Die Schweiz gehört zusammen mit den skandinavischen Ländern Schweden, Dänemark und Finnland zu den sportlichsten Ländern Europas. Gemäss einer Studie von «Sport Schweiz» aus dem Jahr 2020 wird die Schweizer Bevölkerung sportlich immer aktiver. Fit zu sein, gehört heute vielfach zum angestrebten Lifestyle, Sport zählt in der Schweiz zu den beliebtesten Freizeitaktivitäten. Insbesondere die Bewegung in der freien Natur liegt im Trend. Outdoorsportarten wie Wandern oder Biken boomen.

Von dieser positiven Gesellschaftsentwicklung profitieren auch die Tourismusregionen. Damit dies auch im Zuge des Klimawandels so bleibe, sei der Sporttourismus auf Flexibilität und Anpassungsfähigkeit angewiesen, sagt Matthias Remund, Direktor des Bundesamts für Sport (Baspo) in Magglingen.

Herr Remund, sind Sie mit der Sportaktivität der Schweizer Bevölkerung zufrieden?
Die Schweiz ist ein sehr sportliches Land. Wir beobachten einen stetigen Anstieg der sportaktiven Bevölkerung. Wenn wir weiterhin so sportlich unterwegs sind, wie es die letzte Erhebung zu Sportaktivität und Sportinteresse der Schweizer Bevölkerung aus dem Jahr 2020 belegt, ist dies erfreulich. 84 Prozent der befragten Personen gaben an, Sport zu treiben. Es wurden rund 200 Sportarten erwähnt.

Sport und Tourismus befruchten sich gegenseitig. Wie nehmen Sie die Zusammenarbeit der beiden Wirtschaftssektoren wahr?
Anlässlich der Euro 08 kam es erstmals zu einer engeren strategischen Zusammenarbeit zwischen Schweiz Tourismus, Präsenz Schweiz und dem Sportsektor. Das war das erste Mal, dass man einen grossen Sportanlass für das schweizweite touristische Angebot in der Schweiz nutzte und umgekehrt. Mit Erfolg. Ein weiteres positives Beispiel ist die Schweizer Schneesportinitiative. Damals haben wir zusammen mit Seilbahnen Schweiz und Swisss Snowsports alle Stakeholder nach Magglingen zum Brainstorming eingeladen. Es gelang 2014, alle Beteiligten, von Bund und Kantonen über die Bildung, den Tourismus und den öffentlichen Verkehr bis zum Sportartikelverkäufer, an Bord zu holen. Der Erfolg der Schneesportinitiative gibt dieser sektorübergreifenden Zusammenarbeit recht.

84 %
der Schweizer Bevölkerung sind regelmässig sportlich aktiv. Im DACH-Raum sind es 50 %.

199 Mio.
Stunden verbrachten die Schweizerinnen und Schweizer 2020 mit Wandern.

> 2 Mrd.
Franken beträgt die sporttouristische Wertschöpfung in der Schweiz.

25 %
der Schweizer Bevölkerung verbrachten 2019 ihre Sportferien in der Schweiz.

2000
Franken wendet die Schweizer Bevölkerung durchschnittlich pro Kopf und Jahr für sportliche Aktivitäten auf. Davon gehen 580 Franken an die Sportferien im In- wie im Ausland.

23 900
Menschen sind in der Schweiz im Sporttourismus angestellt. Der Schweizer Sportsektor zählt rund 98 000 Vollzeitarbeitsstellen.

Wünschten Sie sich mehr sektorübergreifende Kooperationen?
Die Erfahrung zeigt, dass die Zusammenarbeit von Bund, Kantonen und Privaten ein Schlüsselerfolgsfaktor der Sportförderung ist. In diesem Sinn wünsche ich mir immer mehr Zusammenarbeit, auch zwischen dem Sport- und dem Tourismussektor.

Wer profitiert mehr? Der Tourismus vom Sport oder umgekehrt?
Ich denke nicht gerne in Kästchen. Letztendlich profitieren die Menschen. Wir wissen, dass die Schweizerinnen und Schweizer gerne Sportferien machen. Im Winter wie im Sommer. Für den Tourismussektor ist dies eine riesige Chance, die vielerorts wahrgenommen wird. Sportlerinnen und Sportlern wiederum kommt eine gute touristische Infrastruktur zugute.

Der Sporttourismus macht rund die Hälfte des Schweizer Wintertourismus aus. Das dürfte sich im Zuge des Klimawandels bald ändern.
Der Schneesport hat gezeigt, was im Tourismus alles machbar ist. Im Zuge des Klimawandels und der schneeärmeren Winter muss der Tourismus umdenken und eine gewisse Beweglichkeit zeigen. Sei dies im Angebot oder in der Infrastruktur.

Leichter gesagt als getan.
Der Sportler ist bei der Sportausübung sicher flexibler als der Touristiker bei der Angebotsgestaltung. Der Touristiker sollte aber Sportentwicklungen antizipieren und entsprechend investieren. Die tiefer gelegenen Berggebiete wissen bereits seit Längerem, was auf sie durch den Klimawandel zukommt. Einige haben ihr Angebot bereits vor Jahren schrittweise erfolgreich verändert und durch schneeunabhängige Alternativangebote erweitert. Wir müssen uns vermehrt auf den Ganzjahrestourismus ausrichten.

