Die zivile Luftfahrt will ihre Treibhausgasemissionen massiv senken und bis 2050 CO₂-neutral werden. Doch wie dahinkommen? Die Wasserstoffflugzeuge etwa, die Airbus plant, heben frühestens in den 2030er Jahren ab. Bereits heute einsetzbar sind dagegen Sustainable Aviation Fuels (SAF), also Flugtreibstoffe, die fossiles Kerosin ersetzen. Sie verursachen weitaus weniger CO₂-Emissionen und lassen sich dem konventionellen Kerosin ohne technische Anpassungen beimischen. Zudem kann die bestehende Betankungsinfrastruktur genutzt werden. Es gibt zwei Typen SAF: biobasierte und synthetische. Bei biobasierten SAF werden Speiseölreste und Fette als Ausgangsstoff genommen.

Neue «grüne» Tarife bei Inlandsflügen
Die Lufthansa-Tochter Swiss bietet seit 2019 Tarife mit biobasiertem SAF an. Auf Europaflügen können Passagiere diesen gegen Aufpreis wählen, müssen aber nicht. Auf den Inlandsflügen zwischen Zürich und Genf ist das seit Anfang September anders. Hier sind nur noch Flüge buchbar, bei denen der Ausgleich der CO₂-Emissionen bereits im Preis enthalten ist. Standardmässig werden diese zu 20 Prozent über SAF reduziert, die restlichen 80 Prozent sind Klimaschutzprojekte. Wer will, kann auch den Tarif mit 50 Prozent Emissionsreduzierung durch SAF wählen. Die Preise für Flugtickets steigen bei dieser Strecke um 5 bis 20 Prozent. Wichtige Einschränkung: Die Tarife gelten nicht für Zubringer- und Anschlussflüge. Wer etwa von Los Angeles über Zürich nach Genf fliegt, kann nach wie vor zwischen einem Flug mit und ohne SAF-Anteil wählen.

Melanie Heiniger, Head of Corporate Responsibility bei Swiss, erklärt die Absicht hinter dem Tarif: «Wir wollen den Markthochlauf von nachhaltigen Treibstoffen mit vielen Massnahmen beschleunigen. Indem wir unseren Passagieren die Nutzung von SAF anbieten, beziehen wir sie mit ein. Sie können so die CO₂-Emissionen ihrer Reise senken und gleichzeitig gemeinsam mit uns substanzielle Nachfragesignale setzen, um die SAF-Produktion voranzutreiben.» In der Schweiz sieht Heiniger die Nachfrage für nachhaltigere Flugangebote steigen. «Die Einführung auf dem reinen Inland-Verkehr ist für uns ein wichtiger nächster Schritt, um die Marktresonanz bei solchen Produkten weiter zu testen.» 2022 hat die Lufthansa Group rund 13'000 Tonnen SAF eingesetzt, knapp 0,2 Prozent des gesamten Treibstoffbedarfs. Gemäss eigener Richtlinien muss der Alternativtreibstoff mindestens 80 Prozent CO₂-Emissionen gegenüber fossilem Treibstoff sparen.

Wir beschleunigen den Markthochlauf von nachhaltigen Treibstoffen.
Melanie Heiniger, Swiss

Swiss ist auch im Bereich synthetischer Treibstoffe aktiv. Diese können fossiles Kerosin ebenso direkt ersetzen. Anders als bei biobasierten SAF sind die Rohstoffmengen nicht begrenzt. Die zwei Herstellungstechniken heissen Power-to-Liquid (PtL) und Sun-to-Liquid (StL). PtL ist strombasiert, da die Produktion des Synthesegases – ein Zwischenprodukt auf dem mehrstufigen Weg zum Kerosin – erneuerbaren Strom benötigt. Und Sun-to-Liquid (StL) ist solarwärmebasiert, da man Sonnenenergie als Prozessenergie zur direkten Herstellung des Synthesegases verwendet. Bei StL kooperiert Swiss mit der Schweizer Firma Synhelion, die ein Verfahren zur Herstellung von Treibstoff aus Solarwärme entwickelt hat. Im deutschen Jülich steht eine Pilotanlage, auf der Solartürme von einem Feld aus Spiegeln umgeben sind. Diese lenken die Sonnenstrahlung auf einen Receiver am Turm, der die Sonnenstrahlung in Hochtemperatur-Prozesswärme bis 1500 Grad umwandelt.

Die weiteren Prozessschritte zur Synthesegas-Herstellung finden im Solarturm statt. Für 2025 ist die Inbetriebnahme der ersten kommerziellen Produktionsanlage in Spanien geplant. «Das Verfahren hat den Vorteil, Sonnenenergie direkt zu nutzen, sodass es nicht wie PtL auf erneuerbaren Strom angewiesen ist», sagt Heiniger. Dank des thermischen Speichers im Solarturm kann die Anlage auch nachts weiterproduzieren. Swiss plant, ab voraussichtlich 2024 als erste Airline weltweit Solartreibstoff einzusetzen. Die reguläre Nutzung im Flugbetrieb sei aber erst möglich, wenn grössere Mengen Solarkerosin produziert werden. «Die Kosten für die Produktion in den ersten, noch kleinen Anlagen werden im Vergleich zu biobasierten Treibstoffen deutlich höher sein», so Heiniger. Weshalb eine gezielte Technologieförderung und rasche Skalierung der Produktion essenziell sei.

