Seit 1997 zeichnet Icomos Suisse, eine Vereinigung von Restauratoren, Denkmalpflegerinnen und Architekten, historische Hotels und Gasthäuser aus. Nun ist es wieder so weit: Am 21. Oktober werden die Preisträger 2023 verkündet. Jurypräsident und Denkmalpfleger Moritz Flury-Rova erzählt, was es mit dieser Auszeichnung auf sich hat.

Herr Flury-Rova, warum braucht es diese Auszeichnung?
In der Schweiz gibt es viele historische Bauten in der Gastronomie und Hotellerie. Mit der Auszeichnung wollen wir das Verständnis für die Geschichte des Tourismus und seiner kulturellen Hinterlassenschaften fördern. Die Hotels und Gasthäuser erhalten so Sichtbarkeit und eine Plattform.

Wie entstand die Idee dazu?
In den frühen 1990er-Jahren wurden viele bedeutende Hotels aus der Jahrhundertwende geschlossen oder sogar abgebrochen, wie das Hotel Schöneck in Emmeten oder der «Quellenhof» Bad Ragaz. Denn alte Bauten werden oft als Last empfunden: Betriebsabläufe sind umständlicher, wenn sich etwa die Küche auf einer anderen Etage befindet. Eine Gruppe von Denkmalpflegerinnen fand, man sollte sich nicht nur gegen solche Abbrüche wehren, sondern sich dafür einsetzen, dass diese Häuser eine Perspektive erhalten.

In der Jury sitzen auch Mitglieder aus Hotellerie, Gastronomie und Tourismus. Warum?
Auf Initiative von Icomos-Suisse-Mitgliedern sind 1995 in Luzern erstmals Vertreter aus Hotellerie, Gastronomie, Tourismus und Denkmalpflege zusammengekommen – Parteien, die bis dahin oft eher Kontrahenten waren. Man wollte zusammen herausfinden, wo gemeinsames Potenzial besteht. Da entstand die Idee, geschichtsträchtige Häuser auszuzeichnen.

Denkmalpfleger setzen sich also für die Hotellerie ein?
Ja, man wollte den Eigentümern und Betreibenden zeigen, dass sie etwas ganz Spezielles und Einzigartiges haben, das sie als solches vermarkten können. Es gibt Gäste, die genau das schätzen und ein Hotel deswegen aufsuchen.

Sind Hoteliers und Denkmalpfleger mit ihren unterschiedlichen Interessen nicht per se Kontrahenten?
Für mich als Denkmalpfleger sind Betreiber von Hotels extrem wichtige Partner. Denn ein Haus wird dann am besten erhalten, wenn es seine Funktion beibehält. Bleibt ein Haus als Hotel öffentlich zugänglich, kann man damit Bewusstsein für die Erhaltung von historischen Gebäuden schaffen.

Warum ist der Preis der Vereinigung Icomos Suisse angegliedert? [RELATED]
Icomos hat als Fachorganisation eine gute, sogar internationale Vernetzung, und ist zudem unabhängig von der staatlichen Denkmalpflege. Die Organisation Swiss Historic Hotels vermarktet historische Hotels. Viele davon sind Icomos-Suisse-Preisträger. Das stiftet Verwirrung.

Wir sind unabhängig, doch die Verwirrung ist verständlich, denn die Idee für die Vereinigung Swiss Historic Hotels entstand als Vernetzung von Icomos-Suisse-Preisträgern. 2004 wurde eine eigenständige Organisation für die Vermarktung von historischen Hotels gegründet, weil Icomos Suisse dies als Fachorganisation nicht leisten kann.

Das Schwierigste bei der Jurierung ist die Vergleichbarkeit der Häuser. Manchmal bewerben sich mehrere Hotels, die den Preis verdient hätten.

