Martin Michel, welche erste Bilanz ziehen Sie nach zwei Monaten an der Spitze des Freilichtmuseums Ballenberg?

Die zwei Monate waren für mich eine sehr intensive Zeit. Ich habe mir die Zeit genommen, mit sehr vielen Leuten zu sprechen. Dabei war ich von Beginn an von der Top-Motivation aller hier arbeitenden Personen sehr angetan. Alle identifizieren sich sehr mit dem Ballenberg. Positiv aufgefallen ist mir, dass wir einen guten Namen haben und bei unseren Partnern als guter und zuverlässiger Kooperationspartner gelten. Zweifellos haben wir noch Potenzial, die Partnerschaften weiter auszubauen und zu verstärken. Die wichtigsten Partner sind die touristischen Organisationen der Schweiz sowie die Gemeinden Brienzwiler und Hofstetten und innerhalb des Museums die Gastronomie.

Sind Sie auf irgendwelche Leichen im Keller gestossen?

Nein. Im Gegenteil, ich habe eine sehr professionell aufgestellte Unternehmensorganisation vorgefunden, die sich ohne weiteres mit jedem Top-Unternehmen messen kann.

Martin Michel (51) ist seit dem 1. Juni 2019 Geschäftsleiter des Freilichtmuseums Ballenberg. Zuvor war er während 18 Jahren bei der Bernexpo AG in verschiedenen Führungsfunktionen tätig, in den drei letzten Jahren war Michel als Head of Business Evolution Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung. Er ist ausgebildeter Fernseh- und Radioelektriker und hat sich mehrfach weitergebildet, unter anderem als Marketingplaner, in Business Administration und Projektmanagement. Martin Michel ist verheiratet, Vater von drei erwachsenen Kindern und wohnt in Unterseen.

Konnten Sie schon erste Pflöcke einschlagen?

Ja, insbesondere bei der Planung der Aktivitäten ab 2020. Wir planen, ab nächstem Jahr jeweils wieder ein starkes Jahresthema umzusetzen. Denn wir haben festgestellt, dass ein generelles Erleben und Mitmachen nicht reicht. Um die Leute besser als bisher zu erreichen, braucht es etwas Greifbares. Das Jahresthema ist nächstes Jahr zwölf historischen Gemüsegärten gewidmet. Es wird eine wissenschaftliche Publikation in Form eines Fachbuches zum Thema historische Gärten geben. Hinzu kommen thematische Inszenierungen und Ausstellungen vor Ort, verbunden mit Führungen. Weiter werden speziell gezüchtete Samen in einer Samengärtnerei verkauft. Diese können danach zu Hause angebaut werden. Die Jahresthemen werden also künftig in einem Gesamtpaket präsentiert. Im September 2020 wird ein grosses Ziegelbrennen in der Ziegelei aus Péry stattfinden. Innerhalb einer Woche werden dafür rund 70 Ster Holz verbrannt werden. Dies ist gleichzeitig die Lancierung des Themas Feuer und Flamme des Jahres 2021. Im 2022 ist eine Sonderausstellung zum traditionellen Schweizer Sport Schwingen geplant.

Und andere Massnahmen?

Konkrete Massnahmen konnten wir derzeit noch nicht viele auslösen. Dazu warten wir die Ergebnisse einer Potenzialanalyse der Hochschule Luzern ab, bei welcher Tourismusexperten, Besucher und Nicht-Besucher befragt werden. Diese Ergebnisse sollten Ende November vorliegen.

Während mehrerer Jahre gingen die Besucherzahlen im Ballenberg zurück. Welche Ziele haben Sie sich betreffend Steigerung gesetzt?

Auf ein einzelnes Jahr betrachtet, ist es schwierig, Besucherzahlen, die sich in einer Bandbreite bewegen, zu analysieren und zu prognostizieren. Innerhalb der nächsten fünf Jahre wollen wir im jährlichen Durchschnitt 210'000 Besucher erreichen, was einer Steigerung gegenüber den vergangenen Jahren entspricht.

Welche Massnahmen wollen Sie ergreifen, um dieses Ziel zu erreichen?

