Nicole Brändle, Sie nehmen sich Zeit für ein persönliches Gespräch mit allen 75 Mitarbeitenden der Geschäftsstelle von HotellerieSuisse. Davon könnte sich manch ein CEO eine Scheibe abschneiden.
Die Mitarbeitenden sind Herz und Hirn unseres Verbandes. Deshalb gibt es nichts Wichtigeres, als sich mit ihnen auszutauschen und sie kennenzulernen. Und zwar gleich am Anfang. Das hatte ich mir fest vorgenommen, sollte ich je eine derartige Position erhalten.

Die Mitarbeitenden sind das Wichtigste – das sagen alle Chefs, aber die Realität sieht manchmal anders aus. Warum sollen wir Ihnen das glauben?
(lacht herzlich) Führung hat viel mit Menschen zu tun. Diese Menschen bestehen nicht nur aus ihren Fähigkeiten und Erfahrungen, sondern es sind Persönlichkeiten. Mit diesen Persönlichkeiten möchte ich mich austauschen, denn mit ihnen werde ich täglich zusammenarbeiten. [RELATED]

Wenn Sie sich beschreiben müssten: Welche fünf Attribute zeichnen Sie als Branchen­leaderin aus?
Als Führungsperson oder in meiner Arbeit?

Wie Sie möchten.
Ich kann das nur schwer trennen. Als Führungsperson bin ich integrativ und respektvoll. Bei der Arbeit bin ich sehr sachlich und analytisch, zielstrebig und engagiert. Das waren jetzt sechs Attribute. (lacht)

Führung hat viel mit Menschen zu tun.

Wenn Sie sich an den Bewerbungsprozess zurückerinnern: Wie haben Sie überzeugt? Was muss eine CEO von HotellerieSuisse mitbringen?
Neben den «weichen» Faktoren wie Führungspersönlichkeit und Umsetzungsskills sind das «harte» Faktoren wie Betriebswirtschaft, Finanzen, Erfahrung in Tourismus und Politik.

Was heisst «Erfahrung in der Politik»?
Man sollte die Mechanismen kennen, die in Bern wirkungsmächtig sind. Das kann man sich aber nur beschränkt theoretisch aneignen. Dazu ist unser politisches System viel zu komplex. Learning by Doing ist gefragt. Und genau das habe ich als Leiterin Arbeit, Bildung, Politik bei Hotellerie­Suisse fünf Jahre lang gemacht.

Waren Sie nervös in den Hearings?
Ich konnte selbstsicher auftreten, weil ich mit den Themen vertraut bin. Als ich mich vor fünf Jahren vorgestellt habe, war ich um einiges nervöser. (lacht)

Vor fünf Jahren kamen Sie aus der freien Marktwirtschaft zum Verband. Welches sind die Unterschiede?
In der Verbandswelt gibt es viel spezifischere Abhängigkeiten als in der Wirtschaft; Abhängigkeiten, die viel dauerhafter und weniger frei wählbar sind. 

Nennen Sie uns ein Beispiel?
Sozialpartnerschaften, politische Gegebenheiten oder Partner bedingen ein ganz anderes Handeln, als es in Unternehmen gefordert ist. Ich bringe Erfahrung aus beiden Welten mit. Als Leiterin Arbeit, Bildung, Politik haben Sie während der Corona-Krise einen «struben» Einstieg gemeistert. Ich habe Ende 2019 bei HotellerieSuisse angefangen. Wenige Monate später waren wir im Krisenmodus. 

Man sollte die Mechanismen kennen, die in Bern wirkungsmächtig sind.

Welche Learnings nehmen Sie aus dieser Zeit mit?
Ein politisches Learning war sicher, dass wir in der Tourismusallianz geeint aufgetreten sind. Vor der Pandemie waren diese Kräfte viel weniger gebündelt. Da hat mein Vorgänger sehr gute Arbeit geleistet. Die Krise hat Hotellerie, Gastronomie und Tourismus zusammenrücken lassen. Dazu kam, dass sich unsere Vorarbeit in all den Jahren – das politische Lobbying – ausbezahlt hat, als wir es gebraucht haben. Vor Corona wurde diese Arbeit eher stiefmütterlich behandelt.

