Carole Ackermann, Sie kennen sich in den Bereichen Innovation und Start-ups gut aus. Beides wird auch an der EHL grossgeschrieben. Zufall?

Ein bisschen hat der Zufall sicherlich mitgespielt. Dass ich für dieses Amt infrage gekommen bin, ohne Erfahrung im Hospitality Management, ist nicht selbstverständlich. Aber es reizt mich, mich mit Neuem auseinanderzusetzen – und genau das tue ich schon sehr lange im Start-up-Bereich und in der Lehre. Um die weltweite Spitzenposition der Hotelfachschule beizubehalten, müssen wir agil bleiben.

Als Quereinsteigerin bringen Sie neue Perspektiven an die EHL. Wird die Schule davon profitieren können?

Profitieren kann die Hotelfachschule von meiner Erfahrung in Grossunternehmen und Start-ups. Ich kenne beide Welten. Zusammen mit den Kollegen möchte ich die Zusammenarbeit im Verwaltungsrat und mit dem Management effektiv und effizient gestalten. Besonders am Herzen liegen mir die Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit, kombiniert mit der Förderung von Jungtalenten.

Carole Ackermann ist seit dem 22. Juni 2020 die Präsidentin des Verwaltungsrats der EHL Holding SA und designierte Präsidentin des Stiftungsrats der Ecole hôtelière de Lausanne (EHL). Daneben ist die 50-Jährige Mitglied in den Verwaltungsräten von Allianz Schweiz, BKW, BNP Paribas Schweiz, der BVZ Holding und der Berner Innovationsagentur be-advanced. Sie ist leitendes Mitglied der Fakultät der Universität St. Gallen, an der sie Betriebswirtschaft studierte. Als CEO der Diamondscull AG investiert sie in junge Unternehmen aus den Bereichen ICT und Technologie.

Der Anteil der Studierenden aus dem Ausland ist an der EHL hoch. Wie wirkt sich die Pandemie auf die Lehre aus?

Wir haben Studierende aus 120 Nationen. Am 13. März haben wir komplett auf Remote Learning umgestellt. Wir haben bei der gesamten akademischen Ausbildung sichergestellt, dass die Studierenden ihren Bachelor weiterverfolgen können. Mir fällt gerade auf, dass ich immer «wir» sage, obwohl ich zu dem, was da ist, nichts beigetragen habe. Es ist ein Zeichen meiner Identifikation mit dieser grossartigen Schule. Seit Ausbruch der Krise fanden 7500 Onlineklassen statt, durchgeführt von 132 Lehrkräften. Zudem wurden 40 virtuelle Konferenzen abgehalten. Das heisst aber nicht, dass wir den Präsenzunterricht abbauen werden. Alles online abzuhalten, ist zu praxisfern und einengend, auch in Bezug auf soziales Lernen.

Prägt die Krise auch die Lerninhalte?

Die bestehenden Lerninhalte wurden nicht einfach nur digital aufbereitet, sondern Themen wie Gesundheit und Hygiene haben einen höheren Stellenwert bekommen. Unsere Studierenden sind die zukünftigen Manager im Hospitality-Bereich. Da ist es wichtig, dass wir die wirklich relevanten Themen unterrichten.

Die Studierenden werden auch in Risk Management unterrichtet. Könnte man sie noch gezielter auf globale Krisen wie Corona vorbereiten?

Da wären wir wieder bei der Agilität: Wir werden auch in Zukunft mit Ereignissen konfrontiert werden, die wir nicht vorhersehen können. Wir müssen lernen, mit Unsicherheit umzugehen. Nicht alles ist planbar, aber wir müssen uns möglichst schnell mit neuen Konzepten auseinandersetzen können. Die Gewinner werden jene Unternehmen, Universitäten, Hotels und Restaurants sein, die schnell reagieren können. Es gibt Gewinner – auch im Hospitality-Bereich – die die Krise als Chance genutzt haben.

Wie nehmen Sie als «Neue» den speziellen EHL-«Groove» wahr? Ist der Dresscode noch zeitgemäss?

Was ich wahrnehme, ist: Die Absolventinnen und Absolventen der Hotelfachschule sind unheimlich stolz. Sie identifizieren sich stark mit den Werten der EHL. Was für viele von uns ein Problem ist – zum Beispiel, eine Maske zu tragen –, ist dort eine Selbstverständlichkeit. Das fasziniert mich. Was die Kleidung angeht … Für Aussenstehende ist sie vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig. Aber die Frage ist doch, was möchte der Gast? So, wie es in der Praxis sein sollte, möchten wir es auch an der Schule leben und nicht einfach nur in den Büchern lesen. Klar, nicht in allen Hotels und Gastrobetrieben wird Krawatte getragen. Aber es geht um die Einstellung, dass der Gast im Mittelpunkt steht und ich alles für ihn gebe. Das hat auch mit dem Äusseren zu tun.

Nicht wenige Absolventen gehen nach ihrem Abschluss in branchenfremde Bereiche. Wie denken Sie darüber?

Wir müssen sicherstellen, dass wir die bestmöglichen Studierenden haben. Nicht alle müssen ein Universitätsstudium abschliessen, aber alle brauchen eine gute Ausbildung. Die Strategie der Schule wird auch in Zukunft sein, auf jedem Niveau den besten Abschluss anzubieten. Von Bachelor und Master über duale Bildungsangebote und Onlineangebote, sodass wir möglichst viele Menschen auf ein hohes Niveau bringen und sie es einfacher haben, eine gute Arbeit zu finden.

Forschung und Lehre an der EHL werden auch durch privatwirtschaftliche Unternehmen unterstützt. Sehen Sie darin ein Problem?

Ich stolpere über das Wort «unterstützt». Die Lehre ist unabhängig, und sie muss es sein, das ist ganz wichtig. Aber wir lehren nichts, das keine praktische Relevanz hat. Die Kombination ist entscheiden. Neben der Autonomie der Lehre gibt es ganz klar Forschungsprojekte, die zusammen mit Unternehmen umgesetzt werden. Von den Projekten soll aber die gesamte Industrie profitieren und nicht nur ein einziges Unternehmen.

Gerade im Ernährungsbereich investieren Grossunternehmen viel Geld, etwa in die Zuckerforschung an Universitäten. Nicht selten «beweisen» die so finanzierten Studien dann, dass beispielsweise Zucker gar nicht so schlimm ist, wie immer behauptet wird. An der EHL engagiert sich Nestlé sehr stark ...

Da haben wir Glück mit Nestlé! (lacht) Nestlé hat dem Zucker den Kampf angesagt und hat erkannt, dass sie einen grösseren Beitrag zu gesunder Ernährung leisten muss. Und dem sollten wir eine Chance geben.

Aber auch Nestlé will am Ende Produkte verkaufen.

Im Rahmen einer Kollaboration mit Nestlé erhalten unsere Studierenden die Möglichkeit, neue Produkte zu erkunden. Kürzlich wurde zum Beispiel ein Fake-Meat-Produkt untersucht, also ein Fleischnachahmerprodukt aus pflanzlichem Protein. Die Überlegung der EHL ist, dass sich die Studierenden an neue Produkte gewöhnen. Wie kocht man so was, wie serviert man es? Unsere Studierenden werden zwar keine Küchenchefs, aber sie werden mit Küchenchefs zusammenarbeiten, die zukünftig auch solche Produkte verwenden werden. Ich sehe das als Win-win im Sinne einer gemeinsamen Weiterentwicklung von Ideen für eine gesunde und nachhaltige Ernährung.

patrick timmann