Seit Gründonnerstag ist klar, auch in diesem ausserordentlichen Jahr ist die Durchführung der Lehrabschlussprüfungen bis im Sommer 2020 für die Lernenden aller Branchen gesichert. Unter der Leitung von Bundesrat Guy Parmelin trafen sich Bund, Kantone und Sozialpartner an einem ausserordentlichen nationalen Spitzentreffen der Berufsbildung am Donnerstag vor Ostern und einigten sich auf eine schweizweit abgestimmte Lösung. Diese ermöglicht den diesjährigen Lehrabgängerinnen und Lehrabgängern ihren Berufsabschluss regulär mit einem eidg. Fähigkeitszeugnis beziehungsweise einem eidg. Berufsattest abzuschliessen. So können auch die Lernenden der Hotellerie und Gastronomie aufatmen, die in einem der acht beruflichen Grundbildungen der Branche ihre Lehre abschliessen. Und es entstehen keine minderwertigen Abschlüsse, wie dies im Vorfeld des Beschlusses teilweise befürchtet worden war.

Grosse Erleichterung bei Drittlehrjahrstiften
Die Lehrabschlussprüfung gestaltet sich in groben Zügen folgendermassen: Im schulischen Bereich werden über alle Grundbildungen keine Prüfungen stattfinden. Die Abschlussnote bei den Berufskenntnissen und in Allgemeinbildung werden aus Erfahrungsnoten und aus einer Vertiefungsarbeit in der Allgemeinbildung berechnet.

Die praktische Prüfung wird unter Berücksichtigung der Hygiene- und Distanzmassnahmen durchgeführt. Wie genau, wird in den nächsten Wochen definiert (siehe unten). Je nach Beruf soll eine praktische Prüfung oder eine Beurteilung der praktischen Leistungen stattfinden. Dafür stehen je nach Bedingungen drei Durchführungsvarianten zur Auswahl. Welche Variante pro Beruf zum Tragen kommen wird, entscheidet abschliessend das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI). Demzufolge können sich die praktischen Arbeitsprüfungen pro berufliche Grundbildung unterscheiden.

Drei Varianten sind möglich
Um die praktischen Prüfungen in diesem Jahr durchführen zu können, stehen drei Varianten zur Wahl. Variante 1 sieht eine praktische Prüfung im Lehrbetrieb vor. Ist dieses Vorgehen nicht möglich, bietet sich Variante 2 an. Dabei wird eine praktische Arbeit in einem Prüfungszentrum durchgeführt. Kann für einen bestimmten Beruf die Sicherheit der Teilnehmer auch unter diesen Voraussetzungen nicht gewährleistet werden, sollen schweizweit keine praktischen Arbeiten stattfinden. Dann beurteilen die Berufsbildner des Lehrbetriebs die betrieblichen Kompetenzen und Leistungen der Lernenden anhand eines einheitlichen Beurteilungsrasters.
sbfi.admin.ch

Mit Einzeltrainings der Corona-Krise trotzen
Wie die praktischen Prüfungen im Detail ausgestaltet sein werden, ist also noch offen, nichtsdestotrotz finden sie statt. Dies sorgt auch bei den Lernenden, die in diesem Jahr ihre Lehre abschliessen, für grosse Erleichterung. So etwa bei Sophie Bigler, Lernende Köchin EFZ im dritten Lehrjahr: «Ich sehe die praktische Prüfung als Tag der Bestätigung. Daher freue ich mich und bin motiviert, das Gelernte einem Experten vorzuführen. Jedoch ist es schwierig, sich optimal auf die Prüfungen vorzubereiten, da wir ja noch nicht wissen, in welcher Form diese stattfinden.»

Auch Barbara Röösli, Lernende Kauffrau HGT im dritten Lehrjahr, geht es ähnlich: «Ich bin froh, endlich zu wissen, dass ich meine Lehre im Sommer wie geplant abschliessen kann.» Sie schaut nun erwartungsvoll dem Entscheid der Branche entgegen, wie die Prüfungen durchgeführt werden. «Es ist im Moment noch etwas schwierig, sich fokussiert vorzubereiten, ohne den genauen Prüfungsrahmen zu kennen.» Beide jungen Berufsfrauen in spe arbeiten im Hotel Landgasthof Kemmeriboden-Bad zusammen mit zehn weiteren Lernenden. Sie alle kommen in den Genuss des Einzeltrainingscamps, das ihre Lehrmeister Alexandra und Reto Invernizzi am 21. März ins Leben gerufen haben. «Nachdem wir das Restaurant am Montag, 16. März, geschlossen hatten und ein paar Tage später auch das Hotel, war für uns klar, dass wir unseren Bildungsauftrag auch in dieser schwierigen Situation weiterführen wollen», sagt Reto Invernizzi.

