Das Gespräch

«Ohne Männer geht Frauenförderung nicht»

Die Staatssekretärin für Wirtschaft Helene Budliger Artieda wollte eigentlich Hotelière werden, entschied sich dann aber doch für die Politik. Im Gespräch verrät sie, wo sie als Berufsfrau, Wirtschaftsförderin und Politikerin die Schwerpunkte setzt und warum die Branche auf das Seco zählen darf.

Nora Devenish

Seco-Chefin Helene Budliger Artieda vergibt hierfür im internationalen Vergleich gute Noten. Damit das Performancelevel weiterhin erfolgreich bleibt, setzt sie auf den Austausch mit der Branche, wie am Hospitality Summit.

Helene Budliger Artieda, Sie waren viele Jahre als Diplomatin im Ausland tätig und sind bekennende Weitwanderin – weshalb zieht es Sie in die Ferne?
Andere Kulturen haben mich schon immer interessiert, unter anderem deshalb machte ich ursprünglich ein Praktikum in Hotels in Muralto und Genf. Meine erste Stelle beim Eidgenössischen Amt für Auswärtige Angelegenheiten EDA als Sekretärin war in Lagos, der damaligen Hauptstadt Nigerias. Später war ich Botschafterin in Südafrika und zuletzt in Thailand – wo ich zwei ganz unterschiedliche Lebensweisen kennen und schätzen gelernt habe. Ich empfinde diese Erfahrungen als sehr bereichernd. Das Weitwandern mit meinem Mann ist eine etwas andere Geschichte. Da geht es zwar auch um kulturelle Bereicherung – vor allem ist es eine körperliche Anstrengung und eine Reduktion im Kopf aufs Wesentliche. Wir wanderten beispielsweise auf der Via Francigena von Lausanne nach Rom oder auf historischen Auswandererwegen von Solothurn nach Colmar. Manchmal waren und sind wir bis über 30 Kilometer am Tag und drei Wochen am Stück mit dem Rucksack unterwegs.

Sie sagten einmal, Sie seien eine Mischung zwischen Bünzli und bürokratischem Punk. Das müssen Sie erklären.
Das habe ich mal so gesagt, ja. Damit meine ich, dass ich durchaus gerne geregelte Verhältnisse habe und immer im Detail beispielsweise meine Spesenabrechnungen kontrolliere, um ja nicht einen Franken zu viel abzurechnen. Die Punkerin in mir – wenn Sie so wollen – will sich nicht immer an die Spielregeln halten und kann sich nicht mit übertriebener Bürokratie abfinden.

Sie sind nach Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch die zweite weibliche Staatssekretärin für Wirtschaft in Folge. Wie ordnen Sie diesen Umstand ein?
Ich empfinde es in Bezug auf die berufliche Gleichstellung als schönes Ausrufezeichen. Es ist sicherlich für junge Frauen eine Motivation und ein klares Signal dafür, dass Frauenkarrieren inzwischen auf jeder Ebene möglich sind. Selbstverständlich sind diese jedoch noch immer nicht.

Wie wichtig ist Frauenförderung?
Die berufliche Gleichstellung der Frauen muss nach wie vor verbessert werden muss – denken wir nur an das Lohngleichheitsprinzip, die viele meist von Frauen geleistete, unbezahlte Arbeit in der Familie oder die nach wie vor mangelhafte Vertretung von Frauen in Führungspositionen. Hier muss unsere Gesellschaft sich noch bewegen. Auch im Seco liegt es mir am Herzen, die Gleichstellung durchzusetzen. Frau Alt Bundesrätin Calmy-Rey ernannte mich zur ersten Amtsdirektorin überhaupt im Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten. Ich war es also gewohnt, an vielen Sitzungen als einzige Frau im Raum zu sein. 2023 muss dies nicht mehr sein. In meiner beruflichen Entwicklung haben übrigens Männer, die mich förderten, eine grosse Rolle gespielt. Ohne sie geht Frauenförderung nicht.

Die berufliche Gleichstellung der Frauen muss nach wie vor verbessert werden.

Werden Sie am Frauenstreik teilnehmen?
Nein. Obwohl ich die Anliegen des Frauenstreiktages verstehe und mehrheitlich auch unterstützen kann, ging ich meinen Verpflichtungen als Staatssekretärin für Wirtschaft nach, unter anderem am Hospitality Summit. Ich bin sowieso eher die Frau der manchmal durchaus leisen Taten, anstelle von lauten Worten.

Ursprünglich wollten Sie Hotelière werden. Warum haben Sie sich anders entschieden?
Während der Handelsmittelschule absolvierte ich eine Schnupperlehre in einem Zürcher Hotel. Dies gefiel mir derart, dass ich unbedingt im Hotelfach bleiben wollte. Ich bin rein zufällig damals als Assistentin beim EDA gelandet. Es hätte durchaus auch anders kommen können.