Es gibt aber viele Überschneidungen.
Die Ansprüche der beiden Organisationen sind ähnlich. Es sind aber grundsätzliche Unterschiede vorhanden. Vor allem ist Swiss Historic Hotels eine Art Label. Unsere Auszeichnung ist eine Momentaufnahme.

Was heisst das?
Das Grand Hotel Locarno in Muralto hat 1997 einen Spezialpreis erhalten, musste aber 2005 geschlossen werden. Wir können auch keine Garantie abgeben, dass ein vor 20 Jahren ausgezeichneter Betrieb heute immer noch gleich authentisch ist – das ist aber natürlich im Normalfall so.

Wie schwierig ist es, solche Hotels aufzuspüren?
Die Betriebe bewerben sich auf unsere Ausschreibung. Der Ansporn unserer Jury ist es aber, stets neue Hotels zu entdecken und zu finden. Wenn ich auf ein Hotel stosse, das Charme und eine historische Ausstrahlung hat, ermuntere ich die Betreiber jeweils, sich zu bewerben. Ob sie es dann tun, liegt aber ganz bei ihnen.

Was sind die Kriterien?
Grundsätzlich muss ein Haus eine Generation – also 30 Jahre alt – sein. Ursprünglich kamen nur Hotels und Gasthäuser infrage, die als solche gebaut wurden. Seit 2016 prämieren wir auch Umnutzungen, also Betriebe in historischen Bauten, die vielleicht erst vor Kurzem zu einem Hotel oder Restaurant umfunktioniert wurden.

Was für Häuser sind das?
Oft sind es Betriebe in Schlössern oder in Klöstern. Diese sind in ihrem Charakter den historischen Hotels sehr nahe, eine Umnutzung braucht nur wenige Veränderungen: In Klöstern und Schlössern hat man schon immer übernachtet, in den Zellen oder Schlafsälen der Mönche oder in den Gästezimmern und Schlafgemächern der Schlossbewohner. Es gab auch immer Verpflegungsmöglichkeiten.

Welches sind weitere Kriterien?
Wir schauen, wie gut die historische Bausubstanz gepflegt wird und wie sehr die Geschichte präsent ist: ob etwa ursprüngliche Fenster oder Kachelöfen noch vorhanden sind, ob es in den Zimmern historische Tapeten hat oder ob der Speisesaal noch als Speisesaal genutzt wird.

Wie wichtig ist nebst dem Baulichen das Engagement der Hotelbetreiberinnen und -betreiber?
Es ist elementar, wie sie mit der Geschichte ihres Hauses umgehen. Wir schauen, ob der Gast etwas über die Geschichte erfährt und ob man versucht, diese erlebbar zu machen. Das können beispielsweise spezielle, traditionelle Gerichte auf der Speisekarte sein oder Handtücher aus Leinen in den Bädern. Dies ist kein Muss, gibt aber Pluspunkte.

Gilt auch eine Mindestanzahl an Zimmern?
Nicht absolut, aber etwa fünf Zimmer sollten es schon sein, denn wir wollen Hotels und kein Bed and Breakfast auszeichnen. Doch wichtiger ist, dass es ein Haus ist, wo der Gast den Service eines Hotels erhält.

Wie gehen Sie bei der Jurierung vor?
Zweierteams aus der Jury schauen sich jeweils die Betriebe an. Sie begehen mit einer internen Checkliste das Haus, machen Fotos und stellen die Häuser dann der gesamten Jury vor.

Die Jury besteht aus Fachleuten unterschiedlichster Branchen. Wie heftig sind die Diskussionen – wird man sich schnell einig?
Die Diskussionen sind immer sehr angeregt, gerade weil aus unterschiedlicher fachlicher Optik Standpunkte vertreten werden. Dies zwingt auch dazu, die eigene Meinung gut zu begründen und spontane Vorlieben sachlich zu reflektieren.