«Zusammen mit unseren Abteilungsleitenden haben meine Frau und ich beschlossen, dass wir ein Schul- und Einzeltrainingscamp für unsere zwölf Lernenden ins Leben rufen», sagt Reto Invernizzi. Darunter fallen sowohl die Schultage als auch weitere Trainings in Berufspraxis sowie praktische Semesterarbeiten. So sind die zwölf Lernenden je nach Lehre zwei bis drei Tage im Betrieb, vertiefen sich ins Homeschooling und wenden das Gelernte aus dem Unterricht mit Unterstützung einer ausgelernten Fachkraft in der Praxis an. Dabei steht für Reto Invernizzi die Einhaltung der Empfehlungen des BAG bezüglich des Physical Distancing und der Hygienevorschriften stets an oberster Stelle. Zu Beginn habe er schon ab und zu ein Machtwort sprechen müssen, wenn die Lernenden die Abstandsregeln vergessen hätten, doch schnell seien die neuen Verhaltensregeln verinnerlicht gewesen.

«Das Einzeltrainingscamp kommt sowohl bei den Lernenden als auch bei den Eltern sehr gut an», sagt Reto Invernizzi. Bevor er das Konzept lancierte, hat er einen Sonntag investiert, um mit den Eltern der Lernenden zu telefonieren, ihnen das Konzept zu erklären und sie ins Boot zu holen. Und das Einzelcamp hat bereits Schule gemacht. 15 Lernende von anderen Betrieben aus dem Kanton Bern, die in ihren eigenen Lehrbetrieben nicht mehr trainieren können, haben bei Invernizzis und bei anderen Betrieben eine Trainingsmöglichkeit gefunden.

Plötzlich haben die Lernenden viel Eigenverantwortung
Rahel Hug, Hotelfachfrau EFZ im dritten Lehrjahr, ist ebenfalls in der glücklichen Lage, dass sie weiterhin arbeiten und Erfahrungen sammeln kann. Sie absolviert ihre Lehre im Park Hotel Winterthur und ist Teil des Lernendenprojektes. Zusammen mit Direktor Philipp Albrecht und zehn weiteren Lernenden und Praktikanten halten sie den Betrieb am Laufen. «Es ist eine riesige Chance für uns, es macht unglaublich Spass und schweisst uns zusammen», sagt Rahel Hug.

Als der Lockdown für das Restaurant am 16. März anstand, war der erste Reflex der Verantwortlichen, das Park Hotel Winterthur komplett zu schliessen. Doch der Bildungsauftrag an den Lernenden, das Interesse des Kantonsspitals Winterthur sowie gestrandete Businessgäste gaben den Ausschlag, das Lernendenprojekt zu lancieren. «Wir haben einen Nachmittag lang die Angebote und zu erledigenden Arbeiten ausgearbeitet, Schichten definiert, To do’s notiert und Angebote und Preise definiert», so Philipp Albrecht. In der Folge haben die Lernenden pro Schicht Checklisten erstellt, Übergaberegelungen festgelegt und Einteilungen gemacht, damit alle möglichst schnell alle Dienste im Griff haben. Die Dienste umfassen Frühstücksservice, allgemeine Réceptionsarbeiten und Reinigung, Zubereitung des Abendessens für die Hotelgäste sowie Mise-en-Place-Schichten.

«Die Lernenden tragen sehr viel Eigenverantwortung. Die Entwicklung, welche die Einzelnen im Moment machen, ist grandios und freut mich sehr», sagt Philipp Albrecht. Dass die praktische Lehrabschlussprüfung nun durchgeführt werden kann und pro berufliche Grundbildung eine schweizweit durchführbare Variante gewählt wird, begrüsst der Hoteldirektor sehr, «damit haben alle die gleichen Voraussetzungen».