Und wie sähe Ihr Hotel aus?
Mein Hotel wäre wohl eher Boutique als ein grosser Kasten, entweder in den Bergen oder am Meer, ausgestattet mit Betten mit einer Kissenauswahl, hoffentlich mit einem guten Restaurant, etwas Cachet – historisch oder bunt-modern – und einige lauschige Ecken zum Verweilen. Dies sind die Elemente, die ein Hotelerlebnis für mich als Vielreisende ausmachen.

Welche Ihrer Eigenschaften als Staatssekretärin könnten Sie auch als Hotelière verwenden? Wo bestünde noch Nachholbedarf?
Als Staatssekretärin verkaufe ich mein Land, die Schweiz. Ich bin oft auch Gastgeberin bei offiziellen Treffen. Dem Gegenüber ein Gefühl von Respekt und Wertschätzung zu vermitteln, kann ich also schon. Da ich nicht gerne Alkohol trinke und eine schwierige Esserin bin, müsste ich sicherlich in der Kulinarik noch stark zulegen. Auch die eine oder andere Weltsprache wie Arabisch oder Chinesisch fehlt mir.

In seiner Tourismusstrategie setzt sich der Bund unter anderem das Ziel, das Unternehmertum zu fördern. Was sind die Brennpunkte?
Einerseits der touristischn Arbeitsmarkt. Wie auch in anderen Branchen ist der Tourismus vom Personal- und Fachkräftemangel betroffen. Dies stellt die Branche vor grosse Herausforderungen. Andererseits der Strukturwandel und damit verbunden Nachfolgeregelungen und Marktfähigkeit der Betriebe.

Woher rühren diese Problematiken?
Der Personal- und Fachkräftemangel betrifft aktuell viele Branchen. Die Pandemie hat das Phänomen noch beschleunigt, da das Gastgewerbe sehr stark von den Corona-Massnahmen betroffen war. Das hat dem Ruf der Branche geschadet. Die Attraktivität der Berufe im Tourismus gilt es nun zu stärken und das Image der Branche zu verbessern.

Weiter stehen viele Geschäftsführer im Gastgewerbe vor der Pensionierung und suchen eine Nachfolgeregelung, die sich aus unterschiedlichen Gründen als herausfordernd gestalten kann. Dabei gilt es insbesondere frühzeitig die Nachfolgeplanung anzugehen und bei Bedarf auch professionelle Beratung beizuziehen. Hier ist darauf hinzuweisen, dass die Schweizerische Gesellschaft für Hotelkredit SGH Unterstützung von Jungunternehmern und der betrieblichen Nachfolge beispielsweise mittels Information, Beratung oder vorteilhaften Darlehenskonditionen anbietet. Auch das Coaching-Programm von HotellerieSuisse fördert die Strategie- und Marktfähigkeit von Betrieben.

Ein Strukturwandel braucht Zeit. Können wir uns diese in Anbetracht des internationalen Wettbewerbs leisten?
Das Tourismusland Schweiz ist wettbewerbsfähig, das hat die rasche Erholung nach Pandemie bewiesen. Der Strukturwandel findet statt: Zwischen 2012 und 2021 ist die Anzahl Beherbergungsbetriebe um 13 Prozentgesunken, bei praktisch gleichbleibendem Zimmerangebot. Die durchschnittliche Hotelgrösse ist somit angestiegen. Das Seco unterstützt den Strukturwandel. So wird beispielsweise die Förderung der SGH noch stärker darauf ausgerichtet. Auch erleichtert die Digitalisierung die Bildung von Kooperationen, womit Strukturverbesserungen erreicht werden.

Wir sind herausgefordert: Damit die Schweiz wettbewerbsfähig bleibt, zählt die Verbesserung der Rahmenbedingungen zur Daueraufgabe.

Der Erfolg der Zukunft basiert auf dem Nachwuchs. Das duale Bildungssystem der Schweiz ist vorbildlich. Warum greift es nicht?
Im internationalen Vergleich ist die Ausbildungsbeteiligung der Betriebe in der Schweiz hoch. Die Berufsbildung ist attraktiv, ihre Vorzüge sind aber nicht allen bekannt: Für die Unternehmen gilt es, sich als attraktiven Lehrbetrieb zu positionieren. Beispielsweise können sie ihren besten jungen Berufsleuten die Chance bieten, sich national und international an Berufsmeisterschaften zu messen. Dann ist aus Sicht der Jugendlichen und Eltern entscheidend, dass die Berufsbildung auch Karriereperspektiven bietet – wie die Berufsmaturität und die höhere Berufsbildung. Ein wichtiges Ziel von Bund und Kantonen ist die Förderung von Mobilität und Austausch in der Bildung. Die von der öffentlichen Hand getragene nationale Agentur Movetia stellt auch für Lernende in der beruflichen Grundbildung zahlreiche Mobilitätsangebote im In- und Ausland bereit.

