Der Dokfilm «Zugvögel – ein Jahr vergeht im Flug» aus der Reihe Universum brachte seinem Publikum auf spektakuläre Weise das Phänomen der Zugvögel näher. Die ORF-NDR-Arte-Koproduktion wurde im November 2022 erstmals ausgestrahlt. Was den wenigsten Zuschauern klar geworden sein dürfte: Einige Szenen aus dem Film wurden quasi im Hotel gefilmt. Die St. Martins Therme & Lodge am Neusiedler See im österreichischen Burgenland hat ein hauseigenes Fotoversteck, das die Filmer unter anderem für ihre Aufnahmen nutzten.

Gebaut wurde das Fotoversteck primär für ornithologisch interessierte Hotelgäste (siehe Kasten). Das Hotel liegt in einem Gebiet, das für ein naturaffines Publikum sehr attraktiv ist. Es bietet denn auch zusätzlich diverse Birdwatching-Führungen an. Jahreszeitliche Spezialität: die «Hakuna Matata»-Safari. Diese thematisiert die «Big Five des Seewinkels»: Wasserbüffel, Steppenrind, Seeadler, Weissstorch, Goldschakal. [RELATED]

Spätestens mit dieser Anspielung auf den Wildtiertourismus auf dem afrikanischen Kontinent wird klar: Touristische Angebote mit Wildtiererlebnissen sind auch in Mitteleuropa möglich.

Jürg Schmid vom Beratungsunternehmen Schmid, Pelli & Partner sieht denn auch in den Wildtieren ein «riesiges Potenzial» für den Schweizer Tourismus. Exkursionen zu den Hirschen, Steinböcken oder Bartgeiern seien fürs Publikum sehr eindrücklich. «Die Leute fasziniert es», sagt Schmid.

[IMG 2]Einige Angebote bestünden, doch er sieht Luft nach oben. Er rät dabei auch zu noch mehr Premiumangeboten speziell für ein kleines, exklusives Publikum – zum Beispiel eine frühmorgendliche Führung mit dem Wildhüter mit anschliessendem Picknick auf der Anhöhe bei Sonnenaufgang.

«Auch Birdwatching hat ein riesiges Potenzial», so Schmid weiter, der ausserdem Mitglied des Verwaltungsrats des Hotel Castello del Sole in Ascona ist. Dieses liegt am Rande eines Naturschutzgebiets. Die vom Hotel angebotenen Führungen mit einem Ornithologen seien bei den Gästen sehr beliebt. Eine mit Spezialferngläsern verbundene App zeige den Hotelgästen die Namen der beobachteten Vögel auf dem Handy an.

Da Wildtierbeobachtungen am besten am frühen Morgen oder abends möglich seien, führten solche Angebote oftmals auch zu Übernachtungen beziehungsweise zu Wertschöpfung. Und Erlebnisse mit Wildtieren schafften eine Verbindung zum Ort: Aus positiven Erlebnissen würden Erinnerungen, was Gäste an die Destination binden könne.

Eine bauliche Lösung, also ein Fotoversteck mit verspiegelter Scheibe, so wie es die österreichische St. Martins Therme und Lodge anbietet, war im Fall des Hotel Castello del Sole laut Schmid bislang kein Thema.

«Hides» in Naturschutzzentren ermöglichen Beobachtungen
Sogenannte Hides zum Beobachten von Vögeln gibt es in der Schweiz allerdings bereits in diversen Naturschutzzentren, so etwa im Zentrum La Sauge zum Beobachten von Eisvögeln.

Hides lösen ein Dilemma des Wildtiertourismus: Dieser will die Tiere den Gästen buchstäblich näherbringen – zugleich sollen die Besucher aus Rücksicht auf die Tiere möglichst auf Distanz bleiben. Durch das Versteck werden die Tiere kaum gestört, obwohl die Beobachtenden beträchtlich näher dran sind als beispielsweise auf einer Wildtierexkursion. Wolfs- und Luchssafaris nach dem Motto «Auf den Spuren von…» zeigen denn auch eher den Lebensraum als das Tier: Den Wolf oder Luchs bekommen die Teilnehmenden kaum direkt zu sehen.