Auch Albi von Felten vom Landhotel Hirschen in Obererlinsbach erachtet es als positiv, dass praktische Lehrabschlussprüfungen durchgeführt werden. «Beim praktischen Qualitätsverfahren zeigt sich, was ein Lernender in der Ausbildung wirklich gelernt hat.» Gerade bei den Kochlernenden sei die praktische Prüfung schon ein Gradmesser. «Kochen können sie in der Regel nach drei Jahren alle, aber ob jemand das Timing im Griff hat und unter Zeitdruck arbeiten kann, das zeigt sich in der Prüfungssituation.»

Albi von Felten und seine Frau Silvana von Felten haben in diesem Jahr keine Lernenden, welche die Lehre abschliessen. Das Gastgeberpaar unterstützt ihre Lernenden – sie beschäftigen in der Küche und im Service Lernende im 1. und 2. Lehrjahr – trotz geschlossenem Restaurant wo immer möglich. Sie stehen in regelmässigem Austausch mit den Lernenden, die zu Hause Selbststudium betreiben. Sei dies mit Coaching, mit praktischen Aufgaben für die Kochlernenden oder Inputs für die Servicelernenden zur Weiterbildung. Die Kochlernenden arbeiteten zudem bei der Zubereitung der 190 4-Gang-Take-away-Oster-Menüs mit. Gerechnet hatte von Felten mit 30 bis 50 Bestellungen.

kemmeriboden.ch
phwin.ch
hirschen-erlinsbach.ch


«Ziel wird es sein, bereits bestehende Termine einzuhalten.»

Die Berufsbildner haben sich auf die Durchführung schweizweit einheitlicher praktischer QV geeinigt. Was bedeutet dies nun für die Grundbildungen der Branche?

Für alle unsere acht Grundbildungen erarbeiten wir nun Lösungen, um die Durchführung der praktischen Arbeiten unter Einhaltung der durch Covid-19 gegebenen Hygiene- und Distanzmassnahmen organisieren zu können. Das Entwicklungsteam von Hotel & Gastro formation Schweiz hat sich in den vergangenen drei Wochen proaktiv mit möglichen Durchführungsvarianten befasst und schweizweit mögliche Szenarien entwickelt. Wir stehen also nicht am Anfang, sondern mittendrin. [IMG 2]

Was steht nun an?

Nun ist Feinarbeit angesagt. Der Vorbereitungsstand ist nicht in allen Berufen derselbe, auch ist die Komplexität der Prüfungsdurchführungen unterschiedlich hoch. Dies kann mit dem Beruf an sich, jedoch vor allem mit den derzeit erschwerten Umständen durch Covid-19 zu tun haben. Das Ziel, das wir von Hotel & Gastro formation Schweiz als gesamtschweizerisch verantwortliche Berufsbildungs-OdA im Rahmen der Verbundpartnerschaft verfolgen, ist die Schaffung bester Voraussetzungen für alle Lernenden, die 2020 ihre Lehre abschliessen, um mit grösster Fairness prüfen zu können, ob die gesteckten Lernziele während der Lehre erreicht worden sind.

Wie schätzen Sie die Situation der Lernenden ein?

Viele Lernende sind seit Wochen zu Hause und waren mit der Unsicherheit konfrontiert, wie, allenfalls ob, sie ihre Lehre zeitgerecht abschliessen können. Seit vergangenem Donnerstag ist nun vieles klarer. Da die betrieblichen Vorbereitungsmöglichkeiten auf die praktischen Prüfungen derzeit bei einer Mehrheit der Lernenden wegfallen, sind die jungen Berufsleute teilweise einem «Stresstest» ausgesetzt. Diverse Lehrbetriebe bieten ihren Lernenden jedoch die Möglichkeit, im geschlossenen Hotel oder Restaurant Trainingssequenzen durchzuführen.

Wie sieht der zeitliche Rahmen aus?

Ziel wird es sein, bereits bestehende Termine für die Qualifikationsverfahren einzu-halten. Die Festlegung der Prüfungsdaten liegt grundsätzlich in der Hoheit der Kantone. Es ist davon auszugehen, dass sich die Abschlussverfahren, die unter «normalen» Umständen maxi-mal bis Ende Juni dauern, weiter in den Sommer hineinziehen. Flexibilität, Verständnis und Rücksichtnahme werden auch in den kommenden Monaten von allen Involvierten gefordert sein.

Bernadette Bissig