Beschneiung

«Der Schnee ist unser Brot»

Vor 45 Jahren nahm in Savognin die erste grosse Schneeanlage Europas ihren Betrieb auf. Pionier Leo Jeker erzählt, wie es dazu kam – und wie wichtig die technische Beschneiung für die Berggebiete bis heute ist.

Christine Zwygart

Was tun, wenn der Schnee ausbleibt? Seit Jahrzehnten ist die technische Beschneiung für den Alpenraum ein wirtschaftlicher Faktor, denn gerade in den Berggebieten hängt die Existenz vielerorts von einer guten Wintersaison ab. Zahlreiche Menschen arbeiten im Tourismus, und bleiben die Gäste wegen Schneemangels aus, hat das verheerende Auswirkungen.

Wir brauchen fürs Beschneien weniger Strom als die Trams in den Städten.
Leo Jeker, Ehemaliger Direktor der Bergbahnen Savognin

Im Vergleich zu anderen Ländern liegt die Schweiz im Mittelfeld. Bei uns können rund 54 Prozent der Pisten künstlich beschneit werden, in Österreich und in Südtirol liegen diese Zahlen deutlich höher. Die technische Beschneiung hat vor genau 45 Jahren einen richtigen Schub erhalten – und ist heute aus vielen Schweizer Destinationen nicht mehr wegzudenken.


12'100 Hektaren Piste können in der Schweiz technisch beschneit werden. Das entspricht etwa 17'000 Fussballfeldern und macht knapp 54 Prozent aller Pisten bei uns aus. In Frankreich sind es 39, in Deutschland 25, in Österreich 70 und in Südtirol gar 90 Prozent.

43'000 Franken kostet die Beschneiung pro Tag in einem grossen Skigebiet – über 25 Millionen Franken Gesamtertrag – im Schnitt, 4700 Franken in einem mittelgrossen – 5 bis 25 Millionen Franken.

89 Prozent des Ertrags werden im Kanton Graubünden im Winter erwirtschaftet. Im Tessin ist es umgekehrt, dort stammen 74 Prozent aus dem Sommergeschäft.

68 Prozent der Skifahrerinnen und Wintersportler kommen hierzulande aus der Schweiz.

0,1 Prozent des gesamten Energieverbrauchs der Schweiz entfallen auf die technische Beschneiung von Pisten. Die Schweizer Seilbahnen nutzen sowohl für den Betrieb der Seilbahnen als auch für die Beschneiung Strom – keine fossilen Brennstoffe.
 

Damals gab es noch keine Vorschriften
Es begann alles in der Saison 1976/1977. Das Bündner Dorf Savognin hatte einen schwierigen Winter mit viel Föhn und kaum Niederschläge. Bei der Bergstation bildeten sich lange Warteschlangen, weil die Talfahrt mit den Ski nicht möglich war. Und wegen der geringen Schneemenge entstanden am Ende grosse Landschäden. «Das war für die Gäste wie auch für die Bauern eine Zumutung – wir mussten etwas unternehmen», sagt Leo Jeker, der damalige Direktor der Bergbahnen.

Also hat er sich umgeschaut, informiert, diskutiert, verhandelt und starkgemacht – für den Bau der grössten Beschneiungsanlage Europas. «Damals gab es an einigen Orten in Europa ein paar Schneekanonen, doch die brachten nicht viel», erinnert sich der heute 80-Jährige. Er hingegen wollte etwas «Richtiges» aufstellen, das die Probleme löst.

Von Beginn weg holte Jeker das Amt für Umwelt mit ins Boot, zeigte den Verantwortlichen Fotos aus Amerika und Kanada, Norwegen und Schweden. «Es gab für solche Anlagen ja noch keine Vorschriften», erzählt er. Doch die Beamten zeigten sich offen und bestanden nur auf einem Punkt: So viel wie möglich muss unterirdisch gebaut und verlegt werden.

