen. Das Potenzial für wiederkehrende Gäste ist also durchaus vorhanden.

Nicht alle Luzerner freuen sich über derart grosse Chinesengruppen. Wie schaffen Sie bei der Bevölkerung Verständnis dafür?

Wir befinden uns an einem Hotspot des internationalen Tourismus und haben dementsprechend immer viele Gäste. Seit vielen Jahren informieren wir die Luzerner Bevölkerung über die Bedeutung des Tourismus für die Stadt. Wir zeigen den Einheimischen auch auf, dass sie ebenfalls von der Infrastruktur profitieren, die dank dem Tourismus existiert. Mit politischen Vertretern von links bis rechts und mit Quartiervereinen führen wir Gespräche und pflegen mit ihnen einen engen Austausch. Von den Grünen stammt der politische Auftrag, die Tourismusvision 2030 für die Stadt Luzern in Zusammenarbeit mit Luzern Tourismus und der Bevölkerung zu definieren. Touristisch sind wir sehr erfolgreich unterwegs, wichtig ist jedoch auch, dass die Balance zwischen Gästen und Einheimischen stimmt.

Gewisse Kreise warnen betreffend Tourismus in Luzern vor Overtourism. Sind diese Befürchtungen berechtigt?

Zurzeit überhaupt nicht, wie alle Analysen zeigen. Luzern erzielt aktuell jährlich rund 1,4 Millionen Logiernächte und zählt 8 Millionen Tagesgäste, rund 83 Prozent davon aus der Schweiz. Nimmt die Anzahl Tagesgäste in den kommenden zehn Jahren im gleichen Ausmass zu wie bisher, wird es zu einer grösseren Herausforderung. Unser Wunschszenario ist, dass die Gäste künftig länger in der Stadt Luzern oder in der Region verbleiben.

Dafür sind die Chinesen, die ganz Europa in zehn Tagen abspulen, wohl nicht das richtige Zielpublikum?

Teilweise ist dies sicher so. Der chinesische Gruppengast kam in der Vergangenheit in Luzern im Schnitt auf eine Aufenthaltsdauer von 1,3 Logiernächte. Eine Studie der Hochschule Luzern zeigt jedoch, dass 25 bis 
30 Prozent der Chinesen vermehrt in Kleingruppen oder individuell unterwegs sind. Entsprechend bleiben sie tendenziell länger. Der chinesische Gruppengast macht die gleiche Entwicklung durch wie früher der amerikanische und der japanische Gruppengast.

Sie verfolgen mit Luzern Tourismus eine «Premium»-Qualitätsstrategie. Dies steht doch im Widerspruch zu den aktuell in grossen Massen besuchenden Chinesen.

Die Teilnehmer der Incentive-Reisegruppe, die Sie ansprechen, haben wir weder gesucht noch selber akquiriert. Wir wollten ihnen einfach ein schönes Erlebnis vor Ort bieten. Generell betrachtet sind nur 20 Prozent der Übernachtungsgäste Gruppengäste und 80 Prozent sind Individualreisende. Dieses Verhältnis ist für uns ideal. Einen Anteil Gruppengäste zu haben, bietet auch Vorteile. Diese Gäste sind viel wetterunabhängiger, da sie aufgrund ihrer Vorausbuchung in jedem Fall anreisen. Sie helfen auch, die Auslastung in der Zwischensaison zu optimieren. Mit unserer «Premium»-Qualitätsstrategie streben wir weder nur Individualgäste noch nur hoch­preisige Gäste an. Es geht vielmehr um eine «Best-in-class-Strategie», das heisst, dass wir in jedem Bereich eine möglichst hohe Servicequalität bieten wollen. Ziel ist nicht eine jährliche Volumensteigerung. Qualität statt Quantität ist vielmehr unsere Devise – und dies schon seit längerer Zeit.