Das Hotel Chez Elsy in Crans-Montana ist das bisher jüngste Haus unter den Preisträgern. Es ist erst gut 60 Jahre alt und wurde letztes Jahr ausgezeichnet. Bedeutet dies einen Richtungswechsel?
Nein, doch es gibt wenige Bewerbungen aus der Nachkriegszeit, denn solche Häuser empfindet man gemeinhin nicht als historisch, obwohl auch diese bereits zwei bis drei Generationen alt sind. Es hat uns sehr gefreut, dass sich ein Betrieb aus den 1960er-Jahren beworben hat. Er ist mit seiner spezifischen Architektursprache und seiner fast komplett erhaltenen authentischen Innenausstattung einzigartig.

Es bewerben sich jährlich ein bis zwei Dutzend Betriebe. Hat man da oft die Qual der Wahl?
Manchmal bewerben sich mehrere Häuser, die den Preis verdient hätten. Das Schwierigste dabei ist die Vergleichbarkeit. Ein Grandhotel ist schwer mit einem einfachen Landgasthof zu vergleichen. Wir wählen diejenigen aus, die besonders authentisch sind und sorgfältig gepflegt werden. Wir bemühen uns dabei auch, das Spektrum der Preisträger breit zu halten. Mal gewinnt ein einfacherer Betrieb, mal ein neuerer.

Können sich Betriebe ein zweites Mal bewerben?
Ja, man kann sich mehrmals bewerben, besonders auch wieder nach einer Renovationsetappe. Wir geben je nachdem auch Tipps, welche Dinge verbesserungswürdig sind.

Die Swiss Historic Hotels haben als Vermarktungsorganisation eine gute Präsenz. Wie sorgen Sie für Sichtbarkeit?
Wir haben bis 2016 jährlich ein Buch zu «unseren» Hotels und Gasthäusern herausgegeben. Seither publizieren wir diese stattdessen auf unserer Website. Denn Bücher kosten, uns fehlt das Geld. Die Jury arbeitet grösstenteils ehrenamtlich. Wir werden von HotellerieSuisse, Gastrosuisse, Schweiz Tourismus und Icomos zu gleichen Teilen finanziert, doch das reicht nicht sehr weit. Der grösste Teil wird für das Sekretariat verwendet, dazu kommen noch Spesen und Übersetzungen.

Sie sind nur noch bis Ende Jahr im Amt – warum?
Wir haben in der Jury von Icomos Suisseeine Amtszeitbeschränkung von dreimal drei Jahren, damit regelmässig neue Fachleute dazustossen. Ab 2023 übernehmen René Koelliker und Kerstin Camenisch im Co-Präsidium mein Amt.

Wie ist es für Sie, nun aufzuhören?
Das ist einerseits furchtbar schade, denn es war immer sehr interessant, Betriebe zu entdecken und sich mit den stets sehr engagierten Betreibern auszutauschen. Es war für mich als Denkmalpfleger immer sehr wertvoll, zu erfahren, welches die Schwierigkeiten in den alten Häusern sind und wo der Schuh drückt. Andererseits habe ich nun mehr Zeit für das «Rössli» in Trogen. Wir haben das historische Gasthaus mit Saal vor dem Abbruch gerettet. Es wurde im Mai eröffnet, doch es gibt noch einiges zu tun.

Es ist als Denkmalpfleger sehr wertvoll, zu erfahren, welches die Schwierigkeiten in den alten Häusern sind und wo der Schuh drückt.

Haben Sie ein Lieblingshotel?
Alle! Insbesondere vielleicht das Kurhaus Bergün, seine Geschichte ist sehr bemerkenswert: Es war heruntergewirtschaftet und wurde seit 2002 in kleinen Schritten wieder instand gestellt. Es hat auch noch heute Toiletten und Bad teilweise im Gang. Das gefällt mir. Das «Piz Linard» im bündnerischen Lavin hat ebenfalls eine interessante und auch schwierige Baugeschichte. Dort wurden hässliche 80er-Jahre-Eingriffe mit viel Fantasie aufgewertet, ohne sie zu entfernen. Das ist grosse Kunst.