Trotz Kritik zogen alle am gleichen Strick
Um das technische Know-how einzubinden, lud Jeker daraufhin Joe Tropeano ein, den amerikanischen Erfinder der Schneekanone. Dieser hatte in den 50er-Jahren eine besondere Erfahrung gemacht: Beim Eineisen einer Obstplantage – zum Schutz der Blüten – entstand nebst Eis auch Schnee.

Gemeinsam schritten sie das Gebiet bei Savognin ab, schauten sich die Situation genau an und diskutierten über knifflige Details. «Und da ich kein Englisch spreche, kam meine Frau Isabella mit und übersetzte.» Der Experte betonte immer wieder: «You need a lot of water, water, water!» Es braucht Wasser nahe am Skigebiet, notierte der Bündner. Der Talfluss Julia war dazu geeignet.

Der Zufall wollte es, dass in Engelberg in jenem Winter Tests aller Schneekanonen stattfanden, die es weltweit gab. Typ Larchmont überzeugte den Chef der Savogniner Bergbahnen – und damit war es Zeit für den nächsten Schritt: Verwaltungsrat, Hauptaktionär und Geschäftsleitung über die Pläne zu informieren. «Einige fanden meine Idee verrückt, unnötig und übertrieben», erinnert sich Leo Jeker. Doch er konterte und erklärte, dass die schneearmen Winter eher zu- statt abnähmen. Und dass die Berggebiete auf die Einnahmen aus dem Skisport angewiesen seien. «Der Schnee ist unser Brot.» Also erhielt er aus den eigenen Reihen grünes Licht.

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Als Nächstes verhandelten der Verwaltungsrat und der Pionier mit den Bauern, informierten sie, zeigten ihnen vor Ort die Pläne, baten sie um Mithilfe – alle sagten Ja. Ebenso die drei betroffenen Gemeindeversammlungen. Selbst die Graubündner Kantonalbank stellte sich hinter das Projekt und lieh das Geld für die Baukosten von 3,4 Millionen Franken. «Wir hatten ja keine eigenen Mittel, die wir reinstecken konnten», erklärt Jeker. Doch die Banker meinten: Wenn ihr es nicht macht, kommen uns die Österreicher zuvor.

Als Schneemacher zu Gast bei Robert Lembke
Nebst Erfinder Joe Tropeano aus den USA wirkten als Experten auch Sture Hennigsohn aus Schweden und der Churer Hydraulikingenieur Reidar Hegland mit. Am 12. Juli 1978 war Baubeginn: Von Savognin – auf 1200 Meter über Meer – aus wurden über Tigignas bis hinauf nach Fugna, 1850 Meter über Meer, drei Leitungen gebaut – für Wasser, Druckluft und Strom. Dazu kamen zwei Pumpstationen, fünf Kompressoren, 60 Zapfstellen für Wasser und Druckluft sowie 22 mobile Schneekanonen. «Die Mitarbeitenden der Bergbahn haben kräftig mit angepackt – wir waren ein super Team», sagt Leo Jeker.

Das erste Mal beschneit wurde am 23. November 1978. Und bei der Einweihung am 8. Dezember 1978 war nebst Landammann Tona Collet auch Skirennfahrer und Olympiasieger Heini Hemmi vor Ort, der Slogan «Savognin schneit für Sie» wurde lanciert und die Anlage für die vier Kilometer lange Piste im unteren Teil des Skigebiets in Betrieb genommen. Besucher aus der ganzen Welt kamen nach Savognin, um die grösste Schneeanlage Europas zu bestaunen. Führungen wurden organisiert, Informationen weitergegeben und der Kunstschnee befühlt.

Und: Im Januar 1979 reisten Leo Jeker und Schneemacherchef Teias Wasescha nach München ins Fernsehstudio, um in Robert Lembkes «Was bin ich?» mitzumachen. Das heitere Beruferaten war wie geschaffen für die neuen Schneemacher. Und Leo Jeker erzählt: «Wir haben sogar selber gemachten Schnee für eine Schneeballschlacht mitgebracht.»