Wäre es nicht eine Win-win-Situation, wenn die Wölfe in Kantonen wie Graubünden oder dem Wallis zu noch mehr touristischer Wertschöpfung führen würden statt bloss zu Schäden an Viehherden? Und könnten Hides eine interessante Alternative zu den Führungen sein? Im Ausland existieren in der Tat solche Angebote. Wölfe in Polen, Bären in Estland oder Slowenien, Luchse in Spanien, Füchse und Dachse in Grossbritannien – Interessierte können aus Foto-Hides die frei lebenden Tiere beobachten und fotografieren. Allerdings lassen sich die teils weiträumig umherstreifenden Arten nur dann zuverlässig aus einem Versteck beobachten, wenn sie mit Futter dorthin gelockt werden.

David Gerke, Geschäftsführer der Gruppe Wolf Schweiz, sagt auf Anfrage, das Füttern von Wildtieren sei generell unerwünscht und in den meisten Kantonen ohnehin verboten. In abgelegenen und dünn besiedelten Gebieten Europas sei dies eher denkbar als in der Schweiz.

Das europäische «Life Wolf Alps»-Projekt hat Richtlinien für einen verantwortungsvollen Wolfstourismus herausgegeben. Diese schliessen Fotoverstecke zwar nicht aus – allerdings sollten sie isolierte Wände haben, damit die Tiere die Menschen weder akustisch noch geruchlich wahrnehmen können. Weiter heisst es: «Köder, simuliertes Heulen, Tonaufnahmen oder andere Techniken zum Anlocken von Tieren sollten nicht verwendet werden.» Weiter empfehlen die Guidelines:

- Beobachtungen sollten in der offenen Landschaft aus Distanz geschehen.

- Gäste könnten Foto- und Videomaterial aus Wildkameras, sogenannten Fotofallen, betrachten, welches Vertreter der lokalen Wolfspopulation zeigt.

- Angebote sollten die Probleme und Herausforderungen des Zusammenlebens von Wolf und Mensch thematisieren, beispielsweise durch die Begegnung mit Experten, Wildhütern und der lokalen Bevölkerung.

- Gäste könnten als Freiwillige ins Monitoring der Wolfspopulationen einbezogen werden. Dabei könnten sie unter anderem DNA-Proben sammeln oder Fotofallen überprüfen.


Luchs und Wolf: Stimmen zum Wildtier-Tourismus

«Luchs in Wert setzen»
Laurent Geslin Naturfotograf und -filmer

«Ja, es gibt ein grosses Interesse daran, die Präsenz des Luchses touristisch in Wert zu setzen, wie dies bereits in Deutschland geschieht. Man könnte sich einige Spaziergänge oder touristische Rundgänge im Wald mit einer begrenzten Gruppe vorstellen, bei denen die Waldwege respektiert werden, um die breite Öffentlichkeit für die Präsenz des Luchses zu sensibilisieren, Fotoansitze und Fütterungen sollte man eindeutig verbieten, da sie die Fauna stören können.»

«Wolf Bedrohung für Tourismus»
Jürg Schmid
Schmid, Pelli & Partner

«Der Wolf fasziniert uns seit dem Märchen vom Rotkäppchen. Ich sehe ihn aber als eine Ausnahme. Man kann Wolfstouren anbieten, doch inzwischen gibt es zu viele Wölfe in der Schweiz. Durch die zahlreichen Herdenschutzhunde sind Wanderer in der Bewegungsfreiheit eingeschränkt, insbesondere Personen mit Hunden. Die Herdenschutzhunde verteidigen die Herde, es ist schwierig geworden, eine Weide zu passieren. Insgesamt sehe ich im Wolf eine Bedrohung für den Tourismus und keine Chance.»

