Viele Jahre setzte sich Hans-Jürg Rehli während seines Berufslebens für den Tourismus in seiner Heimat Arosa GR ein. Heute, mit 72 Jahren, steht er nach wie vor gerne als freiwilliger Mitarbeiter zur Verfügung, packt bei Events mit an und übernimmt organisatorische Aufgaben – ohne dafür einen Lohn zu erhalten: «Ich muss nicht mehr arbeiten, aber ich darf mithelfen. Dafür bin ich sehr dankbar.» Rund 200 bis 250 Einsatzstunden kommen so pro Jahr zusammen, die meisten leistet der Senior an Veranstaltungen wie den Schneefussball-Weltmeisterschaften, dem Ski Cross World Cup oder dem Humorfestival. «Es macht mir Spass, mein Wissen an die jungen Menschen im Team weiterzugeben. Wir sind alle mit Herzblut am Werk.»

Vereine nehmen ausserhalb der Städte eine wichtige Rolle ein
Auf mehr als hundert Freiwillige kann Arosas Tourismusdirektor Roland Schuler zählen, wobei die meisten von ihnen Einheimische sind oder einen starken Bezug zum Ort haben: «Dieses verbindende Element braucht es, damit jemand unentgeltlich mit anpackt.» Die Beweggründe für ein Engagement sind so individuell wie die Menschen, die es leisten. Meistens besteht ein Interesse am Anlass, die Solidarität eines ganzen Vereins oder «der Wunsch, ein Teil dieser speziellen Familie zu sein». Statt Geld erhalten die Freiwilligen oftmals einheitliche Kleidung, Verpflegung vor Ort – und ganz viel Wertschätzung. «Ich bedanke mich persönlich bei jedem Einzelnen. Und wer einen Tag arbeitet, erhält einen 40-Franken-Arosa-Gutschein für den Einkauf im Dorf», so Schuler. Egal, ob jemand in der Gastro hilft, Zelte aufbaut oder die Besucherlenkung übernimmt – jeder dieser Einsätze ist wichtig und «nötig, damit wir grosse Anlässe überhaupt durchführen können».

Unser Museum wäre ohne die Freiwilligen weniger facettenreich und weniger bunt.

Gabriela Gehrig, Leiterin Freiwilligenprogramm Schloss Lenzburg / Museum Aargau

Arosa ist nur eine von vielen Regionen, die ohne Freiwilligenarbeit mit einschneidenden Folgen rechnen müssten: «Das touristisch relevante Angebot würde ohne Events entscheidend ausdünnen und die Destinationen deshalb an Attraktivität einbüssen», erklärt Urs Wagenseil, Co-Leiter des Kompetenzzentrums Tourismus an der Hochschule Luzern. In einer Studie sind er und sein Team der Frage nachgegangen, wie relevant die Freiwilligenarbeit in den Destinationen ist. Eine der Erkenntnisse: Dreh- und Angelpunkt sind ausserhalb der grossen Zentren die Vereine, die mit dem engen Zusammenhalt der Mitglieder die nötige Solidarität aufbringen, um gemeinsam an einem Event mitzuhelfen. «Das kommt wiederum dem Wunsch der Gäste entgegen, von Einheimischen empfangen zu werden statt von externen, anonymen Dienstleistern», erläutert Wagenseil. All diese Stunden finanziell abzugelten, liege kaum drin. Doch worauf muss im Umgang mit Freiwilligen besonders geachtet werden? Studien-Mitverfasserin Barbara Rosenberg-Taufer betont, dass die Helferinnen und Helfer eine für sie zuständige Ansprechperson und klar geregelte Aufgaben brauchten (siehe Nachgefragt unten).

Kennzahlen:
41 Prozent der Bevölkerung der Schweiz (ab 15 Jahren) leisteten im Jahr 2020 in irgendeiner FormFreiwilligenarbeit.
4,1 Stunden pro Woche investierten diese Menschen dafür.
4 Prozent weniger institutionalisierte Freiwilligenarbeit (für Vereine und Organisationen) wurde geleistet, dafür stiegen die informellen Hilfeleistungen (Nachbarschaftshilfe, Betreuung, Pflege) um 0,7 Prozent an.
9 Milliarden Stunden Freiwilligenarbeit werden in der Schweiz pro Jahr geleistet.
(Quelle: Bundesamt für Statistik, Benevol)

Eine punktuelle Bereicherung im Zoo Zürich
Auch in den Städten sind helfende Hände willkommen. So stehen zum Beispiel im Zoo Zürich all jene freiwillig im Einsatz, die mit einer grünen Weste ausgestattet sind. Sie vermitteln den Besuchenden vor den Anlagen ergänzende Informationen zu den Tieren, begleiten die Lama- Karawane oder sind auf speziellen Führungen unterwegs. 334 Frauen und Männer zwischen 23 und 86 Jahren leisten so pro Jahr rund 30 000 Stunden Arbeit (vor Corona). «Wir erwarten von den Freiwilligen natürlich Freude an Fauna und Flora und laden sie zum Kennenlernen zu einem Gespräch ein», sagt Jacqueline Kauer, die Leiterin des Freiwilligenteams. Passt es für beide Seiten, erlernen die Helfer das nötige Wissen in einem Grundkurs. Und anschliessend wird ein Engagement von 50 Stunden pro Jahr erwartet. Systemrelevant seien diese Einsätze für den Zoo nicht, doch eine enorme Bereicherung für die Gäste. Entschädigt wird die Arbeit nebst freien Zooeintritten, Weiterbildungen und separaten Aufenthaltsräumen mit einem Dankeschön-Essen, das vom Kader und der Geschäftsleitung persönlich serviert wird.