Solartreibstoff mit Quotensystem in den Markt bringen
Der ETH-Forscher Aldo Steinfeld ist Wegbereiter der StL-Technik. Synhelion entstand aus seiner Forschungsgruppe. Die Skalierung skizziert er so: «Angenommen, eine industrielle Solartreibstoffanlage hat zehn Solartürme mit je 100 Megawatt thermischer Leistung. Die Grundfläche beträgt 3,8 Quadratkilometer. Bei einer Gesamtenergieeffizienz von 10 Prozent würde eine solche Anlage etwa 34 Millionen Liter Kerosin pro Jahr produzieren.» Zum Vergleich: 2019 lag der weltweite Kerosinverbrauch bei 414 Milliarden Litern. Die Gesamtfläche aller Solarkraftwerke, die erforderlich wäre, um den weltweiten Bedarf vollständig zu decken, würde also 45'000 Quadratkilometer betragen – weniger als ein Prozent der weltweiten Trockengebiete. Dort müssen die Solarreaktoren stehen, da sie viel direktes, wolkenfreies Sonnenlicht benötigen.

In nicht allzu ferner Zukunft fliegen wir CO₂-neutral mit Solarkerosin.
Aldo Steinfeld, ETH-Forscher

Für die Herstellung ist allerdings auch CO₂ notwendig. 100'000 Tonnen braucht es für die 34 Millionen Liter Jahresproduktion einer Anlage. Das CO₂ sollte aus biogenen Quellen oder aus direkter Luftabscheidung stammen. «Dann sind die erzeugten solaren Treibstoffe kohlenstoffneutral: Sie geben bei ihrer Verbrennung genauso viel CO₂ ab, wie zu ihrer Herstellung aus der Luft entnommen wurde.»

Das beste Instrument, um Solartreibstoff auf den Markt zu bringen: ein Quotensystem. Wie es ein konkurrenzfähiges Angebot schafft, haben Steinfeld und andere in einem Fachbeitrag beschrieben: Airlines und Flughäfen werden verpflichtet, einen Mindestanteil an erneuerbarem Kerosin zu tanken. Zunächst ein oder zwei Prozent, was die Treibstoffkosten nur geringfügig erhöhen würde. Die Quote steigt dann jedes Jahr, was zu Investitionen und zum Bau neuer Anlagen führt – dadurch sinken die Kosten. Bei einem Anteil von zehn bis 15 Prozent an der Brennstoffmenge dürften sich die Kosten von Solarkerosin den Kosten von fossilem Kerosin annähern. Für Steinfeld sind die solaren Treibstoffe eine «langfristige Investition, die unseren Kindern als umwelt- und klimafreundliches Energieversorgungssystem zurückbezahlt wird». Seine Prognose: In nicht allzu ferner Zukunft fliegen wir CO₂-neutral mit Solarkerosin.


Antriebe im Praxistest

Nur für Kurz- und Mittelstrecken
Welche Rolle spielen neuartige Flugzeugtypen wie Maschinen mit Wasserstoffantrieb? Melanie Heiniger, Head of Corporate Responsibility bei Swiss: «Heute haben Flugzeuge eine Lebensdauer von mehr als 25 Jahren und bleiben auf flüssige Treibstoffe angewiesen. Es gibt lange Bestelllisten. Selbst wenn sich die angekündigten Elektro- und Wasserstoffflugzeug-Projekte verwirklichen lassen, zieht sich der Flotten-Rollover weit über das Jahr 2050 hinaus.» Nach heutigem Wissensstand seien die Technologien nur für Kurz- und Mittelstrecken eine Lösung und Langstreckenflüge somit «auf absehbare Zeit» nur mit Kerosin-Antrieb vorstellbar. Heiniger sieht in den SAF den Schlüssel zur nachhaltigen zivilen Luftfahrt.

Power-to-Liquid (PtL): Strombasiert
Durch die Elektrolyse von Wasser (H2O) wird zunächst Wasserstoff (H2) hergestellt. Mittels Kohlendioxid (CO₂), das am besten direkt aus der Luft oder aus biogenen Quellen (Biogas) stammt, entsteht dann zusammen mit einem Teil des Wasserstoffs ein Gemisch aus Kohlenmonoxid (CO) und Wasserstoff, das Synthesegas. Dieses wird in flüssige Kohlenwasserstoffe umgewandelt (Fischer-Tropsch-Synthese), welche man schliesslich zu Kerosin weiterverarbeitet.

Sun-to-Liquid (StL): Solarwärmebasiert
Wasserdampf (H₂O) und Kohlendioxid (CO₂) werden unter direkter Verwendung von Solarwärme in Synthesegas umgewandelt. Es folgt, analog zu PtL, die Umwandlung in flüssige Kohlenwasserstoffe und die Verarbeitung zu Flugtreibstoff. Vorteil gegenüber PtL: StL ersetzt drei Schritte durch einen, indem es Stromerzeugung, Elektrolyse und die Umwandlung von H₂ und CO₂ zu H₂O und CO umgeht. Jedoch ist StL nicht überall wirtschaftlich. Geeignet sind Standorte in trockenen, sonnigen Regionen: Südspanien, Nordafrika, Südwesten der USA, Australien, Atacama-Wüste.

Andreas Lorenz-Meyer