Chasselas ist mit Abstand die wichtigste Weissweinsorte der Schweiz, und doch hat sie seit Jahren einen schweren Stand – um ein Drittel ging die Fläche in den letzten 25 Jahren zurück, weniger markant in der Waadt als im Wallis, wo die Sorte auch den Namen Fendant trägt. Mit diesem tun sich manche Winzer, Weinhändler und Gastronominnen schwer, weil ihre Kundschaft bei Fendant gerne die Nase rümpft, und sie kennzeichnen den Wein lieber mit Chasselas.

Da habens die Waadtländer einfacher: Sie verkaufen Féchy, Saint Saphorin und Dézaley, also analog den Burgundern, die nicht Chardonnay, sondern Chablis, Puligny-Montrachet und Meursault anbieten. So steht also nicht die Traubensorte, sondern vielmehr die Herkunft im Vordergrund – die ist einzigartig und nicht kopierbar. Es gibt keinen Schweizer Wein, der in der Summe den Ursprungsort stärker spiegelt als Chasselas, das Terroir also, wie es auch heisst; dies gelingt, weil die Sorte nicht zu den aromatischen zählt und weil somit die subtilen Einflüsse des Bodens stärker herausgeschmeckt werden können. So vermag ein Wein aus kalkhaltiger Lage am Neuenburgersee so kühl und klar zu munden wie ein Champagner Extra Brut. Ein Luins aus La Côte von einem Moränenboden hingegen kommt gerne tänzerisch und spritzig daher, und ein gut gelungener Fendant aus einer Lösslage in Fully hinterlässt auf der Zunge eine lange mineralische Spur.

Es gibt keinen Schweizer Wein, der in der Summe den Ursprungsort stärker spiegelt als Chasselas.

Am Wettbewerb «Le Verre d’Or» messen sich die besten Chasselas-Kenner, und das seit 1963. An unterschiedlichen Veranstaltungen sammeln sie Punkte, der Gesamtsieger wird mit dem «Chapeau Noir» ausgezeichnet. Unter den Trägern sind auch viele Winzer: Marco Grognuz aus Villeneuve etwa, oder Raoul Cruchon aus Echichens und Luc Massy aus Epesses. Es ist bemerkenswert, mit welcher Sicherheit diese Kenner von einem Chasselas nicht nur den Herkunftsort, sondern auch Lagen, Winzer und Jahrgang herauszufinden vermögen. Das spricht nicht nur für die degustatorischen Fähigkeiten der Hutträger, sondern auch für eine Sorte, die dezidiert ihre Herkunft preisgibt, wenn man nur auf sie hört.


Kostproben

Vom Bielersee stammt Christian Dexls subtile Chasselas-Interpretation, vom Lac Léman Raoul und Catherine Cruchons Lagenwein Champanel, und aus Martigny Gérald und Sarah Besses Les Bans, ebenfalls ein Lagenwein. Alle drei werden nach bioorganischen oder biodynamischen Prinzipien produziert. Alle drei weisen rund 12 Volumenprozent Alkohol aus, heute zählen sie damit zu den Federgewichten. Und doch fehlt es ihnen nicht an Körper. Sie wirken schlank, sind voller Spannkraft. ça en redemande, davon trinkt man gerne nicht nur ein Glas.


[IMG 2]Berner Gelassenheit

Chasselas 2020

Keller am See, Ligerz

75 cl – Fr. 19.50, erhältlich bei Selection Widmer, Eschenbach


[IMG 3]Dynamik aus der Waadt

Champanel Grand Cru 2021

Domaine Henri Cruchon, Echichens,

75 cl – Fr. 16 .–, erhältlich bei Cultivino, Bern


[IMG 4]Walliser Urgestein

Les Bans 2020 Domaine Gérald Besse. 75 cl – Fr. 16.80, erhältlich bei der Vinothek Brancaia, Zürich


Stefan Keller ist regelmässiger Autor bei der «Schweizerischen Weinzeitung» und ist in der Valtellina als Weinproduzent tätig. Er zählt zu den Gründern der Vereinigung Mémoire des Vins Suisses und ist Ehrenmitglied des Sommelier-Verbands Schweiz. Stefan Keller lebt und arbeitet in der Schweiz und in Wien.[DOSSIER]

www.stefankellerpartner.com