Aus dem Alltag ausbrechen und etwas Neues lernen
Ähnlich tönt es bei Museum Aargau, zu dem diverse Schlösser und Anlagen sowie das Römerlager Vindonissa gehören: Einzelne Angebote müssten ohne die Freiwilligen gestrichen werden, andere würden schlanker ausfallen. Über hundert Helferinnen und Helfer sind hier jeweils im Einsatz, geben die Gastgeber in historischen Kostümen, spielen Theater, helfen im Archiv, unterstützen bei Veranstaltungen – und geben dem Museum ein Gesicht. «Sie alle sind Botschafter und tragen unsere Haltung gegen aussen», sagt Gabriela Gehrig, Leiterin des Freiwilligenprogramms. Vorausgesetzt würden das Interesse an Geschichte sowie die Bereitschaft, Neues zu lernen und ein bis zwei Einsätze pro Monat zu übernehmen. Auch hier gibt es als Dankeschön interne Feste, Karten, Eintritte und Spesenvergütung. Was die Freiwilligen motiviert, ihre Einsätze zu leisten, hat das Museum gerade erst durch eine externe Evaluation ermitteln lassen. Dabei fallen Argumente wie «Abwechslung zu meiner beruflichen Tätigkeit», «der Gesellschaft etwas zurückgeben», «neue Menschen kennenlernen», «aus dem Alltag ausbrechen» und «meine Kenntnisse erweitern».

Bleibt diese Solidarität auchin Zukunft?
Dass Freiwilligenarbeit oft von Menschen über 60 Jahren geleistet werde, sei ein Phänomen der Gesellschaft, sagt Urs Wagenseil von der Hochschule Luzern: «Erst, wenn Familie und Beruf genügend freie Zeit lassen und der ökonomische Druck weg ist, entsteht Platz für ein entsprechendes Engagement.» Die Zahl der Freiwilligen sei über die Jahre betrachtet grundsätzlich stabil. Während man beim Sport, bei den Interessenverbänden und im öffentlichen Dienst eine Abnahme der formellen Freiwilligkeit beobachten könne, «zählen wir in den Spiel-, Hobby- und Freizeitvereinen, in den kulturellen Vereinen sowie in den sozialen und karitativen Organisationen mehr Freiwillige». Dies dürfte auch im Tourismus relevant sein: Gefragt sind kurzzeitige und unverbindliche Einsätze, verbunden mit dem Wunsch nach Mitsprache und Mitbestimmung.

So war es auch bei Hans-Jürg Rehli aus Arosa, der «gerne noch weitermachen möchte – solange sie mich brauchen können». Derweilen fragt sich Tourismusdirektor Roland Schuler, ob die nächste Generation dereinst genauso generös in die Lücke springen wird: «Das wird für uns eine echte Herausforderung – denn der Trend zeigt doch eher in Richtung Individualismus.»

hslu.ch/itm


Nachgefragt

Barbara Rosenberg-Taufer, Senior Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Tourismus und Mobilität / HSLU

[IMG 2]Worauf muss ein touristisches Unternehmen grundsätzlich achten, wenn es Freiwillige engagiert?
Die Erwartungen an freiwillig und ehrenamtlich tätige Personen sind gestiegen, da die Aufgaben teilweise komplexerer Natur sind. Dies sowie fehlende Weiterbildungsangebote und Qualifikationen können zu einer Überforderung der Engagierten führen. Deshalb ist es wichtig, ihnen Wertschätzung entgegenzubringen und das nötige (Fach-)Wissen zu vermitteln. Dabei helfen klare Arbeitsbeschriebe sowie fixe Ansprechpersonen.

Der Tourismus ist im Wandel: globaler Wettbewerb, weitgreifende Kooperationen, professionelle Strukturen. Passt da das Modell der Freiwilligenarbeit überhaupt noch dazu?
Der Druck zur Professionalisierung bringt hohe Herausforderungen bezüglich Leistungserbringung und -einforderung mit sich. Die Unterstützung durch versierte Freiwillige wird dabei zu einem wichtigen Pfeiler. Damit das klappt, müssen diese Einsätze im Human Resource Management der jeweiligen Organisation sichergestellt werden.

Lobende Worte sind wichtiger als eine Entschädigung.

Die Arbeit ist freiwillig – was darf man trotzdem fordern?
Zuverlässigkeit ist wichtig und eine getroffene Vereinbarung verbindlich. Deshalb muss geregelt sein, was das Engagement genau umfasst. Gemäss unserer Studie ist «Verbindlichkeit und Transparenz» einer der wichtigsten Punkte. Und das Management der Freiwilligenarbeit sollte als fixe Aufgabe in der jeweiligen Organisation verankert sein.

Arbeiten ohne Lohn – wie macht man als Unternehmen seine Freiwilligen glücklich?
Eine gute Zusammenarbeit im Team sowie Anerkennung der geleisteten Tätigkeit sind die zentralen Faktoren. Lobende Worte und weitere nicht monetäre Leistungen sind meist wichtiger als materielle Entschädigungen, auch wenn diese nicht vernachlässigt werden dürfen.

Christine Zwygart