Seit 45 Jahren wird in Savognin nun, wenn nötig, selber geschneit. Betreut wurde die Anlage der ersten Stunde von den eigenen Mitarbeitenden, die von den Experten viel gelernt haben. Das sei ein harter Job gewesen, so Jeker: «Es gab 1,5 Kilometer mobile Schläuche, die je nach Standort der Kanonen an die richtige Stelle gezogen werden mussten.» Fünf bis sechs Personen waren damals mit der Beschneiung beschäftigt.

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Weniger Strom für Schneekanonen als für Trams
In all den Jahren ist die Anlage kontinuierlich ausgebaut und modernisiert worden. Heute können die Pisten vom Piz Martegnas auf 2670 Meter über Meer bis ins Tal beschneit werden. Geblieben sind jedoch auch die kritischen Stimmen – vor allem vonseiten der Umweltverbände. 1990 wollten ein parteiunabhängiges Komitee aus Graubünden und die Cipra mit der Initiative «Schnee ohne Kanonen» die technische Beschneiung massiv einschränken. Erfolglos.

Leo Jeker, der 24 Jahre lang als Grossrat amtete, hat dazu eine klare Haltung: «Wir Bergler haben das Recht, moderne Technik anzuwenden, um unsere Arbeitsplätze zu sichern.» Jeder Franken, den die Bergbahnen erwirtschafteten, generiere in der Destination weitere fünf bis sieben Franken Umsatz. Ohne diese Einnahmen würden die Täler verarmen. Auch der Sommerbetrieb sei nur dank eines guten Ertrages im Winter möglich. Und er weist auf die Verhältnismässigkeit hin: «0,7 Prozent der Fläche Graubündens werden zum Skifahren genutzt. Und damit verdient der Bergtourismus Milliarden.»

Auch die Energiefrage weiss der Pionier in Relation zu setzen. Gerade mal 0,1 Prozent des Energieverbrauchs der Schweiz entfallen auf die technische Beschneiung, Tendenz sinkend. «Das ist weniger, als die Trams in den Städten verbrauchen – und wir produzieren den Strom hier schliesslich selber in den Tälern.»

60 Jahre im Dienst der Bergbahnen
Nach 60 Jahren Engagement bei den Bergbahnen Savognin hat Leo Jeker im Oktober 2022 seine Laufbahn dort beendet. Er selber sagt, eigentlich sei nicht er der Pionier, sondern die Gründer der Bergbahnen Savognin. «Sie waren wahre Macher – und liessen mich als Direktor machen.»

Heute schreibt er engagierte Kolumnen für das «Bündner Tagblatt» und ist Ehrenpräsident des Internationalen Skiareatests. Selbstverständlich ist er im Winter gerne auf den Ski unterwegs – und übrigens: Zu Ehren des Pioniers heisst die rote Route der Sektion I «Leo Jeker Piste».


Bildung

In der Schweiz gibt es keine Ausbildung für «Schneemacher»

Die Einführung einer EFZ-Ausbildung für Beschneier erachtet Seilbahnen Schweiz als nicht umsetzbar. «Die Mitarbeitenden bilden sich ‹on the job› aus und werden von erfahrenen Berufsleuten im Betrieb eingeführt», sagt Direktor Berno Stoffel. Geprüft werde aber, inwieweit «Wasser- und Schneemanagement» neu als Weiterbildung angeboten werden solle. Schulungen führen auch Hersteller von Beschneiungsanlagen durch.

«Wir vermitteln die Technik der gesamten Beschneiungsanlage, der Schneeerzeuger, Pumpstationen sowie der Steuerungssoftware», erklärt Stefan Mumenthaler von Techno Alpin Schweiz. Für die Weiterbildung betreibt das Unternehmen eigens eine Akademie und hat in Schattdorf UR einen neuen Schulungsraum eröffnet. Dank des vermittelten Wissens können die Mitarbeitenden der Bergbahnen vor Ort allfällige Probleme möglichst schnell und effizient selber beheben. «Das entlastet unsere Techniker und spart Kosten für die Kunden.»