Was ist das Schwierige an Ihrem Beruf?
Die Leute denken oft, dass wir ihnen alles verbieten, alles teurer machen und in ihre Privatsphäre eingreifen – Letzteres ist ja auch der Fall. Aber man kann auch immer wieder sehr kritische Leute für die historische Bausubstanz begeistern oder zumindest Verständnis wecken. Es ist viel nachhaltiger, Häuser zu erhalten, als sie abzubrechen und durch Neubauten zu ersetzen: Was lange steht, schont Ressourcen und Energie.

Sie wohnen selbst in einem historischen Stadthaus in Trogen.
Vor acht Jahren hatten wir das Glück, dieses Haus von 1760 in Trogen kaufen zu können. Wir haben es während zweier Jahre in Etappen sanft renoviert und sind mit unseren vier Kindern eingezogen. Es ist ein Traum für jeden Denkmalpfleger, in einem solchen Haus zu wohnen.

In diesen Hotels steckt viel Geschichte

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Die Marketingorganisation Swiss Historic Hotels (SHH) sorgt seit 2004 dafür, historische Hotels beim breiten Publikum bekannt zu machen. Mittlerweile sind auf ihrer Liste 61 Hotels aus der ganzen Schweiz zu finden. Nicht zu verwechseln ist die Mitgliedschaft mit der Auszeichnung von Icomos Suisse. Die beiden Organisationen sind vollständig unabhängig voneinander. SHH vertritt vom einfachen historischen Gasthaus über das traditionsreiche Stadthotel bis hin zum Grandhotel in den Bergen denkmalpflegerisch wertvolle Häuser über alle Preis- und Sterneklassierungen hinweg. Allen gemeinsam ist, dass die Beherbergung in deren Hauptgebäude seit mindestens 30 Jahren belegt ist.

Die Anzahl der SHH-Betriebe wächst laufend. «Die Hotels melden sich unaufgefordert, das Interesse an einer Aufnahme ist erfreulich gross», sagt Katja Pagano von der Geschäftsstelle. Bloss die Westschweiz ist mit vergleichsweise wenigen Häusern vertreten. «Das hat unter anderem damit zu tun, dass in der Romandie in den 60er- bis 80er-Jahren grosszügiger umgebaut wurde als in anderen Regionen: Viel architekturhistorische Substanz ging verloren.» Andererseits ist Graubünden sehr reich an erhaltenen geschichtsträchtigen Häusern: Dort wurde in jenen Jahren kaum umgebaut. Dass zahlreiche historische Hotels erhalten blieben, freut nicht nur die Denkmalpflegerinnen, sondern auch die Gäste. Die historischen Übernachtungsmöglichkeiten erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. «Man schätzt das Echte und Authentische mehr und mehr», sagt Pagano. «Und die Leute möchten etwas erleben.» Nicht zu vernachlässigen ist dabei auch der bewusste Umgang mit Ressourcen. «Was gibt es Nachhaltigeres als ein Hotel, das über hundert Jahre alt ist?» 
 

Zur Person: Ein Leben fürs Denkmal
Moritz Flury-Rova (55) ist leitender Denkmalpfleger des Kantons St. Gallen und Präsident der Jury von Icomos Suisse. Sie zeichnet jedes Jahr das «Historische Hotel/Restaurant des Jahres» aus. Icomos Suisse ist die Schweizer Landesgruppe von Icomos, dem internationalen Rat für Denkmäler und historische Stätten mit Sitz in Paris. Er wurde 1965 als Unterorganisation der Unesco gegründet, die Schweizer Abteilung entstand ein Jahr später.

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Moritz Flury-Rova hat in Zürich Kunstgeschichte und Mittelalterarchäologie studiert. Er wohnt mit seiner Familie in Trogen AR in einem Stadtpalast aus dem 18. Jahrhundert.