Die Handelsroute über den Simplonpass hat eine lange Tradition. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts baute der Briger Handelsherr Kaspar Stockalper den Weg aus und bot in einer politisch unruhigen Zeit eine sichere Handelsverbindung über die Alpen an. Die Ware wurde mit Maultieren über den Pass geführt – das sogenannte Säumen. Anfang des 19. Jahrhunderts erkannte Napoleon Bonaparte die strategische Bedeutung des Passes und ordnete den Bau einer Strasse an. Seine Truppen schickte er letztendlich nie über den Pass, trotzdem entstand so die erste fahrbare Passstrasse in den Westalpen. Ein Drama in jüngerer Zeit spielte sich kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs ab: Italienische Partisanen verhinderten, unterstützt vom Schweizer Nachrichtendienst, die Sprengung des Simplon-Südportals durch die sich zurückziehende Wehrmacht.

«Der Pfad und die Region haben eine hoch spannende Geschichte», sagt Jerun Vils, Tourismusexperte bei der Zürcher Agentur Gutundgut. Doch der Stockalper-Saumpfad geriet mit der Zeit in Vergessenheit. Erst in den 1990er-Jahren reaktivierte ihn die Stiftung Ecomuseum Simplon und machte ihn zum Rückgrat ihres Freiluftmuseums. Wanderinnen und Wanderer können ein spezielles Package erwerben, das in drei Tagen von Brig bis Gondo führt. Sogar der Gepäcktransport wird für sie organisiert. «Aber leider ist das nur die Hälfte des ursprünglichen Saumwegs», sagt Silvio Burgener, Geschäftsstellenleiter bei Brig-Simplon Tourismus. Beim Grenzort Gondo ist Schluss. Die Strecke durch das verwunschene Val Divedro bis hinunter nach Crèvoladossola und weiter nach Domodossola ist nur schlecht erschlossen und teilweise gar nicht begehbar.

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Teure Knacknuss: Der alte Saumpfad hinter Gondo
Ein auf drei Jahre angelegtes Interreg-Projekt ist nun dabei, dies zu ändern. Zentrales Ziel: die Via Stockalper in ihrer ganzen Länge wiederherzustellen. Federführend auf Schweizer Seite ist die Bahngesellschaft BLS, welche die Strecke bis Domodossola seit 2017 bedient. «Wir hoffen auf eine Aufwertung der Bahnhöfe als Wander-Ein- und -Ausstiegspunkte auf italienischer Seite», sagt Ilona Ott, Key-Account-Managerin Italien bei der BLS. Darüber hinaus werde die durchgehende Eröffnung des Saumpfads die Wertschöpfung in der ganzen Passregion erhöhen, glaubt Ott, die zweisprachig ist und über langjährige Erfahrung in der Zusammenarbeit mit italienischen Partnern verfügt.

Die gesamte Via Stockalper ist schon jetzt gut durch den öffentlichen Verkehr erschlossen. Nach Gondo – möglicher Ausgangspunkt für den Wegabschnitt Richtung Domodossola – fährt das Postauto. Auch mit dem Privatauto sind sämtliche Ausgangs- und Endpunkte rasch erreichbar. Wanderern steht es frei, lediglich einzelne Etappen zu begehen.

Zunächst müssen jedoch einzelne Wegabschnitte auf der italienischen Seite ausgebessert oder ganz neu angelegt werden. Der Abschnitt zwischen Varzo und Gondo stellt dabei die grösste Herausforderung dar. Der ursprüngliche Saumweg verlief im engen Talboden entlang des Flusses Diveria. Bergstürze, Hochwasser, aber auch der Bau der Verkehrsinfrastruktur haben grosse Teile des alten Weges zerstört. Diese sollen noch in diesem Frühjahr wiederhergestellt werden, bereits im Sommer soll die Strecke dann als Ganzes wieder begehbar sein.

