Roland Schegg, gefühlt alle zwei Wochen veröffentlichen Sie oder Ihr Walliser Tourismus Observatorium (Tourobs) eine neue Studie. Was treibt Sie an?

Das Institut Tourismus der HES-SO Wallis, in welchem das Tourobs eingebettet ist, hat gegenüber dem Kanton einen Leistungsauftrag und muss entsprechend liefern. Andererseits versuche ich, interessante Forschungsergebnisse – auch von unseren Studierenden – durch eine Veröffentlichung zu pushen. Es ist Auftrag einer Fachhochschule, wissenschaftliche Resultate in die Öffentlichkeit zu tragen.

Roland Schegg ist seit 2005 Professor an der HES-SO Wallis und Forschungskoordinator des Instituts Tourismus. Daneben ist er Analyst am Walliser Tourismus Observatorium in Siders. Der 56-Jährige lebt in Genf, ist verheiratet und hat drei Kinder.
Das Walliser Tourismus Observatorium (Tourobs) ist ein Projekt des Instituts Tourismus der Hochschule für Wirtschaft HES-SO Wallis. Es fungiert als Schnittstelle zwischen Wissenschaft , Tourismuswirtschaft und Öffentlichkeit, veröffentlicht regelmässig Studien und bietet unter anderem Medien und Stakeholdern nützliche Informationstools.

Tourismusforschung wird auch in Bern, Chur, Luzern oder St. Gallen betrieben. Wozu braucht das Wallis einen eigenen Standort?

Die Tourismusbranche besteht vor allem aus KMUs. Sie haben meist nicht die Ressourcen, um in Forschung und Entwicklung zu investieren. Im Wettbewerb mit der internationalen Konkurrenz wird es für sie deshalb immer schwieriger, mitzuhalten. Wir präsentieren den Unternehmen, vor allem über die Plattform des Observatoriums, die Resultate von Forschungsprojekten in leicht verdaulicher Form und zeigen der gesamten Branche neue Trends auf. Im Tourobs werden in Zusammenarbeit mit Leistungsträgern und Verbänden auch Lösungen entwickelt, welche die eigenen Kennzahlen in Beziehung zu externen Faktoren setzen. Für die Walliser Bergbahnen zum Beispiel haben wir eine Art Intranet entwickelt, in das die Bahnen jährlich ihre Infrastruktur- und Finanzdaten einspeisen. Anhand dieser Daten können sie den Investitionsbedarf für die nächsten fünf oder zehn Jahre abschätzen. Für die Entwicklung solcher und ähnlicher Dienstleistungen ist die Nähe zu den Anbietern und die lokale Marktpräsenz unabdingbar.

Bei Forschung und Dienstleistungen kooperieren Sie weit über das Wallis hinaus. Ist das Tourobs nicht längst eine nationale Institution?

Das Tourobs hat angefangen, mit anderen Kantonen zusammenzuarbeiten, weil es von externen Akteuren dafür angefragt wurde. Auf europäischer Ebene arbeiten wir seit Jahren mit akademischen Partnern aus Italien, Frankreich, Österreich oder auch Polen zusammen. Wir führen auch Studien für europäische Branchenverbände durch, zum Beispiel bei den Hotelvertriebsstudien. Der Markt im Wallis ist nicht riesig. Ein Stück weit sind wir organisiert wie ein Unternehmen, wir brauchen eine gewisse Anzahl Projekte, um unsere Mitarbeitenden zu finanzieren. Die Sockelfinanzierung alleine reicht dafür nicht.

Wie unabhängig können Sie forschen?

Recht unabhängig. Wir haben ein breites Portfolio und sind zum Glück nicht nur von einem einzigen Partner abhängig.

Auch im Auftrag von HotellerieSuisse führen Sie regelmässig Studien im Zusammenhang mit den Online-Buchungsplattformen durch. Zugespitzt gefragt: Steht das Ergebnis nicht von vornherein fest, und Ihr Auftrag ist es dann, eine Studie «drumherum zu schneidern»?

Nein. Die Hotelvertriebsstudienreihe begann ich bereits 2003 an der École hôtelière de Lausanne. Damals ganz ohne Fremdfinanzierung. Ich forschte rein aus Interesse, weil ich wusste, dass Online-Buchungsplattformen ein wichtiges Thema sind. Damals war ihr Marktanteil noch unter 2 Prozent. Mit wachsender Beliebtheit der OTAs nahm mit den Jahren auch die Bedeutung der Studien zu. Aber auch heute sind wir noch unabhängig. Einen Einfluss hat HotellerieSuisse lediglich bei der Formulierung von Zusatzfragen für die Umfragen, je nachdem, was politisch gerade von Bedeutung ist. In die Forschungsresultate selbst hat mir der Verband nie reingeredet.

Apropos OTAs – täuscht es, oder hat sich deren Wachstum etwas abgeflacht? Ist ihr Zenit gar überschritten?