Mit drei strategischen Elementen wollen wir dieses Ziel erreichen. Wir stehen zu unserem USP als Freilichtmuseum zum Anfassen und Spüren und sind stolz darauf. Wir wollen bewusst nicht andere Ausflugsziele konkur­renzieren. Mit der Verstärkung der Kooperation mit den Regionalpartnern kann zusätzliches touristisches Potenzial abgeschöpft werden. Gefragt sind neue Modelle. Denkbar ist die Schaffung eines museumsübergreifenden historischen Pakets mit Übernachtung in einem historischen Hotel oder historische Reisemöglichkeiten, sei dies per Bahn oder Schiff. Als Drittes möchten wir vermehrt die vorhandenen Geschichten intensiver erzählen. In diesem Zusammenhang ist die Abteilung Wissenschaft daran, die Hausgeschichten der Menschen, welche in den ausgestellten Häusern gelebt haben, aufzuarbeiten.

Beim Ballenberg stehen historische Bauten und ländliche Arbeiten im Zentrum. Sind trotzdem Innovationen möglich?

Ich möchte in diesem Zusammenhang von innovativ historisch sprechen. Auf gar keinen Fall werden wir eine Art Disneyland schaffen. Wir werden beim Thema ländliche Kultur und Kulturerbe bleiben. Wichtig ist das Haptische und das Erleben des Handwerks. Allerdings machen wir uns Gedanken zur Art der Vermittlung. Wir sind am Erarbeiten einer Digitalstrategie. Denkbar ist die Verwendung eines QR-Codes bei der Vermittlung gewisser bewegter Dinge. Die Digitalisierung findet auch Eingang bei der Entwicklung unserer internen Prozessabläufe; Beispiele dafür sind etwa das Bestell- und Kassenwesen.

Im Ballenberg findet im Sommer jeweils ein tolles Landschaftstheater statt. Warum finden die Aufführungen nur am Abend statt und nicht auch tagsüber, wenn sich viele Besucher im Museum aufhalten?

Das Landschaftstheater wird durch einen Verein, einer unserer Kunden, betrieben. Aufgrund der 25-jährigen Erfahrung führt der Verein das Theater nur abends durch. Dies wohl aufgrund von Kapazitäten und Auslastung. Weiter müsste tagsüber mit dem Spielplatz des Theaters ein grösserer Teil des Museums für die Tagesgäste gesperrt werden.

Die meisten Besucher kommen wohl nur einmal, weil sie das Museum nach einem Besuch kennen. Wie kommen Sie zu «Wiederholungstätern»?

Dies muss differenziert betrachtet werden, da es sich um verschiedene Interessengruppen handelt. Wir haben fünf verschiedene Fördervereine, die über insgesamt rund 10 000 Mitglieder verfügen. Ein Grossteil von ihnen sieht es als Pflicht, regelmässig das Freilichtmuseum Ballenberg zu besuchen. Auch gewisse Fans kommen mit einer gewissen Regelmässigkeit. Wir sind auch eine Partnerschaft mit dem Museumspass der Raiffeisenbank eingegangen, welcher einen Gratis­eintritt ermöglicht und sehr viele Besucher generiert. Andere, die das Museum gut kennen, kommen eher zum Spazieren, weil sie das Gelände toll finden. Ich bin überzeugt, dass man viele Besucher mit guten Themen zu Stammbesuchern machen kann.

Eine grosse Herausforderung sind seit längerer Zeit die Finanzen. Wie wollen Sie diese auf eine gesunde Basis stellen?

80 Prozent unserer Kosten finanzieren wir selbst, durch Eintritte, Spenden und Zahlungen der Fördervereine. Dies bedingt, dass wir betriebswirtschaftlich sorgfältig arbeiten sowie unsere Prozesse und Organisation im Griff haben. Ein Ziel ist sicher auch ein Ausgleichen der vorhandenen Besucherschwankungen. Die verbleibenden 20 Prozent deckt die öffentliche Hand.

Streben Sie an, künftig mehr finanzielle Mittel von der öffentlichen Hand zu erhalten?

Die bestehenden Verträge laufen noch. Danach werden sie neu ausgehandelt, und je nach Auftrag, den das Freilichtmuseum Ballenberg hat, werden wir mehr Geld fordern. Wir sind nicht ganz frei in der Gestaltung und Übernahme von Aufgaben. Die Richtlinien von ICOM, dem Verband der Museen der Schweiz, machen relativ strenge Vorschriften, die längst nicht alles erlauben. Wenn wir nach diesen Richtlinien arbeiten, sind wir auf Gelder der öffentlichen Hand angewiesen. Andere Museen im Kanton Bern erhalten signifikant mehr Geld, was jedoch für uns kein Massstab ist. Wir versuchen vielmehr, mit dem Vorhandenen ein Maximum herauszuholen.