Ich glaube nicht, dass die internationalen Sportverbände der Schweiz nachhaltig schaden.

Ist der Wintersportler denn zu einem Alternativprogramm bereit?
Als Outdoorsportler muss man immer eine grosse Flexibilität an den Tag legen. Vieles hängt von den äusseren Bedingungen und Umständen ab. Letztendlich sucht der Outdoorsportler aber ein bewegendes Erlebnis. Wer sich gerne in der Natur bewegt, findet hierzulande immer eine Alternative, um dieses Bedürfnis zu stillen.

Sie sehen der Zukunft des Sportlandes Schweiz gelassen entgegen.
Der Fokus Wintersport wird sich ändern müssen, das steht fest. Die Hitliste der beliebtesten Schweizer Sportarten besteht aber schon seit über zwanzig Jahren aus dem sogenannten helvetischen Fünfkampf: Wandern, Radfahren, Skifahren, Jogging und Schwimmen. Das sind mehrheitlich Outdoorsportarten. Hierfür haben wir eine tolle Natur, welche man bewegt erleben kann. Dieses Potenzial, zusammen mit der Kleinräumigkeit der Schweiz, können sowohl der Sport- wie der Tourismussektor nutzen.

Die Natur ist die grösste Sportarena der Schweiz. Der Sport muss mithelfen, die Schweizer Natur zu schützen.

Wäre es an der Zeit, den Erfolg der Schweizer Schneesportinitiative auf den Sommersport umzumünzen?
Möglich. Momentan sind mir diesbezüglich aber keine Bestrebungen bekannt.

Was vermissen Sie im Sport- und Ferienland Schweiz?
Um Ferien zu machen, einzig das Meer. Sportlich wie touristisch könnten viele Regionen meines Erachtens noch von einem erweiterten Bike- und Radwegnetz profitieren. Für einen solchen Ausbau liegt der Lead bei den Kantonen. Inwiefern das zu Jahresbeginn in Kraft getretene neue Velogesetz diesbezüglich etwas ändern wird, wird sich weisen.

In Anbetracht der Schweizer Sport-Hitliste: Warum erhält der Fussball hierzulande die meisten Sportfördergelder vom Bund?
Der Hauptfokus der Sportförderung des Bundes liegt auf dem Kinder- und Jugendsport. «Jugend + Sport» ist das grösste Förderprogramm der Schweiz, und hier nimmt der Fussball den ersten Platz ein. Die grosse Beliebtheit spiegelt sich auch in der grossen Anzahl der Fussballklubs wider. Übrigens spielen auch immer mehr Mädchen und Frauen Fussball.

Wie wichtig sind sportliche Grossanlässe für die Leuchtkraft des Sport- und Tourismuslandes Schweiz?
Sowohl der Sport- wie auch der Tourismussektor profitieren von diesen Grossanlässen. Dank solchen Events kann eine Region kurzfristig ihre Gästebetten füllen und langfristig Gäste an sich binden. Für die ausrichtenden Sportverbände wiederum sind diese Anlässe Ankerevents für die Sportförderung. Andererseits ist die Schweiz Standort des IOC und zahlreicher internationaler Sportverbände. Ihre Anwesenheit ist auch ein Wirtschaftsfaktor und kommt der Standortförderung von Bund und Kantonen zugute. Auch aus diesem Grund liegt es auf der Hand, dass internationale Sportgrossanlässe in der Schweiz stattfinden.

Internationale Sportverbände sorgen nicht nur für positive Schlagzeilen. Kann dies für die Schweiz auch zum Verhängnis werden?
Ich glaube nicht, dass die internationalen Sportverbände unserem Land nachhaltig schaden. Es besteht ein grosses Interesse anderer – auch europäischer – Länder, die in der Schweiz ansässigen internationalen Sportverbände bei sich zu haben. Hinter diesen Bestrebungen spielen sicher Aspekte wie wirtschaftliche Attraktivität, aber auch Ansehen eine Rolle. Die in der Schweiz ansässigen internationalen Sportverbände sind gute Arbeitgeber, tragen zur Wertschöpfung bei und generieren auch touristischen Nutzen. Nichtsdestotrotz, der Sport darf kein Spielplatz sein, um Geld zu waschen und zu korrumpieren. Vielleicht war der Sport diesbezüglich zu lange zu gutgläubig. Der Sport ist ein Abbild der Gesellschaft. Im Guten wie im Schlechten.

Die letzten Olympischen Spiele in der Schweiz fanden 1948 in St. Moritz statt. Ist eine Olympiade hierzulande jemals wieder denkbar?
Olympische Spiele in der Schweiz sind ohne Zweifel machbar. Im Winter, theoretisch auch im Sommer. Wir verfügen zudem über eine hervorragende Organisationskompetenz. Ein Event wie die Olympischen Spiele muss aber ein Anlass für die gesamte Schweizer Bevölkerung sein und braucht den entsprechenden Rückhalt. Die Bevölkerung hat zigmal Nein zur Ausrichtung Olympischer Spiele gesagt.