Nein, das Wachstum wird weitergehen, nur werden es nicht ewig die gleichen Player sein. Neue Akteure mischen mit, zum Beispiel Google, welches im touristischen Bereich immer aktiver wird. Und mittelfristig möglicherweise auch Amazon oder Facebook, die bereits über einen grossen Kundenstamm sowie eine Online-Vertriebsstruktur verfügen.

Es fällt auf, dass Booking, Airbnb, Tripadvisor usw. ein immer grösseres Spektrum an Dienstleistungen anbieten. All diese ehemaligen «Einhörner» haben ihr ursprüngliches Kernbusiness mehr oder weniger weit hinter sich gelassen. Machen am Ende zwangsläufig alle alles?

Das ist unausweichlich. Wenn ich nur Hotelbuchungen anbiete, muss ich mich früher oder später fragen, wo sich der Kunde inspiriert. Denn wenn er dies woanders tut, laufe ich Gefahr, dass er irgendwann nicht mehr zu mir kommt und bei der Konkurrenz bucht. Es geht um die Customer-Ownership über den gesamten Reisezyklus hinweg. Aus diesem Grund etwa hat Booking die Metasuchmaschine Kayak aufgekauft, einen wichtigen Player in der Planungsphase. Auch hat Booking seine «Booking Suite» entwickelt, welche Hotels Echtzeitbuchungen über die Website inklusive Yield-Management bietet. Der Hintergedanke ist, dass Booking so an die Kundendaten der Hotels herankommt.

Über allem schwebt scheinbar übermächtig Google, das jederzeit den Daumen über einzelnen OTAs senken könnte. Ist dies am Ende vielleicht sogar ein Hoffnungsschimmer für die Hotels, die unter der Dominanz der OTAs leiden?

Wenn Booking nicht mehr dominiert, dann eben Google. Geld verdienen wollen sie alle. Als Hotel muss ich mir überlegen, was ich noch selber kontrollieren will und kann und was ich besser abgebe. Die grossen Hotelketten setzen zum Beispiel stark auf eigene Kundenbindungsprogramme, um ihre Direktbuchungen zu erhöhen. Bei Marriott oder Hyatt macht das Sinn. Beim Hotel Alpenblick weniger. Ganz allgemein wird die Bedeutung von Stammgästen immer geringer. Der Direktbuchungsanteil, den die Schweizer Hotellerie in früheren Jahrzehnten hatte, war zu einem Grossteil der Stammkundschaft zu verdanken. Die heutige Jugend ist gewohnt, über Plattformen zu buchen, und zwar heute hier, morgen dort.

Immer wichtiger wird die (sozial)mediale Inszenierung der Destinationen. Hängebrücken in abgelegenen Tälern, Pop-up-Hütten an einsamen Bergseen oder spektakuläre Skigebietsverbindungen eignen sich dafür gut, sind aber umstritten. Die Rede ist von «Instagramability» oder auch «Disneylandisierung». Wo ziehen Sie die Grenze?

Der Impakt einer Hängebrücke auf Landschaft und Umwelt ist im Vergleich zu einem Skigebiet um Dimensionen kleiner. Wenn sie dabei hilft, Regionen touristisch attraktiver zu machen, zum Beispiel im Sommer und im Herbst, dann ist das durchaus vertretbar. Unsere Gesellschaft verlangt immer mehr nach Erlebnissen. Die klassische Massenlager-Zeit auf der Alphütte vor 40 Jahren ist vorbei. Die Aussicht von einer Terrasse ist nach einer Viertelstunde genossen. Wenn die Gäste nach dem Kaffee nicht gleich wieder ins Tal fahren sollen, muss man ihnen mehr bieten, zum Beispiel einen Themenweg oder ein Museum. Oder besondere Architektur. Unter Disneylandisierung verstehe ich eher die Faust aufs Auge. Wie weit man aber letztendlich gehen will, hängt auch von der eigenen Positionierung ab.

Riskiert man mit spektakulären Inszenierungen in der Schweiz nicht Overtourismus?

Die Schweiz hat eher ein Undertourism-Problem, mal abgesehen von wenigen Hotspots. Eine gut designte Berghütte wie zum Beispiel die Monte-Rosa-Hütte wird kaum zu Overtourism führen. Sie ist ökologisch, sieht gut aus und passt in die Landschaft. Oder dann die Valser Therme, gestaltet von Peter Zumthor: Die Therme gab es früher schon. Aber die Tatsache, dass sie von einem weltbekannten Architekten mit Materialien aus der Region neu inszeniert wurde, hat sie zu einem Attraktionspunkt gemacht, der eine wirtschaftliche Betätigung über das ganze Jahr erlaubt. Das macht aus meiner Sicht Sinn. Es braucht solche Leuchtturmprojekte. Aber sie müssen passen, auch zu Kultur und Tradition.