Toya Bezzola, das «Noma» wurde eben an neuem Standort wiedereröffnet. Wie haben Sie die Eröffnung erlebt?
Wir sind ein Team, das bereits im alten «Noma» zusammengearbeitet hat, wir waren letztes Jahr gemeinsam im Pop-up-«Noma» in Mexiko, danach im Pop-up «Under the bridge» in Kopenhagen. Sprich: Wir haben bereits ein paar Eröffnungen miteinander erlebt, entsprechend gut waren wir vorbereitet. Der Tag X war bei allem Stress weder super crazy, noch die Hölle, er hat sich einfach nur gut angefühlt und hat uns einmal mehr gezeigt, wie gut wir als Team funktionieren.

Inwiefern unterscheidet sich das neue Lokal vom früheren, das in einem ehemaligen Speicher untergebracht war?
Der grosse Unterschied besteht darin, dass das neue «Noma» ganz nach den Vorstellungen und abgestimmt auf die Bedürfnisse des Teams gebaut wurde. Es ist grösser und bietet Platz für alles. Zum Beispiel war unser «Fermentation Lab» am alten Ort aus Platzgründen draussen untergebracht, jetzt haben wir ein richtiges Labor. Auch das Menü wurde kon­zeptionell angepasst. Neu beschränken wir uns auf drei Saisons: Winters Seafood, Sommers dominiert das Gemüse, im Herbst gibts Wild und Wald. Damit hat Chef René Redzepi die Kulinarik nochmals enger gefasst, was die Menü­erarbeitung noch saisonaler, noch konsequenter macht. Das alles ist Teil des Prozesses, in dem wir uns laufend befinden.

Das Winter-Menü beinhaltete etwa Seeschneckensuppe, Kopfstücke vom Kabeljau, Algen-Glace. Kamen Sie in den Genuss des Menüs?
Ja sicher, wir kosten alles.

Erhalten Sie vom Service auch Einblick, wie diese entstehen?
Ja, wir werden stark in die Prozesse mit eingebunden. Im Vorfeld der Eröffnung haben wir in der Küche geholfen und selber Holzmatten gewoben, auf denen nun Gerichte serviert werden. Ab und zu haben wir eine Führung im «Fermentation Lab», um über die neusten Entwicklungen informiert zu werden. Oder wir organisieren ein Teetraining mit unseren Sommeliers. Unser Intranet bietet Dokumentationen zu allem: zum Juice-Menü und seiner Entstehungsgeschichte, zur neuen Gläserkollektion, die unser Sommelier anfertigen liess, zur Keramik, die von Künstlern geschaffen wurde. Über alles und jedes gibt es die Geschichte dahinter, und es wird erwartet – und ist für uns alle selbstverständlich –, dass wir uns damit auseinandersetzen und Bescheid wissen. Oder das «Saturday Night Project»: Jeden Samstag nach dem letzten Service degustiert unser Team Weine und diskutiert über sie. Die Köche haben ein ähnliches Ritual, bei dem sie sich gegenseitig neue Kreationen vorstellen. Auf Austausch und stetes Lernen wird hier grossen Wert gelegt. Das alles bekommt der Gast nicht mit, dient ihm aber insofern, dass wir ihm bestmöglich Auskunft geben können.

65 Leute sind allein in der Küche tätig. Und im Service?
Am Mittag sind wir mit rund 15 Personen etwas weniger als abends, wo 18 Personen für die 42 Plätze im Restaurant samt Private-Dining-Room zuständig sind. Pro Tag empfangen wir durchschnittlich 140 Gäste.

Wie läuft so ein Service ab, in dem innert zwei Stunden rund 15 Gerichte serviert werden?
Uns Serviceangestellten sind ganz normal Tische zugeteilt, für die wir verantwortlich sind. René Redzepi ist es wichtig, dass auch die Köche in Erscheinung treten. Im Verlaufe des Abends bekommen die Gäste also unzählige Gesichter aus aller Welt zu sehen. Das Tempo, mit dem die Gerichte serviert werden, ist unüblich hoch – auch das ist Teil der Philosophie: Kaum ist eines gegessen, folgt schon das nächste. Dadurch entsteht ein Fluss, der bis zum Schluss nicht aufhört. Den ganzen Abend über sind viele Leute aus Küche und Service unterwegs – ein jeder hat seine Rolle und seine Verantwortung, aber ein jeder kann jederzeit und überall einspringen. Kommt ein Gast aus Spanien und spricht nur wenig Englisch, übernehmen spanischsprechende Kollegen. Unsere Gerichte sind so komplex, es wäre schade, wenn sie nicht vollständig verstanden würden. Durch diese typisch dänische, flache Hierarchie sind wir sehr flexibel, tragen aber auch viel Verantwortung. Als Mitarbeiterin schätze ich diese Arbeitsweise sehr. Mir gibt es mehr Gestaltungsmöglichkeiten, sodass ich einem jeden Gast ein individuelles Erlebnis bieten kann.

