Im Rahmen der 70. Konferenz der Internationalen Vereinigung wissenschaftlicher Tourismusexperten (AIEST) in Luzern haben 40 Expertinnen und Experten aus verschiedenen europäischen Ländern ihre Einschätzung zur künftigen Entwicklung des Tourismus vor dem Hintergrund der COVID-Pandemie gegeben. Sie erwarten, dass der Tourismus wieder zu einem internationalen Wachstumsfaktor wird aufgrund des bestehenden Nachholbedarfs nach Reisen und mehr Erspartem.

Reisen ist ein Grundbedürfnis, das man sich wieder mehr leisten kann und wird. Dies geht aus einem am Freitag von der Uni St. Gallen publizierten Konferenz-Konsens der AIEST hervor, den Christian Laesser, Pietro Beritelli, Jürg Stettler und Thomas Bieger im Namen der Konferenzteilnehmenden und anhand der folgenden Fragen verfasst haben.

  • Wie wird sich die künftige touristische Nachfrage regional und international entwickeln?

  • Welche Entwicklungen von ausserhalb des Tourismussystems werden Chancen oder Herausforderungen für den Tourismus bringen?

  • Welche Entwicklungen innerhalb des Tourismussystems werden Chancen oder Herausforderungen für den Tourismus bringen?

  • Welches wären sinnvolle künftige Forschungsansätze im Tourismus.

Die Befragten sind sich zwar einig, dass künftig eher die Nachfrage und die exogenen Rahmenbedingungen des Tourismus die touristische Entwicklung fördern werden. Die Herausforderung für den Tourismus sehen sie dagegen vor allem in den Rahmenbedingungen innerhalb des Tourismus selbst.

Veränderte Reisevorlieben
Treiber der Nachfrage sehen sie unter anderem in den Billigfluggesellschaften, welche ihre Punkt zu Punkt Flugverbindungen langsam wieder hochfahren und den Städtetourismus ankurbeln. Für die Langstreckenflüge werden vorübergehend jedoch höhere Preise erwartet, welche auf die Nachfrage drücken werden.

Auch wird erwartet, dass Gruppenreisen wiederbelebt werden, weil der Gast alleine in einem komplexen Tourismusmarkt mit vielen Regulierungen und kurzfristigen Änderungen zunehmend überfordert ist.

Vor dem Hintergrund der Pandemie haben sich die Reisevorlieben verändert. Die Konferenzteilnehmenden erwarten einen höheren Anteil an der inländischen und regionalen Nachfrage und ein grösseres Interesse an abgelegenen Destinationen und Naturerlebnissen mit Unterkünften, welche die soziale Distanz garantieren. Gleichzeitig hoffen sie auf das ökonomische Wachstum in Asien und die damit zusammenhängende erhöhte touristische Nachfrage.
 
Mit den Mega-Trends zu mehr Individualismus, Gesundheit und Nachhaltigkeit verbinden die Befragten Chancen für den Tourismus. Sie eröffnen Möglichkeiten zu spezialisierten Angeboten für die eigene persönliche Optimierung, für die eine höhere Zahlungsbereitschaft besteht.

Handlungsbedarf sehen sie vor allem im Ersatz der mit fossilen Brennstoffen betriebenen Transportmittel. Mehr Nachhaltigkeit im Tourismus ist letztlich gleichbedeutend mit Dekarbonisierung des touristischen Transports.

Zuwenig Geld und Nachwuchskräfte im Tourismus
Zu den Herausforderungen, die von ausserhalb des Tourismus bestehen, gehört die zunehmende Ungleichheit in der Verteilung des Einkommens und Wohlstands im In- und Ausland, was zu einer Verkleinerung der Reisepopulation führt.

Gemäss den Befragten hindern aber auch staatliche und andere Regulierungen sowie Bürokratie die touristische Entwicklung. Sie sind sich einig, dass aber vor allem im Tourismus selbst Herausforderungen und Gefahren für die touristische Entwicklung bestehen.

Wenn touristische Unternehmen aufgrund pandemiebedingter finanzieller Schwierigkeiten ihre Darlehen und Beihilfen nicht mehr zurückzahlen und ihre Anlagen nicht mehr erneuern können, dann müssten nach ihrer Ansicht neue und vielleicht innovative Finanzierungsmodelle gefunden werden.

Auch die mangelnde Verfügbarkeit von geeigneten Arbeitskräften im Tourismus sehen sie als grosses Problem. Nicht nur der Mensch, sondern auch sein spezialisiertes Wissen und seine Fähigkeiten für Jobs in Tourismus und Hospitality sind rar. Je qualifizierter die Arbeit ist, desto schwieriger sind geeignete Mitarbeitende zu finden.

Die Befragten stellen fest, dass sich die touristische Branche nicht zuletzt aufgrund der finanziellen Schwierigkeiten und einer einhergehenden Verlustangst mit der Anpassung an Veränderungen schwertut. Viele Tourismusakteure würden sich deshalb so lange wie möglich auf die touristischen Gegebenheiten wie vor der Pandemie einstellen, anstatt fundmental neu nachzudenken über nachhaltige Alternativen. (htr)