Während der Coronakrise kritisierte der Gewerbeverband, dass dem Seco  die Nähe zur Wirtschaft fehle. Halten Sie dagegen?
Ja, definitiv. Die Unterstützungsmassnahmen während der Pandemie standen den Unternehmen schnell und unbürokratisch zur Verfügung. Das Seco setzt sich unabhängig der aktuellen Herausforderungen – sei es Corona, Ukrainekrieg oder potenzielle Energieknappheit – für wirtschaftlichen Wohlstand ein. Das Ziel ist ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum, hohe Beschäftigung und faire Arbeitsbedingungen. Das sind natürlich hohe Ziele, die wir in der Schweiz zum Glück ziemlich zuverlässig erreichen.  Mir ist wichtig, dass sich das Seco stets für die Gesamtwirtschaft einsetzt.. Hierfür stehen wir beispielsweise in ständigem Kontakt mit den Sozialpartnern und intensivieren ihn in Krisensituation.

Dann stimmen die wirtschafts- und tourismuspolitischen Rahmenbedingungen? Wo liegt das Problem?
Hier möchte ich zuerst darauf hinweisen, dass die Rahmenbedingungen in der Schweiz sehr gut sind. Aber es stimmt, wir sind herausgefordert: Damit die Schweiz international wettbewerbsfähig bleibt, zählt die Verbesserung der Rahmenbedingungen zur Daueraufgabe, die das Seco sehr ernst nimmt. Dafür ist der Austausch mit der Branche sehr wichtig. Beispielsweise im Rahmen des Tourismus Forum Schweiz bietet das Seco eine nationale Plattform an, um den Wissensaustausch und Netzwerkaufbau in der Branche zu fördern.

Wie hilft das Seco konkret bei der Bewältigung des Fachkräftemangels?Allein im Verlauf des letzten Jahrs meldeten sich 26'000 Personen die im Gastgewerbe gearbeitet hatten bei einem RAV zur Stellensuche an, rund 32'000 Personen meldeten sich wieder vom RAV ab. Die öffentliche Arbeitsvermittlung leistet einen gewichtigen Beitrag zur Befriedigung der Arbeitskräftenachfrage – gerade auch in Branchen mit einer hohen Personalfluktuation. In erster Linie stehen aber die Unternehmen und Branchenverbände in der Verantwortung, dem Fachkräftemangel in ihrem Bereich entgegenzuwirken. Der Bund sorgt in der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik für geeignete Rahmenbedingungen. Etwa eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Damit das Fachkräftepotenzial von Eltern noch besser genutzt wird. Oder bei der Schaffung von Anreizen zur Erwerbstätigkeit bis zum Rentenalter und darüber hinaus. Hingegen bildet der Staat nicht die Fachkräfte aus und er schreibt den Unternehmen auch nicht vor, wie sie ihre Arbeitsbedingungen ausgestalten müssen.

Innerhalb des Tourismussektors wird befürchtet, dass bei den touristischen Förderinstrumenten Innotour, Neue Regionalpolitik und Schweiz Tourismus bei der Standortförderung 2024-2027.gespart werden wird. Können Sie den Sektor beruhigen?
Der Bundesrat hat im Januar die Botschaft Standortförderung 2024-2027 verabschiedet. Es liegt nun am Parlament entsprechende Finanzbeschlüsse zu fällen. Das aktuell finanzpolitische Umfeld ist bestimmt herausfordernd, doch ich bin überzeugt, dass das Parlament die Wichtigkeit des Tourismus für die Schweiz anerkennt und die Relevanz der tourismuspolitischen Förderinstrumente zu schätzen weiss.

Ihr Versprechen an die Hotellerie?
Wir lassen nicht nach, uns beim Seco auch in Zukunft mit Leidenschaft und Herzblut für die Schweizer Hotellerie einzusetzen.


Zur Person

Vielseitige Botschafterin

Am 1. August 2022 trat die gebürtige Dübendorferin Helen Budliger Artieda ihr Amt als Direktorin des Staatssekretariats für Wirtschaft Seco an. Während des Bewerbungsprozesses setzte sie sich gegen 38 Mitbewerberinnen und -bewerber durch. Vor ihrer Rückkehr nach Bundesbern war Budliger Artieda Botschafterin in Bangkok und in Pretoria. 2008 ernannte Aussenministerin Micheline Calmy-Rey Budliger Artieda zur ersten weiblichen Amtsdirektorin im EDA. Von 2008 bis 2015 war sie Direktorin der Direktion für Ressourcen im Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und Mitglied der Geschäftsleitung. Budliger Artieda ist verheiratet und lebt im luzernischen Eich. Ihren Mann Alex Artieda de la Sotta lernte sie als junge Mitarbeiterin im konsularischen Dienst in Peru kennen.