Und persönlich?
In der Krise habe ich, haben viele von uns einfach funktioniert. Wenn ich zurückblicke, muss ich sagen: In meinem Leben hatte ich vorher nie eine derart steile Lernkurve. Es ist unglaublich, welche Dynamik entstanden ist, wie gross unsere Anpassungsfähigkeit und unsere Improvisationsfähigkeit waren.

Sie haben sich in den vergangenen Jahren auf dem politischen Parkett sehr gut vernetzt. Muss die Branche hier weiter aufholen? 
Natürlich wäre es schön, Hoteliers im Parlament zu haben. Aber politische Interessenvertretung geht weit über einzelne Vertreterinnen und Vertreter hinaus, ist sehr vielschichtig. Unsere Arbeit ist mehrdimensional. Sie reicht in die Verwaltung und ins Parlament, umfasst Öffentlichkeitsarbeit sowie regionale und kantonale politische Arbeit. So erzielen wir eine optimale Wirkung für unsere Mitglieder.

Wenn ich durch meine Rolle ein Vorbild sein kann, dann würde mich das natürlich freuen.

Martin von Moos und Nicole Brändle: Dürfen wir uns auf das Dream-Team der Schweizer Beherbergungsbranche freuen?
Das hoffe ich doch. (lacht) Wir ergänzen uns sehr gut und sind gemeinsam gut gestartet.

Die Hospitality-Branche ist dynamischer als je zuvor. Wo gibt es noch Potenzial für Verbesserungen?
Andreas Züllig und Claude Meier haben sehr viel bewegt in den vergangenen Jahren. Wir haben viele Projekte angerissen und umgesetzt. Die Mitglieder kamen teilweise mit der Implementierung gar nicht nach. Martin und ich möchten uns mehr fokussieren, damit unsere Produkte und Dienstleistungen auch wirklich bei den Mitgliedern ankommen. Das bedeutet auch, dass wir ihre Bedürfnisse noch besser kennen müssen.

Sie sind die erste Frau in der operativen Leitung des Verbandes ...
... Ich werde sehr oft darauf angesprochen. 

Nervt das nicht langsam?
Ich verstehe, dass die Medien danach fragen. Aber für mich steht das Geschlecht nicht im Vordergrund. Ich bin eine Persönlichkeit, und zufälligerweise bin ich auch eine Frau. Wenn ich durch meine Rolle ein Vorbild sein kann, dann würde mich das natürlich freuen.

Wie wichtig sind Ihnen Gleichstellung und Familienvereinbarkeit der Arbeit?
Unsere Branche ist sehr weiblich, wie anderswo auch, wo Dienstleistungen erbracht werden. Auf Führungsebene sind noch immer die Männer in der Mehrzahl. Die Gründe dafür sind sehr komplex und betreffen bei weitem nicht nur unsere Branche. Wir haben Mentoringprogramme und machen Anstellungsprozesse transparent, zum Beispiel für die Verbandsleitung. Wir erleichtern die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, etwa mit Homeoffice: All das erhöht die Chancengleichheit.

Sie sind verheiratet und Mutter dreier Kinder im Alter von 6 bis 11 Jahren: Welche Qualitäten muss eine Familie mitbringen, um Beruf und Privatleben unter einen Hut zu bringen?
Wir arbeiten beide sehr gerne, weil wir beide einen spannenden Job machen dürfen. Das ist eine Grundvoraussetzung. Dazu kommt eine gute Planung. Die kann man nicht teilen. Ich plane und organisiere sehr gerne und habe dort sicher eine Stärke, darum laufen alle Fäden des Familienmanagements bei mir zusammen. Eine gewisse Stressresilienz hilft zusätzlich. Da es mir die technischen Möglichkeiten erlauben, im Zug, am späteren Abend oder an einem freien Tag zu arbeiten, fliessen Privatleben und Beruf ineinander über.

Diese Doppelbelastung macht Ihnen keine Mühe?
Es ist mir wichtig, zu Hause bei den Kindern präsent zu sein. Wenn ich am Abend nach Hause komme, holt mich meine Familie runter, sie erdet mich. Für mich ist es ein Privileg, in beiden Welten leben zu dürfen.