Was waren die Gründe?
Mitunter gab es in der Vergangenheit viele Beispiele, die nicht zur Schweiz passen. Wir haben den Wintersport über Jahrzehnte entwickelt, während beispielsweise Sotschi oder Peking innert kürzester Zeit eine Schneesportdestination für die Ausrichtung Olympischer Winterspiele aus dem Boden gestampft haben. Das passt nicht zur Schweiz.

Auch hierzulande werden nicht immer ökologisch nachhaltige Mittel zur Sportausübung eingesetzt. Sind zum Beispiel Schneetransporte heutzutage noch vertretbar?
Es gibt meiner Meinung nach deutlich umweltverträglichere Varianten, Pisten herzurichten, als Schnee mit dem Helikopter einzufliegen. Zur künstlichen Beschneiung muss ich sagen: Der Strombedarf für die Schneeproduktion beträgt 0,1 Prozent, der Schneesport ist ein Schweizer Kulturgut. Da würde sich mir bei einem Beschneiungsverbot doch die Frage der Verhältnismässigkeit stellen. Am meisten CO2-Emissionen werden bei sportlichen Grossanlässen übrigens durch die Hin- und Rückreise der Fans und Besucher verursacht.

Wie nachhaltig muss der Sportboom den Alpen zuliebe sein?
Die Natur ist die grösste Sportarena der Schweiz; die Alpen sind ein wichtiger Teil davon. Es ist unabdingbar, dass wir auf allen Ebenen Anstrengungen unternehmen, den Sport nachhaltig zu gestalten. Das beginnt zum Beispiel bei vergünstigten ÖV-Tickets für J+S-Lagerteilnehmende und geht bis hin zu Nachhaltigkeits- und Umweltverträglichkeitsstandards für Sportgrossanlässe, die wir derzeit erarbeiten. Der Sport muss mithelfen, die Schweizer Natur zu schützen.

Wie sehen Sie die Zukunft des Sportlandes Schweiz?
Wir tun gut daran, die gesetzten Klimaziele zu erreichen. Sportler sind auf eine intakte Natur und angewiesen. Wandern und Skifahren werden auch künftig die Liste der beliebtesten Sportarten in der Schweiz anführen. Vielleicht fahren wir nicht mehr auf den Gletschern Ski. Bergsteigen, teilweise auch Wandern in den Bergen, wird durch den tauenden Permafrost gefährlicher. Diesen Herausforderungen gilt es sich zu stellen. Der Sport boomt trotz Klimawandel.

Zur Person

Sportler, Familienmensch, Topmanager
Matthias Remund ist seit 2005 Direktor des Bundesamts für Sport (Baspo) in Magglingen BE. Der 59-Jährige ist verheiratet, lebt in Bolligen BE und ist Vater von sechs Kindern – drei davon sind Spitzensportler. Vor seinem Amt beim Baspo war der studierte Jurist Generalsekretär der Schweizerischen Käseunion, Verbandssekretär beim Centre Patronal und schliesslich CEO der Billag AG und als solcher Mitglied des Topmanagements von Swisscom. Matthias Remund betrieb selbst Langlaufsport auf Wettkampfebene und trug Ende der 90er-Jahre die Hauptverantwortung für Ski nordisch beim Schweizer Skiverband. 1998 amtete er bei den Olympischen Winterspielen in Nagano als Leiter der Schweizer Delegation Ski nordisch. Als Sportfunktionär gehörte Remund in den Jahren 2003 und 2004 dem Verwaltungsrat der BSC Young Boys Betriebs AG an und sitzt heute als Baspo-Direktor im Exekutivrat von Swiss Olympic. 

www.baspo.admin.ch


Im Sporttourismus gibts noch viel Potenzial

Gemäss dem Trendreport «Sporttourismus 2022» des St. Galler ESB Marketing Netzwerks kann der Sporttourismus noch weiteres Wachstum generieren. 500 Stakeholder im Tourismussektor im gesamten DACH-Raum wurden zur Bedeutung des Sports für den Tourismus und dem daraus resultierenden Potenzial befragt. Für 53 Prozent der befragten Destinationen hat der Radsport eine hohe Bedeutung, für 80 Prozent ist diese steigend, wobei E-Biking das grösste Wachstumspotenzial beigemessen wird, gefolgt von Mountainbike und Gravel. Für 80 Prozent hat Wandern die höchste Bedeutung. Dem Fitnessbereich kommt mit 61 Prozent eine mittlere, aber stabile Bedeutung zu. 77 Prozent der befragten Touristiker messen Tennis eine geringe sporttouristische Bedeutung zu. Ebenso dem Golfsport, dessen touristisches Potenzial bei 16 Prozent liegt. 57 Prozent der Befragten messen dem Wintersport weiter eine hohe Bedeutung bei, wobei Ski alpin nach wie vor dominiert.