Wie kamen Sie ins «Noma»?
Ich habe mich beworben, man hat mich zum Probeschaffen eingeladen – und mir im Anschluss eine Anstellung angeboten. Ich war zu der Zeit in Oxford für meinen Master zum Thema Foodtourismus und hatte mich stark mit Kopenhagens Gastronomie auseinandergesetzt. Mich fasziniert, wie es ein «Noma» und mit ihm die ganze nordische Küche geschafft hat, sich auf die kulinarische Weltkarte zu setzen. Faszinierend ist aber auch die Anstellungspolitik: Hier läuft alles über die Persönlichkeit und die Bereitschaft, sich einzugeben, anders zu denken, weiter zu denken.

Man hört immer wieder von hoher Fluktuation. Ist dem so?
Nein, im Gegenteil. Einen regen Wechsel gibt es einzig bei den Küchenpraktikanten, nicht aber bei uns Festangestellten. In Küche wie Service gibt es viele, die seit Jahren mit dabei sind, und das hängt nicht zuletzt von Redzepis Art ab, die Leute zu pushen, ihnen viel abzuverlangen, aber auch Erfahrungen zu ermöglichen, die sie beruflich und persönlich weiterbringen. Berühmtestes Beispiel ist Ali Sonko, der 2003 als Tischwäscher begann und heute Partner ist.

Diesen «Noma»-Spirit, wie würden Sie ihn beschreiben?
Man kann das Restaurant schlecht mit einem anderen Restaurant vergleichen, geschweige denn mit einem schweizerischen. Das «Noma» hat unzählige Konventionen abgelegt und verfolgt eine ganz eigene Linie. Redzepi hat eine starke Vision, die über das Restaurant hinausgeht und hierfür beispielsweise das jährliche MAD-Festival ins Leben gerufen. Es geht längst nicht mehr nur um das «Noma», sondern um die ganze Community, die hier entstanden ist. Jedes Restaurant, das man hier aufsucht, unterscheidet sich von denen in der Schweiz.

Wie erklären Sie sich dann diese Faszination?
Sie rührt sicherlich daher, dass im «Noma» ständig Konventionen hinterfragt werden. Diese unbändige Neugier, dieses Suchen und Entdecken beflügelt ungemein, zumal es auch etwas Bescheidenes hat: Nicht auf dem sitzen zu bleiben, nur weil es gut ankommt. Dem liegt auch die Neueröffnung zugrunde: trotz Erfolg nochmals einen Schritt weiter zu gehen. Und die Gäste fasziniert, dass sie eine kulinarische Erfahrung erhalten, die wohl tatsächlich einzigartig ist. Uns imponiert, wie viele Menschen immer noch anreisen und glücklich wieder abreisen.

Die Plätze für drei Monate sind jeweils innert 20 Minuten ausverkauft. Ist das nicht irre?
Ja natürlich, total. Die Freude der Gäste ist aber ebenso krass. Sie sind so überwältigt, und das ist unbezahlbar. Es ist ein Privileg, so arbeiten zu dürfen.

Was sind Ihre weiteren Pläne?
Ich werde irgendwann in die Schweiz zurückkehren. Ich bin angetan von unserem Alpenraum und der kulinarischen Vielfalt, und langfristig ist es schön, dort Gastgeberin zu sein, wo die Wurzeln sind. Darin hat mich das «Noma» gestärkt: den Mut, die Zuversicht, die Inspiration zu haben, etwas Eigenes auf die Beine stellen zu wollen.


Noma 2.0 – Neuer Standort und ein Konzept reduziert auf drei Jahreszeiten
Die 26-jährige Bernerin Toya Bezzola ist seit zwei Jahren «Section Waiter» in dem von René Redzepi geführten «Noma» in Kopenhagen. 2016, nach 13 Jahren, wurde das weltberühmte Lokal, das viermal die Liste der «World's 50 Best» anführte, geschlossen und nun Mitte Februar als «Noma 2.0» unweit des alten Standorts wiedereröffnet: auf einem über 7000 Quadratmeter grossen Areal mit Gärten, Gewächshäusern und Labor. Neu umfasst das Konzept drei Jahreszeiten: Winters dominieren Fisch und Schalentiere, Sommers Obst, Kräuter, Gemüse, im Herbst Pilze, Beeren, Wild. Das 42-plätzige Restaurant beschäftigt allein in der Küche 65 Personen, wobei die Stagiaires nur für das Mise-en-Place zuständig sind, die Chefs de Partie richten an. Das Menü kostet rund 350 Franken ohne Getränke.