«Gefahr, Tiere zu stören»
Charly Gurt
Naturfotograf

«Ich habe schon oft Wölfe auf Streifzügen beobachtet und fotografiert und Bilder Redaktionen und Naturschutzorganisationen zur Verfügung gestellt. Touristische Angebote rund um den Wolf machen keinen Sinn: Eine Wolfssichtung ist reine Glückssache. Man sollte die Wildtiere in Ruhe lassen. Ich bin dagegen, dass man daraus Profit schlägt. Im Yukon machen touristische Angebote rund um die Wildtiere mehr Sinn als in der kleinen und dicht bevölkerten Schweiz.»

«Niemand wird gefressen»
David Gerke
Gruppe Wolf Schweiz

«Die Safaris in Afrika zeigen: Mit der Vermarktung von Wildtieren kann man diese besser schützen und erhalten. Schützen sollte man allerdings nicht nur Arten mit einem wirtschaftlichen Wert. Ängste sind unbegründet: Zehntausende Touristen fahren in Verbier und Flims mitten im Wolfsgebiet Ski. Und doch wird niemand gefressen. Herdenschutzhunde haben einiges verändert in den Bergen. Doch es gibt Infotafeln und Apps, mit denen sich alternative Routen finden lassen.»

St. Martins Therme & Lodge: Gemeinden der Region sind beteiligt
Wellness und Naturerlebnis – mit dieser Kombination spricht die St. Martins Therme & Lodge im Gebiet Seewinkel am österreichischen Neusiedler See verschiedene Gästebedürfnisse an. «Die Gäste buchen die von erfahrenen Rangern organisierten und begleiteten Safaris gerne zusätzlich zu ihrem Aufenthalt in der Lodge oder der Therme – zahlreiche Gäste kommen aber vor allem auch genau wegen dieser einzigartigen Möglichkeit, die Natur zu geniessen und zu erleben», erklärt Lisa Brettl, Leiterin Marketing & Sales, auf Anfrage. «Viele sammeln in ihrem Vogelpass ihre Erfahrungen und kommen immer wieder und zu den unterschiedlichsten Zeiten im Jahr.»
Brut- und Rastgebiet direkt beim Hotel: Das 2019 eröffnete Fotoversteck sei einzigartig in Österreich und erfreue sich bei den Gästen grosser Beliebtheit. Vom Foto-Hide überblicke man ein renaturiertes Feuchtgebiet, das sich innerhalb weniger Jahre zu einem wichtigen Brut- und Rastgebiet für seltene Vogelarten entwickelt habe – direkt am Gelände des Hotels. «Durch die Bauart und eine Spezialverglasung merken die Vögel die Anwesenheit der Gäste nicht und bleiben völlig ungestört. Spektakuläre Momente können so aus nächster Nähe abgelichtet werden.»
Arbeitsplätze für Region: Das Hotel steht am Rande eines Nationalparks, inmitten einer Unesco-Welterbe-Region. «Das damalige Bauprojekt wurde bereits zu Beginn sehr positiv aufgenommen, da der Einbezug der Umgebung und der Region von Anfang an wesentliche Grundlage war», so Brettl weiter. Für die Region wichtige Arbeitsplätze seien geschaffen worden, die regionale Kultur, die Gastronomie und die Natur würden mit eingebunden. «Die Region mit ihren Angeboten ist somit fixer Bestandteil des Angebotes und endet nicht – wie bei vielen anderen internationalen Beispielen – an den Resort-Grenzen.»
Renaturierungs-Projekt: Mit dem Bauprojekt, so auch beim Foto-Hide, sei eine Renaturierung der ehemaligen Salzlake verbunden gewesen. «Dadurch fand das Projekt hohe Akzeptanz.» Laut Brettl sind die 13 umliegenden Seewinkel-Gemeinden direkt am Hotel beteiligt und somit Gastgeber der Region. «Es ist ein touristischer Leitbetrieb entstanden – getragen von der Region für die Region.» ua