Gänzlich neu ist die Idee indes nicht. Bereits 2012 war im Rahmen eines Interreg-Projekts eine Studie zur Wiederherstellung der Via Stockalper auf der italienischen Passseite entstanden. Mehrere neue Brücken und Galerien sowie ein Museum hätten gebaut werden sollen. Die kalkulierten Kosten betrugen rund 850 000 Euro – zu viel, wie sich im Nachhinein herausstellte. Denn während auf Schweizer Seite weiterhin in die Via Stockalper investiert wurde, verschwand das Projekt in Italien wieder in der Schublade.

Ein Durchfahrtstal wird zum touristischen Ziel aufgewertet
Was ist heute anders als vor acht Jahren? Anstatt der ursprünglich geplanten «Luxusvariante» solle die Strecke im Val Divedro nur zum Teil unten im Talboden verlaufen. Das sei einiges kostengünstiger, erklärt Ilona Ott. Doch auch diese Routenführung sei interessant, folge sie doch streckenweise einem alten Schmugglerpfad, welcher früher genutzt wurde, um den Zoll zu umgehen. Domodossola und die anderen beteiligten italienischen Gemeinden erhalten für die Weginstandsetzung 110 000 Euro aus dem Interreg-Topf. «Das Geld fliesst vollständig in das Projekt und nicht ins Management», betont Marco Volonta, der die Behörden in Domodossola berät.

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Vils und Ott sehen einen weiteren Grund, warum jenseits der Grenze plötzlich Bewegung in die Sache gekommen ist. «Mit dem Weg durchs Val Divedro wird ein klassisches Durchfahrtstal zum Wandertal aufgewertet», so Ott. Gleichzeitig habe man erkannt, welche touristische Strahlkraft sich auf Schweizer Seite entwickelt habe, glaubt Vils. «Da wurden die Italiener hellhörig.»

Die Agentur Gutundgut wurde von der BLS für die Umsetzung des Projekts beauftragt, auch im italienischen Val Divedro. «Die haben einfach mal angefangen und nicht noch mehr Papier für die Schublade produziert», sagt Silvio Burgener anerkennend. Die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Projektpartnern sei dennoch «speziell». Vor allem bei Interreg gehe es ziemlich bürokratisch zu und her. Auch mit den italienischen Partnern brauche es Geduld, «da immer alles zunächst nach Turin muss».

Ilona Ott bewertet die Zusammenarbeit grundsätzlich als «sehr positiv». Doch auch sie spricht von «Herausforderungen mit den unterschiedlichen Mentalitäten und Sprachen». Dazu komme der administrative Aufwand vor allem in Italien. «Aber das gehört bei Interreg dazu. Es werden Brücken geschlagen.»

In loser Folge berichtet die htr hotel revue über Projekte, die im Sinne von #bettertogether entstanden sind. [DOSSIER]


Kulturwege Schweiz: Tourismus mit Bildungsauftrag

Die Via Stockalper gehört zum Netz der Kulturwege Schweiz, einem Projekt der Stiftung Via Storia, das Angebote aus Tourismus, Landwirtschaft, Langsamverkehr und Bildung verbindet. Die zwölf Hauptrouten führen durch die schönsten Kulturlandschaften der Schweiz. Andere Routen führen über die Landesgrenzen: Die Via Spluga, ein Saumweg von vergleichbarer Länge, verläuft von Thusis über den Splügenpass bis nach Chiavenna (IT). Deutlich länger ist die Via Cook, benannt nach dem Pauschalreise-Pionier Thomas Cook. Sie führt quer durch die Westschweiz und über die französischen Alpen südlich des Genfersees. Gar drei Länder verbindet die Via Valtellina: Von Schruns in Vorarlberg (AT) wandert man durch das Prättigau, Engadin und Puschlav bis nach Tirano im Veltlin (IT).
viastoria.ch/kulturwege-schweiz

patrick timmann